Ein Gastbeitrag von Hubert Hecker*
Der Herrschaftsbereich der Habsburger im Südosten des Heiligen Römischen Reiches hatte einen Sonderstatus unter den damaligen deutschen Mächten. Er war ein Konglomerat von vielen Ländern mit eigenen Traditionen: Die sogenannten Erblande mit Ober- und Niederösterreich sowie Innerösterreich und Vorderösterreich wurden vielfach von habsburgischen Erzherzögen regiert. Die Länder der böhmisch-habsburgischen Krone mit dem Kernland Böhmen, dazu Mähren, Schlesien und die beiden Lausitzen bildeten einen eigenständigen Herrschaftsverband. Dazu kamen die Länder der ungarischen Krone mit Ungarn sowie umkämpften Slawengebieten mit Kroaten, Slowenen und anderen Volkschaften und Städten an der Adria.
Innerhalb der reichen böhmischen Länder hatten sich städtische Bürgerschaften und Adel im 16. Jahrhundert zum größeren Teil den protestantischen Denominationen zugewandt, die Tschechen vor allem hussitischer, die Deutschen vorwiegend lutherischer oder calvinistischer Richtung. In den Jahren nach dem Augsburger Religionsfrieden mussten die damaligen habsburgischen Könige von Böhmen den protestantischen Ständen den Freibrief der Confessio Bohemica zugestehen. Noch weitergehende „Freistellungen“ in konfessionellen Fragen hatte man Kaiser Rudolf II. 1609 mit dem „Majestätsbrief“ abgerungen. Mit diesen religiösen Ansprüchen ging ein ständisches Autonomiebestreben einher. In den Jahrzehnten des „Langen Türkenkriegs“ bis 1600 sowie des habsburgischen Bruderzwistes zwischen Kaiser Rudolf und seinem Opponenten und späterem Nachfolger Matthias konnten die Stände weitere Zugeständnisse der Selbstverwaltung erringen bis hin zu militärischen „Defensionen“. Diese ständischen Ansätze trafen allerdings nach 1600 auf die Gegenkräfte der habsburgischen Zentralmacht, die – wie in den meisten Territorialstaaten der damaligen Zeit – eine stärkere und einheitlichere Verwaltung zum Ziel hatten bis hin zum absolutistischen Herrschaftsanspruch der königlichen „Souveränität“. Die böhmischen Könige und Kaiser – Matthias ab 1611/12 und seinem Nachfolger Ferdinand II. ab 1618/19 – verstärkten diese Tendenz, auch in konfessionellen Fragen.
Die böhmische Situation bezüglich Ständerechte und Konfessionsfragen war aber nicht vergleichbar mit den nördlichen Niederlanden, die sich – angeführt von einem calvinistischen Patriziat und durch radikale Unterdrückung der Religion der eigenen, hauptsächlich katholischen und im Osten auch lutherischen Bevölkerung – seit 1568 im Zustand der Rebellion befanden. Auch im Vergleich zum Reich, in dem seit dem Reichstag von 1608 die institutionellen Verhandlungsforen blockiert und damit der Gesprächsfaden zwischen zerstrittenen Parteiungen abgerissen war standen die böhmischen Konfliktparteien bis 1618 in einem stetigen Aushandlungsprozess.
Warum konnte es unter diesen vergleichsweise günstigen Umständen zum Ausbruch des 30jährigen Kriegs kommen? Wer waren die kriegstreibenden Kräfte in Böhmen?
