
(Seoul) „Südkorea will Abtreibung lockern“, titelte im April die Frankfurter Allgemeine Zeitung. 1953 legalisierte der südliche Teil der koreanischen Halbinsel die Tötung ungeborener Kinder. Das war schon zwei Jahrzehnte vor der Bundesrepublik Deutschland oder Österreich. „Damit gehört Südkoreas Abtreibungsregelungen zu den restriktivsten weltweit“, fabulierte die FAZ, denn was zählt, ist die Wirklichkeit, und die schaut auf erschreckende Weise ganz anders aus.
Die Abtreibungsregelung in Südkorea folgt dem Indikationsmodell und erlaubt bereits seit 66 Jahren die Tötung ungeborener Kinder „nur“ bei Vergewaltigung, Inzest, schwerer Behinderung des Kindes oder Gefahr für die Gesundheit der Mutter, und das „nur“ bis zur 24. Schwangerschaftswoche, wie Carlotta Roch, die Autorin des FAZ-Artikels, penetrant beklagt. Verheiratete Frauen brauchen zudem die Einwilligung des Ehegatten.
Der südkoreanische Verfassungsgerichtshof erklärte – nach sage und schreibe 66 Jahren – die Strafbewehrung zur „Kriminalisierung“ und für verfassungswidrig. Theoretisch drohen bei Verstößen gegen das Abtreibungsgesetz bis zu einem Jahr Gefängnis. Ärzte können bis zu zwei Jahren verurteilt werden.
Nichts davon wird jedoch angewandt. Das geht bereits aus den Zahlen hervor. Südkorea gehört in Sachen Abtreibung nicht „zu den restriktivsten weltweit“, wie die FAZ-Autorin glauben machen will – geschweige denn also die Linksmedien. Südkorea ist vielmehr eines der tödlichsten Länder weltweit. In kaum einem Staat der Erde leben ungeborene Kinder gefährlicher als im freien Teil der koreanischen Halbinsel.
Am 16. August 2014 besuchte Franziskus bei seiner Reise nach Südkorea als erster Papst in Kkottongnae einen Friedhof für die Opfer der Abtreibung.
Katholischers.info schrieb damals:
„Südkorea zählt eine der höchsten Abtreibungsraten der Welt. Laut den jüngsten offiziell veröffentlichten Zahlen wurden 2005 340.000 Kinder im Mutterleib getötet, während 440.000 geboren wurden. Damit haben kaum mehr als die Hälfte aller in Südkorea gezeugten Kinder eine Chance, geboren zu werden.
Ungeborene Kinder dürfen bis zur 24. Schwangerschaftswoche getötet werden. Als Gründe werden die üblichen Indikationen akzeptiert: Vergewaltigung, Inzest, schwere Behinderung oder Gefahr für die Gesundheit der Mutter. Wie die extrem hohen Abtreibungszahlen beweisen, handelt es sich bei den gesetzlichen Indikationen nicht um objektive Schutzbestimmungen für die Mütter, sondern um Gummiparagraphen, die in Wirklichkeit den systematischen Massenmord an ungeborenen Kindern erlauben.“
Was die FAZ auch nicht erwähnte: Das Abtreibungsgesetz von 1953 wurde als Instrument der Geburtenkontrolle, sprich der Geburtenreduzierung eingeführt worden, und nicht für die gern und oft, aber meist verzerrt genannten „Notsituationen“. In den 50er Jahren lag die Geburtenrate in Korea statistisch je Frau noch bei mehr als sechs Kindern.
Die Gründe für die lebensfeindliche Haltung vieler Südkoreaner geht auf diese seit Jahrzehnten von der Regierung gesteuerte Politik der Fertilitätsbekämpfung zurück. Südkorea ist mit Japan das Land, das am radikalsten eine drohende „Überbevölkerung“ bekämpft, wie sie ab 1968 vom Club of Rome marktschreierischen Panikmache propagiert wurde, ohne daß sich davon etwas bewahrheitete.
Die Konsequenzen der angeblich „restriktivsten“ Abtreibungsregelung, eine faktische Fehlinformation, mit der die FAZ eine Notwendigkeit zur Liberalisierung durchklingen läßt und sich als Abtreibungspropagandist betätigt, ließen nicht auf sich warten: Südkorea hat eine der geringsten Geburtenraten der Welt hat. Sie lag 2016 bei nur 1,17 Kindern. 2,1 Kinder je Frau im gebärfähigen Alter sind notwendig zur Bestandserhaltung bei Nullwachstum. Liegt der Wert darunter, schrumpft die Bevölkerung. Südkoreas Bevölkerung schrumpft seit 1983, und das rapide. Die längere Lebenserwartung kaschiert diese Tatsache, ändert aber nichts daran.
Wenn die Geburtenrate in diesem ostasiatischen Land nicht bald und deutlich ansteigt, wird das südkoreanische Volk innerhalb eines Jahrhunderts von derzeit 50 Millionen auf 10 Millionen Menschen zusammenschrumpfen und dann vollends verschwinden.
