Der Iran widmet der Jungfrau Maria eine U‑Bahnstation

Die Gratwanderung für Christen


U-Bahnstation in Teheran wurde nach der Jungfrau Maria benannt. Mehrere Reliefs zeigen eine christliche Ikonographie
U-Bahnstation in Teheran wurde nach der Jungfrau Maria benannt. Mehrere Reliefs zeigen eine christliche Ikonographie

Die Ein­wei­hung einer U‑Bahnstation in Tehe­ran mit dem Namen „Hei­li­ge Jung­frau Maria“, geschmückt mit christ­li­cher Iko­no­gra­phie, stellt eine sym­bo­li­sche Geste gegen­über der christ­li­chen Min­der­heit in dem sich seit 1979 „Isla­mi­sche Repu­blik“ nen­nen­den Staat, dem ein­sti­gen Per­si­en. Der­sel­be Iran wird von Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen beschul­digt, ande­re Glau­bens­rich­tun­gen zu ver­fol­gen. Was stimmt nun?

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Am Ein­gang der neu­en Sta­ti­on der 2019 eröff­ne­ten Linie 6 der Tehe­ra­ner U‑Bahn ist der Name „Maryam‑e Moqad­das“ oder „Hei­li­ge Jung­frau Maria“ zu lesen. Die Sta­ti­on befin­det sich im Zen­trum der ira­ni­schen Haupt­stadt und ist mit sie­ben Wand­ge­mäl­den geschmückt, die Jesus, Maria sowie kul­tu­rel­le Ele­men­te der christ­li­chen arme­ni­schen Min­der­heit des Lan­des zeigen.

Die Sta­ti­on liegt direkt gegen­über der Kathe­dra­le St. Sar­kis der Arme­nisch-Apo­sto­li­schen Kir­che – angren­zend an ein Wand­bild des Grün­ders der Isla­mi­schen Repu­blik, Aya­tol­lah Kho­mei­ni, der mit stren­gem Blick auf den Platz schaut. Die spa­ni­sche Nach­rich­ten­agen­tur EFE stell­te die neue U‑Bahnstation in einem Videobe­richt vor (sie­he unten). Das Tehe­ra­ner U‑Bahnnetz beför­dert täg­lich über vier Mil­lio­nen Fahr­gä­ste und ver­fügt über eine Gesamt­län­ge von mehr als 220 Kilo­me­tern – das ent­spricht in etwa dem U‑Bahnnetz von Paris, über­trifft jedoch jenes von Ber­lin, Wien oder Rom bei weitem.

Die neue Sta­ti­on, die 11 Mil­lio­nen US-Dol­lar koste­te und in 32 Metern Tie­fe liegt, „sen­det die Bot­schaft an die Welt, daß Gläu­bi­ge ver­schie­de­ner Reli­gio­nen im Iran pro­blem­los und in Frei­heit leben“, erklär­te Abbas Fatha­li­pour, der schii­ti­sche Pro­jekt­lei­ter, wäh­rend einer geführ­ten Besichtigung.

„Der Name der Jung­frau Maria ist den Ira­nern sehr hei­lig, und im Koran gibt es eine Sure, die ihr gewid­met ist“, füg­te Fatha­li­pour hinzu.

Für Pfar­rer Gri­go­ris Ner­si­s­i­an vom arme­ni­schen Patri­ar­chat in Tehe­ran ist die neue U‑Bahnstation ein Zei­chen dafür, „daß dem Chri­sten­tum im Iran gro­ßer Respekt ent­ge­gen­ge­bracht wird von sei­ten der Muslime“.

Die Sta­ti­on ist ohne Zwei­fel eine Hom­mage an das Chri­sten­tum – mit Wand­bil­dern, die die beten­de Jung­frau Maria zusam­men mit der Tau­be des Hei­li­gen Gei­stes oder Jesus Chri­stus als Sym­bol des Lichts und der Hoff­nung für die Mensch­heit zei­gen, erklärt die Schii­tin Tania Kha­ligh Mehr, die Archi­tek­tin, die für die Gestal­tung ver­ant­wort­lich war.

Wie es kaum anders zu erwar­ten war, fin­den sich auch Ver­se des per­si­schen Dich­ters Hafez über die Auf­er­ste­hung Jesu an den Wän­den, eben­so wie Zita­te des ober­sten ira­ni­schen Füh­rers Ali Cha­men­ei über die Rol­le Chri­sti als Bote der Barmherzigkeit.