Der Prager Fenstersturz als Signal zum Staatsumsturz
1618 nahm der böhmische Adel einen kleinen lokalen Konflikt zum Anlass für den großen Bruch mit König, Kaiser und Reich: Die Protestanten hatten auf unsicherer Rechtsgrundlage zwei neugläubige Kirchengebäude errichtet, von denen die Regierung die Schließung forderte und später auch vollzog. Auf zähe Verhandlungen zu diesem Streitpunkt folgten zwei unautorisierte Ständeversammlungen mit Auflösungsorder des Königs. Im Mai 1618 setzte sich eine kleine Gruppe von radikalisierten Adligen durch mit ihrer Linie, statt zu verhandeln in die offene Rebellion überzugehen. Die böhmische „Aktionspartei“ versuchte am Prager Regierungssitz die beiden königlichen Statthalter und den Kanzleisekretär durch Fenstersturz zu töten. Dass die drei den Sturz über knapp 18 Meter „auf steinigen Grund“ überlebten, war nicht geplant. Neben der böhmischen Tradition seit den Hussitenkriegen hatte der Fenstersturz auch eine religiös-konfessionelle Komponente. In einer biblischen Geschichte fand man einen Präzedenzfall für den neueren gewalttätigen Ketzersturz: Die götzendienerische Isebel, Königin des Nordreichs Israel, war durch einen tödlichen Fenstersturz bestraft worden.
Die bildstarke Signalwirkung der Aktion war gewollt. Sie sollte den Anfang einer offenen Rebellion gegen die rechtmäßige Regierung markieren. Die Aufständischen erklärten die königlichen Beamten für abgesetzt und bildeten eine neue Direktorialregierung. In den ersten Handlungsanweisungen nutzte die neue Regierung die ständische Steuerhoheit für die Aushebung von eigenen Truppen und Rüstungen. Sie knüpfte Verbindungen mit ebenfalls aufständischen österreichischen und ungarischen Ständen sowie dem siebenbürgischen „Unruhestifter“ Gabor Bethlen. Die verbündeten Truppen zogen zweimal über Böhmens Grenzen hinaus in Richtung Wien, um die habsburgische Hauptstadt zu belagern. Im Juli 1619 gründeten die böhmischen Vertreter mit den Ständen von Mähren, Schlesien und den zwei Lausitzen einen Konföderationsstaat mit einem „Königtum von Gottes und der Stände Gnaden“. Einen Monat später setzten die Stände Erzherzog Ferdinand als böhmischen König förmlich ab. Direkt danach wählten sie den calvinistischen, pfälzischen Kurfürsten Friedrich V. als neues Staatsoberhaupt. Etwa gleichzeitig wurde der abgesetzte, habsburgische König von den deutschen Kurfürsten in Frankfurt als neuer Kaiser gewählt und installiert.
Die letzteren Ereignisse: Kriegsführung der böhmischen Stände gegen ihren rechtmäßigen Fürsten und Absetzung eines deutschen Königs und Kurfürsten waren unerhörte Rebellionen, die alle deutschen Herrscher aufschreckten. Insbesondere die lutherischen Fürsten mit ihrer Auffassung von gottgegebener Obrigkeit verabscheuten den Prager Putsch. Dass die böhmischen Stände dann mit dem kurpfälzischen Calvinisten den radikalsten Vertreter der protestantischen „Aktionspartei“ zum König wählten, verstärkte die Abwendung der meisten evangelischen Herrscher. Das deutsche Militärbündnis der Protestanten, die „Union“ von 1608, lehnte die Unterstützung ihrer rebellischen Glaubensbrüder ab. Der sächsische Kurfürst als anerkannter Sprecher der lutherischen Fürsten unterstützte explizit den abgesetzten böhmischen König und neugewählten Kaiser Ferdinand II. im Krieg gegen die böhmischen Aufständischen. Der fand im bayrischen Herzog Maximilian I. als Anführer der katholischen Liga den entscheidenden Verbündeten für die Schlacht am Weißen Berg vor Prag im November 1620, als das Heer der Katholischen Liga unter General Tilly die böhmischen Ständetruppen vernichtend schlug.
Welche Erkenntnisse ergeben sich aus dieser Anfangsphase des 30jährigen Krieges?
Die erste Phase der 30jährigen Kriegs hatten die protestantischen böhmischen Stände mutwillig angezettelt aus einem lokalen Anlass und zu einem staatsumstürzenden Aggressionskrieg gegen die Habsburger Herrscher ausgeweitet. Mit der Absetzung ihres Königs und der Wahl eines deutschen Kurfürsten verletzten die Böhmen Verfassungsprinzipien des Reichs, brüskierten ihre konfessionellen Verbündeten in den anderen deutschen Ländern und zogen den Rückeroberungskrieg von Kaiser Ferdinand und der Liga auf sich. Der böhmische Krieg hatte in dieser Konstellation Auswirkungen auf das ganze Reich.
