
Von Pater Paolo M. Siano*
Im Lichte meiner beiden vorhergehenden Beiträge (siehe hier und hier) stelle ich fest, daß zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert der Titel „Corredemptrix“ („Miterlöserin“) in theologischen Abhandlungen auftritt – insbesondere in jenen spanischsprachiger Jesuiten – sowie in Predigttexten. Im 19. Jahrhundert wird dieser erhabene Marientitel in theologischen Werken, in den Schriften katholischer Laien, in Predigten sowie in bischöflichen Schriften befürwortet, bis er zur Zeit Papst Leos XIII. Eingang in die offiziellen Akten der Kirche findet: die Acta Sanctae Sedis (1865–1908) und die Acta Apostolicae Sedis (ab 1909).
Bevor wir in das 20. Jahrhundert eintreten, möchte ich zwei weitere Texte aus dem 19. Jahrhundert anführen, die sich zugunsten des Titels „Miterlöserin“ aussprechen.
Im Buch The Foot of the Cross: or The Sorrows of Mary (London, 1858) erklärt Pater Frederick William Faber (1814–1863), ein katholischer Oratorianer und ehemals anglikanischer Pfarrer, daß Maria den Titel „co-redemptress“ (S. 453) verdient habe – aufgrund ihrer Mitwirkung an der Menschwerdung des Wortes (der göttlichen Mutterschaft) und folglich an der Passion ihres Sohnes (S. 453f). Heilige und Kirchenlehrer hätten Maria als „co-redemptress of the world“ bezeichnet (S. 447).
Im Jahr 1870 veröffentlichte die Sacra Rituum Congregatio, unter Leitung von Kardinal Costantino Patrizi (Bischof von Porto und Santa Rufina, Präfekt der Kongregation), den Text Urbis et Orbis Concessionis Tituli Doctoris (Rom 1870, Druckerei der Propaganda Fide unter Leitung von Pietro Marietti).
Zur Verteidigung der Verleihung des Titels eines Kirchenlehrers an den hl. Alfons von Liguori äußert sich der angesehene Jurist Ilario Alibrandi (1823–1894), Professor für Rechtswissenschaft an der Universität La Sapienza und geschätzter Vertrauter von Papst Pius IX., mit dem Hinweis, daß Maria mit Recht als Miterlöserin bezeichnet werden könne: „Unde Maria, hoc sensu rectissime nuncupatur Corredemptrix hominum“ (S. 80). Anschließend zitiert Alibrandi aus Liguori: „Also wurde die göttliche Mutter … mit Recht genannt … Wiederherstellerin des Menschengeschlechts … Erlöserin der Gefangenen, Linderung unseres Elends“ (S. 80).
Nun treten wir ein in das frühe 20. Jahrhundert.
In seinem Werk Tractatus de Beatissima Virgine Maria Matre Dei (Lethielleux, Paris 1901) widmet sich Pater Alessio Maria Lépicier (Professor für Theologie am Päpstlichen Kolleg Urbaniana der Propaganda Fide sowie Generalprokurator des Servitenordens) im Artikel III dem Thema: „Über das Amt der Miterlöserin“ (S. 386–399). Maria sei Miterlöserin, da sie ihr Einverständnis zur Menschwerdung des Wortes gab und an seiner Passion („compassio“) zu unserem Heil mitwirkte. Sie könne daher – in vorzüglicherem Maße als alle anderen Heiligen und Gerechten – „zusammen mit Christus unser Erlöser oder unsere Miterlöserin“ genannt werden (S. 397). Maria wird als „Corredemptrix“ (S. 466) und „hominum corredemptrix“ (S. 475) bezeichnet. Dieses Buch, das vom Generalprior der Serviten approbiert wurde, enthält Empfehlungsbriefe von Papst Leo XIII. und Kardinal Mariano Rampolla del Tindaro.
Es folgen nun einige Beiträge aus den Akten des Marianischen Weltkongresses, abgehalten in Rom im Jahr 1904 (Druckerei der St.-Josephs-Brüder, Rom 1905), herausgegeben von Msgr. Giacomo Maria Radini Tedeschi (Bischof von Bergamo, Sekretär der Kardinalskommission) und Pater Pellegrino Maria Stagni (Generalprior der Serviten, Generalsekretär des Kongresses).
