
(Brasilia) Das Erzbistum von São Paulo gab den Tod von Cláudio Kardinal Hummes im Alter von 87 Jahren bekannt. Kardinal Hummes war der Statthalter von Papst Franziskus in Brasilien und einer der großen Promotoren der Amazonassynode, die neben der Familiensynode das bisher größte Projekt des derzeitigen Pontifikats war. Hummes war insgesamt eine der einflußreichsten Stimmen für den progressiven Paradigmenwechsel unter Franziskus. Der Papst nannte ihn einen „sehr, sehr guten Freund“.
Odilo Kardinal Scherer, der amtierende Erzbischof von São Paulo veröffentlichte gestern eine „Mitteilung der Trauer und Hoffnung“ und kündigte an, daß das Begräbnis in der Kathedrale von São Paulo stattfinden wird:
„Mit großer Trauer gebe ich den Tod von Kardinal Cláudio Hummes bekannt, (…) am heutigen Tag, nach langer Krankheit, die er mit Geduld und Gottvertrauen ertrug.“
Hummes war es, der Franziskus, wie dieser selbst erzählte, gleich nach seiner Wahl 2013, sagte: „Vergiß die Armen nicht“. Er war es auch, der dem Neugewählten die Empfehlung gab, sich Franziskus zu nennen. Die lange Vorgeschichte soll nur kurz skizziert werden.
Hummes’ Aufstieg
Papst Benedikt XVI. hatte den Erzbischof von São Paulo trotz seiner progressiven Gesinnung an die Römische Kurie berufen. Dabei handelte es sich um einen öfters geübten, aber nicht immer erfolgreichen Versuch, Kritiker eines Pontifikats aus ihren Diözesen zu entfernen und zugleich in Rom einzubinden. Johannes Paul II. war damit bei Kardinal Walter Kasper gescheitert, Benedikt XVI. scheiterte damit bei Kardinal Hummes.
Cláudio Hummes, 1934 als Auri Alfonso Hummes in Montenegro im Staat Rio Grande do Sul geboren, war deutscher Abstammung und wuchs in einer von deutschen Einwanderern geprägten Gegend im Süden Brasiliens auf. Seine Vorfahren waren 1857 aus dem Hunsrück nach Brasilien ausgewandert. Vielleicht fiel es ihm deshalb so leicht, daran mitzuwirken, eine progressive deutsch-brasilianische Achse zu schmieden.
Er studierte bei den Jesuiten, trat 1952 aber in den Franziskanerorden ein, wo er den Ordensnamen Claudio erhielt. Seine Studien konnte er aufgrund seiner Intelligenz am Antonianum, der päpstlichen Hochschule des Franziskanerordens in Rom, fortsetzen. 1958 wurde er zum Priester geweiht und schon 1965 Berater der Brasilianischen Bischofskonferenz für Ökumene-Fragen.
1975 erfolgte seine Bischofsernennung durch Paul VI. und die Bischofsweihe durch seinen Ordensmitbruder Erzbischof Aloisio Lorscheider OFM, einen der Unterzeichner des Katakombenpaktes. Noch im selben Jahr wurde er Bischof von Santo André. Hummes unterhielt zu der Zeit schon seit Jahren enge Kontakte zur politischen Linken, besonders zum späteren brasilianischen Staats- und Regierungschef Luiz Inácio Lula da Silva.
Zugleich eilte ihm aber der nur bedingt zutreffende Ruf voraus, kein Vertreter der marxistischen Befreiungstheologie zu sein, die vor allem in Brasilien wütete. Daher ernannte ihn Johannes Paul II. zu Lorscheiders Nachfolger als Erzbischof von Fortaleza und 1998 zum Erzbischof von São Paulo, einer der größten Diözesen der Welt. 2001 erfolgte seine Kardinalskreierung.
Der Einbindungsversuch durch Benedikt XVI.
