(Rom) Einer der engsten Vertrauten von Papst Franziskus, der Jesuit Antonio Spadaro, Schriftleiter der römischen Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica, erklärt der Welt, in einem gestern veröffentlichten Artikel, warum das Pontifikat von Franziskus von gläubigen Katholiken kritisiert wird. „Noch einer“, kommentierte genervt, die spanische Nachrichtenseite InfoVaticana. Sie ist der Meinung, es wäre vielleicht besser, Franziskus würde sich die Kritik anhören und zu Herzen nehmen, anstatt sich taub zu stellen und die Gläubigen ständig durch seine Vertrauten auf irritierende Weise belehren zu lassen.
„Es gibt nur wenige Dinge, die mehr reizen, irritieren und arroganter sind, als wenn einem jemand sagen will, was man selbst wirklich denkt“, so InfoVaticana.
In der katholischen, katalanischen Zeitschrift Vida Nueva (Neues Leben) tut P. Spadaro genau das mit einer Ansammlung zweifelhafter Aussagen. Die Zeitschrift titelte dazu:
„Spadaro erklärt die Theologie von Franziskus…“.
Das ist allerdings nur ein Teil der Überschrift, auf den noch ein zweiter folgt:
„… und zerlegt die Religiosität der extremen Rechten“.
An dieser Stelle dürfte nicht nur ein konservativer und traditionsverbundener Katholik stutzen. Was hat die „extreme Rechte“ mit der katholischen Kirche oder der Theologie von Franziskus zu tun? Insgesamt dürfte die „Religiosität“ der extremen Rechten, ebenso wie jene der extremen Linken, nämlich ziemlich unterbelichtet sein. Worum geht es also?
„Franziskus spricht mit allen“ – Tut er das?
Spadaro schreibt in Vida Nueva, daß die „Bergoglianische Aktion“, wie er es nennt, also das Handeln von Franziskus, angesichts der Probleme der Welt darin bestehe, den Dialog „mit allen“ zu fördern. Diese Position, so der Jesuit, stehe jedoch im „starken Widerspruch“ zu den Vorstellungen jener, die behaupten, für die „christlichen Werte“ einzutreten.
Man ist als Leser verwirrt. Wie ist das zu verstehen?
Spadaro begeht letztlich denselben Angriff gegen die Kirche und ihre Autorität, der in der Vergangenheit von kirchenfernen Kreisen begangen wurde, die polemisch Christen vorwarfen, „selbsternannte“ Christen zu sein. Wer aber vertritt die christlichen Werte in der Gesellschaft, wenn selbst Kirchenvertreter aus polemischen Gründen den Christen diesen Anspruch absprechen, als seien christliche Werte entweder gar nicht faßbar oder zumindest nicht näher definiert. Letztere Vorstellung ist stark in Mode in einer Zeit, in der der Relativismus den Ton angibt.
Spadaro wird noch schärfer. Er wirft jenen vor, die in der Öffentlichkeit noch für christliche Wert eintreten, „eine Sakralität der Macht“ verteidigen zu wollen, aber „die Barmherzigkeit zu vergessen“.
Um ehrlich zu sein, läßt sich bestenfalls erahnen, was der Vertraute von Franziskus hier meinen könnte, und es erinnert im ersten Teil sehr an das, was der britischer Philosoph Roger Scruton abschätzig als „marxistisches Kauderwelsch“ bezeichnete.
Was Spadaro in der knappen Aussage aber schafft, ist, die Christenheit gleich mehrfach auseinanderzudividieren. Zu wessen Nutzen? Kann es sein, daß ein Kirchenmann so leichtfertig, um den Kurs des Pontifikats von Franziskus zu verteidigen, die Gläubigen vor den Kopf stößt?
Hinzu kommt, daß er eine These aufstellt, die offensichtlich falsch ist. Der Graben, den er gegenüber den Papstkritikern aufreißt, und der sie offenbar von jenen trennen soll, die Franziskus zujubeln, bestehe darin, daß Franziskus „mit allen“ den Dialog pflege.
Mit allen?
Das muß in der Tat ein Mißverständnis sein. Franziskus macht kein Hehl daraus, wie unsympathisch ihm beispielsweise Politiker sind, die rechts der Mitte stehen. Mit ihnen trifft er sich lediglich, wenn ihn das Protokoll dazu zwingt. Außerhalb dieser Zwänge diplomatischer Gepflogenheiten findet kein Empfang, kein Gedankenaustausch, kein Dialog statt – und das seit bald sieben Jahren seines Pontifikats.