In seiner Ansprache nennt der Laie Comm. Filippo Tolli, Ehrenpräsident des Kreises der Unbefleckten, Maria: „die unbefleckte Miterlöserin des Menschengeschlechts“ (S. 67). Er schließt mit einem spontanen Gebet in Versform: „Und du, Miterlöserin, für alle bete: auf dein Wort allein wird aufgehen die Sonne eines seligen Zeitalters“ (S. 67).
In seinem Beitrag „Die griechische Kirche zu Füßen Mariens, der Unbefleckten“ spricht Abt Arsenio Pellegrini von Grottaferrata von: „Maria, der Miterlöserin der Welt am Fuße des Kreuzes, selbst makellose Opfergabe gemeinsam mit dem, der die Sünde niemals kannte“ (S. 80); Maria sei „Miterlöserin des Menschengeschlechts“ (S. 81).
In einem weiteren Vortrag über die Bindung zwischen der Marienverehrung des hl. Dominikus und der Gründung des Predigerordens, erklärt P. Giacinto M. Cormier OP (später von Johannes Paul II. seliggesprochen), daß die albigensischen Häretiker „Jesus, den Erlöser“ bekämpften und deshalb – „aus höllischer Logik heraus“ – auch „Maria, die Miterlöserin“ (S. 111).
P. Alessio Lépicier hielt auf Latein einen Vortrag mit dem Titel: „Die unbefleckte Gottesgebärerin, Miterlöserin des Menschengeschlechts“ (Immaculata Deipara generis humani Corredemptrix).
Er erklärt, daß Maria, als vollkommen Heilige, würdigste Miterlöserin des Menschengeschlechts sei (S. 149). Auch der Priester, der die Heilige Messe feiert und so das Erlösungswerk fortsetzt, könne als „corredemptor“ bezeichnet werden (S. 149). Maria sei die „Miterlöserin, Königin und Patronin der Priester“ (S. 149), verdiene den Titel „Corredemptrix“ mit vollem Recht (S. 150), sei die „Miterlöserin unseres Geschlechts und Königin der Priester, Christi Mitarbeiter“ (S. 151), „glorreiche Miterlöserin“ (S. 151).
In dem Vortrag „Die Unbefleckte und die Zivilisation“ erwähnt Prof. Giuseppe Toniolo von der Universität Pisa Maria als „Miterlöserin Maria“ (S. 186).
Kardinal Domenico Ferrata, Mitglied der Kardinalskommission zum 50. Jahrestag der Dogmatisierung der Unbefleckten Empfängnis, nennt Maria in seiner Rede: „die Miterlöserin der Menschheit“ (S. 468).
In der franziskanischen Monatszeitschrift „La Verna“ finden sich weitere Belege. Am 8. Dezember 1904 bezeichnet P. Anselmo Sansoni OFM in seinem Artikel „Der Ruhm des Franziskanerordens im Triumph der Unbefleckten“ Maria als: „die neue Eva, die Miterlöserin der Menschen, die Königin aller Erwählten“ (S. 399).
In derselben Ausgabe schreibt P. Bernardino Sderci OFM in: „Die Unbefleckte und die christliche Rhetorik“, daß „Jesus der Erlöser und Maria die Miterlöserin“ sei (S. 411), „die neue Eva, reiner, größer, schöner als die alte, da sie stets unversehrt blieb“ (S. 411).
Am 13. Januar 1905 beschreibt ein gewisser Testis in: „Super montes aromatum“ Maria als: „jene, die im Hinblick auf ihre göttliche Sendung als Miterlöserin bewahrt wurde“ (S. 479).
Im Jahr 1905 druckte die Päpstliche Druckerei S. Bernardino in Siena das Werk „Die Jungfrau-Mutter in den Werken und Gedanken Dantes“ von Msgr. Giacomo Poletto. Dieser bezeichnet Maria als: „Miterlöserin“ (S. 56, 64, 198, 250, 377, 493), „Miterlöserin des Menschengeschlechts“ (S. 170, 185), „Miterlöserin der Menschen“ (S. 190), „Miterlöserin der Welt“ (S. 190, Anm. 13), „Miterlöserin des Menschengeschlechts“ (S. 366).
In den Acta Sanctae Sedis, Bd. XLI (1908), wird im „Dekret“ vom 13. Mai 1908 der Ritenkongregation, durch das das Fest der Sieben Schmerzen Mariens auf die gesamte Kirche als Fest zweiten Ranges ausgedehnt wurde, Maria genannt: „Miterlöserin des Menschengeschlechts“ („humani generis Conredemptricem“, S. 409).
