(Rom) Gestern hielt Papst Franziskus die traditionelle Neujahrsansprache an das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Corps. Eine kurze Zusammenschau der von ihm genannten Themenschwerpunkte.
Mit besonderem Interesse wurden nach der gezielten Tötung von General Qassem Suleimani die Worte zu den aktuellen Spannungen zwischen dem Iran und den USA erwartet, doch dazu an anderer Stelle.
Als „Hauptziel des diplomatischen Engagements des Heiligen Stuhls nannte Franziskus den „Frieden und die ganzheitliche menschliche Entwicklung“.
Thema war zudem die Erwähnung von „schwersten Verbrechen gegen die Würde von Jugendlichen, Kindern und Heranwachsenden“ durch „nicht wenige Erwachsene, darunter auch etliche Mitglieder des Klerus“, die Franziskus als „Verbrechen, die Gott beleidigen“ brandmarkte.
Besonderes Augenmerk legte er auf seine Initiative zur „Wiederherstellung des globalen Bildungspakts“ mit dem Ziel einer „offeneren und integrativeren Bildung, die fähig ist, geduldig zuzuhören, einen konstruktiven Dialog und gegenseitiges Verständnis zu fördern“. Wörtlich sagt Franziskus dazu:
„Noch nie zuvor war es so notwendig, die Bemühungen in einem breiten Bildungsbündnis zu vereinen, um reife Menschen zu formen, die in der Lage sind, Spaltungen und Gegensätze zu überwinden und das Gefüge der Beziehungen für eine geschwisterlichere Menschheit wiederherzustellen.“
Dabei beklagte er eine Tendenz, sich auf einen „begrenzten Horizont“ zu „verschließen“:
„(…) der die alten Menschen mit Gleichgültigkeit behandelt und vor allem keinen Raum mehr für das entstehende Leben bietet. Die allgemeine Überalterung eines Teils der Weltbevölkerung, insbesondere im Westen, macht dies auf traurige und sinnbildliche Weise sichtbar.“
Er sprach zudem von der „dringenden Notwendigkeit einer ökologischen Umkehr“ und bedauerte, daß die internationale Politik von dieser „Dringlichkeit nicht erfaßt“ wurde, wie die Antwort der UN-Weltklimakonferenz COP25 in Madrid gezeigt habe, die „noch sehr schwach und sehr besorgniserregend“ sei. Der Klimawandel verlange eine „globale Antwort“.
Im Zusammenhang mit der Amazonassynode sprach Franziskus davon, „neue Wege zur Verkündigung des Evangeliums an das Volk Gottes, besonders an die indigenen Völker“ zu gehen. Den Amazonas-Urwald nannte er dabei das „biologische Herz der Erde, das mehr und mehr bedroht wird“.
Franziskus rief dazu auf, „antidemokratische, populistische und extremistische Tendenzen zu verhindern“.
In besonderer Weise betonte er die Bedeutung seiner Abu-Dhabi-Reise im Februar 2019 und die Unterzeichnung des Dokuments über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt.
„Es handelt sich dabei um einen wichtigen Text, der darauf abzielt, das gegenseitige Verständnis zwischen Christen und Muslimen und das Zusammenleben in zunehmend multiethnischen und multikulturellen Gesellschaften zu fördern.“
Als zentrale Passagen nannte Franziskus die darin enthaltene Verurteilung, „den Namen Gottes zu benutzen, um Mord, Exil, Terrorismus und Unterdrückung zu rechtfertigen“.
Der Papst erinnerte zugleich an seinen gemeinsamen Appell zu Jerusalem, den er in Marokko mit König Mohammed VI. unterzeichnete, der die „Anerkennung der Einzigartigkeit und Sakralität Jerusalems/AlQods Acharifs und im Anliegen seiner geistlichen Bedeutung uns seiner besonderen Berufung als Stadt des Friedens“ fordert. Franziskus forderte im Heiligen Land die „Achtung des Völkerrechts“ und rief die „gesamte internationale Gemeinschaft“ auf, ihrer „Verpflichtung zur Unterstützung des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses“ nachzukommen.
In diesem Zusammenhang kritisierte er „den Mantel des Schweigens, der den Krieg zu verdecken droht, der Syrien im Laufe des letzten Jahrzehnts verwüstet hat“.
Das Mittelmeer nannte Franziskus „einen großen Friedhof“, sprach zur Migrationsfrage aber auffallend moderat. Das Wort „Flüchtlinge“ gebrauchte er in diesem Teil seiner Rede gar nicht. Wörtlich sagte er, daß es „weltweit mehrere Tausend Menschen mit berechtigten Asylbegehren gibt, die nachweislich humanitärer Hilfe und des Schutzes bedürfen“.
Er sprach davon, „das gegenseitige Verständnis zwischen Christen und Muslimen und das Zusammenleben in zunehmend multiethnischen und multikulturellen Gesellschaften zu fördern“.
