Ein Gastkommentar von Hubert Hecker.
Das Einleitungsreferat der bischöflich geförderten Tagung in Berlin zu Sexualpädagogik in katholischen Einrichtungen vom Februar 2016 legte die Grundlinien der sexualpolitischen Orientierung fest. Es knüpfte an die sexuelle Revolution der 68er an. Als Gewährsmann für eine libertäre Sexualpädagogik zitierte der Referent Wunibald Müller mehrfach die Sexologen Helmut Kentler und Volkmar Sigusch. Als Grundlagentext wurde die Sexualtheorie des Kentler-Schülers Uwe Sielert dargeboten.
Protagonisten der sexuellen Revolution
Die beiden Sexforscher Kentler und Sigusch werden zunächst für die These bemüht, „Sexualität von der Fortpflanzung“ zu trennen. Die heutige Möglichkeit der „technologischen Verlagerung der Fortpflanzung aus dem Körper“ fördere diese Trennung. Was dann bleibt, ist Sex als reine „Lustpotenz“, das Lebensthema Kentlers.
Helmut Kentler brachte die wirren Ideen der sexuellen Revolution in das Konzept der sogenannten emanzipatorischen Sexualpädagogik. Nach der Grundannahme Kentlers sind Kinder vom frühesten Alter an sexuell aktiv und empfänglich. Diese Behauptung geht auf Alfred Kinsey zurück. Der hatte seine These damit beweisen wollen, dass er pädophile Männer Kleinkinder sexuell traktieren ließ – bis zu angeblichen Orgasmen.
In Wirklichkeit wird für die Theorie der kindlichen Sexualität die sexuelle Bedürfnis- und Erfahrungswelt von Erwachsenen auf Kinder zurückprojiziert. Das kommt in solchen Formulierungen zum Ausdruck, als wenn vorpubertäre Kinder „sexuelle Bedürfnisse nach Lusterfahrungen und Zärtlichkeiten“ hätten.
Auch in einem der Berliner Tagungspapieren wird „kindliche Sexualität“ als anthropologische Konstante behauptet. Kinder würden ein „lustvolles Erleben des Körpers mit allen Sinnen“ suchen und erfahren.
Ausgehend von der falschen Annahme kindlicher Sexualbedürfnisse, propagierte Kentler die Frühsexualisierung von Kindern. Die Eltern, aber auch Kita- und Schulerzieher, sollen die kindliche Sexualität erwecken und fördern. Kentler-Schüler Sielert empfiehlt den Eltern, ihre „Kinder lustvoll zu streicheln“, damit sie „die Lust an sich selbst entdecken“ – Sexualität in egoistisch-hedonistische Richtung. Für Kitas und Schulen werden grenz- und schamverletzende Methoden und Materialien aufbereitet, die zu Übergriffen aufreizen.
Auch die Zustimmung zu häufigem Onanieren gehört zu dem „lustfreundlichen“ Ansatz der Kentlerschule. Während der Pubertät sollten die Kinder so früh wie möglich Geschlechtsverkehr haben. Denn „koituserfahrene“ Kinder „fordern eine eigenständige Welt der Teenager und lehnen die Normen der Erwachsenen häufiger ab“. Mit diesem Zitat macht Kentler seinen emanzipatorisch-antifaschistischen Ansatz der sexuellen Revolution deutlich. Die Sexualpädagogik sollte Kinder und Jugendliche rebellisch machen gegen die Normen der Eltern und Gesellschaft.
Sielert ist in Bezug auf das obige Zitat vom lustvollen Streicheln von Kindern Förderung von Pädophilie vorgeworfen worden. Auch in dieser Tendenz führt der Kentler-Schüler die entgrenzende Sexualitätslehre seines Meisters fort. Der „väterliche Freund“ von Sielert vermittelte seit den 70er Jahren verwahrloste männliche Jugendliche gezielt in die Obhut von Päderasten. Kentler rechtfertigte später dieses von der Berliner Senatsverwaltung genehmigte und finanzierte „Experiment“, bei dem Jugendliche zu pädagogischen Zwecken missbraucht wurden, als vollen Erfolg. Seine These in zahlreichen Gutachten zu Kindesmissbrauch: Sex von erwachsenen Homosexuellen mit Jungen wirke sich gewöhnlich sehr positiv auf deren Persönlichkeitsentwicklung aus. Regine Pfeiffer, Mitarbeiterin am Kriminologischen Institut Niedersachsen, kommt in ihren Studien zu dem Ergebnis:
Kentler war „ein wissenschaftlicher Scharlatan, der mit Fälschungen und Lügen arbeitete, um Sex mit Kindern schönzureden“ (FAS 4. 10. 2015).
Was hat ein solcher diskreditierter Pädophilenaktivist im Einleitungsreferat einer katholischen Tagung zu suchen?