Die christ­li­chen Dar­stel­lun­gen in der Sta­ti­on haben in den sozia­len Netz­wer­ken eine hit­zi­ge Debat­te über Reli­gi­ons­frei­heit im Iran aus­ge­löst – mit Ver­glei­chen zu Isra­el, dem erbit­ter­ten Feind der Isla­mi­schen Republik.

Die Rea­li­tät ist jedoch kom­ple­xer: Im Iran leb­ten Chri­sten und Juden schon lan­ge bevor der Islam auf­kam, vor allem arme­ni­sche und assy­ri­sche Chri­sten, aber auch die klei­ne katho­li­sche Gemein­schaft. Die­se bei­den Grup­pen haben auf­grund ihres Glau­bens kei­ne Schwie­rig­kei­ten im Iran. Es gibt Hun­der­te von Kir­chen und Syn­ago­gen im Land.

Das arme­ni­sche Vier­tel Tehe­rans wird zur Weih­nachts­zeit fest­lich geschmückt mit christ­li­cher Deko­ra­ti­on, Christ­kin­dern, und es erklin­gen Weih­nachts­lie­der – wovon vie­le mus­li­mi­sche Ira­ner ange­zo­gen wer­den, um Pho­tos zu machen und um es als fröh­lich und far­ben­froh emp­fun­de­ne Fest­zeit zu genießen.

Gleich­zei­tig aber pran­gern Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen die Ver­fol­gung an.

„Reli­giö­se Min­der­hei­ten lit­ten unter Dis­kri­mi­nie­rung, sowohl gesetz­lich als auch in der Pra­xis – etwa beim Zugang zu Bil­dung, Arbeits­plät­zen, Adop­ti­on, poli­ti­schen Ämtern und reli­giö­sen Stät­ten“, heißt es im jüng­sten Men­schen­rechts­be­richt von Amne­sty Inter­na­tio­nal über den Iran.

„Die Behör­den durch­such­ten Haus­kir­chen und nah­men kon­ver­tier­te Chri­sten will­kür­lich fest“, heißt es dort wei­ter – kon­kret zu dem Druck, dem die christ­li­che Gemein­schaft im Land aus­ge­setzt ist. Gemeint sind vor allem pro­te­stan­ti­sche Frei­kir­chen nach US-ame­ri­ka­ni­schem Stil.

Die ira­ni­sche Staats­füh­rung betrach­tet frei­kirch­li­che Grup­pen nicht als einen histo­risch-kul­tu­rel­len Bestand­teil des Lan­des. Zudem wur­de ihr Vor­ge­hen in den 60er und 70er Jah­ren als „aggres­siv“ wahr­ge­nom­men. Vor allem aber sehen die Mul­lahs frei­kirch­li­che Akti­vi­tä­ten als Tar­nung für geheim­dienst­li­che Ope­ra­tio­nen der USA. Tat­säch­lich gibt es doku­men­tier­te Fäl­le, in denen US-Geheim­dien­ste – ins­be­son­de­re die CIA – Mis­si­ons­wer­ke sowie reli­giö­se Orga­ni­sa­tio­nen und Ein­zel­per­so­nen aus dem frei­kirch­lich-evan­ge­li­ka­len Spek­trum als Deck­man­tel für ihre Ope­ra­tio­nen genutzt haben.

Ins­ge­samt bekämpf­te die 1979 von Kho­mei­ni gegrün­de­te theo­kra­ti­sche Isla­mi­sche Repu­blik den west­li­chen Ein­fluß, der wäh­rend der Herr­schaft des Schahs geför­dert wor­den war. Moham­mad Reza Pahl­avi war 1953 durch einen von den USA gesteu­er­ten Putsch an die Macht gekom­men und errich­te­te mit Unter­stüt­zung der USA und Isra­els ein säku­la­res, west­lich ori­en­tier­tes Regime. Der Geheim­dienst des Schah-Regimes, die SAVAK, war für sei­ne mas­si­ve Repres­si­on und Bru­ta­li­tät berüch­tigt. Zwar stand die SAVAK unter der Lei­tung der CIA, doch wur­de sie kon­kret vom israe­li­schen Mos­sad auf­ge­baut. Bis 1979, als der Schah gestürzt und die Bezie­hun­gen zu den USA und Isra­el abge­bro­chen wur­den, präg­te die­se enge Zusam­men­ar­beit die Innen­po­li­tik des Landes.

