Anti-Liberalismus im Geist der frühen Kirche

Michael Fiedrowicz, John Henry Newman und die Kirchenväter


Der selige John Henry Kardinal Newman
Der heilige John Henry Kardinal Newman

Von Wolf­ram Schrems*

Anzei­ge

John Hen­ry New­man (1801–1890, 1879 zum Kar­di­nal kre­iert) zeich­ne­te sich durch immense Bil­dung und tie­fe Fröm­mig­keit aus. Sein umfang­rei­ches Werk wird von immer mehr Gläu­bi­gen ent­deckt. Sei­ne Selig­spre­chung 2010 und sei­ne Hei­lig­spre­chung 2019 erhöh­ten sei­ne Bekanntheit.

Aller­dings ver­däch­ti­gen man­che tra­di­ti­ons­ori­en­tier­te Katho­li­ken den Kar­di­nal, er sei (etwa auf­grund sei­ner Ent­wick­lung der christ­li­chen Leh­re) ein heim­li­cher Moder­nist gewe­sen. „Pro­gres­si­ve“ Kir­chen­leu­te ver­su­chen New­man für eine „libe­ra­le“ Agen­da, etwa im Sinn einer falsch ver­stan­de­nen Gewis­sens­frei­heit, oder für das II. Vati­ca­num zu ver­ein­nah­men – und sogar für die Amazonassynode!

Nun hat sich der Theo­lo­ge, Phi­lo­soph, Phi­lo­lo­ge, Archäo­lo­ge und Lehr­stuhl­in­ha­ber für Patri­stik an der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät Trier, Hoch­wür­den Prof. Micha­el Fied­ro­wicz, von dem eini­ge Publi­ka­tio­nen auf die­ser Sei­te schon vor­ge­stellt wur­den (beson­ders her­vor­ge­ho­ben sei­en Die Über­lie­fer­te Mes­se und Päp­ste und Kir­chen­vä­ter), der Auf­ga­be gestellt, den Zusam­men­hang zwi­schen patri­sti­scher Ori­en­tie­rung und „dog­ma­ti­scher“, „anti­li­be­ra­ler“ Hal­tung bei New­man auf­zu­zei­gen. Her­aus­ge­kom­men ist eine akri­bisch recher­chier­te und span­nend geschrie­be­ne wis­sen­schaft­li­che Monographie.

Sie legt dar, daß New­man im Rück­griff auf die Kir­chen­vä­ter gegen den Libe­ra­lis­mus sei­ner Zeit ankämpf­te und daß die­ser Kampf von den heu­ti­gen Katho­li­ken auf­ge­nom­men wer­den muß. Im Stil unter­schied sich New­man zwar von den römi­schen Schul­theo­lo­gen sei­ner Zeit, etwa Kar­di­nal Fran­ze­lin SJ, und wur­de von ihnen auch bearg­wöhnt (138). Es ist aber der­sel­be Glau­be, den er ver­tei­digt und verkündet.

Weil es wich­tig ist, hier in ange­mes­se­ner Ausführlichkeit:

Biographisches

Im ersten Teil zeich­net der Autor die gei­sti­ge Bio­gra­phie New­mans nach, wobei der Schwer­punkt eben auf des­sen Bezie­hung zum Werk der Kir­chen­vä­ter liegt. New­man, hoch­be­gab­ter und sen­si­bler Gelehr­ter und Dich­ter, zunächst Amts­trä­ger der Angli­ka­ni­schen Staats­kir­che, Uni­ver­si­täts­pre­di­ger in St. Mary´s (Oxford), ist einer der Grün­der und Prot­ago­ni­sten der „Oxford-Bewe­gung“, die eine geist­li­che Erneue­rung der Angli­ka­ni­schen Staats­kir­che anstreb­te, beson­ders durch eine Rück­be­sin­nung auf die frü­he Kir­che. Zu die­sem Zweck stu­dier­te und über­setz­te New­man Wer­ke der latei­ni­schen und grie­chi­schen Kir­chen­vä­ter. Gleich­zei­tig glaub­te er, einen gesun­den Mit­tel­weg (Via Media) zwi­schen Katho­li­zis­mus und Cal­vi­nis­mus ein­schla­gen zu kön­nen. Zu die­sem Zweck wur­den die berühm­ten Trak­ta­te Tracts for the Times her­aus­ge­ge­ben, neun­zig an der Zahl.

