Zum Tod von Prof. Robert Spaemann

Ein Nachruf


Prof. Robert Spaemann ist gestern im Alter von 92 Jahren „friedlich heimgegangen"
Prof. Robert Spaemann ist gestern im Alter von 91 Jahren „friedlich heimgegangen"

Von Andre­as Becker

Gestern nach­mit­tag ist der bekann­te Phi­lo­soph Prof. Robert Spae­mann „fried­lich heim­ge­gan­gen“. Er stand im 92. Lebensjahr. 

1927 wur­de er als Sohn des Kunst­hi­sto­ri­kers Hein­rich Spae­mann und der Tän­ze­rin Ruth Krä­mer in Ber­lin gebo­ren. Der Vater, der in den 20er Jah­ren aus der evan­ge­li­schen Kir­che aus­ge­tre­ten war, ver­kehr­te damals im Umfeld der revi­sio­ni­stisch aus­ge­rich­te­ten Sozia­li­sti­schen Monats­blät­ter, deren Autor er war. Im Alter von drei Jah­ren kon­ver­tier­ten sei­ne Eltern zum katho­li­schen Glau­ben und lie­ßen ihren Sohn tau­fen. Mit neun Jah­ren ver­lor er sei­ne damals erst 32 Jah­re alte Mut­ter, wor­auf sein ver­wit­we­ter Vater dem Ruf zum Prie­ster­tum folg­te. 1942 wur­de er von Bischof Cle­mens August Graf von Galen in Mün­ster in West­fa­len zum Prie­ster geweiht. Robert Spae­mann wur­de damit im Alter von 15 Jah­ren zum „Sohn des Kaplans“, wie die Leu­te in Dor­sten im Mün­ster­land sag­ten. Sein Vater starb 2001 im hohen Alter von fast 98 Jah­ren. Die Eltern sind auf dem klau­strier­ten Fried­hof der Bene­dik­tin­ne­rin­nen­ab­tei Din­kla­ge begraben.

Sein Eltern­haus war reli­gi­ös geprägt. Das immu­ni­sier­te den jun­gen Spae­mann gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus und spä­ter auch gegen den Kom­mu­nis­mus. Das Stun­den­ge­bet der Mön­che, die Eltern hat­ten in einer Bene­dik­ti­ner­ab­tei kon­ver­tiert, war so prä­gend, daß der Gym­na­si­ast selbst eines Tages an der Klo­ster­pfor­te anklopf­te und um Auf­nah­me bat. Der Abt schick­te ihn aller­dings wegen sei­nes jun­gen Alters wie­der weg. Erstaun­li­cher war also, daß er sich spä­ter der Phi­lo­so­phie zuwand­te, denn die, wie er in sei­ner Auto­bio­gra­phie von 2012 selbst schil­dert, spiel­te zu Hau­se eigent­lich weni­ger eine Rol­le. Die rei­che publi­zi­sti­sche Tätig­keit war hin­ge­gen vom Vater vor­weg­ge­nom­men wor­den. Vater und Sohn, jeder in sei­nem Bereich, ver­öf­fent­lich­ten zahl­rei­che Bücher. 

Früh­zei­tig nach Kriegs­en­de lern­te der jun­ge Stu­dent 1947, als er sich für die Ein­heit Deutsch­lands und gegen die Tei­lung durch die Sie­ger­mäch­te enga­gier­te, in Ber­lin (Ost) den „rea­len Sozia­lis­mus“ ken­nen. Das war heil­sam gegen den jugend­li­chen „Idea­lis­mus“, eine mög­li­che Alli­anz von Chri­sten­tum und Sozia­lis­mus zu erträu­men. Das Lenin­bild ver­schwand zu Hau­se wie­der von der Wand.

Robert Spae­mann stu­dier­te Phi­lo­so­phie, Geschich­te, Theo­lo­gie und auch Roma­ni­stik an den Uni­ver­si­tä­ten Mün­ster, Mün­chen, Frei­burg im Ücht­land – wo er die Vor­le­sun­gen noch auf Latein hör­te – und Paris. Bei der Phi­lo­so­phie blieb er gewis­ser­ma­ßen auf dem Weg zur Theo­lo­gie hän­gen. 1952 pro­mo­vier­te er beim Phi­lo­so­phen Joa­chim Rit­ter in Mün­ster über den fran­zö­si­schen Phi­lo­so­phen, Staats­mann und Staats­theo­re­ti­ker Lou­is-Gabri­el-Ambroi­se de Bonald (1754–1840), dem neben Joseph de Maist­re bedeu­tend­sten Vor­den­ker der fran­zö­si­schen Restau­ra­ti­on und der Mon­ar­chi­sten. Der wah­re Sou­ve­rän war für de Bonald weder das Volk noch der abso­lu­te Mon­arch, son­dern die „volon­té géné­ra­le“, also nichts ande­res als der Wil­le des Schöp­fers, der sich im Natur­recht aus­drückt. Sei­ne Dis­ser­ta­ti­on „Ursprung der Sozio­lo­gie aus dem Geist der Restau­ra­ti­on“ war bahn­bre­chend und wäre es immer noch, wür­de sie nicht Hand an die „hei­lig­sten“ Kühe des Zeit­gei­stes legen. Der jun­ge Spae­mann erbrach­te den Nach­weis, daß nicht ein Karl Marx der eigent­li­che Theo­re­ti­ker der moder­nen Gesell­schaft ist, son­dern de Bonald, des­sen Den­ken durch Augu­ste Comte zur eige­nen wis­sen­schaft­li­chen Dis­zi­plin namens Sozio­lo­gie wur­de. Ange­sichts sol­cher Tat­sa­chen blieb die Arbeit sicher­heits­hal­ber unbe­ach­tet und ohne Resonanz. 

Spae­mann war zunächst als Lek­tor im Kohl­ham­mer Ver­lag in Stutt­gart beschäf­tigt, der damals mit den Urban-Taschen­bü­chern gera­de die erste wis­sen­schaft­li­che Taschen­buch-Rei­he auf dem deut­schen Markt gegrün­det hat­te. Nach vier Jah­ren erhielt Spae­mann eine Assi­sten­ten­stel­le an der Uni­ver­si­tät Mün­ster, wo er sich 1962 mit einer Arbeit über den Erz­bi­schof, Päd­ago­gen und Schrift­stel­ler Fran­çois de Sali­gnac de La Mothe-Féne­lon (1651–1715) und den letz­ten theo­lo­gi­schen Streit, der die gan­ze euro­päi­sche Öffent­lich­keit beschäf­tig­te, habi­li­tier­te. Er such­te nach den Grün­den für den Streit und erkann­te, daß durch Des­car­tes Den­ken, das für das auf­stre­ben­de Bür­ger­tum prä­gend wur­de, die Vor­aus­set­zun­gen der bis­he­ri­gen Tra­di­ti­on ver­lo­ren­gin­gen, daß die mensch­li­che Natur über sich hinauszielt. 

Zu jener Zeit gehör­te er zusam­men mit Gün­ter Rohr­mo­ser, Odo Mar­quard, Lud­ger Oeing-Han­hoff, Ernst-Wolf­gang Böcken­för­de und Her­mann Lüb­be zum enge­ren Kreis des Col­le­gi­um Phi­lo­so­phi­cum sei­nes Dok­tor­va­ters Joa­chim Ritter.

Nach sei­ner Habi­li­tie­rung erhielt er den Ruf als ordent­li­cher Pro­fes­sor auf den Lehr­stuhl für Phi­lo­so­phie an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Stutt­gart. 1968 erfolg­te die Beru­fung an die Uni­ver­si­tät Hei­del­berg, wo er aller­dings wegen der Stu­den­ten­un­ru­hen und der feh­len­den Soli­da­ri­tät des Insti­tuts­vor­stan­des weni­ger gute Erfah­run­gen mach­te. So fiel es ihm nicht schwer nach Stutt­gart zurück­zu­keh­ren, ehe er 1972 an die Uni­ver­si­tät Mün­chen wech­sel­te, wie schon zuvor nach Hei­del­berg, ohne sich bewor­ben zu haben. In Mün­chen soll­te er bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung 1992 blei­ben. Nach der Hei­del­ber­ger 68er-Erfah­rung zog er sich nicht zurück, son­dern führ­te sich in der baye­ri­schen Lan­des­haupt­stadt mit dem Auf­satz „Uto­pie der Herr­schafts­frei­heit“ ein. 

Das rei­che publi­zi­sti­sche Schaf­fen Spae­manns wird von ande­rer Sei­te zu wür­di­gen sein. Erwähnt sei nur das Buch „Mora­li­sche Grund­be­grif­fe“, das Rund­funk­vor­trä­ge zusam­men­faß­te und in 14 Spra­chen über­setzt wurde.

Der Phi­lo­soph sperr­te sich nicht wie zahl­rei­che Fach­kol­le­gen in den uni­ver­si­tä­ren Elfen­bein­turm ein, son­dern nahm wie­der­holt und enga­giert an den aktu­el­len ethi­schen und auch poli­ti­schen Dis­kus­sio­nen teil. Das war man von lin­ker Sei­te gewohnt, nicht so sehr aber außer­halb jenes Spek­trums. Spae­mann gehör­te daher zu einer eher sel­te­nen Spe­zi­es, des nicht lin­ken, katho­li­schen Intel­lek­tu­el­len, der nicht nur etwas zu sagen hat­te, son­dern es auch tat­säch­lich sag­te. Im Rück­blick mag es wie eine Iro­nie erschei­nen, daß aus­ge­rech­net ihm in den 50er Jah­ren der Ruf eines „Links­ka­tho­li­ken“ nach­hing, weil er sich gegen die ato­ma­re Auf­rü­stung aus­sprach. Das katho­li­sche Den­ken paßt eben nicht so ein­fach in die Denk­scha­blo­nen par­tei­po­li­ti­scher und ideo­lo­gi­scher Kategorien.

