(Rom) Keine glänzende Figur macht derzeit der Präfekt des vatikanischen Kommunikationssekretariats, Msgr. Dario Edoardo Viganò. Er läßt dabei auch den Vatikan nicht gut aussehen. Was als Extra-Zugabe gedacht war, um besonders euphorisch fünf Jahre Papst Franziskus zu feiern, wurde zum peinlichen Eigentor.
Alles begann mit der Idee Viganòs, Papst Franziskus zu dessen fünftem Thronjubiläum mit einem besonderen Geschenk zu beehren. Wahrscheinlich dachte er sogar, strategisch besonders gewieft zu handeln. Benedikt XVI. sollte für den Jubilar mobilisiert werden, was nicht nur der Kontinuitätsthese zwischen den beiden Pontifikaten neuen Auftrieb geben sollte, sondern vor allem der anschwellenden Kritik an der Amtsführung von Franziskus entgegenwirken. Es ist bekannt, daß einige Teil der katholischen Kirche, auch im Vatikan, insgeheim Benedikt XVI. als legitimen Papst ansehen. Noch größer ist die Schar jener Katholiken, die sich lieber heute als morgen ein Ende des derzeitigen Pontifikats wünschen würden.
Msgr. Viganò, von Franziskus zum Kommunikationschef des Vatikans gemacht, dachte also gleich mehrere Fliegen mit einem Streich zu schlagen. Er meinte es so gut, daß er den Bogen überspannte, und dabei ertappt wurde.
Benedikt XVI. kam offenbar selbst nicht auf den Gedanken, dem regierenden Papst eine schriftliche Huldigungsnote zukommen zu lassen. So wurde etwas nachgeholfen.
Msgr. Viganò ließ eine vollständige Ausgabe samt Schuber von elf Kleinschriften über „die Theologie von Papst Franziskus“ in das Kloster Mater Ecclesiae bringen und übermittelte dazu dem gewesen Kirchenoberhaupt am 12. Januar ein freundliches Schreiben.
Was genau Viganò darin geschrieben hat, ist nicht bekannt. Offenbar war aber eine Bitte um eine Stellungnahme zur Schriftenreihe enthalten. Es war klar, daß sich Benedikt XVI. allein schon aus Höflichkeitsgründen einer solchen Bitte nicht entziehen konnte, da sich die Publikation auf das regierende Kirchenoberhaupt bezieht.
Der zurückgehaltene Brief als Propagandainstrument
Benedikt XVI. antwortete am 7. Februar 2018. Msgr. Viganò hielt die Antwort aber zurück, um den Vorgänger als Kronzeugen für die besondere Qualität des Pontifikats von Franziskus ins Feld zu führen.
Am Abend des 12. März, einen Tag vor dem Jahrestag der Wahl, ging Viganò mit dem Brief an die Öffentlichkeit. Anlaß war die Vorstellung der elfbändigen Schriftenreihe. Doch war mehr geplant. Die Medienmaschine sprang sofort an. Die von ihm verantwortete, neue vatikanische Nachrichtenplattform Vatican News verbreitete den Brief international gleich in mehreren Sprachen.
Das Echo war enorm. Die papstnahen Vatikanisten trugen wie „Revolutionswächter“ (Nuova Bussola Quotidiana) die Nachricht in Windeseile in alle Welt hinaus. Wer mehr, so die Sprachregelung, als Benedikt XVI. könne dem regierenden Papst ein Zeugnis der theologischen und philosophischen Größe ausstellen? Der Brief Benedikts wurde wie eine Gratulation und eine Huldigung verbreitet, oder mehr noch wie ein Zeugnis, das Benedikt seinem Nachfolger ausstellte. Note: ausgezeichnet.
Mit triumphierendem Tonfall reagierten engste Vertraute von Papst Franziskus, darunter Antonio Spadaro, der Chefredakteur der römischen Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica. Der über Twitter frohlockte und dabei nicht darauf vergaß, den Kardinälen der Dubia gleich einen weiteren Seitenhieb zu verpassen, über die er sich lustig machte.
Der Rom-Korrespondent von Reuters, Philip Pullella twitterte erfreut:
„Am fünften Jahrestag der Wahl von Franziskus attackiert sein Vorgänger Benedikt XVI. ‚dumme Vorurteile‘ der Konservativen“.
Nicht gesagt, aber deutlich gemeint wurde damit, daß Franziskus-Kritiker nun endlich den Mund zu halten hätten. Benedikt XVI. selbst habe ihnen den Mund gestopft. Kardinal Kasper hatte es schon einige Tage zuvor formuliert: Es solle endlich Schluß sein mit „haltlosen“ Häresie-Vorwürfen gegen Franziskus.
Unter den größer werdenden Kirchenkreise, die das aktuelle Pontifikat für eine mehr oder weniger große „Katastrophe“ halten, machte sich Verwunderung und Enttäuschung breit. Erhebliche Teile von ihnen blicken, von Franziskus’ Agenda getrieben, wehmütig Richtung Mater Ecclesiae. Von dort und nicht von Santa Marta erhoffen sie Orientierung. Fragen traten auf: War eine solche Huldigung durch Benedikt XVI. wirklich nötig? Hätte er sich nicht in Zurückhaltung üben können, da er sich bewußt sein mußte, daß sein Brief veröffentlicht würde?
