(New York) Wegen des Jahrhunderturteils, mit dem der Oberste Gerichtshof der USA das Schandurteil Roe gegen Wade von 1973 kippte, sind die politische Linke und die Abtreibungslobby wutentbrannt. Zornige Kommentare und ein einseitiger Zungenschlag prägen die Berichterstattung der Mainstream-Medien auch im deutschen Sprachraum. Gestern berichtete die New York Times auch von einem „Sieg der konservativen Christen“ und darüber, in dem Urteil auch eine „geistliche“ Dimension zu erkennen.
Die Abtreibungsfrage ist in der Tat ein brutaler und gnadenloser Lackmustest. Brutal, weil jede Abtreibung die Tötung eines unschuldigen Menschen bedeutet; gnadenlos, weil diese Grausamkeit durch die öffentliche Diskussion aufgedeckt wird und ihre Befürworter enttarnt.
Für Elizabeth Dias von der New York Times, dem Mainstream-Flaggschiff schlechthin, ist das Jahrhunderturteil vom vergangenen Freitag ein „Sieg für konservative Christen“, die darin auch einen „geistlichen Sieg“ erkennen.
Sie berichtet, daß bei der Mittagsmesse in der St. Patrick’s Cathedral in New York Gläubige und Priester in Begeisterungsstürmen ihre Freude darüber zum Ausdruck brachten, als sie von dem kurz zuvor ergangenen Urteil des Höchstgerichts erfuhren.
Allerdings irrt Dias, wenn sie das Szenario in linke Schablonen pressen will. Mit der Etikettierung „konservative Christen“ nimmt sie nicht nur eine politische Einordnung vor, sondern bedient Feindbilder. Und sie liegt damit falsch.
Bei Organisationen wie Catholics for Choice, die von Abtreibungslobbyisten finanziert wird, handelt es sich um einen Betrug. Die Rede ist nicht von den schwangeren Frauen, sondern von lebensfeindlichen Kräften. Für die Kirche herrscht in diesem Punkt Klarheit. Wer durch eigene Mitwirkung oder Unterstützung willentlich die Tötung eines unschuldigen Menschen durch Abtreibung fördert, schließt sich selbst aus der Gemeinschaft der Kirche aus. Das ist der Grund für die in den USA so hartnäckig geführte Diskussion über den Kommunionempfang durch Abtreibungspolitiker.
Die Aufhebung des infamen Urteils Roe gegen Wade von 1973 ist ein Sieg für das Leben. Sie ist ein Sieg für alle Christen, nicht nur „konservativer“. Darin offenbart sich eine tiefere Wahrheit, die mit der Wahrheitsfrage selbst zu tun hat.
Auf der Ebene der Religionen vertritt allein das Christentum eine konsequente Heiligkeit des Lebens. An der Abtreibungsfrage läßt sich daher nachvollziehen, wer wie weit diesen elementaren Test besteht – im Vergleich zwischen den Religionen, im Vergleich der christlichen Konfessionen und natürlich als Frage an jeden einzelnen selbst. Dabei geht es nicht um irgendeine Form von Triumphalismus, wie ihn Dias unterschwellig suggeriert. Darin ist vielmehr eine Wahrheitsfrage zu erkennen.
Das Urteil wurde jahrzehntelang erhofft
Dias weist darauf hin, daß „viele gläubige Abtreibungsgegner jahrzehntelang“ darauf gehofft und „hingearbeitet“ haben, daß das Urteil Roe gegen Wade gekippt wird, weswegen in den USA 60 Millionen Menschen sterben mußten. Dias zitiert dazu Erzbischof William E. Lori von Baltimore:
„Es ist ein Moment der Dankbarkeit gegenüber dem Herrn und der Dankbarkeit gegenüber so vielen Menschen, die so hart für diesen Tag gearbeitet und gebetet haben.“
Erzbischof Lori ist der Vorsitzende des Pro-Life-Komitees der Amerikanischen Bischofskonferenz.
Fast 50 Jahre, so Dias, sind „konservative Christen marschiert, haben Strategien entwickelt und gebetet. Dias schildert:
„Und dann, an einem zufälligen Freitagmorgen im Juni, kam endlich der Tag, von dem sie geträumt hatten.“
Und weiter:
„Die Abschaffung des verfassungsmäßigen Rechts auf Abtreibung durch die Aufhebung des Urteils Roe v. Wade war das Ergebnis einer jahrzehntelangen Kampagne; sie ist der Höhepunkt gemeinsamer Mahlzeiten in Kirchenturnhallen und Gebete im Oval Office. Es war der Moment, von dem sie lange geträumt hatten, ein Ergebnis, das viele nicht für möglich hielten, das Zeichen für ein neues Amerika.“
Die New York Times ist positioniert. Ein „verfassungsmäßiges Recht auf Abtreibung“ gibt es natürlich nicht, weil die Tötung eines unschuldigen Menschen nie und unter keinen Umständen rechtens, schon gar nicht mit einer Verfassung vereinbar sein kann. Nie gilt der eiserne Grundsatz eindeutiger, daß ein Unrecht nie zum Recht werden kann.
