(Santiago de Chile) Zunächst wollte Papst Franziskus gar nichts von einem Fall Barros wissen. Wer dennoch Kritik an seiner Ernennung von Msgr. Juan Barros Madrid zum Bischof von Osorno in Chile übte, der verbreite „Verleumdungen“, ließ das Kirchenoberhaupt wissen. Dann schloß sich der US-Kardinal Sean O’Malley der Kritik an, und die internationalen Presseagenturen griffen das Thema auf. Sie taten etwas, was der amtierende Papst bisher nicht gewohnt war: Sie attackierten ihn.
Zehn Tage nach seiner Rückkehr aus Lateinamerika änderte Franziskus seine Haltung. Grund dafür war nicht nur der mediale Umschwung. Franziskus hatte noch auf dem Rückflug aus Peru behauptet, niemand habe sich in Sachen Barros je mit Bedenken an ihn gewandt. Die US-Agentur Associated Press belegte darauf, anhand der Dokumentation des Karadima-Opfers Juan Carlos Cruz, daß Papst Franziskus spätestens seit dem Frühjahr 2015 über die Anschuldigungen gegen Barros informiert gewesen sein muß.
Persönlich statt Skype
Franziskus ernannte nun einen Päpstlichen Sondergesandten, den maltesischen Erzbischof Charles Scicluna, der sich bereits in der Vergangenheit in der Strafverfolgung von kirchlichen Mißbrauchstätern ausgezeichnet hatte. Von Opfern war in der vatikanischen Erklärung zwar keine Rede, aber davon, daß Msgr. Scicluna jene anhören werde, die meinen, in der Sache etwas zu sagen zu haben.
Anfangs wurde mitgeteilt, Scicluna werde das Karadima-Opfer, den heute in den USA lebenden Journalisten Juan Carlos Cruz, via Skype anhören. Ein ungewöhnlicher Weg in einer so delikaten Angelegenheit. Das muß dem Heiligen Stuhl selbst bewußt geworden sein. Am 6. Februar rief Scicluna Cruz „im Namen des Papstes“ in Philadelphia an und vereinbarte eine persönliche Anhörung, die am 17. Februar in New York stattfinden wird. Ab 20. Februar wird der Sondergesandte dann in Santiago de Chile Anhörungen durchführen.
Cruz hatte mit seinen Eingaben die Sache ins Rollen gebracht und genießt derzeit bei internationalen Medien große Aufmerksamkeit.
Plötzlicher Aktivismus des Nuntius im Fall Barros sorgt für Ärger
Gestern wurde auch der Apostolische Nuntius von Chile aktiv. Msgr. Ivo Scapolo wollte vorab in schriftlicher Form von den Barros-Kritikern von Osorno eine Zusammenfassung ihrer Aussagen, die sie in wenigen Tagen vor dem Sondergesandten Scicluna machen wollen. Die Vorgangsweise provozierte einen Tweet von Juan Carlos Cruz, mit dem er die ungewöhnliche Anfrage des Nuntius publik machte.
Von „Ärger“ unter den Zeugen, berichtet die Presseagentur ANSA. Es stößt unter ihnen auf Unverständnis, daß der Nuntius plötzlich aktiv wird, nachdem er jahrelang in der Sache untätig war. Unverständlich sei nicht nur der Zeitpunkt dieses Aktivismus, sondern auch der Inhalt. Wozu die Aussagen schriftlich niederlegen, wenn eine mündliche Anhörung unmittelbar bevorsteht?
Papst Franziskus hatte bei seinem Chile-Besuch die Ernennung von Juan Barros zum Bischof von Osorno verteidigt. Dabei sagte das Kirchenoberhaupt, daß es nicht den geringsten „Beweis“ gegen Barros gebe, in den sexuellen Mißbrauchsskandal Karadimas verwickelt zu sein. Genau das aber behaupten einige Opfer, darunter auch Juan Carlos Cruz. Franziskus revidierte die Aussage anschließend von „Beweis“ auf „Offensichtliches“, änderte aber nicht seine „Überzeugung“, daß Barros sich nicht zuschulden kommen habe lassen.
Anhörungen in Santiago de Chile beginnen am 20. Februar
Die Anhörungen in Santiago de Chile sind für den 20. – 23. Februar geplant. Laut Angaben von Jaime Coiro, dem Sprecher der Chilenischen Bischofskonferenz, sei die Anfrage des Nuntius erfolgt, um die Arbeit Sciclunas vorzubereiten, da „eine große Zahl von Zeugen“ angehört werden soll. Unklar blieb, ob der Nuntius im Auftrag des Päpstlichen Sondergesandten handelte. Zugleich betonte der Sprecher, daß die Bischofskonferenz nichts damit zu tun habe und sich in keiner Weise in die Arbeit des Sondergesandten einmischen werde.
Die Anhörungen des Sondergesandten Scicluna sollen nun Klarheit schaffen. Für Bischof Barros gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung. Ihm wurde bisher keine Beteiligung am sexuellen Mißbrauch von Jugendlichen vorgeworfen, aber Mitwisserschaft. Ebenso wird ihm zur Last gelegt, als Sekretär des damaligen Erzbischofs von Santiago de Chile seinen Mentor Karadima gedeckt zu haben.
Karadima wurde von der Kirche verurteilt, aber nicht von einem staatlichen Gericht. Die chilenische Justiz ließ zwar keinen Zweifel an seiner Schuld, konnte ihn aber wegen Verjährung der Straftaten nicht zur Rechenschaft ziehen. Auch vor diesem Hintergrund ist die Kritik an Karadimas Zögling Barros zu sehen, der es zum Bischof gebracht hat.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Twitter (Screenshot)