Als Ver­tre­ter des ari­sto­te­li­schen Den­kens ver­tei­dig­te er mit beson­de­rem Nach­druck die immer­wäh­ren­de Aktua­li­tät des Natur­rechts gegen Ver­su­che einer posi­ti­vi­sti­schen Negie­rung. Wie er wie­der­holt beton­te, habe jeder Streit über das Natur­recht kei­ne stich­hal­ti­gen Argu­men­te gegen das­sel­be erbracht, dafür aber sol­che für das Naturrecht. 

In die­sen Kon­text gehör­te sei­ne Beschäf­ti­gung mit den Got­tes­be­wei­sen, mit denen sich die Phi­lo­so­phie zu allen Zei­ten aus­ein­an­der­setz­te. In Anknüp­fung an eine Aus­sa­ge von Fried­rich Nietz­sche: „Ich fürch­te, wir wer­den Gott nicht los, weil wir noch an die Gram­ma­tik glau­ben“, leg­te Spae­mann im hohen Alter von 82 Jah­ren, mit Ver­weis auf das Futur II, selbst einen gram­ma­ti­ka­li­schen „letz­ten Got­tes­be­weis“ vor.

Ein beson­de­res Anlie­gen war ihm der Schutz der Men­schen­wür­de und des mensch­li­chen Lebens, das er von der Zeu­gung bis zum natür­li­chen Tod gegen Abtrei­bung und Eutha­na­sie ver­tei­dig­te. Spae­manns Ver­tei­di­gung ziel­te auf das Grund­sätz­li­che, wonach dem Men­schen auf­grund sei­ner Zuge­hö­rig­keit zur Spe­zi­es Mensch und daher in jedem Augen­blick sei­ner Exi­stenz Per­so­nen­rech­te zukom­men. Er erbrach­te auch den Nach­weis, daß dies in der Auf­klä­rung nicht anders gese­hen wur­de. Eine Posi­ti­on, die dem uti­li­ta­ri­sti­schen Zeit­geist zuwiderlief. 

Papst Johan­nes Paul II. berief ihn zum Mit­glied auf Lebens­zeit der Päpst­li­chen Aka­de­mie für das Leben, wäh­rend ihn Kar­di­nal Joseph Ratz­in­ger /​ Papst Bene­dikt XVI. nicht nur als sei­nen Bera­ter schätz­te, son­dern auch als Freund und Spae­mann eines sei­ner Bücher „in Freund­schaft“ wid­me­te. Es soll­te Papst Fran­zis­kus vor­be­hal­ten sein, Spae­mann wie auch alle ande­ren Aka­de­mie­mit­glie­der, obwohl auf Lebens­zeit ernannt, vor die Tür zu set­zen, um dem Bereich Bio­ethik und den „nicht ver­han­del­ba­ren Grund­sät­zen“ eine Neu­aus­rich­tung mit zwei­deu­ti­gen Posi­tio­nen zu geben.

Auch inner­kirch­lich mel­de­te er sich bis zuletzt zu Wort, um vor dem Welt­ethos-Pro­jekt eines Hans Küng oder in einem sei­ner letz­ten Inter­views vor einer Ver­welt­li­chung der Kir­che durch Anpas­sung an die Welt zu war­nen. Im Herbst 2017 unter­zeich­ne­te er noch zusam­men mit Phi­lo­so­phen aus ganz Euro­pa die „Pari­ser Erklä­rung – Ein Euro­pa wo(ran) wir glau­ben kön­nen“ und im Som­mer 2018 den Appell von katho­li­schen Intel­lek­tu­el­len an Papst Fran­zis­kus, um Nein zum deut­schen Vor­stoß zur Inter­kom­mu­ni­on zu sagen. 

Robert Spae­mann war Trä­ger meh­re­rer Ehren­dok­to­ra­te und wur­de unter ande­rem 2001 mit dem Karl-Jas­pers-Preis der Stadt und der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg ausgezeichnet.

1950 hei­ra­te­te er Cor­de­lia Stei­ner, die 2003 ver­stor­ben ist, mit der er drei Kin­der hat­te, dar­un­ter der bekann­te Psych­ia­ter Chri­sti­an Spae­mann und die Pia­ni­stin Susan­na Spaemann.

Den „letz­ten Got­tes­be­weis“ kennt er nun wirklich.

Requiescat in pace.

Wer sich für das Werk von Prof. Robert Spae­mann inter­es­siert, wird hier fün­dig.

Text: Andre­as Becker
Bild: MiL

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4 Kommentare

  1. Dan­ke für die­sen groß­ar­ti­gen Nachruf.

    Dan­ke, Pro­fes­sor Spae­mann. Vergelt’s Gott.

    R. I. P.

  2. Ein her­vor­ra­gend geschrie­be­ner, kennt­nis­rei­cher Nach­ruf. Herz­li­chen Dank. Requiescat in pace.

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