von Roberto de Mattei*
Hat der Papst den Malteserorden unter kommissarische Aufsicht gestellt? Die Strategie mit dem Kommissar gefällt Papst Franziskus zweifelsohne. Er hat diese drakonische Maßnahme bereits gegen zwei religiöse Orden angewandt, die er für „zu traditionell“ hält: gegen die Franziskaner der Immakulata (FI) und gegen das Institut des fleischgewordenen Wortes (IVE). Es ist kein Zufall, daß die Ankündigung einer Kommission, „um Elemente zu sammeln, die geeignet sind, den Heiligen Stuhl vollständig und schnell in der Angelegenheit zu informieren, die jüngst den Großkanzler des Ordens, Herrn Albrecht Freiherr von Boeselager betrafen“, vom vatikanischen Presseamt am 22. Dezember gemacht wurde, genau während Papst Bergoglio die traditionellen Weihnachtswünsche an die Römische Kurie zu einem harten Vorwurf gegen jene machte, die sich seinem Projekt eines radikalen Umbaus der Kirche entgegenstellen mit implizitem Bezug auf Raymond Leo Burke, den Kardinalpatron des Malteserordens. In diesem Fall ist es allerdings nicht direkt möglich, das Instrument des Kommissars einzusetzen.
Wie Don Fabrizio Turriziani Colonna in seiner grundlegenden Studie Souveränität und Unabhängigkeit des Souveränen Ritterordens von Malta (erschienen im Vatikanverlag 2006) darlegte, stehen sich der Malteserorden und der Heilige Stuhl als völkerrechtliche Subjekte gegenüber, und verfügen daher beide über gegenseitige Unabhängigkeit. Der Malteserorden besitzt eine doppelte Rechtspersönlichkeit. Auf kirchenrechtlicher Ebene ist er dem Heiligen Stuhl unterstellt. Das Völkerrecht garantiert ihm zugleich die Unabhängigkeit vom Heiligen Stuhl. Die Tatsache, daß der Malteserorden mit 94 Staaten diplomatische Beziehungen unterhält und über einen eigenen Botschafter beim Heiligen Stuhl vertreten ist, bestätigt, daß in einem bestimmten Bereich die Beziehungen gleichrangig sind. Der Souveräne Ritterorden von Malta ist mit anderen Worten ein souveräner Staat, wenn auch ohne Territorium, der seine Selbständigkeit und Rechte immer mit Nachdruck und erfolgreich verteidigt hat. In den mehr als neun Jahrhunderten ihrer Geschichte haben sich die Malteserritter großen Ruhm und Ehre erworben, indem sie ihr Blut für die Kirche vergossen haben. Es fehlte aber nicht an Konflikten mit dem Heiligen Stuhl. Der bisher Jüngste, den Roger Peyrefitte in Chevaliers de Malte (Flammarion, Paris 1957) schildert, fand in der zweiten Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts statt, als es dem Orden gelang, den Versuch einer Zusammenlegung mit den Grabesrittern zu verhindern. Das Tauziehen endete 1953 mit dem Urteil eines Kardinalsgerichts, das die Souveränität des Malteserordens anerkannte, wenn auch zugleich seine Abhängigkeit vom Heiligen Stuhl bekräftigte, was das religiöse Leben der Ritter anbelangt. Der Malteserorden akzeptierte das Urteil unter drei Bedingungen:
- Die Anerkennung seiner Rechte als Völkerrechtssubjekt;
- Die Beschränkung der religiösen Abhängigkeit des Ordens auf den Ersten Stand mit Ordensgelübden: auf die Justizritter und die Profeß-Konventualkapläne;
- Den Ausschluß einer Zuständigkeit des vatikanischen Staatssekretariats. Die Zuständigkeit des Heiligen Stuhls betrifft daher weder die innere noch die äußere Regierung des Ordens, sondern beschränkt sich lediglich auf das religiöse Leben der Professen.
An dieser Stelle müßte man nun annehmen, Papst Franziskus habe im Orden doktrinelle oder moralische Abweichungen unter den Angehörigen des Ersten Standes erkannt, und sei der Meinung, diese zurechtrücken zu müssen. Was aber ist wirklich geschehen? Es war ans Licht gekommen, daß von Einrichtungen des Ordens in Krisengebieten Zehntausende von Verhütungsmitteln verteilen worden seien, darunter auch solche mit abtreibender Wirkung (wie aus entsprechenden Berichten über Programme der UNO zur Bekämpfung von HIV/AIDS in Myanmar hervorgeht). Großmeister Matthew Festing griff, als er davon sichere Kenntnis erlangte, ein, um dem Skandal ein Ende zu setzen. Er machte Boeselager, zu jener Zeit Großhospitalier, dafür verantwortlich und forderte seinen Rücktritt. Großkanzler Boeselager, der mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin gut befreundet ist, und dessen Bruder Georg erst jüngst in die Leitung der Vatikanbank berufen wurde, erklärte, nichts von der Verteilung gewußt zu haben und lehnte den Rücktritt ab.
Die Bildung einer Untersuchungskommission durch das vatikanische Staatssekretariat, bestehend aus fünf Mitgliedern, die alle mehr oder weniger Boeselager nahestehen, stellt eine schwerwiegende Einmischung in ordensinterne Angelegenheiten dar. Der Heilige Stuhl hätte sich darauf zu beschränken, durch den Kardinalpatron über das religiöse Leben der Professen zu wachen. Als Kardinalpatron amtiert seit 2014 Raymond Leo Kardinal Burke, den Papst Franziskus selbst ernannt hatte. Konkret geht es um Verfehlungen des Großkanzlers des Ordens, der kein Professe ist, sondern als Obödienzritter dem Zweiten Stand des Malteserordens angehört, über den der Heilige Stuhl keinerlei Zuständigkeit hat. Das einzige Gelübde, zu dem sich die Obödienzritter verpflichten, ist der Gehorsam. Der Papst hat jedes Recht, sich über ordensinterne Angelegenheiten informieren zu lassen. Daß dies jedoch durch eine Untersuchungskommission erfolgt und nicht durch den offiziellen päpstlichen Vertreter ist völlig unüblich, außer man wollte den päpstlichen Vertreter unter Anklage stellen. Über einen Kardinal können aber nur Seinesgleichen urteilen, nicht aber Vatikanbürokraten. Im konkreten Fall ist es völlig unangemessen, eine Vatikankommission mit irgendeiner Wertung zu beauftragen, die nicht das religiöse Leben der Professen, sondern Fragen der Ordensleitung betrifft. Auf diese Weise entsteht der Eindruck, als befände sich der Großmeister unter Anklage. Dieser tat daher gut daran, die Arbeit dieser unechten Kommission zurückzuweisen.
Nicht nur die Vorgehensweise ist unecht, sondern vor allem auch die meritorische Beurteilung durch die vatikanischen Stellen. Der Gesamteindruck ist verheerend: Wer unter Mißachtung der Lehre der Kirche Verhütung und Abtreibung fördert und die eigenen Gelübde verletzt, verdient heute rehabilitiert zu werden. Wer die Lehre der Kirche und die moralische Integrität der Institution, der er angehört, verteidigt, wird hingegen des „böswilligen Widerstandes“ gegen den Papst bezichtigt und landet auf der Anklagebank. Es bleibt zu hoffen, daß die Ritter reagieren werden. Es steht die Souveränität des Malteserordens auf dem Spiel und seine Tradition der ununterbrochenen Verteidigung des katholischen Glaubens und der katholischen Moral.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschienen: Vicario di Cristo. Il primato di Pietro tra normalità ed eccezione (Stellvertreter Christi. Der Primat des Petrus zwischen Normalität und Ausnahme), Verona 2013; in deutscher Übersetzung zuletzt: Das Zweite Vatikanische Konzil – eine bislang ungeschriebene Geschichte, Ruppichteroth 2011.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL