Von Roberto de Mattei*
„Lange Zeit bevor die zivilisierten Staaten dazu gelangten, ein Völkerrecht zu etablieren, lange bevor sie den – noch nicht umgesetzten – Traum einer gemeinsamen Kraft zum Schutz der gesunden Freiheit des Menschen, der Unabhängigkeit der Völker und einem friedlichen Gleichgewicht in ihren gegenseitigen Beziehungen formulierten, hatte der Johanniterorden in einer religiösen Bruderschaft mit militärischer Disziplin Männer aus acht verschiedenen ‚Sprachen‘ gesammelt, die sich der Verteidigung der geistigen Werte verschrieben, die das gemeinsame Erbe und Vorrecht der Christenheit bilden: des Glaubens, der Gerechtigkeit, der sozialen Ordnung und des Friedens.“
Diese Worte, die Pius XII. am 8. Januar 1940 an die Ritter des Souveräner Ritter- und Hospitalorden vom heiligen Johannes von Jerusalem von Rhodos und von Malta richtete, fassen die Wesensmerkmale des ältesten Ritterordens zusammen, des einzigen heute existierenden souveränen Staates, dessen Fahne auf dem Feld der Kreuzzüge wehte. Ein Orden, dessen Charisma immer war, was in seinem Wahlspruch ausgesagt ist: Tuitio fidei et Obsequium pauperum (Bezeugung des Glaubens und Hilfe den Bedürftigen) war.
Ist es möglich, daß ein Papst diese Institution, die ein Ruhm der Christenheit ist, zertrümmern will? Leider gewinnt man genau diesen Eindruck aus den jüngsten Ereignissen, die den Malteserorden betreffen.
Am 27. Dezember 2016 erfolgte an dieser Stelle eine erste Rekonstruktion dieser Ereignisse. Edward Pentin vertiefte und bereicherte das Szenario in einem Artikel im National Catholic Register vom 7. Januar 2017 um weitere Details. Es ergibt sich zusammenfassend folgendes Bild: Am 6. Dezember forderte der Großmeister des Malteserordens, Fra Matthew Festing, in Gegenwart von zwei Zeugen, einer davon der Kardinalpatron Raymond Leo Burke, den Großkanzler Albrecht Freiherr von Boeselager zum Rücktritt auf. Es war nämlich ans Licht gekommen, daß Großkanzler Boeselager in seiner Amtszeit als Großhospitalier des Ordens seine Macht mißbraucht hatte, indem er die Verteilung von Kondomen und Verhütungsmitteln, auch mit abtreibender Wirkung, in Ländern der Dritten Welt gefördert hatte.
Trotz seines Gehorsamsversprechens (Promess), das ihn dem Großmeister verpflichtet, weigerte sich der Großkanzler zurückzutreten. Daraufhin wurde ein Verfahren gegen ihn eingeleitet, der von allen Ordensämtern suspendiert wurde. Boeselager wandte sich an das vatikanische Staatssekretariat um Hilfe, das eine Untersuchungskommission ernannte, um „Elemente zu sammeln, die geeignet sind, den Heiligen Stuhl vollständig und schnell in der Angelegenheit zu informieren, die jüngst den Großkanzler des Ordens, Herrn Albrecht Freiherr von Boeselager betrafen“, wie das Presseamt des Vatikans am 22. Dezember bekanntgab.