Kentlers emanzipatorisch-antifaschistischer Ansatz wird von den Professoren Uwe Sielert und Elisabeth Tuider fortgeführt und ausgeweitet. Deren „neo-emanzipatorische Sexualpädagogik“ bedeutet, dass sie alle „repressiven“ Grundnormen im Geschlechterbereich verwischen und verwirren wollen. Insbesondere sollen Ehe und Familie als Kernfamilie „denaturalisiert“ und die Geschlechterdualität von Mann und Frau in eine Gendervielfalt aufgelöst werden. Schließlich sollen die „intergenerativen Sexualitätsnormen zwischen Kindern und Erwachsenen“ aufgeweicht werden. So klingt Rechtfertigung von Pädophilie im Wissenschaftsjargon.
Neo-emanzipatorische Lustmaximierung
Für das Programm der Auflösung von gesellschaftlichen Normen wird dem Einzelnen eine totale Sexualfreiheit zugesprochen. Die Individuen sollen ihre sexuellen Triebenergien grenzenlos ausschöpfen zur größtmöglichen Luststeigerung Aus diesem Grundkonzept entwickeln Sielert und Co. die „Sexualpädagogik der Vielfalt“. Damit ist eine Entgrenzung der Methoden zur Lustmaximierung für Kinder und Jugendliche angesagt. Eine Übung mit der Frage: „Wo könnte der Penis sonst noch stecken?“ charakterisiert diese exzessive Sexualisierungspädagogik. Schon 13jährige Schülerinnen und Schüler sind aufgefordert, „ekligen und schmutzigen“ Sexualphantasien nachzugehen, wenn sie ihnen Lust bereiten. Sexualwerkzeuge auch sado-masochistischer Art werden als lustfördernd eingeführt. Und der „neue Puff für alle“ soll konzipiert werden.
Dabei kommt der Professor ins Schwärmen für die erwarteten gesellschaftspolitischen Folgen der sexuellen Revolution:
- Durch die Instrumentalisierung des Körpers zur Lustmaximierung würden die Menschen selbstbewusster. Ist Selbstbewusstsein in der sexuellen Triebenergie beheimatet?
- Die sexuelle Lebensenergie würde den „Eigensinn nähren“ – er meinte wohl den Egoismus.
- Die menschlichen Lusttechniker würden zu emanzipierten Bürger. So einfach scheint das: mehr Sex – mehr Emanzipation.
Defizite einer reduktionistischen Anthropologie
Doch was ist das für eine erbärmliche Anthropologie, die den Menschen in seiner geistig-moralischen Potenz auf seine sexuellen Triebe reduzieren will? „Sexualität als allgemeine Lebensenergie bedient sich des Körpers“, doziert Sielert. Er spricht der ‚sexuellen Energie’ quasi einen Subjektcharakter zu: Das vom Sex beherrschte Ich-Zentrum würde demnach den Körper und insbesondere die Genitalien benutzen als Sexualwerkzeuge.
Bei dieser Trennung von Person und Körper und dessen Instrumentalisierung liegt die Prostitution nicht mehr weit, also das Verkaufen und Kaufen von der abgetrennten geschlechtlichen Körperlichkeit. Die Fixierung auf Techniken der Lusterzeugung verhindert, die sexuellen Kräfte in die vielfältigen Dimensionen des Menschen in Geist und Leiblichkeit, Gefühl und Gewissen, Willen und Liebe einzubetten und damit zu kultivieren. Erst damit werden die sexuellen Triebe, die wir mit den Tieren gemeinsam haben, in die Würde des Menschen integriert.
Wie viele Erfahrungen eines erfüllten Menschseins entgehen den Lustfixierten:
- das unbedingte Vertrautsein mit einem anderen Menschen in der dauerhaften Liebe,
- die Verlässlichkeit einer Bindung durch bedingungslose Treue,
- die Festigung der Liebe im gemeinsamen Erleben von guten und bösen Tagen,
- das Glück, Kinder aus dieser Liebe heranwachsen zu sehen.
Aus diesen Beispielen wird deutlich, dass Sielerts Sexualtheorie vollständig in der Ich-Bezogenheit bleibt: Es geht nur um das Individuum und seine Sexualbefriedigung. Die Beziehung zu anderen Menschen bleibt auf der Ebene von do ut des: Die wechselseitige Anerkennung von Sexualvorlieben endet in der gegenseitigen Selbstbefriedigung.
Wenn schon aus anthropologischer Sicht diese sexualmaterialistische Lehre unter Niveau ist, wie viel mehr ist sie dann mit christlich-kirchlichen Positionen unvereinbar!
Der Kieler Professor Sielert beherrscht mit seiner Sexualtheorie den Hauptstrom der sexualpädagogischen Literatur im deutschsprachigen Raum. Besonders einflussreich ist er als Mitbegründer und Vorstand der „Gesellschaft für Sexualpädagogik“ (GPS) unter dem Motto: „Zur Vielfalt von Sexualitäten und Lebensweisen“. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verbreitet in ihren Medien die libertäre Sexualpädagogik der GPS.