Der rechtmäßige böhmische König und deutsche Kaiser, Ferdinand II., ließ nach der Schlacht am Weißen Berg 27 der „Rädelsführer“ des Aufstands als Hochverräter hinrichten. Die Ländereien der Exekutierten, Geflohenen und Rebellionsunterstützer wurden eingezogen. Etwa die Hälfte des böhmischen Grundbesitzes kam dadurch an katholische Adlige – unter anderem an die Familie Wallenstein. 1624 ließ Ferdinand, unter Berufung auf den nach wie vor gültigen Augsburger Religionsfrieden von 1555, das katholische Bekenntnis zur einzig legitimen Religion erklären nach der Formel: cujus regio, ejus religio. 1627 entmachtete er die Stände und regierte nunmehr allein über die böhmischen Länder. Alle diese Maßnahmen entsprachen der absolutistischen Politiktendenz der damaligen Zeit – auch bei protestantische Fürsten, von denen sie im Zuge der Reformation gegen die kaiserliche Reichsgewalt angestoßen worden war –, ihre Territorialstaaten in unumschränkte Herrschaften zu überführen.
Nicht rechtmäßig und ein politischer Fehler war Ferdinands Versprechen an den bayrischen Herzog, bei Krieg und Sieg über den Winterkönig Friedrich V. von der Pfalz, ihm die pfälzische Kurwürde zu übertragen. Mit dem Entzug der Kurwürde verstieß er gegen Reichs- und Reichstagsrecht. Damit beschädigte er seine kaiserliche Autorität und die Reichsverfassung. Wichtige Verbündete wie der sächsische Kurfürst wurden vergrätzt.
Schon vor der Ächtung des Kurfürsten hatten 1620 Truppen aus dem habsburgischen Spanien – der spanische König und der Kaiser waren Vettern und entstammten der beiden von Kaiser Karl V. und Kaiser Ferdinand I., zwei Brüdern, gegründeten habsburgischen Linien –, als Hilfeleistung für den Kaiser die linksrheinischen Pfalzgebiete erobert. Die Spanier zogen 1621 wieder nach Flandern ab. 1622 versuchten drei Heere von protestantischen Fürsten die Pfalz zurückzuerobern. Nach wechselndem Kriegsglück wurden sie 1623 von dem katholischen Liga-Heer unter dem Oberbefehl Herzog Maximilians I. von Bayern und dem Generalleutnant Tilly geschlagen und nach Norddeutschland vertrieben. Der Bayernherzog nahm als seine Kriegsbeute die Oberpfalz in Besitz. Mit dem Kampf um die Kurpfalz war der böhmische Krieg endgültig zu einem Krieg im Reich geworden.
Ausländische Kriegstreiber schüren den Krieg
1625 zeigte sich die erste große Welle der ausländischen Einmischung in die deutschen Machtkonstellationen. Frankreich initiierte die Haager Allianz zwischen England, Holland und Dänemark als ein anti-habsburgisches Bündnis, um die gewachsene ligistisch-katholische Macht in Süddeutschland einzudämmen. Mit Subsidien der Allianz-Mächte sollte der dänische König Christian IV. in Norddeutschland ein Heer aufstellen. Der Dänenkönig war als Herzog von Holstein ein legitimer Akteur im niedersächsischen Reichskreis. Aber entgegen dem Reichsrecht und dem Beschluss der Reichskreisstände führte Christian sein Heer zur Eroberung in den westfälisch-niederrheinischen Reichskreis, um für seinen Sohn Städte und Regionen zu gewinnen. Seit den kurpfälzischen Feldzügen hatten sich die kriegsführenden Herren mehr und mehr von Rechtstiteln und ethischen Begründungen für einen berechtigten Krieg (justum bellum) gelöst. Der Kampf ging nur noch um Eroberungen oder strategische Machtpositionen. Die Erfolge der einen Seite zogen die größeren Militäranstrengungen der anderen Seite nach sich. Der Krieg entwickelte sich zu einem unregulierten Selbstläufer – 30 Jahre lang.
