Ein Gastbeitrag von Hubert Hecker*.
Im Jahre 1638 ernannte Kaiser Ferdinand III. Graf Johann Ludwig von Nassau-Hadamar zum Generalbevollmächtigten für die Friedensverhandlungen, um den damals schon 20 Jahre währenden Krieg zu beenden. Als „legatus plenipotentiarius“ musste der kaiserliche Gesandte noch weitere zehn Jahre an Verhandlungen teilnehmen, bis der Friedensschluss 1648 möglich wurde. Was waren die Faktoren, die den Grafen der relativ kleinen nassauischen Herrschaft im Westerwald für diese Aufgabe der kaiserlichen Verhandlungsführung befähigten?
Bei den kriegsführenden Mächten kannte sich der nassauische Graf gut aus: Am französischen Königshof hatte er ein Dreivierteljahr geweilt und die königliche Machtpolitik studiert. Dem schwedischen König und seinen Kommandanten war er 1632 in Frankfurt begegnet. In den Niederlanden führten sein Halbbruder Casimir und sein Neffe Moritz den Krieg an. Viele lutherische, calvinistische und katholische Fürsten hatte er persönlich auf seinen beiden Kavaliersreisen kennengelernt. Johann Ludwig beherrschte die Verhandlungssprachen Latein und Französisch perfekt. Als Mitglied im kaiserlichen Reichshofrat hatte er sich bei einer schwierigen diplomatischen Mission bewährt.
Ausbildung, Studium und Bildungsreise
Johann Ludwig erhielt eine solide Schul- und Studienausbildung in Dillenburg (Hofschule), dem damals noch zum Reich gehörenden Sedan (Adelsakademie) und der calvinistischen Hochschule in Genf.
- Dabei wurde der junge Graf in die Tugendlehre für Fürsten eingeführt. Bei den Übungen zu historischen Stoffen legte man Wert auf die moralische Haltung von Herrschenden. Die macht-egoistischen Regeln Macchiavellis bildeten dazu den kritischen Gegenpol.
- Zahlreiche Studientexte aus den Büchern des Erasmus von Rotterdam sind für den jungen Prinzenschüler belegt. Darin wurden die Vorzüge des Friedens und die Nachteile des Krieges herausgestellt. In einem Aufsatz Johann Ludwigs über Frieden und Eintracht („de pace et concordia“) bezieht er sich mehrfach auf die Toleranz- und Ausgleichspolitik des humanistischen Gelehrten. Das Resümee von dessen Friedenspädagogik und Friedenspolitik ist in einem Zitat zusammengefasst: „Der Friede ist das Beste, was die Natur dem Menschen schenkt“. Dieser Vers zierte in seiner Kurzfassung Pax optima rerum den Türsturz zum Friedenssaal der Stadt Münster, in dem der Westfälische Frieden besiegelt wurde. Er wurde im Zweiten Weltkrieg bei einem alliierten Bombenangriff zerstört (heute als vereinfachter Nachbau zu sehen).
Der ein Dreivierteljahr dauernde Aufenthalt am Hof des französischen Königs Heinrich IV. dürfte das politische Weltbild des 17jährigen Grafen entscheidend geprägt haben: Der Bourbone konvertierte vom Calvinismus zum Katholizismus. Er beendete einen religionsbasierten Bürgerkrieg, indem er mit Toleranzpolitik den Konfessionenstreit entschärfte, die Zentralmacht mithilfe von Bürgertum und niederem Adel stärkte und den Hochadel unter höfischer Kontrolle hielt.
Anschließend besuchte Johann Ludwig den spanischen Gouverneurshof in Brüssel – in den Friedensjahren des spanisch-niederländischen Krieges. Es folgten Besuche in den deutschen Reichsstädten und Fürstenhöfen: Hessen, Westfalen, Braunschweig, Bremen, Hamburg, Herzogtum Holstein, wo er dem herrschenden dänischen König „seine Reverenz erwies“. Johann Ludwig zog weiter ins Herzogtum Mecklenburg und Kurfürstentum Brandenburg, von dort nach Dresden, ins böhmische Prag, über Passau, Regensburg nach Nürnberg und Hessen-Kassel.