‚Sexualpädagogik der Vielfalt’ – empfohlen für katholische Einrichtungen
Bei der Durchsicht der Berliner Tagungstexte wird klar, dass Sielerts Sexualisierungstheorien auch das erzbischöfliche Amt für Jugendseelsorge und BDKJ inspiriert haben: Das berüchtigte Methodenbuch der Kentler-Schule „Sexualpädagogik der Vielfalt“ von Elisabeth Tuider u. a. wird als „Literatur empfohlen“. Einige Methoden daraus sind in die „Praxistipps“ eingeflossen. Mit „nützlichen Links“ werden auf die einschlägigen Materialien der BZgA verwiesen. Andere Medienempfehlungen zeigen in ihren Titeln die Richtung an: „Sex we can?!“ „Sexuelle Vielfalt lernen“, „Make. Love.“
In einem Grundlagentext der Tagung wird Sielerts Theorie der sexuellen Lebensenergie vorgestellt, zusammengefasst von der GPS-zertifizierten Sexualpädagogin A.-K. Kahle. Das neo-emanziptorische Konzept der Frühsexualisierung ist in einem Workshoptext weitergesponnen. In den ‚Praxistipps’ geht man wie selbstverständlich vom „Sex Minderjähriger“ aus: „Irina (15) und Aida (16) sind total verliebt. Sie haben schon alles ausprobiert…“
Bei zugewanderten ausländischen Jugendlichen soll man sich „Kenntnisse über deren Wertehintergrund“ verschaffen. Über das christ-katholische Wertesystem zu Sexualität, Ehe und Familie erfuhren die Teilnehmer im praktischen Teil der Tagung kaum etwas.
Und zu all dem gab der Berliner Erzbischof Heiner Koch mit seinem Grußwort den Segen. Hatte er sich nicht ausreichend informiert? Oder wurde er von den Ordinariatsverantwortlichen beim praktischen Teil der Tagung hinters Licht geführt? Begnügte er sich mit den biblisch-theologischen Zielsetzungen im einleitenden Konzeptpapier, die aber nicht praxisrelevant waren? So oder so bleibt seine Mitverantwortung dafür, dass auf dieser Bistumstagung für die Jugendarbeit in katholischen Einrichtungen die Elemente einer ego-hedonistischen Sexualpädagogik propagiert wurden, die konträr zu katholischen Normen und Lehren stehen.
Bischöfe und BDKJ – Anpassung an die herrschende Sexualpädagogik
Aber es gibt auch tieferliegende Ursachen für sexualtheoretische Verwahrlosung bei den katholischen Verantwortlichen:
- Die Bundes-BDKJ-Führung, die das Thema: Sexualität und Jugend auch für die Bistümer dominiert, hat sich weitgehend an die herrschende Sexualpädagogik von GSP und BZgA angeschlossen und sich von der katholischen Lehre zu Liebe, Ehe und Familie verabschiedet.
- Die früheren Jugendbischöfe bzw. Jugendkommissionen der Deutschen Bischofskonferenz haben ebenfalls die kirchliche Lehre zu Sexualität und Ehe marginalisiert. Eine solche Aussage wie vom derzeitigen Jugendbischof Stefan Oster, dass Sexualität ihren „einzig legitimen Ort in einer Ehe zwischen genau einem Mann und einer Frau“ habe, hat man früher von Jugendbischöfen nicht gehört.
- Aber auch Ortsbischöfe lassen wenig über die kirchliche Ehelehre verlauten. Insbesondere werden die Ordinariatsjugendabteilungen oft nicht im Sinne der kirchlichen Lehre instruiert und geführt, so dass die sich dem mainstream der libertären Sexualpädagogik anschließen.
- Die Bischöfe haben es zugelassen, dass in den Lehrplänen der meisten Bundesländern zum Religionsunterrichtsthema: ‚Sexualität und Liebe’ die kirchlichen Positionen zu Ehe und Familien nicht oder nur am Rande behandelt werden.
- Bei der Einführung von Frühsexualisierung und sexueller Vielfalt in den Sexualerziehungslehrplänen verschiedener Bundesländer haben die Bischöfe, wenn überhaupt, nur zaghaft die Proteste und Demonstrationen von besorgten Eltern unterstützt.
- In den Religionslehrerverbänden, bei kirchlichen Lehrerfortbildungen und in katholischen Akademien wird keine ernsthafte Auseinandersetzung mit der herrschenden Sexualpädagogik geführt.
Angesichts der offenkundigen Fehlleitung auf der Berliner Tagung sollte Erzbischof Heiner Koch in seinem Bistum den Anfang machen, in kritischer Auseinandersetzung mit dem herrschenden Sexualmaterialismus die katholische Lehre zu Sexualität, Ehe und Familie zu verbreiten und vertiefen.
Text: Hubert Hecker
Bild: Erzbistum Berlin/Wikicommons (Screenshots)