
(Rom) Bereits in den vergangenen Wochen tauchte es wiederholt in der öffentlichen Wahrnehmung auf: Nun ist das „Gespenst eines neuen deutschen Schismas“ ganz oben angekommen. So lautete nämlich die Schlagzeile auf der Titelseite der gestrigen Ausgabe von La Repubblica. Dabei ist der erstgenannte Grund geradezu harmlos, sei aber „nur die Spitze des Eisberges“.
La Repubblica ist die von Eugenio Scalfari, dem bevorzugten Interviewpartner von Papst Franziskus, gegründete Tageszeitung. Sie ist nicht nur Italiens linksgerichtetes Leitmedium, sondern auch die einzige Tageszeitung, die Franziskus laut eigener Angabe täglich liest. Wie die Zeitung die Bestrebungen der tonangebenden Mehrheit der deutschen Bischöfe und die vatikanischen Reaktionen darauf darstellt, verdient daher einige Aufmerksamkeit.
Gender-Gezänk: Brüderlichkeit oder Geschwisterlichkeit?
Harmlos ist der Hinweis, daß es wegen der jüngsten Enzyklika Fratelli tutti zum Konflikt zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Vatikan gekommen war. Die Führungsspitze der deutschen Bischöfe erregte sich über den Titel der Enzyklika, obwohl es sich dabei um ein Zitat des heiligen Franz von Assisi handelt. Originalzitate lassen sich nicht ändern, doch dafür werden nun Brüder und Brüderlichkeit in den deutschen Übersetzungen vatikanischer Dokumente – und nur in den deutschen – als „Geschwister“ und „Geschwisterlichkeit“ wiedergegeben, also „gegendert“. Deshalb wird der Titel der Enzyklika im Gegensatz zu anderen Sprachen auch nicht ins Deutsche übersetzt, um die alleinige Nennung von Brüdern zu vermeiden und nicht gegen eine politisch korrekte Sprache zu verstoßen.
Findet sich auf der Titelseite der Repubblica nur ein Hinweis, geht es im Innenteil der Zeitung dann zur Sache. Die große Überschrift lautet:
„Zölibat und Frauenpriester: Angst im Vatikan wegen eines deutschen Schismas“.
Papst Franziskus arbeite daran, so Claudio Tiso, der Autor des Beitrags, „einen schmerzlichen Bruch zu vermeiden“. Zugleich verteilt Tiso gleich zu Beginn Sympathiepunkte, um keine Zweifel oder Verwechslungen aufkommen zu lassen. „Deutschland“, das als „Zentrum der Bewegung“ beschrieben wird, die „die Kirche erneuern will“, erhält einige Pluspunkte, während die Minuspunkte erwartungsgemäß einer „konservativen Front“ zugeschrieben werden, die den „Zusammenstoß“ vorbereite. Die meisten Pluspunkte erhält die Hauptfigur dazwischen, die durchgängig wohlwollend dargestellt wird, nämlich Papst Franziskus.
Alarmierter Vatikan
In Deutschland, so das Blatt, werfe man dem Papst vor, die „Reformen“ gebremst zu haben. Nach der Gefahr einer Abspaltung der „konservativsten Teile“ der Kirche, die das Pontifikat von Franziskus zu provozieren schien, gehe nun das „Gespenst einer Trennung der progressiven Front“ um. Dieses Gespenst namens „Schisma“, das laut Tiso das „größte Tabu“ in der christlichen Gemeinschaft sei, könnte sich „bald“ im „Schlußdokument“ des sogenannten Synodalen Wegs, einer „Nationalsynode“, konkretisieren, das von den deutschen Bischöfen vorbereitet werde.

Im Vatikan sei man darüber bereits seit einigen Monaten alarmiert. In den vergangenen Tagen habe der Alarm jedoch „mit beispielloser Heftigkeit zu läuten begonnen“. Franziskus selbst sei besorgt, hatte er doch der Deutschen Bischofskonferenz im Juni 2019 eigens einen Brief geschrieben mit der Ermahnung, daß es keine Kirche geben könne, deren Seele nicht das Evangelium sei.
Tiso zitiert die betreffende Stelle aus dem Schreiben von Papst Franziskus an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland nicht, was aber an dieser Stelle geschehen soll:
„Nur ‚in Ordnung und im Einklang‘ sein zu wollen, würde mit der Zeit lediglich das Herz unseres Volkes einschläfern und zähmen und die lebendige Kraft des Evangeliums, die der Geist schenken möchte, verringern oder gar zum Schweigen bringen: «Das aber wäre die größte Sünde der Verweltlichung und verweltlichter Geisteshaltung gegen das Evangelium». So käme man vielleicht zu einem gut strukturierten und funktionierenden, ja sogar ‚modernisierten‘ kirchlichen Organismus; er bliebe jedoch ohne Seele und ohne die Frische des Evangeliums. Wir würden lediglich ein ‚gasförmiges‘, vages Christentum, aber ohne den notwendigen ‚Biss‘ des Evangeliums, leben. «Heute sind wir gerufen, Ungleichgewichte und Missverhältnisse zu bewältigen. Wir werden nicht in der Lage sein, irgendetwas Gutes zu tun, was dem Evangelium entspricht, wenn wir davor Angst haben». Wir dürfen nicht vergessen, dass es Spannungen und Ungleichgewichte gibt, die den Geschmack des Evangeliums haben, die beizubehalten sind, weil sie neues Leben verheißen.“
Deutschland, das Epizentrum des potentiellen Erdbebens
Tiso folgert, daß „Deutschland das Epizentrum des potentiellen Erdbebens ist“. Und er macht im ehemaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, in Kardinal Reinhard Marx, den Anführer des Protestes aus. Die Wortwahl ist dabei kein Zufall und soll an die Abfallbewegung von der Kirche unter Martin Luther und anderen sogenannten Reformatoren erinnern, die unter dem Sammelbegriff „Protestanten“ bekannt wurden.