Am 23. Dezember erklärte der Großmeister des Ordens die Entscheidung des Staatssekretariats für „inakzeptabel“ und erinnerte den Vatikan daran, daß die Absetzung Boeselagers ein „interner Verwaltungsakt in der Leitung des Souveränen Malteserordens ist und daher ausschließlich in seine Zuständigkeit fällt“. In einer weiteren Erklärung vom 10. Januar bekräftigte der Großmeister seine Absicht, nicht mit der vatikanischen Untersuchungskommission zusammenzuarbeiten „auch zum Zweck, die eigene Souveränitätssphäre zu schützen gegen Initiativen, die in einer Form auftreten, die objektiv (und daher unabhängig von den Absichten, die rechtlich irrelevant sind) darauf abzielen, diese Sphäre in Frage zu stellen oder zumindest einzuschränken.“
Die vatikanische Initiative vermittelte sofort den Eindruck eines aufsehenerregenden Fauxpas. Die Rechtsordnung des Malteserordens ist durch die 1997 reformierte Verfassung definiert. Artikel 3 der Verfassung besagt im Paragraph 1:
„Der Orden ist Subjekt des Völkerrechts und übt die mit den Souveränitätsrechten verbundenen Funktionen aus.“
Diese Funktionen sind: die Exekutive, repräsentiert durch den Großmeister, assistiert durch den Souveränen Rat; die Legislative, repräsentiert durch das Generalkapitel; die Judikative, repräsentiert durch die Magistraltribunale. Der Malteserorden stellt Diplomatenpässe aus und verfügt über exterritoriale Niederlassungen in Rom, in denen er offiziell die Vertreter von über 100 Staaten empfängt, mit denen er gleichrangige diplomatische Beziehungen unterhält. Mit dem Heiligen Stuhl unterhält der Orden privilegierte Beziehungen, jedoch in völliger Selbständigkeit. Der Heilige Stuhl ernennt einen Kardinalpatron und der Orden einen Botschafter, gemäß den Bestimmungen des Völkerrechts. Wie Prof. Paolo Gambi anmerkte, nimmt der Orden, trotz seiner religiösen Natur, die den von der kirchlichen Autorität abhängigen Orden gemeinsam ist, eine völlige Sonderstellung ein, indem er „eine im kirchlichen Rahmen fast einzigartige Selbständigkeit genießt und den Einfluß dieser [religiösen] Natur auf die Mitglieder mit Ewigen Gelübden beschränkt“ (La soberana militar Orden de Malta en el orden juridico eclesial e internacional, Ius Canonicum, XLIV, Nr. 87 (2004), S. 197–231).
Artikel 4, Paragraph 6 der Verfassung des Souveränen Malteserordens ist diesbezüglich eindeutig:
„Der religiöse Charakter des Ordens schließt die Ausübung der ihm zustehenden Souveränitätsrechte nicht aus, insofern der Orden ein von den Staaten anerkanntes Völkerrechtssubjekt ist.“
Die Bestätigung dieses Völkerrechtsstatus, auch gegenüber dem Heiligen Stuhl, ist das Päpstliche Jahrbuch, in dem der Orden nur einmal erwähnt wird, und zwar nicht unter den religiösen Orden, sondern unter den beim Heiligen Stuhl akkreditierten Botschaften. Die Verfassung von 1997 hat verschiedene kirchliche Interventionen eliminiert, die es zuvor gab, darunter die Approbation durch den Heiligen Stuhl, damit die Ablegung der Gelübde gültig war.
Die Zuständigkeit des Heiligen Stuhls über das religiöse Leben der Ritter betrifft nur die Angehörigen des Ersten Standes. Das sind die Justizritter oder Professen, die feierlich und auf ewig die drei monastischen Gelübde ablegen. Die Angehörigen des Zweiten Standes, die Ritter und Damen der Obödienz, legen kein Gelübde ab, verpflichten sich aber durch die Promess zum Gehorsam und unterstehen damit ausschließlich ihren Ordensoberen. Ex-Kanzler Albrecht von Boeselager ist, da verheiratet und Vater von fünf Kindern, ein Laie und gehört dem Zweiten Stand an. Er untersteht damit in keiner Weise dem Heiligen Stuhl. Davon abgesehen sind auch die Justizritter, die (gemäß Art. 9, Abs. 1 der Verfassung) „Religiosen mit allen Wirkungen des Kirchenrechtes“ sind, nicht zum Leben in Gemeinschaft verpflichtet, was ein unicum im Leben der Kirche darstellt. Fra Ludovico Chigi Albani della Rovere (1866–1951) war von 1931–1951 Fürst und Großmeister des Ordens. Er legte nach dem Tod seiner Frau (1898) die Ewigen Gelübde als Justizritter ab, lebte aber weiterhin im Palazzo Chigi, der sich bis 1916 im Besitz seiner Familie befand (damals auch die österreichisch-ungarische Botschaft beherbergte und heute Amtssitz des italienischen Ministerpräsidenten ist). Dort führte er ein seinem Stand und Rang entsprechendes Leben.
