„Ehe für alle“ und die legislative Anmaßung des Verfassungsgerichtes

Das System der „checks and balances“ droht, aus den Fugen zu geraten


Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zur „Ehe für alle“ wirft grundsätzliche Fragen auf.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zur „Ehe für alle“ wirft grundsätzliche Fragen auf.

Der Drang des Ver­fas­sungs­ge­richts­ho­fes über die eige­nen Zustän­dig­kei­ten hin­aus­zu­grei­fen und sich selbst legis­la­ti­ve Kom­pe­ten­zen anzu­ma­ßen, stellt ein Phä­no­men dar mit teils weit­rei­chen­den Fol­gen, beson­ders im gesell­schafts­po­li­ti­schen Bereich. Ein kon­kre­tes Beispiel:

Anzei­ge

S. g. Frau
Prä­si­dent des Verfassungsgerichtshofs
Dr. Bri­git­te Bierlein
Frey­ung 8
1010 Wien

Wien, den 27. Okto­ber 2018

 

Ein Offener Brief zum Tag der Offenen Tür am Nationalfeiertag – unser gestriges Gespräch

Sehr geehrte Frau Präsident,

am gest­ri­gen Natio­nal­fei­er­tag gaben Sie den Bür­gern beim Tag der Offe­nen Tür Gele­gen­heit, den Ver­fas­sungs­ge­richts­hof zu besich­ti­gen und mit Ihnen ins Gespräch zu kom­men. Für die­se Gele­gen­heit möch­te ich mich zunächst herz­lich bei Ihnen bedanken.

Auch wenn dies unüb­lich sein mag, möch­te ich jedoch die­sen Anlaß nüt­zen, mein Miß­fal­len dar­über aus­zu­drücken, daß der von Ihnen gelei­te­te Gerichts­hof mei­ner Mei­nung nach immer häu­fi­ger sei­ne Kom­pe­ten­zen über­schrei­tet, indem Sie nicht nur Recht spre­chen, son­dern zuneh­mend, sei es de jure oder de fac­to, Recht schaffen.

Für mei­ne Begrif­fe, und bit­te kor­ri­gie­ren Sie mich, sind Rich­ter aus­nahms­los an die erlas­se­nen Geset­ze gebun­den. Sie haben auf den kon­kre­ten Ein­zel­fall, um den es jeweils geht, die bestehen­den Geset­ze anzu­wen­den. Den Rich­tern steht es nicht frei, die Geset­ze als sol­che nach eige­nem Ermes­sen aus­zu­set­zen, zu ändern oder neue zu erlas­sen. Ana­log hier­zu ist doch die Ver­fas­sungs­ge­richts­bar­keit zu sehen. Der histo­ri­sche Gesetz­ge­ber hat die Ver­fas­sung mit einem bestimm­ten Inhalt und einer bestimm­ten Absicht erlas­sen. Bei der Prü­fung, ob nun ein Gesetz, ein behörd­li­cher Akt oder eine rich­ter­li­che Ent­schei­dung ver­fas­sungs­kon­form sei oder nicht, sind Sie nun an genau die­se Ver­fas­sung gebun­den, wie sie histo­risch geschrie­ben und inten­diert ist. Es steht Ihnen nicht frei, die Ver­fas­sung zu ändern, ein­zel­ne Bestim­mun­gen aus­zu­set­zen oder ihnen eine neue Bedeu­tung zu ver­lei­hen. Wenn die Ver­fas­sung oder ein­zel­ne Bestand­tei­le davon ver­än­dert wer­den soll­ten, kommt dies allei­ne dem Gesetz­ge­ber zu, oder dem Volk, das sich in frei­er Abstim­mung eine neue Ver­fas­sung gibt.

Das Bei­spiel um die Dis­kus­si­on über die „Ehe für alle“ zeigt jedoch, daß sich der Ver­fas­sungs­ge­richts­hof häu­fig nicht mit den Ihnen zuge­dach­ten Kom­pe­ten­zen begnügt, son­dern selbst legis­la­tiv (de fac­to) tätig wird. Es steht außer Fra­ge, daß für den histo­ri­schen Gesetz­ge­ber der Gedan­ke an ein ver­fas­sungs­mä­ßi­ges Recht auf eine Ehe zwi­schen zwei Per­so­nen glei­chen Geschlechts gera­de­zu absurd gewe­sen wäre. Auch hat der Gesetz­ge­ber in ver­schie­de­nen die Ehe betref­fen­den Geset­ze und Ver­ord­nun­gen sei­nen ein­deu­ti­gen Wil­len zu die­sem The­ma for­mu­liert. Ver­schie­de­ne öster­rei­chi­sche Lan­des­ver­fas­sun­gen sind hier­in eben­falls klar. Vom mehr­heit­li­chen, gesell­schaft­li­chen Kon­sens ein­mal völ­lig abge­se­hen. Im übri­gen hat auch der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te fest­ge­stellt, daß in der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on unter dem Begriff „Ehe“ aus­schließ­lich die Ver­bin­dung von einem Mann und einer Frau gemeint sei. Und schließ­lich sei noch dar­auf hin­ge­wie­sen, daß es bei der Ehe um natur­recht­li­che Fra­gen geht, die in ihren Grund­sät­zen so wie so der Judi­ka­tur und Legis­la­tur ent­zo­gen sind.

