
(Washington) In einem am vergangenen Samstag von EWTN veröffentlichten Interview erklärt Erzbischof Carlo Maria Viganò, warum er den vom Vatikan vorgelegten McCarrick-Bericht für enttäuschend und fehlerhaft hält. Niemand scheint berufener als der Nuntius in Ruhe, zu dem 449 Seiten umfassenden Bericht Stellung zu nehmen. Msgr. Viganò war es, der Ende August 2018 enthüllt hatte, daß Papst Franziskus seit Juni 2013 detailliert über McCarricks homosexuelles Doppelleben und dessen sexuellen Mißbrauch informiert war, aber nichts dagegen unternommen, sondern McCarrick zu seinem einflußreichen persönlichen Berater gemacht hatte. Zuletzt hatte Erzbischof Viganò die Amerikaner und die Katholiken insgesamt gegen Wahlbetrug zu den geistlichen Waffen gerufen.
Das Interview führte Raymond Arroyo. Der National Catholic Register veröffentlichte eine vollständige Niederschrift.
McCarricks Reise in die Schweiz
Erzbischof Viganò wird im vatikanischen McCarrick-Bericht ganze dreihundertsechsmal namentlich erwähnt. Das habe ihn schon „überrascht“, da er von den vatikanischen Stellen zu dieser Sache weder vorgeladen noch jemals angehört wurde. Eine solche Vorgehensweise sei „völlig unverständlich und ungewöhnlich“. Noch „beunruhigender“ sei jedoch, „daß diese absichtliche Unterlassung dann gegen mich verwendet wurde“. Der Kardinalstaatssekretär habe jederzeit gewußt, wie der Erzbischof erreicht werden konnte. An einer Kontaktaufnahme sei man im Vatikan aber offensichtlich nicht interessiert gewesen. Man wollte seine Stimme in dieser Sache nicht hören.
Im McCarrick-Bericht fehle auch „jede Spur“ von James Grein, dem einzigen McCarrick-Opfer, das den Mut hatte, den sexuellen Mißbrauch durch den ehemaligen Kardinal öffentlich anzuprangern. Es fehle auch jeder Hinweis von Grein über eine Schweiz-Reise McCarricks.
„Aus öffentlichen Äußerungen von James Grein geht hervor, daß der Beginn von McCarricks Aufstieg Ende der 50er Jahre – er war damals ein junger, neugeweihter Priester – mit diesem Besuch in der Schweiz in einem Kloster zusammenfiel, in dem später die Treffen der Verschwörer der sogenannten ‚Mafia von Sankt Gallen‘ stattfanden.“
Erzbischof Viganò erinnert daran, daß laut den Aussagen des inzwischen verstorbenen Kardinals Godfried Danneels diese Gruppe hochrangiger Prälaten beschlossen hatte, „sowohl nach dem Tod von Johannes Paul II. als auch im Konklave nach dem umstrittenen Rücktritt von Benedikt XVI., die Wahl Bergoglios zu unterstützen“.
McCarrick selbst habe zugegeben, die Wahl von Kardinal Bergoglio bei den Generalkongregationen vor dem Konklave unterstützt zu haben.
Liaisons dangereuses McCarrick–Bergoglio
Zur engen Verbindung zwischen Papst Franziskus und McCarrick sagte Erzbischof Viganò:
„Ich frage mich, welche Zuverlässigkeit eine Gerichtsbehörde haben kann, die aufgrund ihrer früheren Beziehung zu dem Angeklagten einen so offensichtlichen Interessenkonflikt hatte. Wie können [Papst] Bergoglio und das von ihm abhängige Staatssekretariat so tun, als wären sie unparteiisch, da McCarrick mit so ungewöhnlicher Häufigkeit im Vatikan ein und aus ging?“
In diesem Zusammenhang müsse man geradezu anzunehmen, daß die „wiederholten Versuche“ von Papst Franziskus und dem vatikanischen Staatssekretariat, „ihre Verantwortung zu vertuschen und zu bestreiten, Ursache für die „systematische Anstrengung ist, mich als Zeugen zu diskreditieren“, um „eine mögliche Komplizenschaft nicht ans Licht“ kommen zu lassen.