Natürlich hat die Kirche gegenüber dem Malteserorden dasselbe Recht, das sie gegenüber jedem souveränen Staat hat, wenn es um Probleme geht, die direkt den Glauben und die Moral betreffen. Der Papst hat das Recht und die Pflicht zu allen politischen und sozialen Fragen einzugreifen, die mit der Erreichung des höchsten Zieles des Menschen zu tun haben, dem ewigen Leben. Wenn ein Staat eine widernatürliche sexuelle Verbindung legitimiert, hat der Papst die Pflicht, Stellung zu nehmen und die schwerwiegende Verletzung des Göttlichen Gesetzes und des Naturrechts anzuklagen. Wenn der Malteserorden Verhütung und Abtreibung fördert, hat der Papst die Pflicht, seine Stimme zu erheben. Heute geschieht hingegen das Gegenteil. Die Kirche enthält sich der Stellungnahmen zu Moralfragen, die ihr eigenster Bereich wären, und nimmt stattdessen zu politischen und administrativen Fragen Stellung, die nicht zu ihrer Zuständigkeit gehören.
Christopher Lamb zitierte im Tablet vom 5. Januar ein Schreiben von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, das am 21. Dezember an Fra Matthew Festing ging. Darin wird dem Großmeister mitgeteilt, daß Papst Franziskus die Rücknahme der Absetzung von Boeselagers wünscht.
„Wie ich bereits in meinem vorherigen Schreiben vom 12. Dezember 2016 zum Ausdruck gebracht habe: Zum Gebrauch und zur Verbreitung von Methoden und Mitteln, die dem Moralgesetz widersprechen, hat Seine Heiligkeit einen Dialog über die Art und Weise gebeten, mit der eventuelle Probleme behandelt und gelöst werden können. Er hat aber nie gesagt, jemanden zu verjagen!“
Fassen wir zusammen: Für jene, die das Gesetz Gottes und das Naturrecht verletzen, gibt es Dialog und die ausgestreckte Hand. Für jene, die hingegen den Glauben und die katholische Moral verteidigen, steht der Knüppel des politischen Kommissars und der Untersuchungskommission schon bereit.
Die Gruppe von Rittern um Albrecht von Boeselager ist eine säkularisierte Strömung, die den Malteserorden gerne in eine humanitäre NGO umwandeln möchte. Die derzeitige Ordensleitung vertritt hingegen die Treue zu den religiösen Wurzeln des Ordens. Vielleicht ist gerade das ihre größte Sünde, zu denen sich eine weitere gesellt. Im Laufe der mehr als 950jährigen Geschichte hat der Souveräne Ritterorden von Malta nie seine aristokratische, ritterliche und souveräne Gestalt verloren. Dieses Erscheinungsbild stellt das genaue Gegenteil des Miserabilismus und Egalitarismus dar, der von jenen vertreten wird, die heute die Kirche regieren. Das Ergebnis ist, daß der Klerikalismus zwar kritisiert, in Wirklichkeit aber mit verheerenden Folgen praktiziert wird. Die massive Einmischung des Staatssekretariats im Namen von Papst Franziskus provoziert im Inneren des Ordens Chaos und Spaltung.
Der Souveräne Malteser-Ritterorden hat in seiner langen Geschichte alle Wechselfälle überstanden. In den 250 Jahre in Palästina, den 210 Jahre auf Rhodos, den 270 Jahren auf Malta schien seine Mission viele Male zu Ende zu sein und doch erhob er sich immer neu, auch als über Europa der Sturm der Französischen Revolution und Napoleons hinwegfegte. Es bleibt zu hoffen, daß Großmeister Fra Matthew Festing und der Souveräne Rat, der ihm zur Seite steht, mit Entschiedenheit dem starken Druck zu widerstehen wissen, der in diesen Tagen auf die ausgeübt wird. Niemand hätte je an der Liebe und Anhänglichkeit des Großmeisters Ludovico Chigi Albani gegenüber dem Papst zweifeln können, der in seiner Funktion als Marschall der Heiligen Römischen Kirche an der Wahl von drei Päpsten teilnahm. Dennoch widersetzte er sich eisern jedem kirchlichen Versuch, sich in das Leben des Ordens einzumischen. Der Heilige Stuhl mußte die souveräne Natur des Malteserordens “ohne Einmischung durch eine weltliche oder kirchliche Autorität“ anerkennen, wie Benedikt XVI. erinnerte, als er die Ritter anläßlich des 900. Jahrestages der Gewährung des Privilegs Pie postulatio voluntatis vom 15. Februar 1113 empfing. Mit diesem feierlichen Akt, wie Papst Benedikt betonte, „stellte Paschalis II. die junge, nach dem Heiligen Johannes dem Täufer benannte ‚Hospitalbruderschaft‘ von Jerusalem unter den Schutz der Kirche und machte sie souverän“.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschienen: Vicario di Cristo. Il primato di Pietro tra normalità ed eccezione (Stellvertreter Christi. Der Primat des Petrus zwischen Normalität und Ausnahme), Verona 2013; in deutscher Übersetzung zuletzt: Das Zweite Vatikanische Konzil – eine bislang ungeschriebene Geschichte, Ruppichteroth 2011.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: orderofmalta.int (Screenshot)
Einmischen.Aufmischen.Wegwischen.
Was hier passiert ist eine Agitation im vatikanischen „Dreischritt nach Stil Befreiungstheologie“ Die Methode hat Saison seit Papst Franziskus amtiert, sowohl in Wort und Tat.
Für das Einmischen seitens des Vatikans in die inneren Angelegenheiten des Malteser Ordens gibt es keine Legitimation. Egal, der Schritt ist gesetzt und Rücknahme einer Entscheidung ist ja nicht in der Arbeitskultur von Franziskus programmiert. Damit wird ein „Aufmischen“ in Gang gesetzt. Das hat faktisch gestartet. Wegwischen – was? Ganz einfach, die Position des Kardinalpatrons der Malteser, also die Position von Kardinal R. Burke. Damit wäre Burke erfolgreich ins Out befördert, gleichzeitig wird er womöglich wegen unheiligem Widerstand gegen den Papst der Kardinalswürde entkleidet.
Example statuiert.
Solange man sich seitens des Malteserordens auf geltendes Recht berufen kann, braucht sich gar nichts ändern. Ob es ein Papst will oder nicht spielt in Wahrheit keine Rolle.
Ich würde an deren Stelle auch eine Abspaltung gegenüber dem Heiligen Stuhl in Kauf nehmen, statt diese völlig gesetzlose Überprüfung zu gewähren.
Das koennte dann ein Schisma werden.
Gut 2 Jahre später die nächste Provokation: Die „Alte Messe“ wird ordensoffiziös „verboten“. So berichten die katholischen Medien unisono – offenbar nicht ohne Grund.
Durch die rechtliche Grundlage braucht der Malteserorden einer päpstlichen Untersuchungskommission nicht einmal die Tür aufmachen. Es ist wichtig, dass sie sich dessen bewusst sind und weiterhin die lange Tradition der Souveränität ihres Ordens bewahren.
Man könnte Papst Bergoglio auch auffordern, endlich die Zweifel zu beantworten die es hinsichtlich seines Schreibens Amoris Laetitia in Zusammenhang mit den 10 Geboten gibt. Und nicht seine Zeit für Dinge verwenden, die ihn rein gar nichts angehen.
Lieber Herr Eckstein, Sie haben den „Dreiklang“ der Einmischung exakt beschrieben. Ich möchte nochnals auf ein Buch vor Murphy „The Vikar auf Christ“ verweisen, das einen fiktiven amerikanischen Papst „Franziskus I“ als Nachfolgers Pauls VI beschreibt, der in vielen Punkten bis in die Diktion und den Reformen dem Pontifikat des jetzigen Papst Franziskus gleicht. Seine vorletzte Handlung ist die Demissionierung von vier Kardinälen. Ihnen wird als letzter Wunsch und Akt der Barmherzigkeit gestattet in ein unbedeutendes Kloster zu gehen. Warten wir ab, ob fiktiver Roman und Wirklichkeit übereinstimmen werden.