(Rom) Er war ein Rebell, wurde von der Kirche a divinis suspendiert, war Anhänger des radikalsten Kirchenfeindes, bekannte sich als Homosexueller und gründete gemeinsam mit Nichi Vendola, dem kommunistisch-grünen Ministerpräsidenten Apuliens von 2005 bis 2015, die größte Homo-Organisation Italiens. Als ihn alle seine ideologischen „Freunde“ verlassen hatten und er im Alter allein und schwerkrank dastand, nahm ihn Joseph Kardinal Ratzinger wieder auf. Die in vielerlei Hinsicht tragische Geschichte eines verirrten Priesters, die auch eine außergewöhnliche Geschichte der Bekehrung und der Versöhnung ist. Eine jener Geschichten, die Gottes unendliche Barmherzigkeit bezeugen, aber auch die entsetzliche Verwirrung, die Menschen und auch Priester stiften können und den großen Schaden, den sie damit anrichten können. Die Geschichte wird der Rekonstruktion von Pino Suriano folgend nacherzählt.
Vielen, die nichts davon wissen, mag es eine absurde Erfindung sein, doch es ist schlicht und einfach Tatsache: Arcigay wurde von einem Priester gegründet. Ja genau, der einflußreichste und zahlenmäßig bedeutendste LGBT-Verband Italiens geht in seinem Kern auf einen Gottgeweihten zurück, der zudem selbst ein Homosexueller war.
Es geschah in Palermo im Dezember 1980 und der damals fast 60 Jahre alte Priester, der bereits seit einigen Jahren a divinis suspendiert war, hieß Marco Bisceglia, für alle einfach Don Marco. Sein Kampfgefährte und in den folgenden Monaten auch Wohnungsgenosse war ein junger Wehrdienstverweigerer, Nicola Vendola, genannt Nichi, der seinen Zivildienst bei dem der Kommunistischen Partei Italiens (KPI) nahestehenden Sozial- und Kulturverein ARCI ableistete.
In der Biographie des Priesters lassen sich mehrere triefe Brüche erkennen, die auch direkt mit seinem eigenen Lebensstil zusammenhängen. Pino Suriano spricht von den „drei Leben“ des Don Marco.
An der Seite der Kommunisten und Abtreibungsbefürworter
In seinem „ersten Leben“ war Don Marco Bisceglia, linken ideologischen Strömungen seiner Zeit folgend, ein Priester des Kampfes. 1925 im süditalienischen Lukanien geboren, wurde Bisceglia 1963 zum Priester geweiht. Bereits während seines Studiums machte er sich die marxistische Befreiungstheologie zu eigen, vor allem die Lehren des wenig orthodoxen Jesuiten José Maria Diez-Alegria y Gutierrez (1911–2010), der aus seinem Orden hinausgeworfen wurde. Als ihm in seiner Heimatgemeinde Lavello die Herz-Jesu-Kirche als Pfarrei anvertraut wird, will er sofort zum Aktionismus übergehen. Die Verteidigung der Schwachen ist für Don Marco der eigentliche Inhalt der Evangelisierung. Das würde jeder Katholik sofort unterschreiben, wäre da nicht ein Definitionsproblem: Was ist mit „Schwache“ gemeint? Don Marco widersetzt sich allem, was er für ungerecht hält. Sein Hauptgegner ist dabei die katholische Kirche. Sein Kampf gilt dem Zölibat, Immobilieninvestitionen, der „reichen“ Kirche. Don Bisceglia findet immer neue Wege, um sich mit seinem marxistischen Weltbild an der Kirche zu reiben. Er füllt seine Kirche mit den Anhängern der Kommunistischen Partei, die bisher keinen Fuß in die Kirche des „Klassenfeindes“ setzten. Im jungen Priester finden sie einen politischen Kampfgefährten. Die Dorfkirche als metaphysischer Verbündeter des örtlichen Parteikomitees der KPI.
Die Genossen applaudieren begeistert, wann immer Don Marco öffentlich und lautstark seine Opposition zur Kirche betont. Es dauerte nicht lange und die Gegensätze mit seinem Bischof werden immer größer. Nicht nur wegen der politisierenden Ideen des jungen Priesters, sondern auch wegen seines Drangs zu Aktionen. Mit der 68er Revolution wird Don Bisceglia zum Organisator und Mittelpunkt von Arbeiterstreiks. Politischer Kampfformen, die ihn auch mit dem Gesetz in Schwierigkeiten bringen. Am 30. September 1974 wird er nach mehreren Aufforderungen und persönlichen Gesprächen, seine Positionen zu überdenken und seinen Aktivismus zurückzuschrauben, von Bischof Giuseppe Vairo als Pfarrer von Lavello abgesetzt. Der Bischof hatte gute Gründe für seine drastische Entscheidung. Er kam seiner Verantwortung nach, als Oberhirte die Herde vor Verwirrung zu schützen, denn unter ihnen trieb sich im Gewand eines Priesters ein Wolf herum.