Die Südkoreaner werden das erste industrialisierte Volk sein, das durch Geburtenverweigerung aussterben wird, heißt es in einer Studie des wissenschaftlichen Dienstes des südkoreanischen Parlaments, die durch eine parlamentarische Anfrage zustande kam. Das war 2014. Geändert hat sich seither nichts. Im Gegenteil: Der Verfassungsgerichtshof will, daß die gesetzlichen Bestimmungen weiter liberalisiert werden.

Bereits 2006 errechnete eine Studie der Universität Oxford, daß es 2200 nur mehr drei Millionen Südkoreaner geben wird und 2256 nur mehr eine Million. Statistisch betrachtet wird der letzte Südkoreaner bei diesem Rhythmus 2505 geboren. Bereits die Oxford-Studie bescheinigte vor 13 Jahren, daß bei anhaltendem Schrumpfungsprozeß das südkoreanische Volk weltweit „das erste sein wird, das von der Bildfläche verschwindet“ – nicht durch Kriege, Epidemien oder Naturkatastrophen, sondern durch Selbstauslöschung.
Auch für Südkorea gilt: Der Raum wird nicht leer bleiben, bis das letzte Exemplar eines Volkes ausgestorben ist. Das Territorium wird von fruchtbareren, sprich lebensfähigeren Völkern okkupiert und übernommen werden. Da zur Aufrechterhaltung des Wirtschaftsstandards die Bevölkerung, sprich Humanressourcen und Konsumenten, nicht sinken darf, müssen die Verluste durch Einwanderung kompensiert werden. Das seit Jahren minimale jährliche Bevölkerungswachstum geht allein auf Migranten zurück, die 2,6 Millionen ausmachen.
1960 hatte Südkorea mit 25 Millionen nur halb soviel Einwohner wie heute. Im Jahr 2060 oder kurz danach, wird dieser Wert durch Halbierung der Bevölkerung wieder erreicht sein. Was bedeutet, daß gleichzeitig eine andere Bevölkerungsmehrheit die Kontrolle Südkoreas übernommen haben könnte.
Die erwähnte Parlamentsstudie betont, daß Südkorea auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichtet ist. Diesem Ziel werde alles untergeordnet. Für eine künftig erwartete Belohnung verzichten die jungen Südkoreaner zu heiraten. Und weil auch die Frauen ganz in das Ziel des wirtschaftlichen Wachstums eingebunden sind, verzichten diese für die Aussicht einer künftigen ökonomischen Belohnung auf ihren Kinderwunsch. Da sowohl junge südkoreanische Männer als auch Frauen die Gründung einer Familie als „Hindernis“ und „Zeitverlust“ erachten, pflanzen sie sich zugunsten einer möglichen Karriere und höherer Gehaltsaussichten nicht fort. Daß sich diese Aussichten bewahrheiten, ist aber keineswegs sicher. Bis sich die betroffenen Südkoreaner dessen bewußt werden, ist es für die Fortpflanzung bei vielen zu spät.

Im Rahmen des Papstbesuches von 2014 schrieb Katholisches.info:
„Halbherzige Regierungsbemühungen zur Förderung der Geburten bei gleichzeitiger Beibehaltung einer liberalen Abtreibungsgesetzgebung und einer Vorrangstellung von Kapital und Konsum, blieben fruchtlos. Südkorea gehört zu den Staaten, in denen am meisten genetische Forschung betrieben wird und die ersten Versuche unternommen wurden, Tiere und auch den Menschen zu klonen. Inzwischen ist das gesamte Sozialsystem, vor allem Gesundheits- und Pensionswesen gefährdet. Im Juli 2012 forderte das Koreanische Institut für Gesundheit und Soziales von der Regierung dringende Maßnahmen zur Förderung von Ehe und Fortpflanzung.“
Das Institut sprach von der Notwendigkeit eines „Mentalitätswandels“, der aber erfordert einen Paradigmenwechsel, zu dem weder Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien bereit scheinen – und die Verfassungsrichter auch nicht.
Die Katholische Kirche bemüht sich, die Bedeutung der Familie und der Fortpflanzung zu fördern, sie betreibt Babyklappen und Waisenhäuser für ausgesetzte Kinder, und in Kkottongnae wurde ein Friedhof für die durch Abtreibung getöteten, ungeborenen Kinder errichtet, den Papst Franziskus besuchte.
Die FAZ schrieb zur angepeilten Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung daher nicht ohne polemische Intention: „Konservative Haltungen sowie der Einfluss der Kirche spielen nach wie vor eine bedeutende Rolle“.
Die Abtreibungssituation in Südkorea ist hochdramatisch. Der südkoreanische Verfassungsgerichtshof erbrachte den Beweis, daß Justitia tatsächlich blind sein kann, allerdings im Sinne einer Realitätsverweigerung. Das gilt zu diesem Thema wohl auch für die FAZ.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: AsiaNews/Google/Wikicommons (Screenshots)