Von Clemens Victor Oldendorf.
In zwei Beiträgen für diese Plattform habe ich am 20. Juli und am 25. Juli 2020 Einblick gegeben in eine Entwicklung innerhalb einer Pfarrei des Bistums Innsbruck und in deren Bedeutung für die Umsetzung des Motuproprio Summorum Pontificum in dieser Nordtiroler Diözese.
Dabei war meine Einschätzung sehr erwartungsvoll und wohlwollend und ließ ich mich darin auch nicht durch die offensichtliche Parteilichkeit der Berichterstattung in der Tiroler Tageszeitung aus dem Konzept bringen, denn diese ist in kirchenpolitischen Diskussionen seit Jahrzehnten keine Überraschung. Vielmehr machte ich deutlich, dass mir die von Bischof Hermann Glettler angestrebte Lösung geradezu als ideal erschien, als großzügig, wie es im Titel des ersten Beitrags formuliert ist, ganz im Einklang mit Summorum Pontificum.
Zukünftiger Lösungsansatz konkret vorgestellt
Am 8. September, dem schönen Datum des Festes Mariä Geburt, wurde nun das konkrete Lösungskonzept der Diözese Innsbruck in einem weiteren Bericht der Tiroler Tageszeitung bekanntgegeben. Wieder war ich nicht weiter erstaunt ob der parteiischen Positionierung, die eigentlich in einem Bericht nichts verloren hat, aber bei kirchlichen Themen, bei denen man sich gegen Konservative wenden kann, in der Redaktion der Tiroler Tageszeitung offensichtlich unwiderstehlich wirkt.
Die Wahl des Innsbrucker Bischofs ist also auf die sehr schöne und bekannte Wallfahrtskirche zum heiligen Antonius von Padua in Rietz gefallen. Zwar nicht in der Bischofsstadt gelegen, ist sie dennoch von den Zentralräumen Tirols, von Innsbruck und Telfs aus gut erreichbar, ebenso für die Gläubigen, die bisher nach Imsterberg orientiert waren oder sogar dort wohnen und den persönlichen und seelsorglichen Kontakt zu Pfarrer Müller, den sie schätzen, aufrechterhalten möchten. Auch von Bayern aus gibt es verkehrstechnisch günstige Zugänge, um nach Rietz zum heiligen Antonius zu pilgern beziehungsweise zu Pfarrer Stephan Müller zu gelangen.
Tendenziöse Berichterstattung und Stimmungsmache
Die Wertschätzung, die der Pfarrer in Imsterberg trotz allem auch erfahren hat, kann bestimmt nicht zunichte gemacht werden, indem Redakteur Thomas Parth an den früheren, vor zehn Jahren verstorbenen, Rietzer Pfarrer erinnert. Unbestritten hat dieser sich um die Instandsetzung der Wallfahrtskirche verdient gemacht. Umgekehrt war es gerade Bischof Hermann Glettler, der dasselbe von Pfarrer Müller unumwunden für die Pfarrkirche Imsterberg anerkannt hat, die der streitbare Geistliche in einem erstklassigen, vorbildlichen Zustand übergibt.
Die Würdigung des Verstorbenen Pater Clemens Neurauter als beliebt, volksnah und weltoffen mag zutreffend sein und soll absolut nicht in Abrede gestellt werden, ist in diesem Falle aber der allzu schlecht kaschierte Vorwand, um Pfarrer Stephan Müller mit den entgegengesetzten Charakterisierungen zu belasten, noch ehe er, immerhin von der Diözesanleitung selbst dazu offiziell beauftragt, sein neues Aufgabengebiet und Wirkungsfeld überhaupt effektiv angetreten hat. Ein Vorgehen, das man bei jedem anderen zu Recht als unfair und gehässig kritisieren würde, auch ohne deswegen zu verlangen, alle müssten Pfarrer Müller pauschal einen Überschwang an Vorschusslorbeeren oder Sympathie entgegenbringen. Jedenfalls kennt auch das tridentinische Rituale Romanum Fahrzeugsegnungen, so dass Müller genauso Motorräder und Autos segnen kann, wenn dies gewünscht wird.