Der Dänenkönig plante, mit dem Partnerheer des Ernst von Manstein über Thüringen nach Süddeutschland vorzustoßen. In dieser Bedrohungssituation bekam der Kaiser das Angebot des böhmischen Adligen Albrecht Wenzel von Wallenstein, eigentlich von Waldstein, auf eigene Kosten ein Heer von 50.000 Mann zur Verfügung zu stellen. Schon im April 1526 schlug General Wallenstein das Heer von Manstein und verfolgte dessen neuaufgestellte Truppen bis nach Ungarn. Im August brachte das Liga-Heer unter Tilly dem Dänenkönig eine vernichtende Niederlage bei. Ein Jahr später eroberte Wallenstein die norddeutschen Regionen einschließlich des dänischen Jütlands. Im Friedensvertrag von Lübeck musste sich Dänemark vom deutschen Kriegsschauplatz verabschieden.
Ähnlich wie 1623 mit Friedrich von der Pfalz setzte der Kaiser den Herzog von Mecklenburg als Verbündeten des Dänenkönigs ab und übertrug das Herzogtum auf Wallenstein, auch um damit seine Kriegsschulden bei ihm zu bezahlen. Diese reichsrechtlich ungedeckte Machttat Ferdinands sollte verhängnisvolle Folgen haben: Das Misstrauen der Reichsfürsten – auch der katholischen – gegen den Machtzuwachs des militärischen Emporkömmlings Wallenstein wurde so stark, dass der Kaiser den Feldherrn entlassen musste. Zugleich war der Widerstandswille der protestantischen Mächte erneut angefacht.
Aber zunächst plante Kaiser Ferdinand – 1628 auf dem Höhepunkt seiner Macht – das katholische Anliegen seit den Jahren ab 1600 durchzusetzen. Mit dem Restitutionsedikt vom März 1629 sollten alle unrechtmäßigen Inbesitznahmen der Protestanten seit dem Friedensvertrag von 1555 restituiert werden. Das betraf einerseits die sieben norddeutschen Bistümer einschließlich der Erzbistümer Bremen und Magdeburg, des Weiteren etwa 500 säkularisierte Abteien und Klostergüter in Südwestdeutschland. Zum Dritten setzte der Kaiser die nicht durch den Augsburger Reichsfrieden legitimierten calvinistischen Herrschaften vor die Alternative, entweder zum Luthertum zu konvertieren oder aufgelöst zu werden. Ferdinand und sein Hofrat konnten ihre Rechtsinterpretation auf alte Kammergerichtsurteile stützen. Doch dieser formalrechtlichen Auslegung und Exekution durch „kaiserliche Machtvollkommenheit“ haftete der reichsrechtliche Mangel an, dass bei solchen weitreichenden Maßnahmen der Reichstag und das Kammergericht beteiligt sein mussten. Außerdem hatte der Kaiser bei der Entmachtung des pfälzischen Kurfürsten selbst Prinzipien der Reichsverfassung verletzt. Dadurch war seine Rechtsautorität geschwächt. Beschluss und Durchsetzung des Restitutionsedikts wirkten wie der Akt eines absolutistischen Herrschers – eine Machtfülle, die dem Kaiser im Rahmen der Reichsverfassung partout nicht zukam.
Invasion des Schwedenheeres
Auf diesem Hintergrund erschien den bedrängten Protestanten die Landung des schwedischen Königs Gustav Adolf im Sommer 1630 wie der apokalyptische Retter und Heilsbringer. So jedenfalls wollte es eine Flut von protestantischen Flugblättern sehen.