Die Kri­tik an den Neun­und­drei­ßig Glau­bens­ar­ti­keln der Staats­kir­che im Trak­tat 90 (Febru­ar 1841) rief aber Wider­stand hervor:

Kar­di­nal New­man in sei­nem Studierzimmer

Die ableh­nen­den Reak­tio­nen lie­ßen New­man begrei­fen, daß sei­ne Vor­stel­lung vom Angli­ka­nis­mus von der Kir­chen­füh­rung und der gro­ßen Mehr­heit der Lai­en nicht geteilt wur­de. „New­man erkann­te, daß sei­ne Kir­che die Wahr­heits­fra­ge über­haupt nicht stell­te – nur die nach der öffent­li­chen Mei­nung, der Oppor­tu­ni­tät und der Erhal­tung der Macht.“ (120)

Also wie heu­te bei uns, möch­te man sagen.

Die Oxford-Bewe­gung geriet in die Kri­se. Man war in der Sackgasse.

Ab 1839 hat­te New­man am Angli­ka­nis­mus zu zwei­feln begon­nen, die Kon­sul­ta­ti­on der Kir­chen­vä­ter wur­de in der Not exi­sten­ti­ell (124). Und die Väter wie­sen nach Rom, selbst­ver­ständ­lich auch die östlichen.

New­man leg­te 1841 alle Ämter zurück und zog sich mit Freun­den nach Litt­lem­ore außer­halb Oxfords zurück, wo er sich einem stren­gen geist­li­chen Tages­ab­lauf unter­warf. Am 9. Okto­ber 1845 wur­de er nach lan­gem Rin­gen von Pas­sio­ni­sten­pa­ter Domi­nic Bar­be­ri (1963 selig­ge­spro­chen) in die Katho­li­sche Kir­che auf­ge­nom­men. Er wur­de in Rom zum Prie­ster geweiht. Er grün­de­te das Ora­to­ri­um in Bir­ming­ham, wo er bis zu sei­nem Tod lebte.

Auch in sei­ner katho­li­schen Pha­se beschäf­tig­te er sich inten­siv mit den Kirchenvätern.

Systematisches: Fundament des Glaubens, Ablehnung der Revolution

Fied­ro­wicz geht im zwei­ten Teil des Werks auf die grund­sätz­li­chen Fra­gen ein, die New­man im Rück­griff auf die Väter und im Blick auf sei­ne eige­ne Zeit behan­delt: Es geht um den Libe­ra­lis­mus in der Reli­gi­on, um die vage „Reli­gi­on des Tages“, um den Wider­stand gegen die Selbst­sä­ku­la­ri­sie­rung der Kir­che, um die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Ratio­na­lis­mus und dem Rela­ti­vis­mus, um die Illu­si­on von staat­li­chen Erzie­hungs­pro­gram­men als Reli­gi­ons­er­satz und um den libe­ra­len Geist als Weg­be­rei­ter des Antichrist.

Fied­ro­wicz: New­man und die Kirchenväter

Der Ansatz New­mans ist der inhalt­lich bestimm­te, dog­ma­ti­sche Glau­be: Gott ist real, er hat sich in Jesus Chri­stus defi­ni­tiv geof­fen­bart. Die­ser grün­de­te die Kir­che als ver­bind­li­ches Heils­in­stru­ment. Spöt­ter und Kri­ti­ker des katho­li­schen Glau­bens zur Zeit der Kir­chen­vä­ter war­fen die­sem Ver­nunft­feind­lich­keit und Man­gel an Begrün­dung vor. Abge­se­hen davon, daß das falsch ist, beton­ten die Apo­lo­ge­ten, daß alle mensch­li­chen Ange­le­gen­hei­ten auf Glau­ben beru­hen. Nie­mand hat die Zeit, immer alle Even­tua­li­tä­ten abzu­wä­gen. New­man dazu:

„Auf die­se Wei­se beruht tat­säch­lich bei­na­he alles, was wir in unse­rem täg­li­chen Leben tun, auf Ver­trau­en, d. h. auf Glau­ben. […] Die Welt könn­te nicht bestehen ohne Ver­trau­en“ (230).

