(Santiago de Chile) Der Chile-Besuch von Papst Franziskus ist um ein weiteres Nachspiel reicher. Kardinal Francisco Javier Errázuriz machte in einem Schreiben an die Vorsitzenden verschiedener lateinamerikanischer Bischofskonferenzen den Fall Barros für das geringe Interesse der Chilenen am Papstbesuch verantwortlich – und damit Papst Franziskus selbst.
Kardinal Francisco Javier Errázuriz Ossa ist Priester der Schönstatt-Bewegung. Von 1974–1990 war er deren Generaloberer, bevor ihn Papst Johannes Paul II. als Sekretär der Ordenskongregation nach Rom berief und zum Titularerzbischof machte. 1996 ernannte er ihn zum Bischof von Valparaiso in Chile, 1998 zum Erzbischof von Santiago de Chile. 2001 erfolgte schließlich seine Kreierung zum Kardinal. Als solcher nahm er am Konklave von 2005 und dem Konklave von 2013 teil.
Der emeritierte Erzbischof war Vorsitzender der Chilenischen Bischofskonferenz und des Lateinamerikanischer Bischofsrates (CELAM). Papst Franziskus machte ihn 2013 zum Vertreter Südamerikas im C9-Kardinalsrat, der ihn bei der Reform der Römischen Kurie und der Leitung der Weltkirche beraten soll.
Der Fall Barros, so der Kardinal, sei verantwortlich, daß der Besuch von Papst Franziskus in Chile ein schwaches Echo gefunden habe. Der Umgang der Medien mit dem Papstbesuch habe ihn „erstaunt und geschmerzt“. Das gelte vor allem für die Darstellung mancher Medien, daß der Papstbesuch ein „Mißerfolg“ gewesen sei.
Am 22. Februar schrieb Kardinal Errazuriz den Vorsitzenden verschiedener Bischofskonferenzen Lateinamerikas einen Brief. Damit beabsichtigte er laut eigener Angabe, die Medienberichte über den Papstbesuch vom Januar zu widerlegen, die dazu beigetragen hätten, den Besuch als „Mißerfolg“ darzustellen. Das berichtete gestern die chilenische Tageszeitung La Tercera unter Berufung auf einen Exklusivbericht des progressiven US-Magazins National Catholic Reporter über den Brief.
Konkret erhebt Errazuriz den Vorwurf, einige Medien hätten gezielt mit dem Fall Barros den Papstbesuch „verdunkelt“. Bischof Barros wird beschuldigt, in den 80er und 90er Jahren den sexuellen Mißbrauch Jugendlicher durch den Priester Francisco Karadima, seinen Lehrmeister, vertuscht zu haben.
„Der umstrittene Bischof“, so Kardinal Errazuriz über Barros, habe sich der Presse geradezu angeboten, indem er mit dem Papst heilige Messen zelebrierte. Er scheine „die Tragweite des Problems nicht erfaßt“ zu haben, so der Kardinal.
„Es machte den Eindruck, als sehe er eine günstige Gelegenheit, um seine Sicht der Dinge zu verbreiten und sich gegen die Anschuldigungen zu verteidigen.“
Dadurch sei die Aufmerksamkeit auf diesen Fall gelenkt worden und habe den ganzen Papstbesuch überschattet. Die Kritik an Barros übertrug sich dadurch auf Papst Franziskus, der den Bischof verteidigte.
Der Kardinal übt in seinem Brief auch an der Chilenischen Bischofskonferenz Kritik. Die Ereignisse hätten „eine Schwäche“ der Konferenz gezeigt. Es hätte eines Mannes wie des verstorbenen Vatikansprechers Navarro Valls bedurft, der als Sprecher gegenüber den Journalisten aufgetreten wäre, um den Fall Barros klar vom Papstbesuch zu trennen.
Errazuriz informierte die Vorsitzenden mehrerer Bischofskonferenzen, daß er dem stellvertretenden Vorsitzenden der Päpstlichen Lateinamerikakommission, dem Uruguayer Guzman Carriquiry, einen ausführlichen Bericht über den Papstbesuch übermittelt habe.
Keine Kritik übte der Kardinal an Papst Franziskus. Der gegenteilige Eindruck muß durch das Schreiben jedoch entstehen. Papst Franziskus war es, der Msgr. Juan Barros Madrid am 15. Januar 2015 zum Bischof von Osorno ernannte, obwohl bereits Eingaben gegen Barros bekannt waren. Errazuriz selbst hatte noch in seiner Amtszeit als Erzbischof von Santiago de Chile eine Überprüfung des Finanzgebarens in der Pfarrei von Karadima angeordnet. Damals waren erste Gerüchte aufgetreten, die sich noch nicht auf sexuellen Mißbrauch bezogen, dann aber den Fall ins Rollen brachten.
Papst Franziskus ist es, der gegen alle Kritik an Bischof Barros festhält und Kritik als Verleumder bezichtigte. Dies alles obwohl bekannt ist, daß die chilenischen Bischöfe selbst erhebliche Bedenken haben, vor allem wegen des enormen Imageschadens für die Kirche. Laut römischen Quellen sei es Papst Franziskus selbst gewesen, der Bischof Barros als Konzelebrant an seiner Seite haben wollte. In der Tat ist undenkbar, daß die Frage seiner Konzelebration nicht vorher ausdrückliches Thema war. Offenbar hegte Franziskus die Hoffnung, daß diese sichtbare Nähe zum Papst die Kritiker verstummen lasse.
Als diese dennoch nicht verstummten, war es Franziskus der öffentlich gegenüber Journalisten in Chile und auf dem Rückflug nach Rom Bischof Barros energisch verteidigte. Diese Verteidigung erst verstärkte den Schatten, der sich über den ganzen Besuch legte und aus einem chilenischen Fall einen internationalen Fall machte.
Erst als durch die Internationalisierung des Falles die Sache zu einem ernsten Imageproblem für das Kirchenoberhaupt wurde, entschied sich Franziskus zehn Tage nach seiner Rückkehr nach Rom, einen Päpstlichen Sondergesandten nach Amerika zu schicken. Er erhielt die Aufgabe, jene zu hören „die meinen, zum Fall etwas zu sagen zu haben“. Mit dieser Formulierung wurde das Wort „Opfer“ umgangen. Der Sondergesandte tat im Februar, was Papst Franziskus sich mehrere Jahre lang zu tun geweigert hatte.
Ob gewollt oder nicht, stellt deshalb das Schreiben von Kardinal Errazuriz auch eine Kritik an Papst Franziskus dar.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/Wikicommons