Der „revolutionäre“ Weg
Don Marco Bisceglia war an der Seite der Kommunisten zum Klassenkämpfer geworden und an der Seite der Feministinnen zum Abtreibungsbefürworter. Er schloß sich der Radikalen Partei an, einer radikalliberalen, antikatholischen Bewegung und unterstützte deren gesellschaftspolitischen Kampf für die Legalisierung des Mordes an ungeborenen Kindern und für die sexuelle Revolution. Sein Pfarrhaus in Lavello hatte er zum örtlichen Sitz der Volksabstimmungskomitees für die Abtreibung und für die Ehescheidung umfunktioniert. Um seine ideologischen Genossen auch anderswo unterstützen und den Kampf gegen die „imperialistischen“ und „repressiven“ Kräfte wie Staat und Kirche führen zu können, war er immer öfter von seiner Pfarrei abwesend, statt dort seiner priesterlichen Pflicht nachzukommen. Der Bischof schrieb in seinem Absetzungsdekret, daß Don Bisceglia einen „revolutionären“ Weg eingeschlagen hatte, der zu einem „offenen Bruch mit dem Bischof“ führte.
Die Kommunistische Partei ließ ihren Bundesgenossen nicht im Stich. Sie mobilisierte, ohne selbst direkt in Erscheinung zu treten, über ihre offenen und unterirdischen Kanäle die Medienöffentlichkeit. Lavello wurde bald von Reportern und Korrespondenten der wichtigsten Tages- und Wochenzeitungen Italiens und einigen auch von weiter her belagert. Im Ort selbst waren die nicht kommunistischen Gläubigen längst im institutionellen Pfarrbetrieb marginalisiert worden. Die Gefährten scharten sich um „ihren“ Pfarrer und stiegen gegen das Absetzungsdekret des Bischofs auf die Barrikaden. Don Marco und seine roten Schafe besetzten die Kirche. Auf der Kirchenfassade wurde ein Transparent in bestem kommunistischem Kampfstil angebracht: „Die Kirche gehört dem Volk“. Der Pfarrer von Lavello wird zum italienweiten Fall. Die Linke solidarisiert sich umgehend mit dem „Volkspriester“, und sein „Volk“ gegen den Bischof und die „Amtskirche“.
„Erste Homo-Ehe“ in der Geschichte Italiens
Damit aber längst nicht genug. Wenige Tage vor Veröffentlichung des Absetzungsdekrets setzte Don Marco einen Schritt, der noch weit mehr zum Stein des Anstoßes wurde und über den noch Jahre diskutiert werden sollte. Er feierte das, was als „erste Homo-Ehe“ in die Geschichte Italiens eingehen sollte. Eines Tages, natürlich nicht ganz zufällig in Lavello, präsentierten sich zwei Homosexuelle und wollten sich kirchlich trauen lassen. Don Bisceglia war sofort zur Stelle, um die katholische Glaubenslehre und kirchliche Ordnung zu manipulieren und den beiden Männern eine glatte Lüge aufzutischen: „Eure Ehe ist vor Gott bereits ein Sakrament“, erklärte der Priester seine Sicht der Dinge.
Die beiden Männer waren aber in Wirklichkeit gar keine Homosexuellen, sondern die beiden Journalisten Bartolomeo Baldi und Franco Iappelli der konservativen Montagszeitschrift Il Borghese, die Don Bisceglias eigenwillige Haltung gegenüber der katholischen Lehre in großer Aufmachung veröffentlichen. Am 9. Mai 1975 ergreift der Bischof weitere Maßnahmen. Don Marco wird a divinis suspendiert und ihm damit jedwede Ausübung seines Priestertums verboten.
