(Montevideo) Der Jubel der Welt für Papst Franziskus scheint zu verklingen. Er wirkte ohnehin gekünstelt. Noch ist nicht ganz klar, was den Stimmungsumschwung auslöste, und ob er nur ein kurzzeitiges Tief bedeutet, oder dauerhaft sein wird. Die sich daraus ergebenden Folgen lassen sich erst recht nicht absehen. Ein vor zwei Tagen erschienener Kommentar des ehemaligen Staatspräsidenten von Uruguay gibt einigen Aufschluß dazu.
Zeitlich läßt sich der Stimmungsknick mit dem Pastoralbesuch in Chile verknüpfen, konkret mit dem Fall Barros, jenem chilenischen Bischof, den Franziskus Anfang 2015 zum Diözesanbischof von Osorno im äußersten Süden des Landes ernannte. Auslöser war Kritik des US-Kardinals Sean O’Malley an Papstworten („Quelle für großen Schmerz“) zum genannten Fall. Das alles trug sich am 18./19. Januar zu.
Seither ist der Fall Barros international bekannt.
Soweit so schlecht oder gut. Als Grund für die spürbare Zunahme der Kritik an Franziskus durch kirchenferne Kreise, die ihm bisher zugejubelt hatten, eignet sich der Fall Barros aber nicht.
Was hat der Papst falsch gemacht?
Der Grund für den sich drehenden Wind scheint vorerst im Dunkeln zu bleiben. Dabei scheint Franziskus aus der Sicht dieser Kreise eigentlich nichts falsch gemacht zu haben.
Er stellte den öffentlichen Kampf der Kirche für die nicht verhandelbaren Grundsätze ein, machte sich zum Sprecher eines relativistischen Religionsverständnisses, unterstützte als moralische Instanz die UNO-Politik gegen den angeblich menschenverschuldeten Klimawandel, drückte der Politik der Massenmigration und der offenen Grenzen ein religiöses Siegel auf, fraternisierte mit der politischen Linken bis an deren äußerste Ränder, legte sich mit US-Präsident Donald Trump an und zeigte dem gesamten Spektrum rechts der Mitte demonstrativ die kalte Schulter.
Und dennoch ist der kirchenferne Mainstream nicht mehr so recht zufrieden mit ihm? Ist man die Liaison schon leid? Ist die tiefe Abneigung gegen die Religion und besonders die katholische Kirche doch stärker, daß ein gegenüber seinem Vorgänger Benedikt XVI. so grundverschiedener Papst wie Franziskus als Versöhnung nicht ausreicht?
Vor zwei Tagen veröffentlichte die linke, spanische Tageszeitung El Pais (vergleichbar der Süddeutschen Zeitung, La Repubblica, Le Monde, Tages-Anzeiger, die aber auch mit Le Figaro und Die Welt kooperiert, was einiges darüber aussagt, was als Mainstream und Establishment bezeichnet wird) einen umfangreichen Kommentar von Julio Maria Sanguinetti zu Papst Franziskus. Der Kommentar erschien sowohl in der spanischen als auch in der lateinamerikanischen Ausgabe der Zeitung.
Wer ist Julio Maria Sanguinetti?
Wer aber ist Sanguinetti? Er war von 1985–1990 und von 1995–2000 Staatspräsident von Uruguay als Vertreter des Partido Colorado, die 1836 als liberale und antiklerikale Partei gegründet wurde. Die Kirchenferne ist ihr geblieben. Heute ist sie als linksliberale Partei mit guten Kontakten zur Demokratischen Partei in den USA verortet, spielt im Land derzeit aber nur mehr eine untergeordnete Rolle, da die Macht an eine Koalition links von ihr übergegangen ist.
Die Colorado Partei war seit ihrer Gründung die Partei, der uruguayischen Freimaurerei. Diese finden sich nicht nur dort, aber nach wie vor bevorzugt dort. Sanguinetti war während seiner Amtszeit und auch danach mit Nachdruck bemüht, eine Logenmitgliedschaft zu bestreiten. Dabei bediente er sich, unter Anspielung auf Freimaurerrituale auch kurioser Begründungen: Er sei als „entschiedener Agnostiker“ bekannt, weshalb er „nie auf eine Bibel schwören könnte“.
Das Argument war auch deshalb kurios, weil der Eid auf die Bibel als Teil des Initiationsrituals erst seit wenigen Jahren in den uruguayischen Logen praktiziert wird. Zuvor war dieser Teil, wegen der stark antiklerikalen Ausrichtung der Logenbrüder des Landes, ausgelassen worden und Grund eines langjährigen Ritenstreites mit der internationalen Freimaurerei. Sanguinetti wäre also gar nicht in die Verlegenheit gekommen, auf die Bibel schwören zu müssen. Ein Schwur, der für die meisten Freimaurer und Obedienzen ohnehin bloß einer von vielen archaischen Formalismen ist.