Zur Erklärung dieser „Parteinahme“ von Benedikt XVI. wurde sogleich allerlei spekuliert. War das Schreiben überhaupt echt? Einige Stellen ließen Zweifel aufkommen.
Magister enthüllt den vollständigen Brief
Der Vatikanist Sandro Magister veröffentlichte am 13. März den vollständigen Benedikt-Brief an Viganò und konnte Interessantes enthüllen. Zuallererst, daß das Schreiben ein bloßes Höflichkeitsschrieben an den Kommunikationschef des Vatikans war, aber in keinem Zusammenhang mit dem Jahrestag der Thronbesteigung steht. Schon gar nicht wollte Benedikt XVI. irgendeine Beurteilung des bisherigen Pontifikats seines Nachfolgers vornehmen.
Zudem enthüllte Magister, daß Msgr. Viganò einige Teile des Schreibens nicht veröffentlicht hatte. Diese Auslassungen veränderten den ganzen Inhalt. Magister konnte daher die angebliche „Huldigungsnote“ demontieren und aufzeigen, daß sie gar keine ist.
Nur ein Aspekt: Der Akzent des Briefes liegt auf einer „subtilen“ Hintersinnigkeit Benedikts. Dieser habe das Schreiben an Viganò genützt, um „Dummheiten“ (stoltezze) richtigzustellen, die in der Vergangenheit und Gegenwart gegen ihn, den deutschen Papst, vorgebracht wurden.
Magister war am Abend des 12. März bei der Vorstellung der Schriftenreihe anwesend. Dabei war ihm aufgefallen, daß der von Viganò verlesene Text nicht mit der an die Presse verteilten Fassung übereinstimmte. Außer ihm scheint das keinen der anderen, zahlreich anwesenden Vatikanisten gestört zu haben. Als er am nächsten Tag das enorme Medienecho auf die verteilte Brieffassung sah, suchte er nach einer offiziellen Veröffentlichung des vollständigen Briefes, fand aber keine. Das machte ihn stutzig. Schließlich tippte er von seinem Tonbandmitschnitt ab, was Viganò vorgelesen hatte. Auf diese Weise konnte er den Brief vervollständigen.
Der AP-Paukenschlag
Am 14. März, einen Tag nach dem Thronjubiläum, folgte dann der Paukenschlag. Associated Press (AP), eine der drei international tonangebenden Nachrichtenagenturen, meldete um die Mittagszeit, daß das von Msgr. Viganò veröffentlichte Bild des Benedikt-Briefes manipuliert worden war. Die New York Times übernahm die Meldung. Das Foto, das der Vatikan am Abend des 12. März zur Meldung vom Benedikt-Brief veröffentlichte, sollte die Existenz dieses Briefes belegen. Allerdings waren mehrere Zeilen am Ende der erste Seite des Briefes mit einem Bildbearbeitungsprogramm gelöscht worden. Die zweite Seite des Briefes wurde bis heute nicht gezeigt.
„Der Vatikan hat am Mittwoch zugegeben, daß er ein Foto eines Briefes von Papst Benedikt XVI. über Papst Franziskus verändert hat. Die Manipulation veränderte die Bedeutung des Bildes in einer Weise, die gegen die Normen für Fotojournalisten verstößt.“
Was AP über den Medienticker schickte, war eine Bombe: Der Vorwurf lautete auf „Manipulation“ und Verletzung der journalistischen Standards.
AP ließ auch keinen Zweifel am Zweck der ganzen Aktion:
„Das Kommunikationssekretariat des Vatikans veröffentlichte das Foto des Briefes am Montag vor dem fünfjährigen Jubiläum von Franziskus. Der Brief wurde von Msgr. Viganò, dem Leiter des Kommunikationssekretariates, zitiert, um Kritiker von Franziskus zu widerlegen, die sein theologisches und philosophisches Gewicht in Frage stellen und sagen, daß er in der Lehre einen Bruch gegenüber Benedikts Papsttum darstellt.“
Was Magister in Rom vorweggenommen hatte, wurde nun zur international bekannten Tatsache. Die Zweifel an der Echtheit hatten sich auch deshalb ergeben, weil Benedikt in seiner Höflichkeitsantwort offenbar teilweise einzelne Teile aus Viganòs Schreiben übernommen hatte. Eine häufige Praxis in Antwortschreiben, die aber erkennen ließ, daß die Diktion nicht jene Benedikts war.
Die „Theologie von Franziskus?“ Nein, Danke
Der Paukenschlag betrifft nicht nur die äußere Form, sondern vor allem den Inhalt. Die „Revolutionswächter“, um beim Begriff von Riccardo Cascioli zu bleiben, hatten behauptet, Benedikt XVI. habe die „Dummheit“ korrigiert, daß Franziskus über keine solide theologische und philosophische Grundlage verfüge. Die vom emeritierten Papst gerühmte elfbändige Schriftenreihe über „die Theologie von Papst Franziskus“ habe nun alle Kritiker widerlegt.