Damit herrscht nach einer langen Phase der Verwirrung Klarheit. Sie führt vor allem zu einer klaren Trennlinie für die katholischen Gläubigen. Für Bisceglia ist eine Entscheidung der von ihm bekämpften Kirchenhierarchie natürlich kein Drama, weshalb alles weitergeht wie zuvor. Er feiert die Heilige Messe und andere Liturgien, spendet die Sakramente und verkündet das Wort Gottes. Natürlich Marke Eigenbau a lá Marco Bisceglia. Die Verbindung mit den Gläubigen wird jedoch schwächer. Die Kommunisten brauchten ihn für ihren Kampf, viele Gläubige waren schon vorher in die Nachbarorte ausgewichen. Nun blieben auch andere weg, immer mehr.
Die erste Zeit nach der „Kirchenbesetzung“ war die Kirche von Lavello randvoll. Der Zeitgeist schien die Segel des abgesetzten Pfarrers aufzublähen. Es sollte ein kurzzeitiges Strohfeuer sein. Die volle Kirche wurde zu einer leeren Kirche. Der Kontrast ist durch Fotos dokumentiert. Das Foto von der letzten von Don Marco in Lavello zelebrierten Messe am 25. April 1978 zeigt ihn vor einer Handvoll alter Frauen, umgeben von einem Cordon Carabinieri und Polizisten. Natürlich wäre Bisceglia nicht Bisceglia, hätte er selbst für diesen letzten Akt als „Pfarrer“ nicht einen politischen Akt gewählt. Der 25. April ist der linke Feiertag schlechthin in Italien. An diesem Tag wird vor dem Hintergrund einer verklärt-verzerrten Geschichtssicht die „Befreiung Italiens vom Nazifaschismus“ begangen. Eine Veranstaltung, die von den roten Partisanen erfolgreich usurpiert wurde.
Ein Priester als Kandidat der kirchenfeindlichsten Partei
Don Marco stand nun alleine da, ohne Arbeit, ohne erkennbare Zukunft und vor allem mit einem völlig zerrütteten Verhältnis zur katholischen Kirche. Ein „Arbeitsloser“ auf der Suche nach einer neuen Heimat. Der Sprung über den eigenen Schatten gelingt ihm nicht. Er macht weiterhin von sich reden. Das scheint ihm wichtig. Er will die Welt verändern. Nach seinem Kopf. Am 3. Juni 1979 finden Parlamentswahlen statt. Die Tötung ungeborener Kinder war gerade im Vorjahr zum Gesetz erhoben worden. Wenige Monate vor dem Wahltag meldet sich Marco Pannella, der alte Kampfgefährte für freien Sex und die feministische Emanzipation, dem bis heute nicht aufgelösten Gegensatzpaar, für das seit Jahrzehnten zu Lasten der Frauen Vereinbarkeit vorgetäuscht wird. Pannella bietet dem eindeutig unterbeschäftigten Ex-Pfarrer ein neues Betätigungsfeld an. Bisceglia soll für die Radikale Partei kandidieren. Don Marco willigt ein. Für Pannella ein euphorisch gefeierter Triumph: ein katholischer Priester als Kandidat auf der Liste der kirchenfeindlichsten Partei. „Wenn man frei sein will, muß man zwangsläufig häretisch sein. Persönlich kann ich nicht anders, als einer der ihren zu sein“, mit diesen Worten rechtfertigte Bisceglia seine Kandidatur für die Radikalen. Sein Name auf der Liste sorgt für Diskussionsstoff und verschafft der Liste Medienaufmerksamkeit. Für Don Marco reichen die Vorzugsstimmen aber nicht aus, um den Sprung ins Parlament zu schaffen. Wie bereits zuvor für die Kommunisten, war Bisceglia als Priester nun für die Radikalen zwar ein willkommenes Aushängeschild für deren politischen Kampf, mehr aber auch nicht.
In jenen Monaten, als der suspendierte Priester für die Radikalen aktiv war, begegnet er in Rom Enrico Menduni, der von 1978 bis 1983 ARCI-Vorsitzender war, des „Klassikers“ unter den linken Kulurvereinen Italiens. Menduni bietet Bisceglia an, sich um den organisatorischen Teil der Abteilung Bürgerrechte zu kümmern. Das kann als „Geburtsstunde“ für die LGBT-Organisation ArciGay bezeichnet werden. Und die Idee für die Organisation samt „Copyright“ lag bei Marco Bisceglia. Die offizielle Gründung erfolgte erst 1985, aber auf der Seite von ArciGay kann man lesen:
„Die erste Gruppe von Arci-Gay entstand auf informeller Basis am 9. Dezember 1980 in Palermo aufgrund einer Idee von Don Marco Bisceglia, katholischer Priester des Widerspruchs.“
Bereits seit Jahren hatte sich Bisceglia in homosexuellen Kreisen herumgetrieben. Als 1982 mit einem Artikel des Wochenmagazins Europeo über seine Homosexualität geschrieben wurde, klang das, als wüßten ohnehin alle davon. Der Zusammenhang zwischen seiner sexuellen, politischen und antikatholischen Verwirrung wurde damit für viele Beobachter offensichtlich.
Zusammenleben mit Nichi Vendola
„Es gibt die homosexuellen Priester, aber nur einer hat sich öffentlich erklärt“, schrieb der Europeo. Und dieser eine war Marco Bisceglia. Auf jene Zeit der 80er Jahre geht die Freundschaft und das Zusammenleben mit Nichi Vendola zurück, der Don Marco immer wieder als „Lehrmeister“ bezeichnete. Für einige Monate leben die beiden in Monte Porzio Catone im Haus von Bisceglia. 2005 wurde Vendola, Mitglied einer altkommunistischen Partei, an der Spitze eines Linksbündnissen zum Regierungschef von Apulien gewählt.
Mit der ARCI gibt es seit einiger Zeit Schwierigkeiten, und der Ex-Pfarrer und Ex-Priester wie es damals hieß, trennt sich still und leise von dem linken Vorzeigeverein, oder dieser trennte sich vom ehemaligen Pfarrer. Zu einem offenen Bruch kam es nicht. Die genauen Gründe der Distanzierung lassen sich nicht mehr genau rekonstruieren. Während also seine Erfindung ArciGay flügge wurde, wurde es um den Ideengeber still. So still, daß sich die Spuren Bisceglias verlieren. Die Jahre, als ihm die Journalisten hinterherliefen, waren vorbei. Nun interessierte sich keiner mehr dafür, was aus ihm geworden war.
Wenn man es inzwischen doch weiß, dann, weil Rocco Pezzano sich auf die Spurensuche machte. 1987 war Bisceglia schon weit weg von ArciGay. Aus seinen Briefen ist zu entnehmen, daß er sich noch in Monte Porzio Catone aufhielt, wo er sich einen jungen Homosexuellen namens Dadì einquartiert hatte, der im Zuge der neuen Masseneinwanderung nach Westeuropa aus Algerien nach Italien gelangt war. Pino Suriano interpretiert die Korrespondenz Bisceglias mit Freunden als eine neue Phase in seinem Leben. Eine neue „Befreiung“, die er nicht mehr im Kampf und in einer Organisation sucht, sondern in der zwischenmenschlichen Nähe und in Freundschaften.
AIDS und ein neues Leben
In der ersten Hälfte der 90er Jahre klingelt eines Tages das Telefon in der Pfarrei San Cleto in Rom. An einem Ende der Leitung ist Pater Paolo Bosetti, der Pfarrer der römischen Vorstadtpfarrei. Am anderen Ende Msgr. Luigi Di Liegro, der Gründer der Diözesancaritas von Rom. Der Monsignore bittet den Pfarrer, einen Priester aufzunehmen, der eine „schwere Last“ mitbringt: AIDS. „Was sollen wir tun?“, fragte der Pfarrrer. „Tun Sie ihm einfach nur Gutes“ antwortete der Monsignore. So sollte es geschehen. Don Marco von seinen politischen Kämpfen ausgelaugt und seinen sexuellen Eskapaden ausgesaugt, hatte sich selbst schneller an die Endstation gebracht, als er dachte. Nun beginnt ein neues Leben für Don Bisceglia, das er mit den Priestern der Congregatio Iesu Sacerdotis führt, die diese soeben erst neuerrichtete Pfarrei in Rom betreuen. Wenig Worte, viel Freizeit, keine Verpflichtungen in der Pfarrei.
Die Tage vergehen langsam, aber es ist ein Neubeginn. Der Tag bewegt sich nach Jahrzehnten wieder in geordneten Bahnen, mit Laudes, Heiliger Messe und festen Essenszeiten. Bisceglia beginnt sich mit grundlegenden Fragen zu befassen, angefangen bei der Frage, was eigentlich das Priestertum ist und was es ausmacht. Er liest zum ersten Mal das Konzilsdekret Presbyterorum Ordinis. Dann auch Optatam Totius für die Priesterausbildung. Er liest täglich in der Heiligen Schrift. Und er liest sie nun mit anderen Augen. Er stellt sich selbst in Frage, als Mensch und als Priester. Seine Vergangenheit ist allen bekannt. Er spricht nicht darüber. Nur einmal sagte er zu Pater Paolo nichts verleugnen, aber sich von seiner Vergangenheit distanzieren zu wollen.