Zudem ist der Glau­bens­akt Aus­druck des exi­sten­ti­el­len Ver­trau­ens auf Gott und des ihm gegen­über geschul­de­ten Gehor­sams. Der Autor kommentiert:

New­man erkann­te „einen Wider­stand gegen das Prin­zip des Glau­bens […] in einem ange­bo­re­nen revo­lu­tio­nä­ren Prin­zip des Unge­hor­sams um des Unge­hor­sams wil­len.“ Mit der Ver­tei­di­gung und Ein­for­de­rung des Glau­bens­ak­tes führt die Kir­che somit einen Kampf gegen das revo­lu­tio­nä­re Prin­zip, das sich schon in der ersten Revol­te gegen Got­tes Gebot mani­fe­stier­te. (231)

Aktuelles: Gewissen, religiöser Streit, staatlicher Eingriff in den Glauben

Fied­ro­wicz selbst legt ange­sichts der gegen­wär­ti­gen Lage der Katho­li­schen Kir­che sei­ne Stu­die als Auf­ruf zur „Rück­be­sin­nung auf die Kir­chen­vä­ter“ vor. Dabei wider­spricht er zeit­ge­nös­si­schen Lieb­lings­ideen im bin­nen­kirch­li­chen Raum.

Dazu drei Beispiele:

Heu­te wird der Aus­druck „Gewis­sen“ infla­tio­när und falsch ver­wen­det. New­man wuß­te aber, daß das Gewis­sen inhalt­lich, ja katho­lisch, bestimmt ist. Es ori­en­tiert sich an der natür­lich erkenn­ba­ren und geof­fen­bar­ten Wahr­heit und ruft gebie­te­risch zum Bezeu­gen auf:

Wenn Hila­ri­us in die­sem Zusam­men­hang von einer Gewis­sens­ent­schei­dung sprach, so war auch für New­man das Gewis­sen jenes Organ im Innern des Men­schen, das ihm den gebie­te­ri­schen Anspruch der Wahr­heit ver­nehm­bar macht. Von die­ser Art waren die Glau­bens­be­ken­ner der frü­hen Kir­che wie Hila­ri­us und Atha­na­si­us neben vie­len ande­ren Män­nern, die sich dem Dik­tat der öffent­li­chen Mei­nung wider­setz­ten, um statt­des­sen ihrem Gewis­sen zu fol­gen und der Wahr­heit treu zu blei­ben, wie sie gera­de durch das dog­ma­ti­sche Prin­zip einen klar erkenn­ba­ren Anspruch erhob. Das Auf­tre­ten jener früh­christ­li­chen Glau­bens­be­ken­ner stärk­te in New­man die Zuver­sicht für den Bestand der Wahr­heit auch in Zei­ten rasant wach­sen­den Unglau­bens: ‚Immer gibt es in den schlimm­sten Zei­ten Zeu­gen der Wahr­heit, um die Pla­ge zum Ste­hen zu brin­gen.‘ (314)

Da zwei­tens wei­te Tei­le der Kir­che die Aus­ein­an­der­set­zung auf­ge­ge­ben haben, ist auch das für uns relevant:

New­man wen­det sich gegen den welt­an­schau­li­chen Pazi­fis­mus um jeden Preis. Er kri­ti­siert Pre­mier­mi­ni­ster Sir Robert Peel, der sich am „Par­tei­geist“ (oder „Eife­r­er­tum“) stößt:

„Das Chri­sten­tum ist Glau­be, der Glau­be ver­langt eine Leh­re, die Leh­re Lehr­sät­ze, Lehr­sät­ze ein Ja oder Nein, Ja oder Nein Aus­ein­an­der­set­zun­gen. ‚Streit‘ also ist der natür­li­che Beglei­ter des Chri­sten­tums, und man kann ohne Aus­ein­an­der­set­zun­gen kein Chri­sten­tum haben. Wenn also Sir Robert Peel sol­che strit­ti­gen Punk­te Gegen­stän­de des ‚Par­tei­gei­stes‘ nennt, was ist das ande­res als eine Belei­di­gung des Chri­sten­tums?“ (340)