„Dies erfordert eine Achtung der Religionsfreiheit und ein Bemühen, auf die diskriminierende Verwendung des Begriffs „Minderheiten“ zu verzichten, der den Keim des Gefühls der Isolation und Minderwertigkeit in sich trägt und den Boden für Feindseligkeit und Zwietracht bereitet, da er Bürger aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert. Zu diesem Zweck ist es besonders wichtig, die künftigen Generationen im interreligiösen Dialog zu schulen, der den besten Zugang zum Kennenlernen und Verstehen und zur gegenseitigen Unterstützung zwischen Angehörigen verschiedener Religionen darstellt.“
Franziskus brach ebenso eine Lanze für das „europäische Projekt“, den „europäischen Integrationsprozeß“, ohne die EU beim Namen zu nennen:
„Europa möge nicht den Geist verlieren, der unter anderem in der römischen pietas und in der christlichen caritas wurzelt, welche die Seele der europäischen Völker gut beschreiben. Der Brand der Kathedrale von Notre Dame in Paris hat gezeigt, wie brüchig und leicht zerstörbar auch das ist, was solide scheint. Die Schäden an einem Gebäude, das nicht nur den Katholiken teuer ist, sondern für ganz Frankreich und die gesamte Menschheit von Bedeutung ist, haben die Frage nach den geschichtlichen und kulturellen Werten Europas und seiner Wurzeln neu geweckt. In einem Kontext, wo Richtwerte fehlen, ist es einfacher, Elemente der Spaltung als des Zusammenhalts zu finden.“
Mit Blick auf den 30. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer sprach Franziskus von einer neuen „Kultur der Teilung“, die sich breitmache, indem sie die „Menschen voneinander entfernt und dem Extremismus und der Gewalt die Türen öffnet“:
„Wir sehen dies immer mehr an der Sprache des Hasses, die im Internet und in den sozialen Kommunikationsmitteln weite Verbreitung findet. Den Barrieren das Hasses ziehen wir die Brücken der Versöhnung und der Solidarität vor.“
Im Rückblick auf seinen Japanbesuch forderte Franziskus „eine Welt ohne Atomwaffen“ und im Ausblick auf den bevorstehenden 75. Jahrestag der UNO-Gründung sprach er von der darin begründeten „Absicht der ganzen Menschheitsfamilie, für das Gemeinwohl arbeiten“ zu wollen.
In diesem Zusammenhang forderte er eine „klare objektive Verankerung der Terminologie der internationalen Organisationen“, denn ohne sie bestehe die Gefahr, „anstatt einer Annäherung eine Entfremdung der Mitglieder der internationalen Gemeinschaft zu begünstigen“. Zugleich forderte er „dringlich, den Weg zu einer umfassenden Reform des multilateralen Systems wiederaufzunehmen, beginnend beim System der Vereinten Nationen“, und zwar „unter gebührender Beachtung des gegenwärtigen geopolitischen Kontexts“.
Unter Verweis auf den 500. Todestag des bedeutenden Künstlers Raffael brach Franziskus eine Lanze für die Renaissance und ihre „Offenheit für die Zukunft“.
Von der Schönheit der Kunst Raffaels, der in zahlreichen Gemälden Maria malte, lenkte das Kirchenoberhaupt die Aufmerksamkeit auf den 70. Jahrestag der Verkündigung des Dogmas der Aufnahme Mariens in den Himmel. Und von dort gleich weiter zum 25. Jahrestag der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking. Die Konferenz gilt als besonders umstritten, weil es der Abtreibungslobby erstmals gelang, die Abtreibungsforderung, wenn auch unter Zuhilfenahme von Verschleierungen, in das Schlußdokument einer UNO-Weltfrauenkonferenz zu schreiben. Davon spricht Franziskus aber nicht. Er nimmt den Jahrestag zum Anlaß „jede Form von Ungerechtigkeit, Benachteiligung und Gewalt“ Frauen gegenüber zu verurteilen:
„Jede Gewalt an der Frau ist eine Schändung Gottes. […] Gewalt gegen eine Frau zu verüben oder sie auszunützen ist nicht einfach eine Straftat, sondern ein Verbrechen, das die Harmonie, die Poesie und die Schönheit zerstört, die Gott der Welt schenken wollte.“
Seine Ansprache an das Diplomatische Corps beendete Franziskus mit den Worten:
„Die Aufnahme Mariens in den Himmel lädt uns auch dazu ein, weiter auszuschauen, auf das Ende unseres irdischen Weges, auf den Tag, an dem die Gerechtigkeit und der Frieden voll wiederhergestellt werden. Wir fühlen uns so – durch die Diplomatie, unser unvollkommenes, aber immer wertvolles menschliche Bemühen – ermutigt, mit Eifer zu arbeiten, damit die Früchte dieser Sehnsucht nach Frieden schon vorweg reifen, weil wir wissen, dass das Ziel erreicht werden kann. Mit dieser Verpflichtung drücke ich Ihnen allen, liebe hier anwesende Botschafterinnen, Botschafter und werte Gäste, wie auch Ihren Ländern erneut meine herzlichen Wünsche für ein neues Jahr reich an Hoffnung und Segen aus.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)
Als mißtrauisch Gemachter schaut man leider auch auf das Nichtgesagte.