Kardinal Marx, der Erzbischof von München und Freising, den Franziskus mit zahlreichen Ämtern und Aufgaben an der Römischen Kurie bedachte (unter anderem als Vertreter Europas im nunmehrigen C7-Kardinalsrat sowie als Koordinator des Wirtschaftsrates des Heiligen Stuhls), habe den Synodalen Weg deshalb beschritten und eine Nationalsynode einberufen, um „der kirchlichen Struktur eine entscheidende Reform aufzuprägen“.
Dabei drehe sich der Konflikt um zwei Hauptthemen: den priesterlichen Zölibat und das Frauenpriestertum. Dazu gehörten in Abwandlung auch das Frauendiakonat und die Einsetzung von Laien als Leiter einer Pfarrei.
Trotz Corona-Einschränkungen wurde im vergangenen September, aufgeteilt auf verschiedene Städte, die deutsche Nationalsynode fortgesetzt. Zwei Kommissionen befassen sich mit den genannten Hauptthemen, die imstande seien, „jede gemeinsame Grundlage zu zerbröseln und einen regelrechten Bradyseismos“ auszulösen, ein langsames Beben, „sobald das deutsche Dokument im Vatikan eintrifft“.
Das Schisma als schlimmstes Ergebnis
Entsprechend wurde von Rainer Maria Kardinal Woelki, dem Erzbischof von Köln und Gegenspieler von Marx in der Bischofskonferenz, vor dem „schlimmsten Ergebnis“ des Synodalen Wegs gewarnt: einem Schisma. „Eine Möglichkeit, die nicht mehr bloße Theorie scheint“, wie Tiso schreibt, da diese Befürchtung auch im Vatikan angekommen sei, der derzeit vom Finanzskandal um Kardinal Angelo Becciu gebeutelt wird.
Tiso geht noch weiter: Der „deutsche Bruch“ habe „nicht nur theologische Wurzeln“. Im Vatikan gebe es viele, die darauf verweisen, daß der „Reichtum“ der Kirchen im Norden deren „Horizont, ihre Ziele und ihre Wahrnehmung verändert“. Dabei gehe es möglicherweise auch um „georeligiöse Ziele“, nämlich eine „bevorzugte Achse zum Protestantismus“ zu schaffen mit dem Zweck, den Dialog auf den Westen zu beschränken und gegenüber der Orthodoxie abzugrenzen. Die vatikanischen Überlegungen würden sich folglich daher auf „das Verhältnis zwischen den ‚progressiven‘ deutschen Bischöfen und den Lutheranern“ konzentrieren.
„Die einzige Form des Überlebens [einer progressiven deutschen Abspaltung] im Falle eines Schismas könnte nämlich nur in einer Art von Allianz mit den Protestanten reifen.“
Diese wäre dann eine Art Verwirklichung einer deutschen religiösen „Wiedervereinigung“, nachdem eine politische Wiedervereinigung nach dem Fall der Berliner Mauer vor 30 Jahren erreicht werden konnte.
Die guten Kontakte von La Repubblica in den Vatikan schimmern in der weiteren Darstellung durch, wenn Tiso schreibt:
„Der Papst wird auch dann, wenn das deutsche Dokument eintrifft, nichts unternehmen, um zu verärgern und die Spaltungen zu nähren.“
Die Einheit der Katholiken würde für immer zerbrechen
Er werde auch „keine Verurteilungen“ vornehmen. Wenn überhaupt, werde er daran erinnern, „daß einige der Hauptknoten bereits vom heiligen Johannes Paul II. gelöst wurden“. Darüber hinaus würden wahrscheinlich „Vertiefungen und neue Kontakte“ gesucht. „Es werden dann die deutschen Bischöfe darüber entscheiden, was zu tun ist.“ Papst Franziskus sei in dieser Phase seines Pontifikats vordringlich damit beschäftigt, die Arbeit an den „Baustellen der Kurienreform, der Neuordnung der Bistümer und der Neuausrichtung der Ordensgemeinschaften abzuschließen“.
„Mit Sicherheit“ suche er keinen „so schmerzlichen Bruch“, so Tiso. Auch deshalb nicht, weil die Aktionen der deutschen Bischöfe die „konservative Front“ aufgeschreckt und mobilisiert haben, die bereits in den vergangenen Jahren „den Papst hart kritisiert hatte“ und die päpstliche Haltung gegenüber dem Synodalen Weg von Marx als Test betrachte, wie es um die Positionen von Franziskus stehe, um daraus weitergehende Konsequenzen zu ziehen.
Innerhalb der vatikanischen Mauern gebe es in diesem Zusammenhang nämlich eine noch viel weitergehende Befürchtung, nämlich, daß das deutsche Vorpreschen eine „Dynamik zur Schaffung von Nationalkirchen“ auslösen könnte.
„Ein Phänomen, das für immer die Einheit der Katholiken zerbrechen würde.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: La Repubblica/Wikicommons (Screenshot)
„The best way to control the opposition is to lead it ourselves.“
– Vladimir Lenin
Wer denkt, dass es auch nur den Hauch einer Meinungsverschiedenheit zwischen Marx und Franziskus gibt, ist mit Naivität geschlagen.
Die deutschen Bischöfe haben mehr oder minder mit dem Lockdown Seelsorge und Liturgie abgeschafft. Genau die Bischöfe, die besonders radikal eine lebendige Kirche in ihren eigenen Bistümern eingeschränkt haben sind die Sprachorgane des synodalen Weges.