New­mans Kardinalswappen

Die poli­ti­sche Macht ten­diert drit­tens zum Miß­brauch von Reli­gi­on, um die Unter­ge­be­nen ruhig­zu­hal­ten und die eige­ne Macht abzu­si­chern. Dazu eig­net sich eine beson­ders vage und rela­ti­vi­sti­sche Form von Reli­gi­on. New­man wider­spricht die­sem Uti­li­ta­ris­mus und bekennt sich zur Eccle­sia mili­tans:

Auch bei ande­ren Gele­gen­hei­ten kri­ti­sier­te New­man, durch das Stu­di­um der aria­ni­schen Kon­tro­ver­se für das Tak­tie­ren der Macht­ha­ber sen­si­bi­li­siert, das Inter­es­se der Staats­män­ner an einer Form von Reli­gi­on, die, wie die angli­ka­ni­sche Via Media, auf Aus­gleich bedacht war und Dif­fe­ren­zen abzu­mil­dern such­te. (340f)

Im übri­gen ist das Geschichts­be­wußt­sein ein wich­ti­ger Bestand­teil des kirch­li­chen Glau­bens. Die Tra­di­ti­on gibt uns Halt. Aber die Kir­chen­füh­rung selbst zer­stör­te vor 60 Jah­ren die Tra­di­ti­on. Der Abbruch der Tra­di­ti­on durch die poli­ti­sche Macht ist zudem eine Metho­de, die Men­schen leich­ter len­ken zu können:

Die von New­man erwähn­te Ver­dun­ke­lung der Ver­gan­gen­heit erweist sich auch in spä­te­ren Zei­ten immer wie­der als bewähr­tes Mit­tel der Mani­pu­la­ti­on, wenn moder­ne Regime auf die Zer­stö­rung des kol­lek­ti­ven Gedächt­nis­ses zie­len und eine poli­tisch erzwun­ge­ne Amne­sie dazu bei­tra­gen soll, den neu­en Men­schen zu for­men. (368)1

Der liberale Geist als Wegbereiter des Antichristen

Für unse­re Zeit ist auch wich­tig, daß der dog­ma­ti­sche katho­li­sche Glau­be der ein­zi­ge Wider­stand gegen die Anma­ßun­gen des Anti­chri­sten­tums und sei­ner Macht ist.

Zudem hat die Theo­lo­gie, rich­tig betrie­ben, eine die Zwei­fel exor­zie­ren­de und mis­sio­na­ri­sche Kraft:

Gegen­über aller Dif­fa­mie­rung oder ratio­na­li­sti­schen Kri­tik des katho­li­schen Glau­bens ist – neben einem über­zeu­gen­den Leben – die beste Waf­fe zu des­sen Ver­tei­di­gung eine kla­re, genaue und voll­stän­di­ge Kennt­nis der katho­li­schen Theo­lo­gie (…). Eine soli­de Kennt­nis der geof­fen­bar­ten Glau­bens­wahr­hei­ten besitzt gera­de­zu mis­sio­na­ri­sche Kraft. „Und war­um? Weil die Welt voll von Zwei­feln, von Unsi­cher­heit und von Wider­spruch in der Leh­re ist – kann doch ein kla­res, fol­ge­rich­ti­ges System der geof­fen­bar­ten Wahr­heit außer­halb der katho­li­schen Kir­che nicht gefun­den wer­den.“ (377f)

Fied­ro­wicz stellt fest, daß New­man zwar mit „neu­ar­ti­gen Prü­fun­gen“ der Kir­che rech­ne­te, die „so muti­ge Her­zen wie die eines Atha­na­si­us, eines Gre­gor I. und eines Gre­gor VII. erschrecken und ver­wir­ren wür­den“ (377), daß er sich jedoch eine „Infil­tra­ti­on feind­li­cher Kräf­te ins Inne­re der Kir­che“ den­noch nicht vor­stel­len konn­te. Genau das geschah aber „seit der Moder­nis­mus­kri­se“ (382).