Benedikt XVI. berief Hummes 2006 als Präfekt der Kleruskongregation an die Römische Kurie, eine Ernennung, die noch vor Hummes Ankunft in Rom zum Eklat führte. Der soeben neuernannte Kleruspräfekt sprach sich noch in Brasilien in einem Interview für die Abschaffung des priesterlichen Zölibats aus. Der Skandal war perfekt. Der Heilige Stuhl, schwer brüskiert, intervenierte und Hummes ruderte zurück. Er korrigierte seine Aussage und konnte seine Präfektenstelle in Rom antreten.
Damit hatte der brasilianische Kardinal vor aller Welt zweierlei offengelegt: Hummes war kein Marxist, aber ein Progressiver ohne Berührungsängste zu den Marxisten. Und er wußte zu taktieren, notfalls auch seine Gesinnung zu verbergen.
Dennoch sollte seine Zeit in Rom nicht lange dauern. Nach außen hielt er sich bedeckt, sabotierte jedoch das Pontifikat von Benedikt XVI. Das Faß zum Überlaufen brachte 2010 Hummes‘ Boykott der Ernennung des heiligen Johannes Maria Vianney zum Patron der Priester.
Gegen die Absicht Benedikts XVI., den Pfarrer von Ars zum Vorbild der nächsten Priestergeneration zu machen, lief das progressive Spektrum hinter den Kulissen Sturm. Das sei, so die Empörten, ein Rückschritt in „vorkonziliare“ Zeit und richte sich „gegen“ das Zweite Vatikanische Konzil. Hummes als zuständigem Kardinalpräfekt an der Kurie kam im Aufstand gegen Benedikt XVI. eine zentrale Rolle zu. Da dieser intrigenhaft erfolgte und Benedikt XVI. ein sehr milder Regent war, scheiterte die Ernennung Vianneys. Allerdings zeigte der deutsche Papst in seiner Reaktion, daß er – wenn auch nur selten – durchaus entschlossene Schritte setzen konnte. Er entließ den Brasilianer noch im selben Jahr und vor Ablauf von Hummes‘ Amtszeit. Damit teilte Benedikt XVI. der ganzen Kirche seine Mißbilligung von Hummes‘ Amtsführung unmißverständlich mit.
Kardinal Hummes kehrte im Alter von 76 Jahren nach Brasilien zurück und war nun auch auf einer ganz persönlichen Ebene zum unerbittlichen Gegner von Benedikt geworden. Anfang 2014 hätte er sein 80. Lebensjahr vollendet und wäre als Papstwähler ausgeschieden. Das Ende seines Einflusses. Doch Benedikt XVI. gab im Februar 2013 überraschend seinen Amtsverzicht bekannt und bot der progressiven Fronde die unerwartete Chance, im „letzten Augenblick“ doch noch das Ruder herumreißen zu können.
Hummes, der Papstflüsterer
Hummes wurde im Konklave vom März 2013 zu einer Schlüsselfigur. Er war es, der sich schon im Vorkonklave für den Erzbischof von Buenos Aires starkmachte und im Konklave, laut eigenen Angaben, Jorge Mario Bergoglio bestärkte, „als die Dinge etwas gefährlicher wurden“.
Die entscheidende Sorge der Geheimgruppe von Sankt Gallen und des Teams Bergoglio war, daß ihr argentinischer Kandidat wie schon 2005 seine Kandidatur zurückziehen könnte. Kardinal Kasper hatte sich Bergoglios Zusage geholt, daß dies kein zweites Mal der Fall sein werde. Doch Hummes kam die Aufgabe zu, in der Sixtinischen Kapelle nicht von Bergoglios Seite zu weichen. Als sich dieser als neuer Papst der Welt zeigte, stand auch der „Papstmacher“ Hummes neben ihm auf der Loggia des Petersdoms. Er war es, wie Franziskus später mehrfach erzählte, der ihm eingeflüstert hatte, sich den Namen Franziskus zuzulegen.

Die enge Verbundenheit zwischen Franziskus und Hummes zeigte sich noch im Wahljahr, als der neue Papst dem Brasilianer die Genugtuung der Vergeltung schenkte. Am 21. September 2013 entließ Franziskus Kardinal Mauro Piacenza, mit dem Benedikt XVI. erst drei Jahre zuvor Hummes als Präfekt der Kleruskongregation ersetzt hatte.