Aber die Kriegstationen und Expansionsrichtung des schwedischen Heeres zeigten eine eher strategisch-politische Kriegsperspektive an: Im ersten Jahr seiner Invasion eroberte Gustav Adolf die deutschen Ostseeregionen, die Schweden später im Westfälischen Frieden als Landbeute dem Reich entriss. In der zweiten Phase durchzogen die inzwischen angewachsenen schwedisch-protestantischen Truppen mitteldeutsche Regionen. In der letzten Kriegsdekade kämpften die schwedischen Feldherren, deren Heer durch französische Subsidien und militärische Schützenhilfe auf zeitweise 140.000 Mann angewachsen war, in Süddeutschland, besonders in Österreich und Böhmen, um die Vorherrschaft. Die Einnahme der habsburgischen Haupt-Städte Prag und Wien war damals zum Greifen nahe. Das machte die Position der Schweden bei den Friedensverhandlungen so stark, dass sie neben der Landbeute von Kaiser und Reich eine Kriegsablösesumme von fünf Millionen Talern verlangten und durchsetzen konnten. Dabei hätten gerechterweise die Schweden als aggressive Invasoren und Zerstörer von schätzungsweise 2.000 Burgen und Schlössern, 18.000 Dörfern und 1.500 Städten hohe Summen von Kriegsentschädigung an das Deutsche Reich zahlen müssen.
Die Schweden führten keinen Religionskrieg. Allein schon der spätere Kriegspakt mit dem katholischen Frankreich sprach dagegen. In dem Kriegsmanifest zur Rechtfertigung seiner Invasion führte Gustav Adolf ein halbes Dutzend Kriegsgründe auf, aber nicht ein Wort zu Religion und Konfession. Neuere historische Analysen zeigen die imperialistischen Motive und Ziele des Schwedenkönigs auf. Der hatte schon die baltischen Küstenregionen erobert und nacheinander die Hafenzölle von Düna, Memel, Weichsel und Oder in seine Kriegskasse umgeleitet, als er bei Rügen landete. Dabei war die Beherrschung der Ostseeküste für den „Rex Gotorum“ – so seine Selbstbezeichnung – nur das Sprungbrett für weitere Großmachtpläne. Gustav Adolf inszenierte sich selbst in Gewändern der gotischen Völkerwanderungskönige. Selbst in einer Rede vor dem deutschen Reichstag verwies er auf die Eroberungszüge der gotischen Ahnen, die nur deshalb nicht ganz Europa erobert hätten, um den Schweden noch etwas zu tun übrig zu lassen. Das Goten-Narrativ bildete seit dem 16. Jahrhundert ein wichtiges Bindemittel für die nationale Identität der Schweden. Für den König war es darüber hinaus die ideologische Rechtfertigung für seine Expansionspläne. In einem multipolaren Europa, in dem die alten Mächte wie Spanien, Frankreich und der deutsche Kaiser mit den neu aufstrebenden Mächten wie England, die Niederlande, Dänemark und Russland um ökonomische Einflussgebiete und politische Vormachtstellungen kämpften, sah der Gotenkönig seine Großmachtpläne als ebenso berechtigt an.
Nach dieser Darstellung von Kriegsabschnitten soll zum Schluss der allgemeinen Frage nachgegangen werden: Was waren die Triebkräfte, die diesen fatalen Zerstörungskrieg über 30 Jahre am Laufen hielten?
1. Landnahme und Gebietsbeute
- Auch für deutsche Fürsten waren Landnahmen wichtige Kriegsziele. So bestand Brandenburg darauf, als Ersatz für das an Schweden gefallene Vorpommern, die widerrechtlich säkularisierten Bistümer Minden, Halberstadt und Magdeburg in Besitz zu nehmen. Hessen-Kassel konnte wegen seiner starken Militärpräsenz bis zum Kriegsende den Zugriff auf das Stift Hersfeld durchsetzen.
2. Strategische Großmachtinteressen
- Die schwedisch-gotischen Großmachtpläne für Mitteleuropa wurden schon beschrieben. Sie sind zu ergänzen und zu bestätigen durch die Einordnung der Invasion nach Deutschland in die elf imperialistischen Kriege Schwedens gegen Russland von 1320 bis 1809. König Gustav Adolf hatte 20 Jahre vor seinem Einfall ins Reich die schwedischen Truppen schon einmal tief in ein fremdes Land geführt – zu einem Eroberungskrieg bis vor die Tore Moskaus. Im Friedensschluss 1617 konnte er die russisch-baltischen Ostseegebiete (Estland, Livland und Ingermanland) vereinnahmen. Das sollte ein Präzedenzfall werden: Die Parallele zu Krieg und Kriegsbeute im deutsch-römischen Reich ist unverkennbar.