Kho­mei­ni, der spä­te­stens seit den frü­hen 1960er Jah­ren gegen Isra­el und des­sen Ein­fluß im Iran agi­tier­te, war dabei trotz sei­ner Radi­ka­li­tät nicht anti­se­mi­tisch moti­viert. Sein Antrieb war kei­ne reli­giö­se Kri­tik, son­dern sei­ne tie­fe Abnei­gung gegen das, was er als „west­li­chen, impe­ria­li­sti­schen Kolo­nia­lis­mus“ bezeich­ne­te. Im Westen sah er nicht nur eine poli­ti­sche, son­dern vor allem eine kul­tu­rel­le Bedro­hung. Isra­el betrach­te­te er als Pro­dukt angel­säch­si­schen Impe­ria­lis­mus. Des­halb bekämpf­te er nicht nur die USA als Ursprung eines poli­ti­schen und kul­tu­rel­len Impe­ria­lis­mus, son­dern auch Isra­el, das er als des­sen „Arm und Waf­fe“ im Nahen Osten sah. In die­sem Sin­ne war sei­ne Hal­tung ein­deu­tig anti­zio­ni­stisch – eine Posi­ti­on, die bis heu­te vom ira­ni­schen Regime ver­tre­ten wird.

Zurück zu den Chri­sten im Iran: Die histo­ri­schen christ­li­chen Gemein­schaf­ten sind im Iran aner­kannt und wer­den vom Staat geschützt. Die Mis­si­ons­mög­lich­kei­ten, die wäh­rend der Schah-Zeit bestan­den, wur­den nach 1979 aber mas­siv ein­ge­schränkt. Von einer ech­ten Frei­heit der Kir­che kann kei­ne Rede sein, da Kon­ver­sio­nen vom Islam zum Chri­sten­tum ver­bo­ten sind und sogar mit dem Tode bestraft wer­den kön­nen. Den­noch blieb das Ver­hält­nis der katho­li­schen Kir­che zum neu­en Regime rela­tiv gut, da der Kul­tus vom Mul­lah-Regime geach­tet wird. Aber auch, weil die katho­li­sche Sei­te in der Gesamt­aus­rich­tung mehr Anknüp­fungs­punk­te zum schii­ti­schen Islam als zum sun­ni­ti­schen sieht. 

Dies änder­te sich erst unter Papst Fran­zis­kus, der sei­ne Auf­merk­sam­keit – weni­ger reli­gi­ös, son­dern mehr poli­tisch – ver­stärkt sun­ni­ti­schen Akteu­ren zuwand­te, ins­be­son­de­re im Golf­raum, und 2019 mit einem sun­ni­ti­schen Ver­tre­ter in Abu Dha­bi die umstrit­te­ne Erklä­rung zur Brü­der­lich­keit aller Men­schen unter­zeich­ne­te.

Die grund­sätz­lich nicht schlech­ten Bezie­hun­gen zwi­schen dem Hei­li­gen Stuhl und der ira­ni­schen Füh­rung wur­den in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten jedoch stark erschwert und über­schat­tet durch den west­li­chen Druck, der den Iran als „Ach­se des Bösen“ und ver­ruch­ten Feind stig­ma­ti­sier­te. Seit­dem gilt auch jeder als stig­ma­ti­siert, der den Kon­takt zu den „Aus­ge­sto­ße­nen“ pflegt – eine heik­le Grat­wan­de­rung für die vati­ka­ni­sche Diplo­ma­tie. Die­sel­be Grat­wan­de­rung erle­ben die Chri­sten im Iran zwi­schen Aner­ken­nung und Verfolgung.

Unklar ist, ob und inwie­weit die im Jah­re 1979 ein­ge­führ­te Kopf­tuch­pflicht für Frau­en noch gilt.
Vor weni­gen Wochen ver­brei­te­te sich die Mel­dung, die­se Pflicht sei auf­ge­ho­ben wor­den. Eine offi­zi­el­le Bestä­ti­gung liegt bis­lang jedoch nicht vor, wes­halb das Gesetz wei­ter­hin in Kraft ist.
Tat­sa­che ist, daß sich vie­le Frau­en schon längst nicht mehr flä­chen­deckend dar­an hal­ten. Eben­so gilt als Fakt, daß ein Teil der Behör­den auf eine strik­te Durch­set­zung ver­zich­tet.
Die Fra­ge scheint inner­halb der ira­ni­schen Staats­füh­rung jedoch noch nicht abschlie­ßend ent­schie­den zu sein.

Die Iran-Fra­ge, von der hier nur eini­ge Aspek­te ange­spro­chen wur­den, erweist sich jeden­falls als viel­schich­ti­ger und kom­ple­xer, als es die west­li­che Öffent­lich­keit seit Jahr­zehn­ten wahr­zu­neh­men scheint.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Youtube/​EFE (Screen­shot)

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