Ob der ehemalige Staatspräsident von Uruguay nun Logenbruder ist oder nicht, soll hier auch weiter nicht beschäftigen. Eine Auszeichnung durch die Großloge von Uruguay, die ihm am 20. September 2016 verliehen wurde, lehnte er jedenfalls nicht ab. Tatsache ist, daß er deren Zielsetzungen nahesteht, wie seine Abneigung gegen die katholische Kirche und seine Unterstützung von Abtreibung und Homosexualität zeigen.
Dafür spricht auch seine belegte Mitgliedschaft im 2001 von der Fundación para las Relaciones Internacionales y el Diálogo Exterior (FRIDE), Spanien, und der Gorbachev Foundation of North America gegründeten Club von Madrid. Dem Club gehören ausschließlich ehemalige Staats- und Regierungschefs an. Derzeit mehr als einhundert. Der Club setzt sich für „inklusive Gesellschaften“ ein, die „tolerant die Diversität und die Menschenrechte respektieren“. Hinter den Worten verbirgt sich die linksliberale Agenda des ethischen Relativismus, der Abtreibungslegalisierung und der Förderung sogenannter „Homo-Rechte“. Dialog und Konsens gelten als höchste „Werte“ und stehen in einem unversöhnlichen Gegensatz zu den unveränderlichen Werten und nicht verhandelbaren Grundsätzen der von Jesus Christus der Kirche anvertrauten Wahrheiten.
Die Liste der Mitglieder spricht für sich.
Was hat Sanguinetti nun aber an so prominenter Stelle in El Pais geschrieben?
Zwischen Himmel, Kiez und Gretzl
Er wirft Papst Franziskus vor ein „Populist“ zu sein. Das ist im aktuellen Diskurs, auch außerhalb Lateinamerikas, nichts Außergewöhnliches. Der zweite Vorwurf wird deutlicher: Papst Franziskus „zerstreut die Hoffnungen jener, die ethische Reformen erwartet haben“.
Die Worte des Papstes seien „immer ein relevanter Teil der internationalen Debatte“. Das habe nicht nur mit der Größe der katholischen Kirche zu tun, sondern auch damit, daß „andere religiöse Strömungen, ob Christen, Juden oder auch Muslime, keinen so einzigartigen und formalen Sprecher haben“. Der weitere Text im Wortlaut:
Johannes Paul II. war mit seinem unbestreitbaren Charisma der Mittelpunkt einer starken, klar definierten Strömung. Konservativ in den Themen von Familie und Bioethik, liberal in der Konfrontation der Demokratien mit den veralteten Strukturen des europäischen Kommunismus war er einflußreich und Protagonist.
Papst Franziskus dagegen segle inmitten seltsamer Widersprüche: Er steigt immer wieder von der Universalität seiner Position herunter in die Niederungen winziger politischer Kämpfe eines unverständlichen argentinischen Provinzialismus, womit er seine populistisch-peronistischen Wurzeln nicht verleugnet, die der italienische Historiker Loris Zanatta kurz nach seiner Salbung herausarbeitete.
In diesen Tagen unterstützte er auch irritierende Weise Hebe de Bonafini, die Anführerin der Madres de Mayo und glühende Kirchner-Anhängerin, die ein edles Anliegen mit ihrem Radikalismus und der Zersetzung der Vereinigung, der sie vorsteht, degradiert hat. Die gute Frau feierte das Attentat auf die Zwillingstürme und nannte zur selben Zeit Kardinal Bergoglio einen Faschisten. Als er zum Papst gewählt wurde, empfing er sie demonstrativ, sodaß sie an der Tür zum Vatikan mit aller Härte gegen Staatspräsident Macri schimpfte, den von eigenen Volk gewählten Landmann, den er hingegen mit einer Eiseskälte empfing, daß die ganze Welt darüber staunte. Tatsache ist, daß jetzt, im selben Augenblick, in dem die Frau de Bonafini sich weigerte, einen gerichtlichen Verfügung nachzukommen, durfte sie einen Brief Seiner Heiligkeit lesen, in dem er ihr mitteilt: „Hab keine Angst vor Verleumdung, Jesus wurde verleumdet, und sie haben ihn getötet. Verleumdung beschmutzt nur das Gewissen jener, die verleumden“. Die Empfängerin konnte sich freuen und im Fernsehen kommentieren: „Fast vergleiche ich mich mit niemand…“
In diesen Tagen hat er nicht viel Applaus bekommen in einem Chile, das seine Haltung gegenüber Situationen der Pädophilie nicht versteht. Ebenso unverständlich ist, daß er auf wiederholte Anfragen des gewählten Staatspräsidenten Sebastián Piñera zu einem persönlichen Treffen nicht regiert hat. Selbst seine Jesuitenkollegen waren nicht nachsichtig mit ihm.