John Henry Newman konvertierte 1845, wurde 1847 zum katholischen Priester geweiht und 1879 in den Kardinalsrang erhoben.
John Hen­ry New­man kon­ver­tier­te 1845, wur­de 1847 zum katho­li­schen Prie­ster geweiht und 1879 in den Kar­di­nals­rang erhoben.

Rea­li­stisch beschließt der Autor somit sein Buch:

Heu­te läßt sich jedoch die Fra­ge nicht abwei­sen, ob das, was New­man an der vom libe­ra­len Geist erfaß­ten angli­ka­ni­schen Kir­che kri­ti­sier­te, inzwi­schen nicht auch in der katho­li­schen Kir­che zur Rea­li­tät gewor­den ist. Die ratio­na­li­sti­sche Aus­höh­lung der Glau­bens­wahr­hei­ten in der Theo­lo­gie, die Preis­ga­be des dog­ma­ti­schen Prin­zips zugun­sten rela­ti­vi­stisch-vager Äuße­run­gen des kirch­li­chen Lehr­am­tes, die Staats­hö­rig­keit der Hier­ar­chie sowie ihr Bet­teln um Aner­ken­nung sei­tens der glau­bens­lo­sen Welt prä­gen gegen­wär­tig in nie dage­we­se­nem Maße das Erschei­nungs­bild der­je­ni­gen Kir­che, zu der New­man kon­ver­tier­te, weil er in ihr die Züge der Kir­che der Väter erkannt hat­te. (383)

Inde­ed.

Nun, jede Zeit hat ihre ganz spe­zi­fi­schen Prü­fun­gen, wir eben die unse­ren. Auch uns wer­den der unkom­pli­zier­te und dog­ma­ti­sche Glau­be der Kir­chen­vä­ter und die noble Intran­si­genz New­mans in der Zeit der Ver­wir­rung helfen.

Das ist auch Zweck des vor­lie­gen­den Werkes.

Studium, Glaube und Gnade

Obwohl die Kir­chen­vä­ter New­man nach eige­nen Anga­ben „katho­lisch gemacht“ haben, exi­stiert kein Auto­ma­tis­mus der Kon­ver­si­on. Fied­ro­wicz legt dar, daß New­man ja selbst über 15 Jah­re inten­si­ve Väter­stu­di­en betrieb und den­noch lan­ge an der Legi­ti­mi­tät der Angli­ka­ni­schen Kir­che und an sei­ner Zuge­hö­rig­keit zu ihr fest­hielt. Sein nach lan­gem inne­ren Rin­gen voll­zo­ge­ner Über­tritt zur Katho­li­schen Kir­che ist, wie jede gro­ße Lebens­ent­schei­dung eines Chri­sten, letzt­lich ein Geheim­nis im Inein­an­der von gött­li­cher Gna­de und mensch­li­cher Frei­heit.2

Unterordnung der Hirten unter den allen gemeinsamen Glauben

Nach New­man, der ursprüng­lich ein Geg­ner der Unfehl­bar­keits­de­fi­ni­ti­on des I. Vati­can­ums war und der dem Zeug­nis der Gläu­bi­gen für die Wei­ter­ga­be des Glau­bens im Aria­nis­mus (und in ande­ren Kri­sen des Kle­rus) einen hohen Wert zubil­lig­te, hat die Kir­chen­ob­rig­keit eine behü­ten­de Funktion:

„Kon­zi­li­en und Päp­ste sind die Hüter und Werk­zeu­ge des dog­ma­ti­schen Prin­zips: sie sind nicht sel­ber die­ses Prin­zip; sie set­zen das Prin­zip vor­aus; sie wer­den zur Tätig­keit ange­spornt auf den Anruf des Prin­zips hin“ (291; Zitat aus Ent­wick­lung der christ­li­chen Leh­re).

Man kann sich aus­ma­len, mit wel­chem Ent­set­zen New­man auf die krea­ti­ve Will­kür des II. Vati­can­ums oder gar des gegen­wär­ti­gen Pon­ti­fi­kats reagiert hätte.