Papst Franziskus bestreitet bis heute, von Erzbischof Viganò, der damals als Apostolischer Nuntius den Heiligen Stuhl in den USA vertrat, über McCarricks homosexuelle Machenschaften informiert worden zu sein. Erzbischof Viganò beharrt jedoch darauf:
„Diese Aussage ist absolut falsch. Bergoglio selbst war es, der mich am 23. Juni 2013 ausdrücklich nach meiner Meinung zu McCarrick fragte. Wie ich in meiner Denkschrift von 2018 bezeuge, habe ich ihm mit völliger Offenheit geantwortet: ‚Heiliger Vater, ich weiß nicht, ob Sie Kardinal McCarrick kennen, aber wenn Sie die Kongregation für die Bischöfe fragen, gibt es dort ein sehr umfangreiches Dossier über ihn‘.“
Papst Benedikt XVI. habe ihm deshalb befohlen, ein Leben in Gebet und Buße zu führen. Papst Franziskus habe Viganòs Ausführungen weder kommentiert noch sich überrascht über McCarricks Machenschaften gezeigt, „als hätte er die Angelegenheit schon seit einiger Zeit gekannt“. Franziskus habe stattdessen „sofort das Thema“ gewechselt. Warum er ihn gefragt habe, was er von McCarrick halte, könne er sich nur damit erklären, daß Franziskus hören wollte, „ob ich ein Verbündeter von McCarrick war oder nicht“. Dazu enthüllte der ehemalige vatikanische Spitzendiplomat noch ein brisantes Detail.
„Es sei darauf hingewiesen, daß ich von McCarrick selbst erfahren hatte, daß Bergoglio ihn vier Tage vor meiner Audienz am 23. Juni empfangen hatte und daß Bergoglio ihn ermächtigt hatte, nach China zu reisen.“
Im Mai 2014 erfuhr Nuntius Viganò von der Washington Times von einem Tweet, das McCarrick im Auftrag des vatikanischen Staatssekretariats an die Zentralafrikanische Republik gerichtet hatte. Ihm sei klargeworden, daß McCarrick trotz seines Lebenslaufes in Santa Marta in hohem Ansehen stand.

Aus Rom kam keine Antwort
Viganò blieb nicht untätig, sondern wandte sich an Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin mit der Frage, ob die von Papst Benedikt XVI. gegen McCarrick verhängten Sanktionen „noch als gültig anzusehen seien“. Aus Rom kam keine Antwort.
Der vatikanische McCarrick-Bericht fußt auf der Aussage, daß es „keine Belege“ für die Anschuldigungen von Erzbischof Viganò gebe. Dieser verweist darauf, daß es schon „interessant“ sei, daß beispielsweise seine Anfrage an den Kardinalstaatssekretär unerwähnt bleibe. Da erstaune es schon, im vatikanischen Bericht lesen zu müssen, daß laut Kardinal Donald Wuerl, der McCarricks Nachfolger als Erzbischof von Washington wurde, die häufige Beauftragung McCarricks mit Auslandsaufgaben als „ausreichende Form“ der räumlichen Entfernung gesehen wurde.
Der McCarrick-Bericht behaupte wahrheitswidrig, so Erzbischof Viganò, daß Papst Benedikt XVI. McCarrick keine Sanktionen auferlegt und ihm „nie verboten“ habe, in der Öffentlichkeit die Messe zu zelebrieren oder Vorträge zu halten. Ebenso sei ihm nie ein Leben des Gebets und der Buße auferlegt worden. McCarrick sei, so der Bericht, zu jeder Zeit „mit Erlaubnis des Heiligen Stuhls“ frei gewesen, Aktivitäten zu entfalten und auch Reisen durchzuführen.
Der Heilige Stuhl sage damit, so der ehemalige Nuntius, daß er es „trotz des verwerflichen Verhaltens des Kardinals nicht für angemessen hielt, Disziplinarmaßnahmen gegen McCarrick zu ergreifen“. Das bestätige die Korruption an der Römischen Kurie, die er in seinem „Zeugnis“ von 2018 aufgezeigt habe. Insgesamt sei die Sache aber differenzierter zu sehen, als es der Bericht darstelle.
Der McCarrick-Bericht diene nämlich, so Msgr. Viganò, nicht der Wahrheitsfindung, sondern dazu, durch Diskreditierung seiner Person, die tatsächliche Verantwortung zu vertuschen. Dazu gehöre auch, daß ihm in dem Bericht vorgeworfen werde, er habe 2012 die Behauptungen eines Priesters, der aussagte, von McCarrick mißbraucht worden zu sein, unsorgfältig geprüft. Erzbischof Viganò weist die Behauptung als „absolut falsch“ zurück. Seine Rolle in der Aufdeckung des McCarricks-Skandals sei allen bekannt. Er habe stets alle ihm vorliegenden Informationen dem Heiligen Stuhl gemeldet.