Als die Schweden ab 1633 ganz Süddeutschland und den Oberrhein beherrschten, kamen ebenfalls spanische Truppen dem kaiserlichen und bayrischen Heer zu Hilfe. Sie besiegten das schwedisch-protestantische Heer vernichtend bei Nördlingen.
- Diese Niederlage der Schweden bewegte dann allerdings den französischen Kanzler, Kardinal Richelieu, 1635 zum Kriegseintritt, wodurch der Krieg in die letzte und schrecklichste Phase verlängert wurde. Frankreich stand als „allerchristlichster König“ oder als „Haupt der Christenheit“ seit Beginn des 16. Jahrhunderts in Dauerkonkurrenz zum universalistischen Kaisertum der Habsburger. Bereits in den Kriegen zwischen Franz I. gegen Kaiser Karl V. unterstützte der französische König stets die deutschen protestantischen Fürsten. An das Muster dieser Kriegskonstellation knüpfte Heinrich IV. wieder an, als er 1610 ein großes Heer in Nordfrankreich aufstellte mit dem Ziel, nach dem Jülich-Klevischen Erbfolgekrieg die spanischen Niederlande anzugreifen. Auch der Angriff Dänemarks 1625 auf mittelwestliche Fürstentümer erfolgte von Frankreich diplomatisch eingeleitet und finanziell unterstützt. Schließlich förderte der umtriebige Richelieu die antihabsburgische Kriegsallianz zwischen Schweden und Protestanten mit Subsidien, bevor er selbst seine Truppen an der Seite Schwedens auf den deutschen Kriegsschauplatz schickte.
3. Krieg ernährt den Krieg
Eine weitere kriegsfördernde und ‑verlängernde Wirkung ist in dem damaligen, von Wallenstein geprägten Handlungsprinzip auszumachen: Der Krieg ernährt den Krieg. „Die Heeresversorgung wurde aus dem Land requiriert, in dem man gerade stand. Jede neue Eroberung brachte Beute oder Abstandszahlungen der belagerten Städte. Das gesamte System der Kriegsfinanzierung aus Fremd- und Drittmitteln, Brandschatzungen, Requirierungen, Konfiskationen, Kontributionen, Schutzgebühren, Satisfaktionen und Assekuranzen war eine Einnahmequelle, die die Heere vorwärts trieb“ – und den Krieg am Laufen hielt.* Erläuterungen am Beispiel Wallenstein: Der Herzog von Friedland hatte dem Kaiser angeboten, ein ganzes Heer von 24.000 Soldaten auf eigene Kosten bereitzustellen. Er vorfinanzierte die Aufstellung der Armee über das niederländische Bankhaus De Witte. Der Kaiser sollte den Sold übernehmen, was er bei dem späteren 100.000 Mann-Heer gar nicht konnte und seinen Feldherrn deshalb mit dem Herzogtum Mecklenburg entschädigte. Für den Unterhalt der Armee griff Wallenstein auf das System der Naturalienrequirierung von den Bauern zurück, das sich schon vorher durchgesetzt hatte. Neu war, dass er von den Kommunen, Städten und Herrschaften der jeweiligen Kriegsregion selbst festgesetzte „Kontributionen“ in Geld forderte für Soldzahlungen und Ausrüstungen. Dieses steuerartige Finanzierungssystem übernahmen später auch die Schweden. Im Ergebnis waren die Ressourcen der Kriegsregionen durch Naturallieferungen und Kontributionen nach einiger Zeit so ausgepresst, dass sich allein schon aus diesem Grund der Zwang ergab zur Verlagerung und Fortführung des Krieges auf andere Regionen.
Literatur:
Peter C. Hartmann, Florian Schuller (Hg.): Der dreissigjährige Krieg. Facetten einer folgenreichen Epoche, 2010, Sonderausgabe 2018; darin:* Johannes Burkhardt: Warum hat Gustav Adolf in den 30jährigen Krieg eingegriffen?
Bilder: Wikimedia Commons
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Der Dreißigjährige Krieg – Ursachen, Verlauf und Folgen
Teil 1: Kriegstreiber und Triebkräfte zum 30jährigen Krieg