Einsprüche

Prof. Fied­ro­wicz ver­wen­det die Aus­drücke „Prie­ster“ und „Bischof“ im Zusam­men­hang mit angli­ka­ni­schen Amts­trä­gern unkom­pli­ziert, was dem gegen­wär­ti­gen und ver­mut­lich auch zur Zeit New­mans übli­chen Sprach­ge­brauch ent­spricht. Es wäre wich­tig, die katho­li­sche Posi­ti­on zur Ungül­tig­keit der angli­ka­ni­schen Wei­hen dar­zu­le­gen (Leo XIII., Apo­sto­li­cae curae von 1896). Man wür­de ger­ne wis­sen, wie man zu New­mans Leb­zei­ten sei­tens Roms die angli­ka­ni­schen Wei­hen betrach­te­te und wie die Angli­ka­ner die römi­sche Posi­ti­on kommentierten.

Daß die revo­lu­tio­nä­ren Theo­lo­gen Lelio und Fausto Soz­zini „Refor­mer“ gewe­sen sein sol­len, ent­spricht zwar heu­ti­gem Sprach­ge­brauch, der auch Luther und Cal­vin mit „Refor­men“ in Zusam­men­hang bringt, ver­kennt aber die eigent­li­che Bedeu­tung von re-for­ma­re, „in die rich­ti­ge Form zurück­brin­gen“ (187).

Orig­e­nes als „recht­gläu­bi­gen Theo­lo­gen“ (298) zu bezeich­nen, erscheint – unge­ach­tet aller sei­ner Ver­dien­ste – ange­sichts von des­sen Wie­der­her­stel­lungs­leh­re nicht ange­zeigt. Hier wäre noch eine Anmer­kung angebracht.

Als ein­zi­ge sub­stan­zi­el­le Ver­schrei­bung fin­det sich nur Cle­mens VIII., wo es Cle­mens VII. hei­ßen muß (13). Bei 400 Sei­ten und 2000 Anmer­kun­gen in meh­re­ren Spra­chen gibt es nur eini­ge weni­ge, läp­pi­sche Ver­schrei­bun­gen. Man muß Autor und Ver­lag zum prak­tisch per­fek­ten Buch gratulieren.

Resümee

Micha­el Fied­ro­wicz ist der kon­ge­nia­le Inter­pret des hl. John Hen­ry New­man. Bei­de sind pro­fun­de Ken­ner der Kir­chen­vä­ter, bei­de sind gläu­bi­ge Katho­li­ken und seel­sorg­lich täti­ge Prie­ster. Bei­de set­zen ihre patri­sti­schen und kir­chen­ge­schicht­li­chen Kennt­nis­se ein, um Pro­ble­me der jewei­li­gen Gegen­wart kri­tisch zu ana­ly­sie­ren und Refor­men aufzuzeigen.

Beson­ders groß­ar­tig erschei­nen dem Rezen­sen­ten die Dar­stel­lung der Rol­le der Ver­nunft und der Phi­lo­so­phie gegen­über dem Glau­ben und deren Gren­zen (238ff). Aus­ge­zeich­net sind auch die Aus­füh­run­gen über will­kür­li­che Schrift­deu­tung und die „Kom­ple­men­ta­ri­tät“ der Glau­bens­in­hal­te (etwa 265ff).

Fied­ro­wicz weist detail­reich nach, daß New­man nicht von einem libe­ra­len Geist gelei­tet war. Sein Rekurs auf die Kir­chen­vä­ter war inspi­riert vom dog­ma­ti­schen Den­ken, das an die real gesche­he­ne Offen­ba­rung der Wahr­heit und Lie­be Got­tes glaubt. New­man darf nicht für eine libe­ra­le und moder­ni­sti­sche Agen­da ver­ein­nahmt wer­den. Man darf im Anschluß an das ein­gangs Gesag­te ergän­zen: auch nicht für die (nun schon sehr in die Jah­re gekom­me­ne) Kon­zils­pro­pa­gan­da („Vor­läu­fer und Weg­be­rei­ter des II. Vati­can­ums“ und wie die Phra­sen alle lau­ten) und schon gar nicht für die Ama­zo­nas­syn­ode und ihren Pacha­ma­ma-Greu­el.3

Im Gegen­zug soll­ten man­che tra­di­tio­nel­len Krei­se ihre eige­ne Kri­tik an New­mans Leh­ren über­den­ken. Mög­li­cher­wei­se hat man – wie es oft vor­kommt – nur anein­an­der vorbeigeredet.