Erst recht gilt das für Persönlichkeiten, Organisationen und Gruppen, die zu empfangen Franziskus sein Amt als Staatsoberhaupt nicht zwingt. Und tatsächlich werden sie auch nicht empfangen, selbst dann nicht, wenn es sich dabei um katholische Organisationen handelt. Oder müßte man sagen, Franziskus empfängt gerade katholische Organisationen nicht, die seiner Linie nicht applaudieren?
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde das Freund-Feind-Schema, diese plakative Schwarzweißmalerei, in der Kirche nie akzentuierter und diskriminierender praktiziert als unter Franziskus. Sie richtet sich, und an dieser Stelle wird es wirklich atemberaubend, vor allem gegen praktizierende Katholiken. Bloßstellend ist die Begründung: Das seien „Ideologen“. Allerdings: Nur ein Ideologe könnte auf eine solche Rechtfertigung für seine abweisende Haltung kommen.
Nein, Franziskus spricht nicht „mit allen“, und er fördert nicht einen allgemeinen „Dialog“ angesichts der Probleme dieser Welt. Er geht äußerst selektiv vor und bewegt sich treffsicher und konsequent in einem bestimmten Spektrum und bevorzugt in einer bestimmten Ecke. Dabei richtet sich seine „Bergoglianische Aktion“ primär an zwei Adressaten: einmal an den tonangebenden linksliberalen Mainstream, kurzum, die Mächtigen; zum anderen an die radikale Linke, der seine persönlichen Sympathien zu gelten scheinen. Eine in der Tat höchst ungewöhnliche und befremdliche Situation. Es verwundert nicht, daß diese Positionierung des Kirchenoberhaupts meilenweit von dem entfernt ist, was praktizierende Katholiken denken und fühlen, und das nicht nur in den USA.
Franziskus spricht aber nicht einmal mit allen seinen Kardinälen. Vielmehr gibt er jenen, die „Dubia“, Zweifel, äußern, also um die Klärung bestimmter Punkte ersuchen, einfach keine Antwort. Solche Dubia wurden von den vier Kardinälen Walter Brandmüller, Raymond Burke, Carlo Caffarra und Joachim Meisner zum umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia vorgelegt. Dubia legte auch Kardinal Joseph Zen vor, die graue Eminenz der chinesischen Untergrundkirche, zum nicht minder umstrittenen, geheimen Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und der kommunistischen Volksrepublik China.
„Franziskus kritisiert gleichermaßen weltliches und kirchliches Establishment“
„Es gibt Leute, die Franziskus angreifen und ihn beschuldigen, mit der Welt Geschäfte gemacht zu haben“, schreibt P. Spadaro, denn der Papst „greift das weltliche und das kirchliche Establishment gleichermaßen an“.
Ist dem wirklich so?
Das weltliche Establishment wurde bisher von Franziskus hofiert wie von keinem Papst vor ihm. Während seine direkten Vorgänger wiederholt vor einer Anpassung an die Welt warnten, erklärt Franziskus diese Anpassung „an die moderne Zivilgesellschaft“ zum Ziel seines Pontifikats. So gibt es jedenfalls Eugenio Scalfari sein atheistischer und freimaurerischer Freund am wieder, und wurde vom Vatikan bisher nicht dementiert.
Es genügt ein Blick in die Massenmedien, um zu sehen, daß Franziskus mit Nachdruck dieselben Anliegen vertritt, die auch vom Establishment vertreten und dem ihm dienenden Mainstream verbreitet werden, ob es sich um den angeblich menschenverschuldeten Klimawandel oder die Massenmigration handelt. Das sind die Themen heute. Morgen könnten es schon ganz andere sein.
Da die Kirche hierarchisch verfaßt ist, gibt es in ihr kein „Establishment“, weshalb der Vergleich grundsätzlich nicht nur hinkt, sondern sogar unangemessen erscheint.
Die Kühnheit festzustellen, daß Korruption „stinkt“
Franziskus, so Spadaro, vermag es „vehement zu sagen, wie bei seinem Besuch in Neapel“, daß Korruption „stinkt“. Er sei kein Mann der „halben Sachen“.
