Stalin: 800.000 Hinrichtungen in knapp 16 Monaten


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Zerstörung der Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau unter Stalin 1931

„Die Mas­sa­ker des ‚Gro­ßen Ter­rors‘ von Sta­lin in den Jah­ren 1937/​1938 stell­ten viel­leicht nicht im tech­ni­schen Sinn einen Geno­zid dar, zumin­dest nach der restrik­ti­ven Defi­ni­ti­on, die die­sem Begriff unter dem Druck der Sowjet­uni­on von der UNO gege­ben wur­de. Man kann aber wahr­schein­lich sagen, daß es eine geno­zid­haf­te Akti­on gab, zumin­dest gegen den Kle­rus.“ Die­se Fest­stel­lung trifft Nico­las Werth in sei­nem 2009 ver­öf­fent­lich­ten Buch L’I­v­ro­gne et la mar­chan­de de fleurs: Aut­op­sie d’un meurt­re de mas­se, das 2011 in einer ita­lie­ni­schen, aber noch nicht in einer deut­schen Aus­ga­be erschie­nen ist.

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Der fran­zö­si­sche Histo­ri­ker Nico­las Werth gilt inter­na­tio­nal als einer der besten Ken­ner der Geschich­te der Sowjet­uni­on und der dort aus­ge­üb­ten poli­ti­schen Gewalt. Werth, des­sen deutsch­stäm­mi­ge Groß­el­tern vor der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on nach Eng­land geflo­hen sind, ver­wer­te­te für sein Buch eine gro­ße Men­ge bis­her unver­öf­fent­lich­ter Doku­men­te aus sowje­ti­schen Archiven.

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Nico­las Werth: Sta­lin ließ 90 Pro­zent der Prie­ster ver­haf­ten und hinrichten

„In kaum 16 Mona­ten wur­den ein­ein­halb Mil­lio­nen Men­schen ver­haf­tet und fan­den unge­fähr 800.000 Hin­rich­tun­gen statt. Es han­del­te sich um einen wah­ren Pro­zeß von ‚pro­phy­lak­ti­scher Säu­be­rung‘ der gesam­ten Gesell­schaft, nicht nur bestimm­ter Eli­ten. Das war der radi­ka­le Höhe­punkt einer gan­zen Rei­he von Maß­nah­men, die bereits seit der Zeit Lenins ergrif­fen wor­den waren. Die sowje­ti­sche Welt soll­te von jed­we­dem wirk­li­chen oder poten­ti­el­len Geg­ner der ein­zig zuge­las­se­nen Mei­nung und der neu­en inte­grier­ten Gesell­schaft gerei­nigt werden.“

Werth weist nach, daß Sta­lin direkt für die­sen Geno­zid ver­ant­wort­lich ist, und wer sich vor allem im Faden­kreuz des kom­mu­ni­sti­schen Dik­ta­tors befand. „An erster Stel­le der Kle­rus. 90 Pro­zent der Prie­ster wur­den ver­haf­tet und hin­ge­rich­tet. Dann sind die ehe­ma­li­gen Mit­glie­der der revo­lu­tio­nä­ren Sozia­li­sten, die Trotz­ki­sten, als wich­tig­ste Kon­kur­ren­ten der Bol­sche­wi­sten zu nen­nen.“ Opfer wur­den syste­ma­tisch auch gemei­ne Kri­mi­nel­le, Obdach­lo­se und sozi­al Aus­ge­grenz­te, die Eli­ten des Zaren­rei­ches, die frei­en Bau­ern und die Polen. „Sta­lin schaff­te es, alle die­se Grup­pen als poten­ti­el­le Mit­glie­der einer ‚fünf­ten Kolon­ne‘ von Fein­den, Spio­nen und Auf­müp­fi­gen darzustellen.“

Zum Geno­zid am Kle­rus stell­te Werth in einem Inter­view mit der katho­li­schen Tages­zei­tung Avve­ni­re fest: „Ver­schie­de­ne Doku­men­te bewei­sen den ent­schlos­se­nen Wil­len, ein für alle­mal Schluß zu machen mit dem Kle­rus. Auch des­halb ist es gera­de­zu para­dox, daß Sta­lin in den unmit­tel­bar dar­auf fol­gen­den Jah­ren des Zwei­ten Welt­krie­ges, des ‚Vater­län­di­schen Krie­ges‘ der Pro­pa­gan­da, ver­su­chen wird, die ver­blei­ben­den 10 Pro­zent des Kle­rus zu instru­men­ta­li­sie­ren und in sei­ne Ein­fluß­sphä­re zu zie­hen. Der Dik­ta­tor wur­de vom Ergeb­nis der Volks­zäh­lung von 1937 sehr beein­druckt, bei der sich noch 57 Pro­zent der Bevöl­ke­rung als gläu­big erklär­te. Man kann wahr­schein­lich nicht sagen, daß die Kir­che eine direk­te Gefahr für das Regime dar­stell­te. Sta­lin aber nahm sie mehr denn je als letz­te orga­ni­sier­te, noch nicht vom Regime kon­trol­lier­te Insti­tu­ti­on wahr.“

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommons

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