1612 machte der Hadamarer Graf dem gewählten Kaiser Matthias in Frankfurt seine Aufwartung. Im gleichen Jahr weilte er auf Einladung seines Cousins, ehemaligen Sedan-Mitschülers und damaligen Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz ein halbes Jahr in London. Dort hatte sich der spätere Winterkönig von Böhmen mit der englischen Königstochter Elisabeth Stuart vermählt, Tochter des anglikanischen Königs Jakob I., Enkelin Maria Stuarts, die nach Elisabeth I. benannt war.
Gegen kriegerischen Fanatismus
Die wohl wichtigste Lebenserfahrung für seine spätere Toleranz- und Friedenspolitik machte Johann Ludwig bei seinen kriegerischen Verwandten in den Niederlanden, die er 1613 besuchte – und dann nie mehr. Der junge Graf war im Geiste des Rotterdamer Erasmus gegen Fanatismus, Gewalt und Kriegstreiberei erzogen worden. Dieser Humanismus stand im Gegensatz zu Luthers martialischen Thesen vom „Wort Gottes als Krieg unseres Herrgotts, der damit nicht aufhören wird, bis er alle Feinde seines Wortes zuschanden gemacht hat“ – so Martin Luther in seiner Schrift gegen Erasmus von Rotterdam.
Erst recht bei den Calvinisten Hollands unter der Führung von Johann Ludwigs Bruder Casimir und seinem Neffen Moritz machte sich fanatischer Extremismus breit. Der zeigte sich etwa in der calvinistischen Parole: „Lutheraner ausjagen, Katholiken totschlagen“. Die Anführer der gemäßigten Reformierten wurden als Ketzer und Verräter gebrandmarkt, eingesperrt, gefoltert und hingerichtet. Der große Völkerrechtsgelehrte Hugo Grotius konnte sich nur durch Flucht diesem Schicksal entziehen. Doch die Fanatiker sollten nicht das letzte Wort haben. Denn bei den westfälischen Friedensverhandlungen spielten die Regeln aus Grotius’ Werk „De jure bellis ac pacis“ eine wichtige Rolle. Noch grundlegender war dafür die irenische Vermittlungshaltung des Humanisten Erasmus.
Konversion Graf Johann Ludwigs
Nach seiner Bildungsreise heiratete Johann Ludwig 1617 die Gräfin Ursula von Schaumburg-Lippe. Im gleichen Jahr nahm er seine ererbte Grafschaft Nassau-Hadamar in Besitz. 1629 drohte allen nassauischen Grafen ein Prozess am Kaiserhof wegen Majestätsbeleidigung. Sie hatten 1620 den pfälzischen Kurfürsten im Krieg um die Pfalz mit zehn Panzerreitern unterstützt.
Im Sommer 1629 wurde Johann Ludwig von seinen Brüdern beauftragt, beim Kaiser in Wien den anstehenden Prozess abzuschlagen. Durch Fürsprecherbriefe von katholischen Fürsten und General Tilly war ein positiver Ausgang für das relativ kleine Delikt zu erwarten. Ein verschwägerter Graf aus dem Lippischen hatte vorher schon bei einer ähnlichen Anklage Freispruch erwirkt. Es gab keinen Anlass, mit weiteren Demutsakten – etwa einer Konversion – den Kaiser milde zu stimmen.
Johann Ludwig hatte sich seit der kaiserlichen Restitutionsdrohung von 1628 persönlich mit dem lutherischen, dem reformierten wie auch dem katholischen Glauben beschäftigt. Er ließ sich von der „Hohen Schule“ in Herborn eine Aufstellung über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei Konfessionen erstellen. Seit „etlichen Jar“ – so im Brief an seine Frau – hatte er über katholische Glaubensfragen diskutiert – mit dem Kurfürsten von Trier, den Koblenzern Karthäusern und dem Mainzer Jesuitenpater und Universitätsrektor Johann Reinhard Ziegler, der selbst ein Konvertit vom Calvinismus war.