„Die Verfasser des Berichts erbringen selbst den Beweis für die Täuschung, die sie erfunden haben, um mich zu schlagen und zu diskreditieren.“
Tatsächlich zitiert der vatikanische McCarrick-Bericht an anderer Stelle die Mitteilungen von Nuntius Viganò an Kardinal Ouellet, den Präfekten der Bischofskongregation, in denen genau widerlegt wird, was dem Nuntius zum Vorwurf gemacht wird.
Bereits 2006 und 2008 Sanktionen gefordert
Der Bericht bestätigt zudem, daß Erzbischof Viganò bereits 2006 und 2008 seinen Vorgesetzten im Staatssekretariat aufforderte, „so schnell wie möglich einzugreifen und dem Kardinal [McCarrickl] den Kardinalshut zu entziehen und McCarrick zu laisieren“.
Der Bericht des Vatikans sieht darin aber nicht eine Bestätigung von Viganòs Anschuldigungen, daß Papst Franziskus untätig blieb, sondern leitet daraus das Gegenteil ab. Erzbischof Viganò hatte damals geschrieben, daß ein sofortiges Vorgehen gegen McCarrick notwendig sei, „wenn sich die Anschuldigungen als wahr erweisen“. Die Anschuldigungen seien also vage und unsicher gewesen.
Diese Vorgehensweise des Vatikans empört den Erzbischof. Es sei damals um die Einleitung eines ordentlichen kanonischen Verfahrens zur Feststellung der Schuld gegangen. Er sehe sich in seiner Beurteilung McCarricks vollkommen bestätigt, da genau das, was er zwölf Jahre zuvor gefordert hatte, 2018/2019 mit dem Entzug der Kardinalswürde und der Laisierung erfolgt sei.
Und noch eine Schlußfolgerung zieht der Erzbischof anders, als sie im Bericht gezogen wird. In diesem werde auffallend ausführlich ausgebreitet, daß McCarricks offizielle Karriere zum größten Teil unter dem Pontifikat von Johannes Paul II. (1978–2005) stattfand – McCarrick wurde 2006 von Benedikt XVI. emeritiert – und auch unter Benedikt XVI. kein ordentliches Verfahren gegen ihn eingeleitet wurde. Für den ehemaligen Nuntius sei daher offenkundig, daß McCarrick durch ein „Netzwerk geschützt“ wurde.
„Ja, ich meine, die Absichten jener, die den Bericht verfasst haben, sind klar: Die Verantwortung für die Beförderung von McCarrick an seine Vorgänger [von Franziskus] weiterzugeben. Einer von ihnen ist verstorben und heiliggesprochen [Johannes Paul II.] Und der andere ist so alt und schwach [Benedikt XVI.]. Ersterer kann sich nicht mehr verteidigen.“
Bemerkenswert sei, so Erzbischof Viganò, daß der McCarrick-Bericht, an dem „viele Hände“ gearbeitet zu haben scheinen, „zahlreiche Widersprüche“ enthält. Das sei bereits ausreichend, „um das Argument vorzubringen, daß der Bericht wenig glaubwürdig ist“.
Wer im Vatikan hat McCarrick geschützt?
Die Frage müsse nämlich – wenn schon – lauten, wer Johannes Paul II. und Benedikt XVI. überzeugt habe, die schwerwiegenden Anschuldigungen gegen McCarrick nicht zu berücksichtigen. Auf diese Frage, das wäre die Aufgabe gewesen, hätte der vatikanische Bericht Antwort geben müssen. Das sei aber nicht geschehen. Es werde mit dem Finger auf die Vorgänger-Päpste gezeigt, aber den Unterstellungen nicht nachgegangen. Das belege, daß es sich dabei um ein Ablenkungsmanöver handle. Die Frage, wer „ein Interesse“ daran hatte, McCarrick zu befördern, sei hingegen ernst und verlange nach Antwort. Erzbischof Viganò äußert die Vermutung, jemand habe Johannes Paul II. glauben lassen, bei den Anschuldigungen gegen McCarrick handle es sich um so etwas wie die vom kommunistischen Regime in Polen inszenierten Verleumdungen gegen gute Bischöfe und Priester, die sich dem Regime widersetzten.
Fest stehe, so Msgr. Viganò, daß unter Johannes Paul II. Angelo Sodano, der bis 2006 Kardinalstaatssekretär war, die Hauptrolle bei der Förderung McCarricks spielte.