Den­noch maß­te sich der Ver­fas­sungs­ge­richts­hof an, sich über all dies hin­weg­zu­set­zen, weil Ihr Kol­le­gi­um mein­te, daß die Zeit nun „reif“ für die „Ehe für alle“ sei. Sie nut­zen Ihre rich­ter­li­che Kom­pe­tenz also nicht zur strik­ten Anwen­dung der Ver­fas­sung, son­dern als Vehi­kel für Ihre eige­nen poli­ti­schen Ideen, weil Ihnen die gesetz­ge­be­ri­schen Akti­vi­tä­ten hier­zu nicht aus­reich­ten. Tat­säch­lich betrei­ben Sie so ihre eige­ne Gesetz­ge­bung an der Ver­fas­sung vorbei.

Von inhalt­li­chen Fra­gen abge­se­hen, erge­ben sich aus die­ser Kom­pe­tenz­über­schrei­tung drei gra­vie­ren­de Probleme:

  1. Recht, das auf die­se Wei­se, an der ordent­li­chen Gesetz- und Ver­fas­sungs­ge­bung vor­bei, zustan­de kommt, fehlt es an Legi­ti­mi­tät und Glaubwürdigkeit.
  2. Wenn Ver­fas­sungs­rich­ter nun selbst das Gesetz in die Hand neh­men, weil nach ihrem Gut­dün­ken, die Zeit „reif“ dafür sei, wer schützt dann den Bür­ger vor den eigen­mäch­tig han­deln­den Rich­tern? Sie höh­len so die Gewal­ten­tei­lung aus und schaf­fen selbst­er­nannt Recht, ohne daß Sie selbst einer sie kon­trol­lie­ren­den Instanz unter­wor­fen wären. Das System der „checks and balan­ces“ droht, aus den Fugen zu gera­ten. Unter die­sen Vor­aus­set­zun­gen wäre, bei ent­spre­chen­der Beset­zung des Gerichts­hofs, sogar eine Rich­ter­dik­ta­tur denk­bar. Die Geschich­te zeigt doch zu genü­ge, war­um Judi­ka­tur und Legis­la­tur – beson­ders auf höch­ster Ebe­ne – strikt getrennt sein sollten!
  3. Wenn sich der Ver­fas­sungs­ge­richts­hof selbst nicht dem gel­ten­den Gesetz unter­wirft, son­dern es nach eige­nem Gut­dün­ken an sich reißt, mit wel­chem Recht erwar­ten Sie dann von den Bür­gern und den übri­gen Staats­or­ga­nen, daß sie sich aus­nahms­los Ihren Urtei­len beu­gen? Sie erwar­ten, daß der Ver­fas­sungs­ge­richts­hof und sei­ne Erkennt­nis­se respek­tiert wer­den. Des­halb for­de­re ich Sie auf, die Ent­schei­dun­gen der übri­gen Staats­or­ga­ne sowie des Vol­kes, des ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Sou­ve­rains, eben­falls zu respektieren!

Sehr geehr­te Frau Präsident,

ich hof­fe, mit die­sem Brief die Pro­ble­ma­tik, die sich aus der jüng­sten Recht­spre­chung ergibt, ver­deut­licht zu haben. Ich wür­de mich freu­en, wenn die­ser Brief dazu bei­tra­gen kann, eine Dis­kus­si­on über die Rol­le des Ver­fas­sungs­ge­richts­hofs sowie die Inte­gri­tät der Ver­fas­sung als sol­che in Gang zu set­zen. Bit­te sehen Sie die­sen Brief nicht als belang­lo­se Beschwer­de eines Rechts­un­ter­wor­fe­nen an, son­dern als Gele­gen­heit, die eige­ne Rol­le kri­tisch zu hinterfragen.

Mit freund­li­chen Grüßen
Dipl.-Betrw. (DH) Manu­el M. Fey

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