Persönliches Glaubensbekenntnis
Im Sommer 1629 führte der Wiener Pater Wilhelm Lamormaini SJ Johann Ludwig in die katholische Glaubenslehre ein. 14 Tage prüfte er sein Gewissen, „ob und inwieweit ich mich der Konfession anschließen kann.“ Das Ergebnis seiner Gewissensprüfungen legte Graf Johann Ludwig in einem längeren Glaubensbekenntnis mit acht Punkten nieder. Das Dokument bestätigt seine persönliche, ernsthafte und tiefgründige Glaubensentscheidung. Zugleich beseitigt die Textlektüre Zweifel an den lauteren Motiven des Grafen bei seiner Konversion
In den noch calvinistisch gefärbten Einleitungsformulierungen seines Bekenntnisses spricht Johann Ludwig das Glaubensvertrauen zu Gott aus, dass um der Verdienste Christi willen alle seine Sünden verziehen sind. Entscheidend katholisch ist aber dann die Erläuterung, dass Gebete und ein bußfertiges Leben nicht als bloße Glaubensfolgen entwertet werden: Sakramente und gute Werke sind die heilsnotwendigen Mittel der menschlichen Mitwirkung. Mit eigenen Worten und Vergleichen eignete sich der Konvertit die katholische Lehre an – von der Beichte, der Transsubstantiation, des Messopfers: Die Sakramente wie Schöpfeimer, mit denen der Gläubige aus dem Brunnen der zugesagten Gnaden und Verdienste Christi schöpft zur Stärkung des Glaubens auf dem Weg zur ewigen Seligkeit. In deutlicher Abgrenzung zu Luther und der strikten Prädestinationslehre Calvins hob er den gottgeschaffenen freien Willen hervor, der mit Gottes Gnade und Beistand Gutes bewirken kann. Die kritisierte Anrufung – „nicht Anbettung“ – Mariens, von Engeln und Heiligen sind gut und berechtigt. Wenn man schon menschlich einen guten Freund um Hilfe bittet – wie viel mehr dann die Heiligen als Freunde Gottes? Im Gegensatz zur unsichtbaren Kirche Luthers bekannte sich der Konvertit zur „sichtbaren Kirch und zu Christi sichtbarem Statthalter“.
Zu Schmähungen der Verwandten geduldiges Erklären der katholischen Lehre …
Nach seiner Rückreise von Wien klagten ihn seine Geschwister und Verwandten an: Die katholische Kirche würde mit Lehre, Sakramenten und Zeremonien von Gott und dem Erlöser wegführen; die Katholiken würden Maria, Bilder und Kruzifixe anbeten; die Priester würden im Messopfer das einzige Opfer Christ multiplizieren; die guten Verdienst-Werke der Gläubigen würden Christi Werk schmälern ….
Der Graf wies die Zerrbilder des katholischen Glaubens zurück. Zum andern erklärte er detailliert – vielfach in Bildern – die Kernstücke der katholischen Lehre. Schließlich machte er darauf aufmerksam, dass viele Calvinisten in ihrem persönlichen Glaubensleben auf dem Weg zum Katholizismus seien. Ein beredtes Beispiel dafür fand er in seiner Frau Ursula, die „durch ihre Werke der Nächstenliebe und ihre Fürsorge für die Armen schon recht katholisch“ sei. Denn der strikte Calvinismus lehnt Armenunterstützung ab.
… ohne konfessionelle Polemik
Graf Johann Ludwig zeigte sich gefestigt im Glauben seiner Vorväter. Er hatte es nicht nötig, konfessionell zu polemisieren wie manche seiner calvinistischen Verwandten. Aufgrund seiner souveränen Überzeugung und bei allem Einsatz für die Wahrheit der katholischen Lehre zeigte er Toleranz. Für Frau, Töchter und Hofdamen stellte er einen protestantischen Prediger ab. Zum Besuch des Hadamarer Jesuiten-Gymnasiums lud er ausdrücklich Schüler aus protestantischen Gebieten sowie Judenkinder ein.
Seine überzeugende Glaubenshaltung war wohl auch der Hauptgrund dafür, dass die Einwohner seiner Grafschaft in recht kurzer Zeit für den katholischen Glauben gewonnen werden konnten. Nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 hätte Graf Johann Ludwig das Recht gehabt, die Untertanen seines Landes (‚regio’) per fürstlichem Erlass auf die neue ‚religio’ zu verpflichten. So hatten es sein Vater Johann VI. mit der calvinistischen Konfession gehandhabt und sein Großvater Wilhelm mit der Einführung des lutherischen Bekenntnisses.
Der Hadamarer Graf dagegen ging den modernen Weg der missionarischen Überzeugung. An 31. Januar 1630 rief er die Einwohner Hadamars im Schlosshof zusammen und leitete mit seiner eigenen Rede die Remissionierung seiner Grafschaft ein. Die zwölf calvinistischen Prediger der Grafschaft durften unter Beibehaltung der Einkünfte in ihren Pfarrhäusern bleiben, bis sie eine neue Stelle außerhalb der Grafschaft gefunden hatten.