Noch im Februar 2014, dem ersten Jahrestag der Rücktrittsankündigung von Benedikt XVI., war Hummes die ganze Freude darüber anzumerken. Die Stimmung unter den Katholiken sei unter Benedikt XVI. weltweit „bedrückt und traurig“ gewesen. Die Menschen hätten den Kopf „hängenlassen“. Doch durch den Amtsverzicht des deutschen Papstes habe sich mit einem Schlag so viel „auf so schnelle und schöne Weise“ geändert. Mit der Wahl von Franziskus sei der Vertrauensverlust der Menschen unter Benedikt XVI. verflogen, denn „nun haben die Menschen wieder Vertrauen“.
Im geänderten Klima des neuen Pontifikats gewährte Hummes im Juli 2014 der brasilianischen Zeitung Zero Hora tieferen Einblick in die Geisteswelt eines „Papstmachers“, in der „Homo-Ehe“, Zölibatsabschaffung und Frauenpriestertum keine Probleme darstellen, sondern eine wesentliche Rolle spielen.
Hummes wichtigstes Projekt: die Amazonassynode
Das erklärt, weshalb der revolutionäre österreichische Missionsbischof Erwin Kräutler in Hummes den maßgeblichen Weggefährten für das Projekt „Amazonas-Werkstatt“, mit dem Hauptziel der Beseitigung des „Zwangszölibats“, fand. Hummes war es, der die Tür zu Santa Marta und zur Amazonassynode öffnete. Hummes und Kräutler kontrollierten dann auch den eigens für die Synode gegründeten Dachverband REPAM: Kräutler als Vorsitzender für Brasilien, Hummes als Gesamtvorsitzender.
Hummes war es, der vor der Amazonassynode abwechselnd in kryptischem Ton ankündigte, die Synode „könnte historisch werden“, oder offen erklärte, die Synode werde „über verheiratete Priester entscheiden“. Schließlich werde die Amazonassynode „nicht einberufen, um zu wiederholen, was die Kirche bereits sagt, sondern um vorwärtszugehen“, so Hummes im Sommer 2018.
Das große Ziel des brasilianischen Purpurträgers war die Abschaffung des „Zwangszölibats“, wie er den priesterlichen Zölibat bereits 2010 verächtlich genannt hatte. Andere Lösungen kamen für ihn nicht in Frage. Eine solche lehnte er im Spätsommer 2016 energisch ab, als bei einer Tagung der Vorschlag gemacht wurde, das Problem des Priestermangels im Amazonasdschungel dadurch zu lösen, daß jeder Missionsorden um die Entsendung von zwei Priestern gebeten wird. Hummes reagierte allergisch: „Nein, nein, das will der Papst nicht“. Er wollte es jedenfalls mit Sicherheit nicht.
Alles war durch die Amazonassynode vorbereitet, um den priesterlichen Zölibat zu kippen. Hummes schrieb im Januar 2020 einen Brief an alle Bischöfe der Welt, in dem er das nachsynodale Schreiben von Franziskus ankündigte und einschärfte, daß es „anzunehmen“ sei. Es wurde allgemein damit gerechnet, daß das Schreiben eine Aufweichung des priesterlichen Zölibats enthalten wird. Bei einem Geheimtreffen im Juni 2019 hatten die Synodenbetreiber bereits einen Namen für das neuzuschaffende Weiheamt gefunden: Es sollte „Presbyter“ heißen. Österreichs Bischöfe erklärten schon drei Monate vor Synodenbeginn – voreilig –, sie würden die Beschlüsse für den Amazonas in Österreich „umsetzen“. In Österreich? Mehr Signale bedurfte es wirklich nicht, um die tiefere Agenda der Amazonassynode zu erfassen.