In Peru, einem sehr katholischen Land, ging es besser. Dort behandelte er den peruanischen Staatspräsidenten Kuczynski sehr gut, der ebenso oder sogar noch liberaler ist als Piñera und in vielem schlechter wegen seines Strafnachlasses für Fujimori. Zugleich war er dort ideologisch ganz klar: Man habe einen Weg für das große Vaterland gesucht und sei dann aber plötzlich zu einem unmenschlichen, liberalen Kapitalismus übergegangen, der den Menschen schadet. Mit einem Wort: Mit Cristina Kirchner, Correa, Dilma, Evo und Maduro sind wir in das große, bolivarische Vaterland unterwegs gewesen, das heute nur mehr der Venezolaner unterstützt… Umgekehrt sprach er von einem „unmenschlichen Liberalismus, der heute von mehr unterstützt wird? Vielleicht der graduelle Macri, der Argentinien mit der Hilfe vieler liberaler Ökonomen mühsam begradigt? Der Verräter Lenin Moreno, der die Monarchie Correas verhindert hat? Piñera, der bereits Präsident war und nicht die sozialen Errungenschaften der Linksregierung der Concertacion abgebaut hat?
Sein Populismus kam wiederholt zum Ausdruck, wenn er sich darüber empöre, daß „alles dem Spiel der Wettbewerbsfähigkeit unterworfen wird“, als könnte die die Armut mit einer unvernetzten Wirtschaft überwunden werden. Oder durch Abkehr vom „freien Markt, der Globalisierung, dem Wirtschaftswachstum oder dem Konsum“. Mit Sicherheit hat er es wiederholt abgelehnt, den sozialen und demokratischen Wert der Förderung der Mittelklasse zu verstehen, weshalb er die Hoffnungen einer Welt zerstreut, ob gläubig oder nicht, die auf ethische Reformen hoffte, die eine anachronistische Veurteilung der Geschiedenene oder den Gebrauch von Verhütungsmitteln überwinden, die dabei helfen, daß die Mutterschaft etwas Erwünschtes ist und nicht ein Verhängnis, dem man sich fügen muß.“
Da ich nicht katholisch bin, nehme ich mir nicht die Kühnheit heraus, den Papst aus dieser religiösen Perspektive zu betrachten. Als Bürger hingegen wünsche ich mir, daß er dabei hilft, die individuelle Freiheit, die demokratischen Systeme und die moderne Wirtschaft zu verteidigen, die – durch ausgleichende Sozialgesetze reguliert – den zu verteilenden Reichtum schafft. Aus diesem Blickwinkel bedauere ich, daß die Regierungen, auch sozialdemokratische, nicht diese unterstützende Stimme erhalten, um mit einer wirklichen Entwicklung, die auf Produktivität gründet, die Armut zu bekämpfen, was also weit entfernt von der Demagogie ist, die zur Armut verurteil, wie es heute im leidenden Venezuela der Fall ist.
Kapitalismus und Bioethik
Zwei Schwerpunkte setzt Sanguinetti in seiner Kritik: Papst Franziskus bekämpfe den Kapitalismus und seine Öffnung in gesellschaftspolitischen und bioethischen Fragen gehe noch immer nicht weit genug.
Das ist hartes Geschütz. Der Text darf als Mahnung an den Papst verstanden werden. Ein zu konsequenter Blick in wirtschaftspolitischer Hinsicht nach linksaußen wird nicht goutiert, während in Sachen Geburtenkontrolle und Lebensrecht mehr von ihm erwartet wird. Dabei ist der politische Arm des Papstes, der argentinische Kurienbischof Marcelo Sanchez Sorondo zu eifrig am Werk, die große Allianz zwischen Vatikan und dem linksliberalen Mainstream zu zimmern.
Die Mahnung ist auch mit Blick auf die unverhohlenen Bestrebungen von einigen Kirchenvertretern, auch aus dem direkten päpstlichen Umfeld zu sehen, die Enzyklika Humanae vitae von Paul VI. umzuschreiben.
Nicht unerwähnt bleiben soll, daß in der Online-Ausgabe zum Kommentar ein Bild gewählt wurde, wie Papst Franziskus den türkischen Staatspräsidenten Erdogan und dessen Frau in Audienz empfängt.
Sanguinettis Kommentar, ist ein Text, den man sich merken sollte.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: El Pais/Wikicommons (Screenshot)
Ein hervorragender Artikel.
Die Freimaurerei hat sich immer als Elite verstanden;
es ist kein Verein wo man einfach eintreten kann, sondern wozu man eingeladen wird.
Zahllos sind an freigeistig geführten Universitäten die Witze und Anekdoten über Möchtegernmitglieder, die wildeste Kapriolen ausführen um in diese Kreise aufgenommen zu werden.
Daß Bergoglio die katholische Kirche schwerst schädigt, stört diese Kreise nicht im Mindesten.
Viel schlimmer für sie ist seine öffentlich demonstrierte Affinität zu ihren Symbolen, sein platter peronistischer Stil, sein lustvolles Verkörpern des vulgum pecus und seine Involvierung in pädophilen Skandalen.
Bergoglio ist total unberechenbar und immer mehr ein Ballast für den freigeistigen Mainstream.
Tohuwabohu- auf Altgriechisch: Diabolos- „der Durcheinanderwerfer“.
Das ist das Gegenteil der Harmonie- oder: es ist seine Harmonie, mit ihm als einzige Autorität;
es ist wohl das Letzte, was die Freimaurerei wünscht, in einer peronistischen Diktatur unter einem Wirrkopp zu leben bzw. damit assoziert zu werden.