Jesuiten-Mission in der Grafschaft
Im Laufe des Februars 1630 übernahmen fünf Jesuitenpatres aus Koblenz die Missionspredigten in den Orten der Grafschaft. Die Messe konnten sie jedoch nicht feiern. Denn die Calvinisten hatten mit ihrem „Bildersturm“ die Kirchen und Kapellen des Landes restlos von sakralen und bildlichen Gegenständen leergefegt.
Der Graf ging damit voran, seine Schlosskapelle mit den katholischen Insignien auszustatten: Altarstein, Kniebänke, Orgel, Tabernakel, Ewiges Licht, Kommunionbank, Monstranz, Kerzen, auch Messgewänder, Chorkleidung für Priester und Messdiener. In den Dörfern forschte die Bevölkerung nach der ausgeräumten Kirchenausstattung: Man förderte versteckte Kruzifixe, Schellen, Bilder hervor und brachte sogar Fahnen und Heiligenstatuen zurück.
Einwohner des Dorfes Weier verklagten ihren Prediger auf Neukauf des von ihm verscherbelten Silberkelches. Die Ahlbacher holten den Altarstein ihrer Kirche aus einem Garten zurück. Die Lahrer wussten noch, dass der Taufstein ihrer Kirche zu einer Viehtränke gemacht worden war. Zum Abschluss dieser Restitution waren 10 Kirchen, 23 Kapellen und 38 Altäre dem katholischen Kultus zurückgegeben.
Neben der feierlichen Sonntagsmesse wurden die Sakramente der Beichte und Eheschließung wieder eingeführt; weiterhin das Angelus-Läuten und ‑Gebet, die Bitt‑, Himmelfahrts- und Fronleichnamsprozessionen, Kreuzwegandachten, Fasten- und Abstinenztage, Marien- und Heiligenverehrung. Die Jesuiten machten mit den katholischen Riten und Sakramentalien vertraut: Kreuzzeichen und Kniebeuge, Aschenkreuz und Weihwasser, begleitet mit Katechese, Predigt und Gespräch. Nach einem Jahr Jesuitenmission waren „2315 Erwachsene für Gott und Kirche zurückgewonnen“, resümierte der Jesuiten-Chronist von Hadamar, „allein durch Predigt und Gespräch“. Denn „niemand wurde gegen seinen Willen von der Irrlehre befreit“. Graf Johann Ludwig konnte sich rühmen, dass keiner seiner Untertanen das Recht auf Auswanderung in Anspruch genommen hatte – außer sein Sekretär Sprenger, dem der Graf selbst in Dietz eine neue Stelle besorgt hatte. Die schnelle Annahme der katholischen Glaubenslehre durch Landbewohner war insofern überraschend, weil in der Grafschaft schon 100 Jahren vorher die lutherische Lehre eingeführt worden war. Ab 1577 wurde die Bevölkerung von calvinistischen Pfarrern bepredigt. Der Religionswechsel durch fürstliche Verordnung war offensichtlich nicht tiefgreifend gewesen.
Die erfolgreiche Remissionierung war sicherlich auch den klugen Missionierungsregeln der Jesuiten geschuldet, die – entgegen protestantischer Hetze und Vorurteile – sehr moderat vorgingen. So legten damals die Missionsregeln der Generalleitung in Rom Folgendes fest:
- Ziel der Mission ist die Bekehrung der Irregeleiteten und die Förderung der Katholiken.
- Die Mittel sollen bestehen in Predigt, katechetischen Gesprächen, Unterrichtung der Kinder und Sakramentenspendung.
- Abgrenzende Kontroverstheologie ist in Predigten nicht erwünscht. Unser Glauben ist in einfachen Worten darzulegen. Das Vorgebrachte soll nur mit der Schrift (und nicht mit den Schriften der Kirchenväter und Theologen) belegt werden. Von Schimpfen und Schmähen der Irrlehrer soll man sich ganz und gar fernhalten.
- Bei der Katechese sollen die Patres die Glaubenswahrheiten mit Entsprechungen der Erfahrung und Alltagsvernunft darlegen. Man soll daraus viele Vergleiche und Beispiele entnehmen, um die Lehre für Alt und Jung ansprechend zu machen. Vor Plumpheit, Schmutz und Unbescheidenheit wird gewarnt.