Vergleicht man den TT-Bericht mit der Presseaussendung der Diözese Innsbruck, stellt man fest, dass nicht alle Schwachpunkte der Berichterstattung von der Tageszeitung oder von Thomas Parth selbst verschuldet sind. Die Verlautbarung des Bistums hat folgenden Wortlaut:
„Gottesdienste in ‚tridentinischer Form‘ zukünftig in Antoniuskirche von Rietz
Das Generalvikariat der Diözese Innsbruck gibt bekannt, dass in Abstimmung mit Dekan Peter Scheiring und dem Pfarrgemeinderat von Rietz zukünftig in der Filialkirche zum Hl. Antonius an den Sonn- und Feiertagen eine Hl. Messe in der ‚Außerordentlichen Form‘ gefeiert wird. Umgangssprachlich spricht man von der ‚tridentinischen‘ oder lateinischen Messe, wie sie über 400 Jahre lang üblich war. Der bisherige Pfarrer von Imsterberg, Stephan Müller, wird für die Feier dieser lateinischen Gottesdienste freigestellt. Darüber hinaus wird er jedoch keine seelsorgliche Verantwortung oder Aufgabe in der Pfarre Rietz wahrnehmen.
Antoniuskirche selbstverständlich weiterhin für Alle [sic] zugänglich
Trotz der zusätzlichen Gottesdienste in der Antoniuskirche bleibt die beliebte Wallfahrtskirche täglich für alle Menschen, die diesen besonderen Ort aufsuchen wollen, geöffnet und zugänglich. Auch Taufen, Hochzeiten, Ehejubiläen, Patroziniumsfeiern und andere gottesdienstliche Feiern sind für die Rietzer Pfarrbevölkerung auch weiterhin in ‚ihrer‘ Antoniuskirche möglich.
Hl. Messe in der ‚alten Form‘ als Angebot für Interessierte
Jeder Bischof ist seit dem Schreiben ‚Summorum Pontificum‘ von Papst Benedikt XVI. aus dem Jahre 2007 angehalten, eine Möglichkeit zu schaffen, damit die alte Form der Hl. Messe von Menschen, die dies wünschen, auch mitgefeiert werden kann. Die röm.-katholische Kirche hat seit dem Konzil von Trient (1545–1563) bis Ende der 60er Jahre in diesem Ritus, selbstverständlich in lateinischer Sprache, alle ihre Gottesdienste abgehalten. Die längst notwendige Reform der Liturgie wurde durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) in Auftrag gegeben und in den folgenden Jahren umgesetzt. In dieser ‚neuen Form‘ werden seitdem die Gottesdienste bewusster zusammen mit dem Volk Gottes gefeiert und alle übrigen Sakramente gespendet.“
Einerseits Großzügigkeit, andererseits kirchenrechtliche Unkenntnis der Materie und Unverständnis für die Motivation traditionsverbundener Priester und Gläubiger
Die liturgiegeschichtlich fehlerhaften und liturgietheologisch oberflächlichen Darstellungen erkennt man im TT-Bericht unschwer als (nicht korrekt als solches gekennzeichnetes) wörtliches Zitat aus der diözesanen Bekanntmachung. Aber auch die kirchenrechtliche Einschätzung dessen, wozu ein Bischof gemäß Summorum Pontificum verpflichtet oder zumindest angehalten ist, erweist sich bei näherem Hinsehen als unzutreffend, genaugenommen sogar als überzogen.
Wenn die Gläubigen, die an Feiern in der forma extraordinaria gemäß Summorum Pontificum teilnehmen wollen, nicht aus ein und derselben Territorialpfarre stammen, kann der Bischof eine zentral gelegene Kirche bestimmen, wo solche Feiern würdig stattfinden können. Dass er dazu einen Diözesanpriester speziell freistellen und beauftragen kann, ist sicher eine Möglichkeit, allerdings im Motuproprio oder der zugehörigen Instruktion Universae Ecclesiae selbst gar nicht ausdrücklich vorgesehen. Dass Bischof Glettler dies jetzt tut, ist lobenswert. Rechtlich dazu verpflichtet ist ein Diözesanbischof nicht. Um die Position von Pfarrer Müller und der ihm persönlich und/oder der überlieferten Liturgie verbundenen Gläubigen kanonistisch noch besser abzusichern, hätte der Bischof die Möglichkeit, eine Personalpfarre gemäß can. 518 CIC/1983 zu errichten, wozu es indes wohl erforderlich wäre, jedenfalls sehr angeraten, die Kirche zur gänzlichen Alleinbenützung der Personalpfarre der Gläubigen der außerordentlichen Form des Römischen Ritus zu bestimmen. Eine solche Personalpfarre muss der Bischof nicht errichten, und aus offenkundigen Gründen hat der Bischof von Innsbruck nicht die Absicht, dies im Falle der Rietzer Antoniuskirche zu tun. Kirchenrechtlich ist diese Entscheidung nicht zu beanstanden.
Alte Messe an Sonn- und Feiertagen in der Wallfahrtskirche Rietz
Der bischöfliche Auftrag an Pfarrer Müller lautet, an Sonn- und Feiertagen in der Rietzer Wallfahrtskirche eine heilige Messe in der außerordentlichen Form des Römischen Ritus für jene Gläubigen zu feiern, die daran teilnehmen möchten. Da er zum einen für die Feier dieser Liturgie ausdrücklich freigestellt wird, es zum anderen aber gerade das Zweite Vaticanum und das aktuelle Kirchenrecht sind, die die Priester zur täglichen Zelebration des eucharistischen Opfers auffordern, ist es Pfarrer Müller unbenommen, auch täglich und immer nach dem Missale Romanum von 1962 in der Wallfahrtskirche zu zelebrieren und Gläubige, die dies aus eigenem Antrieb wünschen, zur Teilnahme an diesen Messfeiern zuzulassen. Es besteht kein Zweifel, dass Stephan Müller zu denjenigen Priestern zählt, die das tägliche heilige Messopfer schätzen und dass er es im Regelfall auch täglich in der Wallfahrtskirche St. Antonius darbringen wird, sowie dass Gläubige sich dazu einfinden werden.
Genauso kann Müller Taufen und Trauungen in der Wallfahrtskirche nach altem Ritus durchführen, wenn er darum gebeten wird, und auch für die Krankensalbung (ultima unctio) oder Krankenkommunion gerufen und als Beichtvater gewählt werden. Er ist zwar nicht in die Seelsorge der Territorialpfarrei Rietz eingebunden, dass heißt allerdings keineswegs, dass er zum Nichtstun verdonnert wäre.
Freistellung für den Usus antiquior – Zwischen Kategorialseelsorge und Ruhestand
Pfarrer Müller hat durch seinen spezifischen Seelsorgsauftrag und die Tatsache, ansonsten nicht länger in die Seelsorge einbezogen zu sein, künftig eine eigentümliche Zwischenstellung zwischen einem Priester in der Kategorialseelsorge und einem Kommoranten inne, also einem Priester, der zwar an einem Ort wohnt, gleichzeitig jedoch zum Beispiel aufgrund seines Alters nicht (mehr) in der regulären Pfarrseelsorge mitzuarbeiten verpflichtet ist. Unter Kategorialseelsorge versteht man einen Seelsorgsauftrag in bestimmten Bereichen oder an bestimmten Gruppen von Personen, beispielsweise im Krankenhaus oder Gefängnis oder an Migranten. Pfarrer Müllers Kategorie ist fortan der überlieferte Ritus und sind die Gläubigen, die sich diesem ganz oder überwiegend verbunden fühlen oder welche die überlieferte heilige Messe hin und wieder oder bei besonderen Anlässen besuchen möchten.
Auf gutes Gelingen hoffen
Seit circa 2006 feierte ein Priester der Petrusbruderschaft im Auftrag des Bischofs von Innsbruck in wechselnden Kirchen in Innsbruck oder unmittelbarer Umgebung die tridentinische heilige Messe. Zuerst als Samstagabendmesse, später als sonn- und feiertägliches Hochamt. Jahrelang in der Innsbrucker Schloss- und Wallfahrtskirche Mentlberg, momentan in der Wiltener Stiftspfarre Amras, deren derzeitiger Pfarrer selbst eine Wertschätzung für die liturgische Tradition empfindet und seinerseits immer montags die heilige Messe im Usus antiquior feiert.
In all den Jahren gelang es nicht, eine so komfortable Lösung zu erreichen, wie sie jetzt Pfarrer Müller angeboten wird. Eigentlich ist es schade, dass erst Spannungen und Konfrontationen notwendig werden mussten, um auf eine solche Idee zu kommen.