„Wenn man das Gegenteil von Leben wählt, wählt man das Gegenteil von Liebe“
In der Tat ist das Jahrhunderturteil vom vergangenen Freitag ein „Zeichen für ein neues Amerika“. Der 24. Juni 2022 ist ein Tag, an dem Geschichte geschrieben und die Tür zu einem neuen Amerika aufgestoßen wurde. Den Moment zu nützen und tatsächlich ein besseres Amerika zu bauen, das ist die Herausforderung, an der viele mitwirken müssen. Auch für Europa werden die positiven Folgen dieser Entscheidung nicht ausbleiben, obwohl auf dem alten Kontinent, der in der Lebensfrage wirklich alt aussieht, alles getan wird, um die Unkultur des Todes mit Stacheldraht und Panzersperren abzusichern. Die fanatischen Abtreibungsverfechter, die das Töten ungeborener Kinder zum unreflektierten und nicht zu hinterfragenden Dogma erhoben haben, würden den Rechtsstaat am liebsten dazu mißbrauchen, um Selbstschußanlagen um die Abtreibung zu installieren. Die Rechnung wird nicht aufgehen, denn der Fluch der bösen Tat besteht auch darin, daß sich das Böse immerfort selbst zerstört.
Dias nennt die geistliche Dimension, die Lebensrechtler erwähnen. Auch Erzbischof Lori macht darauf aufmerksam, indem er auf das Herz-Jesu-Fest verweist, an dem das höchstrichterliche Urteil für das Leben gefällt wurde. Dias schreibt:
„Sogar der Zeitpunkt der Entscheidung hatte geistliche Untertöne, denn sie fiel auf den Tag, an dem die Katholiken das Herz-Jesu-Fest zu Ehren der Liebe Jesu für die Welt feiern. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gebe den Menschen ‚die Möglichkeit, unsere Herzen in Liebe zu erweitern‘ für Menschen in allen Lebensphasen, von der Zeugung bis zum natürlichen Tod’, sagte Lori.“
Enrique Salvo, der neue Rektor der katholischen Kathedrale von New York, wird von der New York Times mit den Worten zitiert:
„Wenn man das Gegenteil von Leben wählt, wählt man das Gegenteil von Liebe. Und wir müssen immer die Liebe wählen.“
Der Wendepunkt für die Vereinigten Staaten war „einfach ein phänomenales Werk des Herrn“, sagt Margaret H. Hartshorn, Vorsitzende von Heartbeat International, einem Netzwerk von Lebensrechtszentren. Die New York Times fragte Hartshorn, wie weit die Lebensrechtsbewegung seit jenem 22. Januar 1973, als der Oberste Gerichtshof das unsägliche Urteil Roe gegen Wade fällte, gekommen ist und wie weit sie noch gehen kann.
„Ich glaube, daß Gott dies nutzen wird, um uns zu helfen, eine größere Kultur des Lebens aufzubauen, daß in 50 Jahren keine Frau mehr eine Abtreibung in Betracht ziehen wird.“
Bart Barber, der neue Vorsitzende der Southern Baptist Convention, sagte zum neuen Urteil, mit dem das jenes von 1973 kassiert wurde:
„Aufgrund der Freude, die ich empfinde, wenn ich sehe, wie meine Söhne erwachsen werden und etwas bewirken, kann ich nicht anders, als mich für all die anderen Babys zu freuen, die jetzt auch diese Möglichkeit haben werden.“
Zugleich erwähnte Barber aber auch den „enormen Verlust an Kinderleben“, der durch Roe gegen Wade in den vergangenen 50 Jahren verursacht wurde und der noch nicht zu Ende ist:
„In vielen Staaten ist die Abtreibung immer noch legal, und wir haben noch viel Arbeit vor uns, um Gerechtigkeit und Schutz für die ungeborenen Kinder in diesen Ländern zu erreichen.“
Penny Nance, Vorsitzende von Concerned Women for America, die, wie auch andere Lebensrechtsbewegungen, darunter Students for Life, seit ein Entwurf für das Urteil vom vergangenen Freitag vor einigen Wochen bekannt wurde, regelmäßig vor dem Obersten Gerichtshof dafür gebetet hat, sagte:
„Ein schwerer Fehler wurde korrigiert. Ich empfinde eine unglaubliche und tiefe Dankbarkeit, vor allem Gott gegenüber, daß ich diesen Moment erleben darf.“
John Seago, der Direktor von Texas Right to Life, spricht von einem „phänomenalen Moment für die Pro-Life-Bewegung, die seit 50 Jahren auf diese Entscheidung hingearbeitet hat“.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Studentsforlife.org (Screenshot)