- Die Patres sollen möglichst auch die Häuser aufsuchen, um mit großer Freundlichkeit über Fragen des Glaubens und der Sitte zu sprechen. Besonders achtsam soll man in Gesprächen mit einflussreichen Dorfbewohnern sein. Mit Sorgfalt sollen die Ältesten, Geschworenen, Armenpfleger und Kirchenrechner ausgesucht und belehrt werden. Als kluge und menschkundige Missionare sollen sie vor Schmeichlern und Einschleichern Abstand halten und sich ebenfalls vor fremden Streitigkeiten und Herabsetzungen fernhalten ….
Leib- und Seelsorge unter Kriegsbedingungen
1631/32 spürte die Hadamarer Grafschaft den Druck der Heere von Schweden und deutschen Protestanten. Die Jesuiten als die meistgehassten Kleriker mussten sich aus Sicherheitsgründen nach Koblenz zurückziehen. An deren Stelle kamen Franziskaner aus Limburg, die weniger angefeindet waren. In den Jahren 1633 bis 1636 mussten sich alle Geistlichen aus den Westerwalddörfern wegen Erpressungsüberfällen zurückziehen. Das Hadamarer Land litt unter Pest, Plünderungen und Verheerungen durch die Soldateska, war von Hungersnöten und Mangelkrankheiten geplagt.
Ein Bild des Grauens erlebten drei Jesuiten-Patres bei ihrer Rückkehr in die Dörfer:
„Ganze Häuserzeilen waren niedergebrannt oder standen leer, die Einwohner waren geflohen oder an Pest gestorben. Andere Häuser waren wie Höhlen verfallen.“
Die Patres versuchten zuerst den Kranken und Gesunden Nahrung zu verschaffen. Mit Rucksäcken zogen sie durch weniger belastete Dörfer und Städte, um zunächst für die Leiber zu sorgen. Später begannen sie die Predigten, Messfeiern und den Katechismusunterricht wieder aufzunehmen.
P. Rutger Hesselmann war vom Standort Hadamar aus für die Seelsorge der Pfarrei Lahr zuständig. 1636/37 nahm in dieser Ortschaft die Pest epidemische Ausmaße an. Daraufhin ließ sich der Jesuitenpater in Lahr nieder. Er kümmerte sich dort ganz um die Kranken und Sterbenden. „Man sah ihn oft Gräber ausheben, wenn andere fehlten, und auf seinen Schultern die Leiber der Toten zur Bestattung tragen“ – so die Jesuitenchronik.
„Unter diesen Werken der christlichen Nächstenliebe zog er sich selbst die Pest zu, so dass er am 30. April 1637 seine an Verdiensten reiche Seele aushauchte. Sein Leib harrt in der Pfarrkirche von Hadamar auf die Auferstehung.“
Der Schriftsteller Wilhelm Heinrich Riehl hat aus diesen Hinweisen Mitte des 19. Jahrhunderts eine Novelle gestaltet. Unter dem Titel; „Die Werke der Barmherzigkeit“ setzte der evangelische Novellist dem katholischen Jesuitenpater ein literarische Denkmal.
Zehn Jahre Friedensdiplomat
Seit Oktober 1638 war Graf Johann Ludwig als kaiserlicher Generalbevollmächtigter zu den Vorverhandlungen für den endgültigen Friedensprozess gesandt. Nach fünf Jahren Verhandlungen um Teilnehmer, Territorien, Verhandlungsregeln einigte man sich auf die Kongressorte Münster und Osnabrück. Im Juni 1643 zog Johann Ludwig mit seiner Gesandtschaft in Münster ein und bezog Quartier. Es sollte aber noch zwei Jahre dauern bis zum eigentlichen Verhandlungsprozess ab 1645. Der Grund waren Rang- und Verfahrensstreitigkeiten.