Dank und Aner­ken­nung dem Autor und dem Ver­lag für ein wert­vol­les Buch. Es ist ihm wei­te Ver­brei­tung zu wünschen.

Micha­el Fied­ro­wicz: John Hen­ry New­man und die Kir­chen­vä­ter. Anti-Libe­ra­lis­mus im Geist der frü­hen Kir­che, Car­thu­sia­nus-Ver­lag, Foh­ren-Lin­den 2020, 400 Sei­ten, Euro 38,90

*Wolf­ram Schrems, Mag. theol., Mag. phil., kirch­lich gesen­de­ter Kate­chist, Pro Lifer, nahm an der Selig­spre­chung von Kar­di­nal New­man teil und erwarb bei die­sem Anlaß eini­ge Wer­ke New­mans, die er mit größ­tem Inter­es­se gele­sen hat.

Bild: behold2020/​Wikicommons (Screen­shots)

Bücher von und über John Hen­ry Kar­di­nal New­man und von Prof. Micha­el Fied­ro­wicz kön­nen über unse­re Part­ner­buch­hand­lung bezo­gen werden.


1 Die­se scharf­sin­ni­ge Beob­ach­tung unter­mau­ert Fied­ro­wicz übri­gens mit einem Hin­weis auf das hier bereits vor­ge­stell­te Buch des Phi­lo­so­phie­pro­fes­sors und Euro­pa­par­la­men­ta­ri­ers Ryszard Legut­ko Der Dämon der Demo­kra­tie (dort S. 16). Der Pat­ro­lo­ge und Archäo­lo­ge Fied­ro­wicz beweist somit auch sei­ne Wach­sam­keit für die Gegenwart.

2 In den letz­ten zwan­zig Jah­ren gab es nach Aus­kunft des Coming Home Net­work in den USA vie­le Kon­ver­sio­nen von pro­te­stan­ti­schen Pasto­ren und Gelehr­ten in die Katho­li­sche Kir­che. Etli­che von ihnen wur­den durch das ver­tief­te Stu­di­um der Kir­chen­vä­ter, beson­ders der Apo­sto­li­schen Väter, also der Kir­chen­vä­ter der Zeit der ersten Jahr­hun­dert­wen­de, ver­an­laßt („Tief in die Geschich­te ein­drin­gen, heißt auf­hö­ren, Pro­te­stant zu sein“ (63), wie ein berühm­tes Zitat aus der Ent­wick­lung der christ­li­chen Leh­re lau­tet).

Den­noch deter­mi­nie­ren theo­re­ti­sche Kennt­nis­se noch kei­ne Kon­ver­si­on: Das erkennt man an der erstaun­li­chen Tat­sa­che, daß es zu New­mans Zei­ten angli­ka­ni­sche und evan­ge­li­ka­le Theo­lo­gen gab, die sich inten­siv mit den Kir­chen­vä­tern beschäf­tig­ten und die­se auch als angeb­li­che Zeu­gen für angli­ka­ni­sche, ja pro­te­stan­ti­sche Posi­tio­nen, sogar für sola scrip­tu­ra, ins Tref­fen führ­ten (!) (22ff).

3 Nach einem Arti­kel auf katho​lisch​.de wür­de gemäß Prof. Roman Sie­ben­rock, Inns­bruck, Kar­di­nal New­man die Ama­zo­nas­syn­ode unter­stüt­zen, wenn er noch leben wür­de. Die­se Mut­ma­ßung ist abwe­gig, gera­de­zu aber­wit­zig. Ande­rer­seits zitiert Fied­ro­wicz zustim­mend aus einer Abhand­lung Sie­ben­rocks aus dem Jahr 1996. Das Zitier­te klingt ver­stän­dig. Man macht sich auf die­sen Wider­spruch kei­nen Reim.

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