Die von Magister veröffentlichte Fassung enthüllte das genaue Gegenteil. Viganò hatte die entscheidende, weil unangenehme Stelle im Text für die Presse weggelassen. Darin teilte ihm Benedikt XVI. mit, daß er die elfbändige Schriftenreihe über Franziskus gar nicht gelesen habe, weshalb er auch kein Urteil darüber abgeben könne. Mehr noch: Er beabsichtige auch gar nicht, sie lesen, weil er wichtigeres zu tun habe.
Um genau zu sein, ein handfester Affront gegen die „Theologie von Papst Franziskus“, die Benedikt XVI. in höfliche Worte kleidete. Schließlich antwortete er ja nur einem römischen Dikasterienleiter, der ihm unaufgefordert einen ganzen Schuber von Büchern zukommen hatte lassen. Das Viganò den Brief für andere Zwecke verwenden wollte, bekommt nun auch diese Zurückweisung eine besondere Brisanz, die Benedikt XVI. so nicht absehen konnte. Eine hochnotpeinliche Situation.
„Viganò schreibt Benedikt XVI., um ihm eine ‚inhaltsreiche theologische Stellungnahme‘ zu entlocken, um sie als Trophäe bei der Vorstellung der Schriftenreihe zu präsentieren. Doch der emeritierte Papst ließ ihm in seinem demütigen und leicht ironischen Stil mitteilen: ‚Nein Danke. Das ist sehr nett, aber ich habe wichtigere Dinge zu tun, als diese Aufsätze zu lesen‘ (die schon laut Inhaltsverzeichnis auf ihn nicht besonders attraktiv gewirkt haben müssen). Obwohl ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen worden war, wollte Viganò das Schreiben dennoch für seine ursprünglichen Zwecke nützen.“
Mit diesen Worten faßte Riccardo Cascioli, der Chefredakteur der Nuova Bussola Quotidiana, die Ereignisse zusammen. Wahrscheinlich haben den „Theologen auf dem Papstthron“ schon die Namen einiger Autoren der Schriftenreihe wenig begeistert. Kurzum, Msgr. Viganò ist mit seiner ursprünglichen Absicht auf die Nase gefallen. Die AP-Meldung erledigte den Rest.
Mehrere, aktualisierte AP-Meldungen
Gestern um 12.04 Uhr ließ AP die erste Meldung über den Ticker, daß der Brief von Benedikt XVI. vom Kommunikationssekretariat „manipuliert“ worden war:
„Die Manipulation veränderte den Sinn der Botschaft“.
Um 17.32 Uhr folgte eine aktualisierte AP-Meldung. Nicole Winfield ergänzte, daß die Manipulation „die Standards des Fotojournalismus verletzt“. Zudem wurde berichtet, daß der Vatikan keine Begründung für die Manipulation lieferte. Es „wurde nur gesagt, daß nie die Absicht bestand, das ganze Dokument zu veröffentlichen“.
AP kritisierte das Vorgehen des Vatikans:
„Die Manipulation ist ernst, weil die Medien von den Fotografen des Vatikans abhängt, um Bilder des Papstes oder von Ereignissen zu erhalten, die für die unabhängige Presse hinter verschlossenen Türen stattfinden.“
Winfield vermerkte zudem, daß der Vatikan trotz Nachfrage, bisher nicht bereit war, den vollständigen Brief zu veröffentlichen.
Um 22.45 Uhr folgte gestern abend noch eine weitere Aktualisierung der AP-Meldung. Der Hinweis in der ersten Aktualisierung, daß der Vatikan zur Manipulation nichts sagen will, wurde nun einem Vatikansprecher zugeschrieben, der dies „unter der Bedingung anonym zu bleiben“ AP anvertraut habe.
Ist der Benedikt-Brief nun vollständig bekannt?
Aus einer von Msgr. Viganò ausgeklügelten, aber wenig durchdachten Medienaktion zum fünften Thronjubiläum von Papst Franziskus wurde zu einem peinlichen Fiasko. Das Triumphgeheul von Spadaro & Co. wurde zum Rohrkrepierer. Selbst das vom Schreiben, das für den eigentlichen Zweck der Aktion Verwendung finden hätte können, ist durch den Übereifer unbrauchbar geworden. Wer will schon etwas mit einer Manipulation zu tun haben.
Vorläufig gibt es noch keine Sicherheit, daß der gesamte Inhalt des Briefes bekannt wurde. Die Magister-Fassung gibt wieder, was Msgr. Viganò am Abend des 12. März bei der Buchpräsentation vorgelesen hatte. Die Weigerung des Vatikans, den Originalbrief zu veröffentlichen, kann eine Schutzmaßnahme sein, nicht auch den Beweis für die Manipulation zu liefern. Es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, daß Viganò nicht den ganzen Brief verlesen hat.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/Digital pastoral/AP/Twitter (Screenshots)
Man beachte die Botschaft von Papst Franziskus zum 52. Welttag der Sozialen Kommunikationsmittel.
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