InfoVaticana merkt ironisch dazu an:
„Im Gegensatz zu allen früheren Päpsten, die behaupteten, Korruption sei eines der im Evangelium vergessenen Werke der Barmherzigkeit. Im Ernst, bedarf es einer besonderen Kühnheit, um zu sagen, daß Korruption stinkt? Ist es ein kontroverses Thema, daß Korruption schlecht ist?“
Solche Fragen scheint sich Spadaro in seiner Verteidigung des regierenden Papstes gar nicht zu stellen, denn er fährt fort:
„Dieser Ansatz gründet auf dem Bewußtsein, daß die Welt nicht zwischen Gut und Böse aufgeteilt ist.“
Da haben wir sie erneut, diese „neue Sicht“ der Welt, die aufblitzt, aber allem widerspricht, was die kirchliche Tradition und die Heilige Schrift sagen. Auch diese Position wurde in der Vergangenheit von solchen vertreten, die der Kirche sehr fern standen. Um so mehr muß erstaunen, daß es heute hohe und sehr einflußreiche Kirchenvertreter sind, die sie vertreten. Der Relativismus ist in den 60er Jahren in die Kirche eingebrochen und hat sich seither darin ausgebreitet. Mit Franziskus und seinem Hofstaat ist er bis ins Papsttum vorgedrungen.
Absage an die Ecclesia militans?
Doch hören wir weiter, was der päpstliche Vertraute über den Kurs des Papstes zu berichten weiß:
„Die Willenskraft, die Franziskus aufbringt, um zu verhindern, daß die Welt in den Abgrund stürzt, führt den Papst aber nicht dazu, sich mit den wirklich Mächtigen einzulassen.“
Aufgrund des Vorhergesagten scheint die Frage nicht unangebracht, vor welchem „Sturz in den Abgrund“ Franziskus hier konkret die Welt bewahren will, zumal er sehr sparsam und exklusiv über Sünde und ewiges Seelenheil spricht.
Das Geheimabkommen mit der Kommunistischen Partei Chinas, der päpstliche Einsatz für das umstrittene Klimabkommen von Paris und den nicht minder umstrittenen UNO-Migrationspakt scheinen allerdings eine andere Sprache zu sprechen, als Spadaro hier vorgibt. Der politische Arm von Franziskus, Kurienbischof Marcelo Sanchez Sorondo, sagte, die Menschheit erlebe einen „magischen Moment“, weil das Lehramt des Papstes und die Politik der UNO erstmals übereinstimmen. Er meinte auch, das kommunistische China würde derzeit die kirchliche Soziallehre „am besten“ umsetzen. Seit dem Untergang des weströmischen Reiches wurde die Kirche, mit Ausnahme der karolingischen und der ottonischen Zeit, nie mehr von einem solchen Imperium „beschützt“ wie der UNO.
Franziskus fordere, so immer Spadaro, „das Denken politischer Netzwerke heraus, die eine geopolitische Apokalypse unterstützen“, denn „die Glaubensgemeinschaft ist niemals eine Gemeinschaft des Kampfes“.
Nun, abgesehen davon, daß unklar bleibt, welche „politischen Netzwerke“ Spadaro meinen könnte, die Franziskus herausfordert: Wirft man einen Blick auf die Weltlage und bettet man die Aussage in den Gesamtkontext ein, klingt sie vielmehr nach einer Absage an die Ecclesia militans. Die „streitende Kirche“ aber ist das Selbstverständnis der Kirche auf Erden. Gemeint ist an erster Stelle der persönliche Kampf gegen die Sünde, der Kampf um das ewige Seelenheil, aber dann auch die Verbreitung des Glaubens und die Verteidigung der Kirche. Im Jenseits ist die leidende Kirche, die Ecclesia patiens der Armen Seelen im Fegefeuer, und die triumphierende Kirche, die Ecclesia triumphans aller, die in der unmittelbaren Anschauung Gottes sind.
Der Relativismus aber drängt zur Absage an die Herausforderungen und Pflichten der streitenden Kirche, indem sie zugunsten angeblich „höherer Ziele“ zurückgestellt werden wie den „Weltfrieden“ und das „friedliche Zusammenleben aller“. Doch diese „höheren Ziele“ gibt es gar nicht. Sie sind eine Fiktion, denn ihre Verwirklichung kann nach christlichem Verständnis nur Jesus Christus schenken. Christus ist der personifizierte Frieden. Ohne ihn kann es keinen wahren Frieden geben.
Der Relativismus drängt zur Abstrahierung der Wirklichkeit, indem fiktive, „höhere Ziele“ ohne Gott angestrebt werden, aber die Wirklichkeit der Seelen vernachlässigt wird.
P. Antonio Spadaro zeigt sich im Zuge seiner Verteidigung des derzeitigen Pontifikats als Vertreter eines kirchlichen Relativismus.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL