Nach langer Krankheit ist Monsignore Antonio Livi, ein großer Philosoph und Theologe, verstorben. Er war Professor an der Päpstlichen Lateranuniversität und von 2002 bis 2008 Dekan der Philosophischen Fakultät dieser Universität. Vor allem war er ein Vertreter der vielgeschmähten „Römischen Schule“.
Er ist der Begründer der philosophischen Schule des gesunden Menschenverstandes und Gründer und Vorsitzender der International Science and Commonsense Association (ISCA). Er war Gründer und Leiter der Grande Enciclopedia Epistemologica und Gründer und/oder Schriftleiter mehrerer theologischer Fachzeitschriften, darunter Sensus communis, Aquinas und seit 2015 auch von Fides Catholica. Neben zahlreichen anderen Aufgaben war er auch Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats für die Veröffentlichung der gesammelten Schriften von Kardinal Giuseppe Siri, Erzbischof von Genua (1946–1987). Zu erwähnen sind auch seine zahlreichen Bücher und Aufsätze, die verfaßte. Sein letztes Buch war die 4. Auflage von „Wahre und falsche Theologie“ mit einem Anhang über „Die Zweideutigkeiten der Moraltheologie nach Amoris laetitia“. Durch eigene Beiträge und als Ideengeber unterstützte er in den vergangenen Jahren den Aufbau der katholischen Online-Tageszeitung La Nuova Bussola Quotidiana. Unermüdlich verteidigte er die Objektivität der Wahrheit gegen den offensichtlichen Niedergang der katholischen Theologie und die Protestantisierung der Kirche. Bereits vor der ersten Familiensynode von 2014 stieg er gegen Kardinal Walter Kasper in den Ring, dem er vorwarf, in seinem Denken „selten“ originell zu sein, und es „offenkundig an korrekter theologischer Methodik“ fehlen zu lassen. Insgesamt kreidete er dem deutschen Kardinal an, daß dessen Denken auf „zweifelhafter Grundlage“ stehe. Ebenso nannte er Enzo Bianchi, einen Liebling bestimmter kirchlicher Kreise und vor allem der außerkirchlichen Schickeria, einen „falschen Propheten“. Im Zusammenhang mit dem Fall McCarrick und dem Konklave 2013 sprach Msgr. Livi davon, daß die Wahl von Kardinal Bergoglio auf „illegale“ Weise orchestriert worden sei. 2016 sagte er in Richtung Santa Marta:
„Dieser Papst läßt die öffentliche Meinung innerhalb der Kirche endgültig zusammenbrechen“.
Msgr. Livi war eine Kämpfernatur, bis zum letzten Atemzug.
Stefano Fontana schrieb einen Nachruf auf diesen Vertreter der Römischen Schule, der im derzeitigen Pontifikat wenig Gehör fand.
Ein theologischer Damm gegen den Modernismus
Von Stefano Fontana*
Eine schlechte Philosophie bringt eine schlechte Theologie hervor, und diese führt die Kirche vom Weg ab. Msgr. Antonio Livi, der uns gestern im Alter von 82 Jahren in Rom verlassen hat, hatte keinen Zweifel, daß die Kirche in die Irre geht. Er hatte sein ganzes Leben als Philosoph und Theologe damit verbracht, die recta ratio, die natürliche Wahrheit, die spontane Philosophie des menschlichen Geistes zu verteidigen, ohne die die recta fides nicht möglich ist. Der Glaube nicht nur als subjektive Handlung (fides qua), sondern auch als Kenntnis der offenbarten, heilbringenden Wahrheiten (fides quae).
Die gegenwärtige Verlagerung vom Objekt zum Subjekt, vom Inhalt zur Praxis, von der Lehre zur Pastoral, die typisch ist für die Epochen der Dekadenz, wie Josef Pieper schrieb („Alle Epochen, die sich auflösen, sind subjektiv, während alle Epochen, die nach vorne schauen, eine objektive Richtung haben“), bezeichnet auch unser Zeitalter des Niedergangs und betrifft auch die Kirche. Die katholische Theologie, so lehrte Antonio Livi, verliert den Bezug zu einem natürlichen Denksystem, ohne das sie zur unspezifischen religiösen Literatur reduziert wird, zu einer vagen paränetischen Ermahnung und zu einer mimetischen und selbstgefälligen Assimilation der Weltsprache, aber ein Dogma brauche sie nicht mehr.
Ohne die Wahrheitsstruktur des eigenen Denkens – er benutzte den Ausdruck „aletische Erkenntnistheorie“ – hört der christliche Glaube auf, authentisches Wissen zu sein. Er teilt sich nicht mehr allen Menschen mit, er präsentiert die Dogmen nicht mehr immer auf die gleiche Weise und im selben Sinn, und vor allem verteidigt er sie nicht mehr gegen die Häresien.
Seinem Lehrer Étienne Gilson folgend war Msgr. Antonio Livi ein großer Thomist, der in einer Zeit lebte, in der die katholische Theologie den metaphysischen Realismus völlig beiseitelegte. Deshalb war sein Leben ein theoretischer und praktischer „Kampf“. „Wenn Sie wüßten, wieviel ich durchgemacht habe!“, sagte er einmal zu mir. Es war ein Kampf, den er bis zum letzten Augenblick ausfocht, ein Kampf, den er als Erbe hinterläßt:
„Ich habe nur wenige leuchtende Momente im Leiden, aber ich weiß, daß andere nach mir weitermachen werden.“
Genau wie Gilson verurteilte Msgr. Livi alle modernen Versuche, die zwangsläufig im Modernismus zusammenfließen, den philosophischen Realismus zu leugnen, weil er wußte: Läßt man dem modernen Denken auf dem Schachbrett auch nur den kleinsten Startvorteil, wird das Spiel früher oder später verloren sein. Dem gleichen Kampf, den Gilson in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts unerschrocken gegen die Schule von Löwen geführt hatte, stellte sich Msgr. Livi gegen die Neo-Modernisten unserer Zeit und prangerte den Rationalismus protestantischen Ursprungs an, der heute in der katholischen Theologie weit verbreitet ist und zur Protestantisierung des Katholizismus führte, die heute vor aller Augen sichtbar ist.
Seine „Philosophie des gesunden Menschenverstandes“ beseitigte jegliches Zugeständnis an den Cartesischen Zweifel und die Kantische Kritik, verhinderte die Entstehung einer Übereinstimmung zwischen dem metaphysischen Realismus und den Prinzipien der modernen Philosophie und wies die in vielen katholischen akademischen Zentren, einschließlich der päpstlichen Universitäten, offiziell vertretene Theologie als inkonsistent und schädlich zurück. Er stellte sich den am meisten gefeierten Meistern des derzeit in Mode stehenden katholischen Denkens entgegen, die ebenso inkonsistent wie vom neuen kirchlichen Establishment geliebt sind.
Wie Reginald Garrigou-Lagrange in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, so hatte sich auch Msgr. Antonio Livi gefragt, wohin die Nouvelle Théologie führen würde, und seine Diagnose bestätigte die des großen Dominikaners: Sie führt zur These, daß eine nicht aktuelle Theologie falsch sei, und daß die wahre Theologie, um wahr zu sein, aktuell sein müsse. So dachte Karl Rahner und so denkt Walter Kasper. Für sie ist das Sein Zeit und die Zeit ist Sein. Die Theologie entstehe aus der Existenz, die sich ständig ändere, weshalb auch sie sich ändere.
Eine unveränderliche, wahre Theologie wird heute selbst von den Führern der Kirche als unmöglich angesehen, aber nicht von Msgr. Antonio Livi. In seinem vielleicht berühmtesten Buch „Vera e falsa teologia“ (Wahre und falsche Theologie) legte er eine Liste von Theologen vor, die er später mehrmals aktualisierte, von denen die katholische Theologie verzerrt und entstellt wurde, die aber dennoch von der kirchlichen Autorität für ihre „Verdienste“ geehrt wurden.
In seinen jüngsten Leitartikeln in der Zeitschrift Fides Catholica, deren Schriftleitung er nach den bekannten Ereignissen bei den Franziskanern der Immaculata übernommen hatte, prangerte er die Hegel’sche Logik, die sogar in das Lehramt eingedrungen war, als Folge der neuen modernistischen Theologie an: Eine bestimmte Morallehre ist zwar wahr, aber dann ändern sich die Zeiten, und deshalb sei es notwendig, auch sie zu überdenken.
Msgr. Antonio Livi ist, wie bereits erwähnt, in einer Reihe mit Garrigou-Lagrange, Étienne Gilson und Cornelio Fabro, den großen Philosophen und Theologen der Römischen Schule, zu sehen, deren Reichtum abgelehnt und vergessen wurde, und niemand weiß warum. Er wurde abgelehnt, weil er nicht mehr aktuell sei. Eine Wahrheit abzulehnen, weil sie nicht mehr aktuell sei, bedeutet aber, sie grundlos abzulehnen. Es ist sicherlich traurig, daß diese Großen ohne Grund abgelehnt werden. Das unterstreicht jedoch gleichzeitig ihre Größe, der gegenüber kein Warum ausreichend ist, um sie abzulehnen.
*Stefano Fontana ist Direktor des International Observatory Cardinal Van Thuan for the Social Doctrine of the Church (Kardinal-Van-Thuan-Beobachtungsstelle für die Soziallehre der Kirche) und Chefredakteur der Kirchenzeitung des Erzbistums Triest, das von Erzbischof Giampaolo Crepaldi geleitet wird.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL