Gastkommentar von Clemens Victor Oldendorf.
Nachdem die Außerordentliche Bischofssynode zu Ehe und Familie in Rom zu Ende gegangen ist, habe ich mir einige Tage Zeit gelassen, meine Eindrücke und Überlegungen dazu zu formulieren. Ich habe mit verschiedenen Personen gesprochen, die die Synode ebenfalls mit Interesse verfolgt hatten, vor allem aber das Echo in den Medien und in katholischen Blogs zu analysieren versucht. Auch, was beispielsweise auf Katholisches.info und kath.net publiziert wurde, habe ich einbezogen und ebenso einschlägige Facebook-Kommentare, vielleicht die am wenigsten gefilterte vox populi zum Thema, nicht unbeachtet gelassen. Durchgesetzt haben sich dabei eigentlich nur recht wenige Beobachtungen, doch betreffen sie Grundsätzliches und erscheinen mir wegen ihrer Signifikanz gerade besonders bedenkens- und beachtenswert.
Was ist der wirkliche Glaubenskern?
Nach Erscheinen des Zwischenberichtes ist mir aufgefallen, wie nervös und beunruhigt Konservative und bestimmte Traditionalisten reagiert haben, also Vertreter der Lager, denen ich wahrscheinlich selbst vielfach zugeordnet werde. In einem bestimmten Sinne muß ich dieser Zuweisung offenbar widersprechen, denn ehrlich gesagt kann ich die ganze Aufregung nicht nachvollziehen. Da wurden Stimmen laut, die sagten, wenn im Bereich der Sexualmoral Änderungen einträten oder zivil wiederverheiratete Geschiedene zur heiligen Kommunion hinzutreten dürften, so ginge der Kern des katholischen Glaubens verloren. Wenn man sie stimmig argumentieren würde, nämlich mit dem Verlust der praktischen Wirksamkeit des Naturrechts, würden solche Änderungen in der Disziplin und Praxis den katholischen Glauben nach meiner Überzeugung tatsächlich nicht tangieren, geschweige denn seinen Kern in Mitleidenschaft ziehen. Meine erste Beobachtung ist also die, daß ich es sogar sehr bedenklich finde, wenn heutige, konservative Katholiken in Bereichen wie diesen den Kern des katholischen Glaubens sehen, denn die gesamte Fundierung dieses Feldes leistet ausschließlich das klassische Naturrechtsdenken, erst bestimmte Konsequenzen daraus, beispielsweise die Zulassung zu den Sakramenten, stehen gegebenenfalls überhaupt mit dem Offenbarungsglauben in Verbindung.
Naturrecht und Moral als Ersatzinhalt des Katholischen?
Hier glaube ich, Humanae Vitae tradendae und den jetzt ebenfalls seliggesprochenen Papst Paul VI. ins Spiel bringen zu müssen. Seit ihm und dann unter Johannes Paul II., der eine ganze Generation von Katholiken geprägt hat und der auch ich chronologisch selbst angehöre, waren es doch eigentlich quasi exklusiv ethische und moralische Fragenkreise, zu denen das aktuelle Lehramt noch wertkonservative und für unveränderbar gehaltene, klare Antworten gegeben hat. Diese Klarheit wurde offensichtlich für die heutigen Konservativen psychologisch zu dem entscheidenden Inhalt und Halt im katholischen Glauben. Wenn jetzt auch noch in diesem Bereich die Sicherheiten sich verflüchtigen und Wandelbarkeit eintritt, worauf könnten solche Katholiken sich dann noch verlassen? Wohl nur noch leer positivistisch auf den quasi apotheotisch überhöhten Heiligen Vater und auf das, was dieser jeweils sagt. Wie anders erklärt es sich, daß durchaus intelligente Personen die Konsequenz in den Raum gestellt haben, im Falle einer veränderten Praxis infolge der Synode (eigentlich müßte man ja sagen: der Synoden, wenn man jene in 2015 hinzunimmt), müßte man Sedisvakantist werden. Ich für meinen Teil finde, daß es kein schlechteres Argument geben könnte, sich dieser Theorie anzuschließen.
Prioritätensetzung der konservativen Synodalen
Meine zweite Beobachtung betrifft die Heftigkeit des Widerstandes, auf den mögliche Änderungen der gegenwärtigen, offiziellen Praxis in der Synode gestoßen sind. So sehr ich diesen Widerstand in seinem momentanen Effekt begrüße, so sehr deutet er für mich in dieselbe Richtung wie meine zuerst gemachte Bemerkung. Auch die konservativen Bischöfe sehen das Wesentliche des katholischen Glaubens anscheinend in moralischen Fragen. Sagen wir es deutlich: Gerade dadurch wird der Kern des Glaubens verfehlt, beziehungsweise zeigt sich, daß das rechte Verständnis des Eigentlich-Katholischen weithin schon länger verlorengegangen sein muß. Vielmehr wurde es für mich angesichts dieses Widerstandes noch rätselhafter als bis jetzt, wieso die Konservativen vor 50 Jahren in Rom und danach weltweit nicht zu wirkungsvollerem Widerstand fähig und willens waren, beziehungsweise, warum sie nicht in der Lage waren, die Ergebnisse und Reformen des II. Vaticanums im Sinne des überlieferten Glaubens besser unter Kontrolle zu halten.
Warum erleichtert, weshalb enttäuscht?
Die abschließende Botschaft der Synode und die Erleichterung, die die Konservativen darüber empfunden haben, leiten über zu meiner dritten Beobachtung. Ich bin nüchtern genug, um mich nicht von unsinnigen „Warnungen“ ins Bockshorn jagen zu lassen, kann aber auch nicht verstehen, wieso die Konservativen jetzt „Entwarnung“ geben oder umgekehrt, warum die Parteigänger Kaspers sich „enttäuscht“ zeigen. Letzteres verstehe ich schon irgendwie, es ist Taktik im Umgang mit den säkularen und den kirchlich liberalen Medien. Die Konservativen sollen wieder den Schwarzen Peter bekommen, der böse Hemmschuh sein, der sich dem reformfreudigen Franziskus und dem Fortschritt von Synode und Kirche entgegengestemmt hat.
Doch da die Abstimmungsergebnisse veröffentlicht sind, wissen wir, wie knapp in den meisten Fragen die qualifizierte Zweidrittelmehrheit verfehlt worden ist. Der Umkehrschluß daraus ist, daß nur noch eine Minderheit von nicht einmal einem Drittel der Väter, die jetzt an der Synode teilgenommen haben, in allen Punkten ohne Wenn und Aber die bisherige, offizielle, überlieferte Lehre und Praxis der Kirche bejaht. Da an der Ordentlichen Bischofssynode 2015 ein weit größerer Kreis von Synodalen beteiligt sein wird, können die Abstimmungsergebnisse ohnehin vollkommen anders ausfallen.
Die Abschlußansprache Papst Franziskus‘
Der Heilige Vater hat in seiner Ansprache zum Abschluß der Außerordentlichen Synode soziologisch-psychologisch sehr zutreffende Feststellungen über Traditionalisten getroffen, die „sich im Buchstaben abschließen“ und diese zumindest teilweise mit Intellektualisten gleichgesetzt. Gerade letzteres finde ich sehr bedenklich, nachdem er erst kürzlich gesagt hatte, gerne mit den intellektuell gut ausgebildeten, konservativen Bischöfen zu diskutieren. Es stimmt natürlich, daß vielen die Bereitschaft und auch die geistige Regsamkeit fehlt, sich intellektuell kreativ mit dem Faktum auseinanderzusetzen, daß man heute praktisch nur noch in inneren Zirkeln, mit denen man sowieso übereinstimmt, mit dem Naturrecht argumentieren kann. Doch in beide Richtungen, sowohl in die des Papstes, der gerne mit Konservativen spricht, sie dann aber Intellektualisten nennt, als auch in die tatsächlich steriler Traditionalisten, die nur in vorgefaßten Geleisen argumentieren wollen, die heute faktisch ins Leere gehen, richtet sich die Frage, was dann eine inhaltliche Argumentation überhaupt noch soll.
Zwar hat der Heilige Vater sich auch von Progressiven und Liberalen und deren „falscher Barmherzigkeit“ abgegrenzt, welche Wunden verbinde, ohne sie zuvor zu behandeln und zu pflegen, aber, anders als bei Benedikt XVI., meine ich nicht, daß es hierbei in erster Linie um eine dialektische Gegenüberstellung geht, sondern jedenfalls mehr darum, daß der Papst für seine Person und Agenda einen etwaigen traditionalistischen Vorwurf von sich weisen möchte, selbst eine falsche Barmherzigkeit zu verkörpern.
Letztentscheidung und Autorität des Papstes, Vorbildfunktion Pauls VI.
Gleichzeitig hat der Heilige Vater sehr stark betont, daß er der Papst ist und als solcher die letzte Entscheidung bei ihm liegt. Dabei hat er ausgiebig Benedikt XVI. zitiert, sich also in Richtung der Konservativen mit der Kontinuitätsfigur abgesichert. Deswegen ist meines Erachtens auch die Erwartung oder Aufforderung an Benedikt XVI. unrealistisch und den emeritierten Papst verkennend, er solle seine Stimme als Korrektiv erheben.
Daher halte ich es für sehr gut denkbar, daß die Positionen, die jetzt, aber eben nur knapp, die qualifizierte Mehrheit verfehlt haben, im Endeffekt mit Franziskus‘ päpstlicher Autorität unterstützt werden könnten. Amoklaufen müssen traditionstreue Katholiken auch dann nicht. Aber sie sollten sich davon jedenfalls auch nicht überraschen lassen: 1967 hatte sich sogar eine qualifizierte Mehrheit gegen die sogenannte Missa Normativa ausgesprochen, 1969 führte der selige Papst Paul VI. dennoch den Novus Ordo Missae ein, der diesem Prototyp weitestgehend entspricht und setzte ihn mit der aus der Geschichte hinlänglich bekannten und unwiderleglichen Unnachgiebigkeit durch. Damals brach die konservative Opposition praktisch sofort in sich zusammen. Wo war der Coetus Internationalis Patrum nach dem Konzil? Wenn man es genau nimmt, wäre während der progressiven Vereinnahmung des Konzils und danach die Aufregung viel begründeter und ein Widerstand, der standhält, viel entscheidender gewesen. Auch, wenn er standhält: Wird der Hoffnungsträger Burke letztlich zwangsläufig zu Eminenz Sisyphos werden? Zum Gegenpapst Sisyphus sicher doch nicht.
Text: Clemens Victor Oldendorf
Bild: Sisyphos, Skulptur von Andreas Kuhnlein