Von einer Katholikin
Was am Karmontag in Paris geschah, hat sich tief in die Herzen der Menschen eingegraben. Als am Abend lodernde Flammen aus dem Dachstuhl der Kathedrale von Notre-Dame schlugen und zum Inferno wurden, herrschten Trauer, Erschütterung, Fassungslosigkeit.
In den französischen Sondersendungen versuchte man, den Schock zu verarbeiten. Interviews, Kommentare, Berichte. Man ist erschüttert, daß das Herz der Stadt, die Seele Frankreichs, ja Europas, das Schmuckstück gotischer Baukunst, der Kristallisationspunkt des kollektiven kulturellen und geschichtlichen Gedächtnisses einer Nation in wenigen Stunden ein Raub der Flammen wird. Man fühlt mit den Katholiken, die einen symbolträchtigen Ort hoher christlicher Spiritualität verlieren.
Ich atme auf, als man sagt, daß das Allerheiligste und die Dornenkrone Jesu gerettet seien. Die Kamera fängt kleine Gruppen betender und singender Menschen ein. Die Pariser Bürgermeisterin ist vor Ort, der Erzbischof spricht, Präsident Macron hält eine Rede. Natürlich ist es richtig, der Nation Mut zuzusprechen, natürlich ist es richtig, den aufopferungsvollen Einsatz der Feuerwehrleute zu würdigen. Doch ohne Betroffenheitsrhetorik geht es auch diesmal nicht. Und der Schlußsatz hat das Zeug, einen innenpolitisch schwächelnden Präsidenten Pluspunkte sammeln zu lassen. Er verspricht den Franzosen rhetorisch routiniert, die Kathedrale wiederaufbauen zu lassen.
Ich schalte aus. Es ist besser zu beten. Notre-Dame de Paris, das ist auch meine Kirche. Die Messe werde ich nun nicht mehr dort besuchen können, die wundervolle Orgel nicht mehr hören, das Salve Regina nicht mehr bei der Statue der Gottesmutter mitsingen. Sie sehe ich vor mir, während ich den Rosenkranz bete. Der Innenraum der Kathedrale ist ausgelöscht, aber die äußere Struktur konnte gerettet werden. Ich werde mich vielleicht nie mehr an den Pfeiler lehnen an der Stelle, an der Paul Claudel, der große katholische Schriftsteller Frankreichs, am 25. Dezember 1886 als 18jähriger stand und beim Erklingen des Magnifikats seine Bekehrung erfuhr.
„J’étais moi-même debout dans la foule, près du second pilier à l’entrée du chœur à droite du côté de la sacristie. Et c’est alors que se produisit l’événement qui domine toute ma vie. En un instant mon cœur fut touché et je crus.“
Er stand nahe beim zweiten Pfeiler vor dem Chor rechts auf der Seite der Sakristei. So beschreibt er später den Ort, an dem sich während des Magnifikats in ihm das ereignete, was sein ganzes Leben bestimmt hat:
„Mein Herz wurde berührt und ich glaubte.“
Ich bin sicher, er hätte gesehen. Er hätte verstanden, daß dieses höllische Inferno nicht einfach nur ein Brand war. Er hätte gespürt, was so viele nicht sehen, nicht verstehen wollen.
Präsident Macron verspricht: Wir werden diese Kathedrale gemeinsam wiederaufbauen. Er macht es zur Schicksalsfrage der Franzosen. Le destin. Ein großes Wort. Aber es klingt hohl aus seinem Munde.
Wünscht man sich dennoch, daß es gelingen möge? Vielleicht werden Architekten und Baumeister sie tatsächlich wieder erstehen lassen. Wenn die gemeinsame Kraftanstrengung gelingt, kann das Monument dereinst vom Aufbauwillen einer großen Nation künden. Doch wenn der Glaube fehlt, in dem Generationen von Meistern und Künstlern und Arbeitern diese Kirche zur Ehre Gottes bauten, wird sie nicht mehr steingewordenes Glaubenszeugnis sein. Dann wird in einigen Jahrzehnten eine neue Kirche geweiht werden, für die es keine Gläubigen mehr geben wird. Weil die Zahl der praktizierenden Katholiken nicht nur in Frankreich auf einem Tiefpunkt angekommen sein wird.
Der französische Präsident hat zugesagt, man werde die Kathedrale wiederaufbauen, in nur fünf Jahren. Schöner als zuvor. Das mag Balsam auf die Seele einer politisch und wirtschaftlich zutiefst verunsicherten Nation sein. Hier zeigt sich aber auch die ganze menschliche Vermessenheit. Diese Kathedrale wird nie mehr so sein, wie war. Sie war schön nicht nur wegen ihrer Kunstwerke und ihrer vollendeten gotischen Form, sie war schön, weil sie ein Gotteshaus war, das Generationen von Menschen gebaut hatten, zur Ehre Gottes und für die Menschen, die in ihm Seine heilige Gegenwart erlebten und die erhabene Schönheit des Sakralbaus und der heiligen Liturgie als etwas zutiefst Gott Angemessenes erfuhren. Wer sie wieder aufbaut, kann sie nicht schöner machen als sie war.
Diese Kirche und die Kirche Christi aufzubauen bedeutet, die Schäden zu erfassen, die Kirche zu reinigen, sie zu konsolidieren, sie aufzubauen – immer im Blick auf die eine Wahrheit des Evangeliums und nicht zur Erreichung irdischer Ziele oder zur Verwirklichung interessengeleiteter individueller Vorstellungen von Kirche.
Paul Claudel besuchte täglich die heilige Messe, betete den Rosenkranz, verbrachte viel Zeit mit der Anbetung des Allerheiligsten und war erfüllt davon, von der Wahrheit des Evangeliums zu sprechen. Wer wird es ihm gleichtun? Wird ein Ruck durch die Kirche gehen? Werden unsere Hirten uns endlich wieder führen? Die Kirche sicher durch die Gefahren der Zeiten steuern?
Fluctuat, nec mergitur.
Es ist der Spruch im Wappen der Stadt Paris. Und treibt sie auch im Sturm auf den Wogen, so wird sie doch nicht untergehen. Die Kirche wurde ein Raub der Flammen. Aber sie steht. Verletzt, verwundet, mahnend, klagend. Zeichenhaft. Mehr als ein Symbol. Zum Beginn der Karwoche. Das Allerheiligste und die Dornenkrone wurden von einem Priester gerettet. SEINE KIRCHE wird nicht untergehen. Jesus hat es uns zugesagt. Beten wir, opfern wir, fasten wir, sühnen wir. Gehen wir Ostern entgegen, der Auferstehung. Wir wissen, SEIN Licht hat über Leid und Tod und Dunkelheit gesiegt.
Bild: Eigenes Bild
Ich habe Notre-Dame nicht gesehen und werde sie wieder aufgebaut nicht mehr sehen.
Es traf mich wie ein Schlag – Notre-Dame brennt! Millionen Franzosen und Abendländern ging es sicher ebenso.
Nicht-Gläubige in Frankreich bauen die Kirche wieder auf. Ob das gut geht?