„Alle Informationen kamen auf seinen Schreibtisch. Bereits im November 2000 hatte er von Nuntius Montalvo Informationen über Vorwürfe zu einem von McCarrick begangenen schweren Mißbrauch erhalten. Vergessen wir nicht, daß zu jener Zeit der Skandal von Pater Maciel ausbrach, den Sodano zu vertuschen versuchte, indem er eine Aussage von Benedikt XVI. fälschte. Ich war anwesend, als gesagt wurde, daß der Papst den Fall für abgeschlossen halte. Benedikt XVI. berief dann eine Plenarsitzung der Glaubenskongregation ein und Kardinal Arinze, der damals ihr Mitglied war, gelang es trotz der Opposition des Staatssekretärs, Maciel verurteilen zu lassen. Danach tauchte der Name von Kardinal Sodano auch im Zusammenhang mit einer skandalösen Immobilienspekulation in den USA auf.“
Die gleichen Verbindungen, Komplizenschaften, Bekannten
Der Verweis auf die USA ist kein Zufall, denn McCarrick, US-Amerikaner und Erzbischof von Washington, war bekannt für seine Fähigkeit, auch große Geldsummen aufzubringen. Erzbischof Viganò geht noch weiter:
„Die gleichen Verbindungen, die gleichen Komplizenschaften, die gleichen Bekannten wiederholen sich immer wieder: McCarrick, Clinton, Biden, die Demokraten, die Modernisten und eine ganze Prozession von Homosexuellen und Kinderschändern, das ist nicht irrelevant.“
In Bezug auf Benedikt XVI. waren es Staatssekretär Bertone und sein Stellvertreter Sandri, die die Informationen über McCarrick „kontrollieren, filtern und Druck auf den Heiligen Vater ausüben konnten“. Der vatikanische McCarrick-Bericht spreche in der Sache „für sich“. Es sei Kardinal Bertone gewesen, der sich gegen die von Viganò wiederholt vorgebrachten Anregungen stellte, die schwerwiegenden und detaillierten Anschuldigungen gegen McCarrick in einem ordentlichen kanonischen Verfahren zu untersuchen. Der Bericht behaupte aber fälschlich, Benedikt XVI. habe nur einen „einfachen Appell an McCarricks Gewissen und seinen kirchlichen Geist“ gerichtet.
Das aber widerspreche den Tatsachen, denn wie hätte ein „einfacher Appell“ ihm und bereits seinem Vorgänger als Apostolischem Nuntius in den USA, Msgr. Pietro Sambi, die Anweisung mitteilen können, daß McCarrick nicht weiter in dem Seminar wohnen durfte, in dem er damals lebte, nicht mehr an öffentlichen Aktivitäten teilnehmen und nicht mehr reisen durfte und ein zurückgezogenes Leben des Gebets und der Büße zu führen hatte.
„Die Korruption auf höchster Ebene im Vatikan ist so offensichtlich, daß der Bericht als ein unwürdiger Versuch zu betrachten ist, Bergoglio“ von allen Verdachtsmomenten entlasten zu wollen und als „eine Art unerbittlichen Bekämpfer der korrupten Kurie erscheinen zu lassen, während die Fakten das genaue Gegenteil beweisen“.
Erzbischof Viganò warnt im Zusammenhang mit dem McCarrick-Bericht auch vor einer darin nahegelegten Unterstellung: Weil McCarrick gegen die ablehnende Meinung des damaligen Präfekten der Bischofskongregation, Giovanni Battista Kardinal Re, von Johannes Paul II. 2001 zum Kardinal erhoben wurde, sei dieser Papst verantwortlich für dessen Schandtaten zu machen. Es sollte nicht vergessen werden, so Viganò, daß der seinerzeitige Generalobere des Jesuitenordens eine ablehnende Meinung zur Ernennung von Jorge Mario Bergoglio zum Bischof geäußert hatte. Das negative Urteil über Johannes Paul II. müßte dann auch auf Bergoglio ausgeweitet werden, denn McCarrick und Bergoglio wurden gleichzeitig in den Kardinalsrang erhoben.
„Denken wir daran, daß im Konsistorium von 2001 – und das ist wirklich sehr verdächtig – neben McCarrick und Bergoglio auch andere führende Mitglieder der Mafia von Sankt Gallen den Kardinalshut erhalten haben.“
Doch zu diesen Zusammenhängen wie zu allen relevanten Fragen schweigt sich der vatikanische McCarrick-Bericht aus. 449 Seiten Papier, die mit zweijähriger Verspätung vorgelegt wurden und dennoch in der Sache unbrauchbar sind. Wenn am Bericht etwas von Bedeutung ist, dann nicht so sehr, was er sagt, sondern was er nicht sagt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)