Die Synode der „Indigenisten, Modernisten, Anti-Natalisten und Ökologisten“ fand wie geplant statt. Hummes zelebrierte am Rande der Synode eine Neuauflage des Katakombenpaktes von 1965. Am Tag vor der Eröffnung der Amazonassynode kam es am 4. Oktober 2019 zu dem, was als „Hexentanz im Vatikan“ durch die skandalträchtige Einführung der Pachamama bekannt wurde.
Dann aber kam dennoch alles anders.
Benedikt XVI. veröffentlichte Anfang 2020 zusammen mit Kardinal Robert Sarah, damals noch Präfekt der Gottesdienstkongregation, ein Plädoyer für das Priestertum und den priesterlichen Zölibat. In Santa Marta kam es zu Zornesausbrüchen, doch die überraschende Wende in der Zölibatsfrage war perfekt. Das Thema war in letzter Minute vom Tisch.
Hummes, Franziskus und Brasiliens Sozialisten
Auf Hummes geht auch das auffällige Engagement von Franziskus für Lula da Silva zurück. Der Papst unterstützte die Kampagne „Freiheit für Lula“, als der ehemalige Staatspräsident unter Korruptionsverdacht im Gefängnis saß, schickte ihm Solidaritätsadressen in die Gefängniszelle und empörte sich über einen angeblichen „Staatsstreich mit weißen Handschuhen“, als sich 2018 eine Wahlniederlage von Lulas Sozialisten abzeichnete.

Nach der unerwarteten Niederlage in der Zölibatsfrage war es ruhiger geworden um Kardinal Hummes, zumindest auf internationaler Ebene. In Brasilien arbeitete er bis zuletzt am Projekt einer „Kirche mit amazonischen Wurzeln“. Das nachsynodale Schreiben Querida Amazonia brachte zwar nicht die von ihm und im Westen erhoffte Zölibatsbeseitigung, aber dennoch ein bergoglianisches Instrument, das unter den „richtigen“ Voraussetzungen und der nötigen Rückdeckung viel Spielraum bietet – auch in der Zukunft. So unterstützte Hummes zuletzt noch eifrig die Errichtung der Conferencia Eclesial de la Amazonia als kirchlicher Parallelstruktur. Katholisches.info schrieb am 10. Juli 2020 über die „Revolution durch die Hintertür“:
„Die Schaffung völlig neuer Institutionen öffnet den Weg, möglichst ‚hinderliche‘ Rücksichtnahmen abzustreifen und die angepeilten Ziele konsequenter und direkter anstreben zu können. (…) Mit der neuen Einrichtung wird nahtlos an die revolutionäre Agenda angeknüpft, die manche bereits ad acta gelegt sahen, jedenfalls sehen wollten. Die neue Institution habe den Auftrag, dem Vatikan „ein wichtiges Papier“ vorzulegen zur Frage, wie in den ‚priesterlosen Gegenden verheiratete Männer geweiht‘ werden könnten.
Seither steht fest, daß die Zielsetzungen unverändert sind und weiterhin lauten: Schaffung eines neuen Amazonasritus, Zölibatsaufhebung, Zulassung verheirateter Männer zum Priestertum, Zulassung von Frauen zum Weihesakrament, als Diakoninnen – vorerst –, und andere progressive Altlasten mehr.“
Vorsitzender der neuen Parallelstruktur wurde Kardinal Hummes.
Hummes unterstützte noch im Sommer 2020 den beispiellosen Angriff von 152 brasilianischen Bischöfen auf Staatspräsident Jair Bolsonaro. Die „Kirche mit amazonischem Antlitz“ ist Santa Marta zu wichtig, als daß eine solche Frontalattacke gegen eine freundlich gesinnte, demokratisch gewählte legitime Regierung von Teilen des Episkopats im Alleingang erfolgen hätte können. Dafür bürgte Kardinal Hummes, der persönliche Freund von Franziskus.
Möge Gott seiner Seele gnädig sein.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/arquisp.org.br/VaticanNews/Youtube/Wikicommons (Screenshots)
So jemandem weine zumindest ich keine Tränen nach – möge seine Seele sich jetzt vor dem Herrn verantworten.