Zwar ist die Innsbrucker Gemeinde der Petrusbruderschaft von einem Kern hochmotivierter Laien getragen, die in jeder Bedeutung des Wortes viel investiert haben und investieren sowie im Umfeld der heiligen Messe nach Summorum Pontificum in Innsbruck einen Hort anspruchsvoller Pflege der Kirchenmusik geschaffen haben (Vokalensemble Sonoritas), der auch Menschen anzieht, die an sich keine Verbindung zur liturgischen Tradition haben oder entwickeln. Doch von diesen kirchenmusikalischen Ereignissen abgesehen, gelang es nie und gelingt es auch jetzt nicht, Gläubige regelmäßig und dauerhaft zu gewinnen und die Gemeinde zahlenmäßig zu festigen oder gar zu mehren.
Grund dafür ist zweifellos hauptsächlich, dass die Zelebranten der Petrusbruderschaft immer nur zur Feier der heiligen Messe von auswärts anreisen, derzeit aus dem bayrischen Mittenwald, und so keine stärkeren Bindungen oder ganzheitlichere Seelsorgsangebote aufbauen können.
Augenblicklich einzige Sonntagsmesse nach Summorum Pontificum in Nordtirol
Ausweislich der vom schon erwähnten Vokalensemble Sonoritas initiierten Internetpräsenz, die ich nach deren völliger Überholung und Neugestaltung und erneuten Inbetriebnahme bereits einmal hier vorgestellt hatte, sind die Gottesdienste in Innsbruck-Amras die einzigen heiligen Messen, die, gestützt auf die Bestimmungen des Motuproprio Summorum Pontificum, im Augenblick auf dem Gebiet der Diözese Innsbruck beziehungsweise in Nordtirol an jedem Sonn- und Feiertag in der Regel von Pater Eugen Mark FSSP gefeiert werden.
Die jetzige Presseaussendung der Diözese Innsbruck sagt darüber zwar nichts Ausdrückliches, aber das neue Mandat, das Pfarrer Stephan Müller erhalten hat und das mit der Rietzer Wallfahrtskirche verbunden ist, könnte vermuten lassen, dass interessierte Gläubige in Zukunft von der Diözese darauf verwiesen werden, sich gebündelt in Rietz zur heiligen Messe an Sonn- und Feiertagen einzufinden, gerade weil die Innsbrucker Zahlen konstant immer so auffällig niedrig geblieben sind und die Mehrzahl der teilnehmenden Gläubigen ohnehin von auswärts nach Innsbruck kommt. Die heilige Messe, die der zuständige Pfarrer und Wiltener Chorherr D. Patrick Busskamp O. Praem. montags selbst hält, würde davon natürlich nicht angetastet oder beeinträchtigt werden.
Skepsis angesichts möglicher neuer Konflikte
An sich ist es selbstverständlich, dass die Wallfahrtskirche St. Antonius weiterhin öffentlich zugänglich bleibt. Niemand hat etwas dagegen einzuwenden, wenn auf diese Weise auch Einheimische und solche, die sie bisher noch nicht kennen oder nicht mehr erlebt haben, die überlieferte heilige Messe entdecken. Um die überlieferte Liturgie soll sich kein elitärer Club bilden. Da die Kirche aber eben nicht ausschließlich für diese Liturgie zur Verfügung stehen wird, was sicherlich nicht optimal, aber wegen der Beliebtheit der Wallfahrtskirche etwa als Hochzeitskirche durchaus verständlich und nachvollziehbar ist, wird Pfarrer Müller auch dort wieder wenigstens bei gewissen Gelegenheiten die Liturgie Pauls VI. so, wie sie üblicherweise in den Gemeinden gefeiert wird, tolerieren müssen, auch wenn er sie nicht mehr selbst feiern soll oder muss. Damit muss er in der Praxis in diesen Fällen auch weiterhin die vorübergehende Aufstellung eines Volksaltars hinnehmen.
Deswegen bleibt bis auf weiteres fraglich, ob und wie lange das von Bischof Hermann Glettler ausgearbeitete Modell ohne neue Konfrontationen und Zusammenstöße reibungslos gelingen wird.
Bild: Mohrele/FotoCommunity(Screenshot)/Wikicommons