Bittgesuch an Joseph Kardinal Ratzinger
Sein Leben an der Seite anderer Priester läßt in ihm den Wunsch wachsen, wieder die Heilige Messe zu zelebrieren. Seit seiner Kirchenstrafe sind 19 Jahre vergangen, seit er zum letzten Mal unrechtmäßig zelebriert hatte, waren elf Jahre vergangen. Irgendwann hatte er damit aufgehört. Der innere Widerspruch war zu groß geworden.
Die Priester beraten darüber. Sie wollen ausschließen, daß es sich nur um eine momentane Laune handelt. Die Frage wird daher vertieft. Die Suspendierung a divinis steht ohnehin im Wege. Nach einer längeren Zeit wird der Kardinalvikar von Rom, Ugo Poletti informiert, der damals Papst Johannes Paul II. als Bischof von Rom vertrat. Die Antwort lautet: Es müsse eine entsprechende Bitte vorliegen. Don Marco greift zu Papier und Füllfeder und formuliert ein Bittgesuch, das an den Präfekten der Glaubenskongregation zu richten ist. Das ist damals Joseph Kardinal Ratzinger, lange Jahre das Feindbild schlechthin für den rosa-tiefroten militanten Aktivisten Bisceglia.
Schließlich kommt die Antwort: Die Suspendierung a divinis ist aufgehoben. Wenige Tage später schreibt Don Marco seiner Schwester Anita:
„Ich bin mir meiner Unwürdigkeit bewußt, so wie ich fest und zuversichtlich auf die Vergebung Gottes und seine reinigende und erneuernde Aktion hoffe. Ich hoffe mit Seiner Hilfe meine Fehler und Abirrungen wiedergutmachen zu können“.
Diesen Brief schickte er aus Loreto ab. Pater Bosetti erinnert sich:
„Wenn man wieder mit Zelebration der Eucharistie beginnt, die der Leib Christi ist, kann man dies nicht ohne Versöhnung tun“.
Am Tag der „ersten“ Messe, die Don Marco wieder zelebrieren darf, reist eine Delegation aus der Heimatdiözese des Priesters an, angeführt von Bischof Vincenzo Cozzi. Eine Delegation jener Ortskirche, gegen die Don Marco rebelliert, und der er sich widersetzt hatte. Bevor Don Marco wieder die Heilige Messe zelebriert, „der schönste Tag“ seines Lebens, wie er sagen sollte, umarmt ihn der Bischof. Ein Tag, der zum sichtbaren Beweis dafür wird, daß keine Vergangenheit über die Gegenwart siegen kann, daß Konflikte, Abirrungen und Vorbehalte reale Fakten sind, aber nicht überwiegen. Denn wo Reue und Vergebung sind, herrscht Versöhnung.
„Ich war tot und bin zu neuem Leben erstanden“
Die letzten Jahre seines irdischen Lebens waren hart, aber intensiv. Das Leben eines AIDS-Kranken ist hürdenreich, zahlreiche Visiten, viele Einlieferungen ins Krankenhaus. Don Marco erlebt diese Zeit jedoch in „innerer Ruhe“, wie Weggefährten dieses letzten Lebensabschnitts berichten. Eine Ruhe, die zur Stärkung für andere Kranke wird. Vittorio Fratini sollte Don Marco fragen, woher er diese Freude nehme. Die Antwort sollte sich ihm tief einprägen:
„Erinnere Dich, ich war tot und bin zu neuem Leben erstanden“.
Don Marco Bisceglia stirbt am 22. Juli 2001. Es ist ein Tag, der in Italiens Geschichte als „Kampftag“ eingehen sollte. Die politische Linke mobilisierte zu Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua, der durch linksextreme Gruppen in gewalttätige Aktionen ausartet. An diesem Tag, an dem seine einstigen Kampfgenossen ihren Kampf fortsetzten, stirbt Don Bisceglia, weit fern von diesem Kampf, der nicht mehr der seine war, versöhnt mit Gott und mit der Kirche. Er wurde im Friedhof von Lavello beigesetzt, im Priestergrab.
Text: Giuseppe Nardi
Bilder: Tempi/Wikicommons/Wikipink (Screenshots)