Graf Johann Ludwig von Nassau-Hadamar als kaiserlicher Gesandter in Münster
1645 schickte Kaiser Ferdinand III., damals in äußerst bedrängter Kriegslage, als Koordinator für beide Verhandlungsorte seinen ersten Minister und Geheimen Kämmerer Reichsgraf Maximilian von und zu Trauttmansdorff mit neuen Instruktionen nach Münster. Der neue Chefunterhändler legte 1647 einen umfangreichen Friedensvertragsentwurf zu verschiedenen Komplexen vor. In diesen Entwürfen waren die Grundzüge der späteren Friedensverträge vorgezeichnet. Doch bei der Veröffentlichung verhielten sich die meisten Reichsstände und auch katholische Fürsten skeptisch bis ablehnend. Enttäuscht legte Trauttmansdorff sein Amt nieder und reiste nach Wien zurück. Die weiteren Verhandlungen auf der Basis der „Trauttmansdorffianum“-Entwürfe führten Graf Johann Ludwig von Nassau- Hadamar und sein juristischer Berater Isaak Volmar weiter bis zum erfolgreichen Abschluss im Oktober 1648.
Johann Ludwig hatte ebenfalls entscheidenden Anteil am ersten Münsteraner Friedensschluss im Januar 1648 zwischen Spanien und den Niederlanden. Denn als Diener der Habsburger und naher Verwandter der niederländischen Statthalter war er der ideale Vermittler. Dafür nahm ihn der spanische König in den Orden vom Goldenen Vlies auf. Er wurde zum 420. Ritter des habsburgisch-burgundischen Ordens investiert.
Beim Öffentlichen Eidschwur auf den spanisch-niederländischen Frieden im Friedenssaal von Münster war Graf Johann Ludwig als Verhandlungsführer des Kaisers wegen Krankheit nicht anwesend.
Johann Ludwig unterzeichnete in seinem Münsteraner Quartier den Friedensvertrag zwischen Frankreich, dem Kaiser und dem Reich. Das Signaturdatum vom 24. Oktober 1648 galt als Abschluss des Friedensprozesses. Die Unterschrift „Johannes Ludovicus comes de Nassaw“ findet sich an erster Stelle unter dem Vertragstext. Diese Vorrangstellung bei den Unterschriften signalisiert, dass der Hadamarer Graf als Generalbevollmächtigter des Kaisers auch bei dem Hauptfriedensvertrag von Münster eine herausragende Rolle spielte.
Johann Ludwigs Sohn Hermann Otto war die Ehre zuteil, als Friedensreiterbote dem Kaiser in Wien die Verträge zu überbringen. Der Graf selbst kam erst im Herbst 1649 in seine Grafschaft Hadamar zurück, nachdem er seine Verbindlichkeiten in Münster reguliert hatte. Die Schulden im Dienste der Friedensdiplomatie hatten ihn schon vorher gezwungen, sein gräfliches Tafelsilber zu verkaufen: Die Herrschaft Esterau und die Vogtei Isselbach gingen für 63.000 Gulden an den kaiserlichen Feldmarschall Peter Melander aus Niederhadamar über.
Nachdem der Graf 1650 für seine Verdienste bei den zehnjährigen Friedensverhandlungen in den Reichsfürstenstand erhoben worden war, erhielt er eine kaiserliche Entschädigung von 150.000 Gulden. Diese Summe setzten Johann Ludwig und sein Sohn und Nachfolger Moritz Heinrich auch für den Wiederaufbau des kriegsgeschundenen Landes ein.
Am 10. März 1653 starb Johann Ludwig. Man setzte ihn in der Familiengruft der Hadamarer Liebfrauenkirche bei: ein glaubensstarker Katholik, kluger Fürst und Friedenspolitiker im Geiste des Erasmus von Rotterdam.
*Hubert Hecker, ehemaliger Lehrer der Fürst-Johann-Ludwig-Schule, die der Namensgeber 1650 als Jesuitengymnasium gegründet hatte
Literatur:
- Matthias Theodor Kloft, Ingrid Krupp, Walter Michel, Walter Rudersdorf: 1648. Legatus Plenipotentiarius Graf Johann Ludwig von Nassau-Hadamar und der Westfälische Frieden, Herausgegeben von der Kulturvereinigung Hadamar, Limburg 1999
- Walter Michel: Die Konversion des Grafen Johann Ludwig von Nassau-Hadamar im Jahre 1629, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte Band 20, 1968, S. 71–102
- Walter Michel: Briefe zur Konversion des Grafen Johann Ludwig von Nassau-Hadamar (1629/30), in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte Band 42, 1990, S. 285–302
Text: Hubert Hecker
Bilder:Wikicommons/
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