Im selben Jahr veröffentlicht der Verlag Marietti (Turin) das Werk von Don Gaetano Finco „Die Miterlöserin oder Der Septembermonat zu Ehren der Königin der Märtyrer. Für Prediger“. Er widmet das Buch Papst Pius X. als ein Werk über „die Schmerzen der Miterlöserin der Welt“ (S. III). Maria wird bezeichnet als: „die Miterlöserin der Menschheit“ (S. 8), „die Miterlöserin des Menschengeschlechts“ (S. 17), „wahre Miterlöserin“ (S. 24), „sie hat alles Recht, unsere Miterlöserin genannt zu werden“ (S. 26).
In den Acta Apostolicae Sedis von 1913 (Bd. V) wird im Decretum der Päpstlichen Kongregation des Hl. Offiziums vom 26. Juni 1913 unter Kardinal Rampolla die Formel „Gepriesen seien Jesus und Maria – heute und allezeit“ mit derselben Ablaßgnade versehen wie der alleinige Name Jesu. In diesem Dekret wird Maria genannt: „unsere Miterlöserin, die selige Maria“ („corredemptricis nostrae, beatae Mariae“, S. 364). Im Decretum vom 22. Januar 1914 (AAS, Bd. VI), ebenfalls der Kongregation des Hl. Offiziums, unterzeichnet von Kardinal Ferrata, wird ein Ablaß von 100 Tagen für das Gebet der Sühne an die selige Jungfrau Maria gewährt. In diesem Gebet heißt es: „Miterlöserin des Menschengeschlechts“ (S. 108).
Kardinal Ildefons Schuster OSB (1880–1954), Erzbischof von Mailand und von Johannes Paul II. seliggesprochen, nennt in seinem liturgiegeschichtlichen Werk Liber Sacramentorum Maria: „Miterlöserin des Menschengeschlechts“ (Bd. VII, S. 89–91, Marietti 1930); „Am Fuße des Kreuzes des Sohnes gebar sie uns neu für Gott und wurde so zur Mutter der Menschen“ (Bd. VII, S. 93); „Maria ist Königin der Welt, weil sie zusammen mit Jesus und durch Jesus Miterlöserin des Menschengeschlechts ist“ (Bd. VIII, 1932, S. 79);
„Gott hat Adam und Eva, Ursprung der Sünde, Christus und Maria, den Erlöser und die Miterlöserin, entgegengesetzt“ (S. 182); „Mutter Gottes und der Menschen, Miterlöserin des Menschengeschlechts“ (Bd. IX, S. 21).
Der erste Papst, der direkt den Titel Miterlöserin verwendet, ist Pius XI.
Am 30. November 1933 sagt er vor einer Pilgergruppe aus Vicenza: „Der Erlöser konnte kraft der Sache selbst seine Mutter nicht aus seinem Werk ausschließen. Darum rufen wir sie mit dem Titel Miterlöserin an. Sie hat uns den Erlöser geschenkt, ihn für das Erlösungswerk erzogen bis unter das Kreuz, wo sie seine Todesqual teilte und mit ihm die Erlösung aller Menschen vollzog. Und gerade unter dem Kreuz, in den letzten Augenblicken seines Lebens, proklamierte der Erlöser sie zu unserer Mutter und Mutter aller Menschen.“ (Insegnamenti Pontifici, Bd. 7, Edizioni Paoline 1964, S. 242 L’Osservatore Romano, 1. Dez. 1933, S. 1).
Am 23. März 1934 begrüßt er spanische Pilger mit den Worten: „Ihr seid gekommen, um nicht nur das 19. Jahrhundert der göttlichen Erlösung, sondern auch das Jahrhundert Marias, das Jahrhundert ihrer Miterlösung, ihrer universalen Mutterschaft zu feiern“ (L’Osservatore Romano, 25. März 1934, S. 1).
Er fügt hinzu: „Ihr müßt dem Gedanken und Wunsch Mariens folgen, die unsere Mutter und unsere Miterlöserin ist“ (S. 1), und: „Ihr müßt euch bemühen, selbst Miterlöser und Apostel zu sein, im Geist der Katholischen Aktion, die eben die Mitwirkung der Laien am hierarchischen Apostolat der Kirche ist“ (S. 1).
Am 28. April 1935, zum Abschluß des Jubiläumsjahres der Erlösung, betet Pius XI. in einer Radiobotschaft an die Pilger von Lourdes: „O Mutter des Erbarmens, die du deinem süßesten Sohn beigestanden hast, während er in der Stunde des Kreuzes das Werk der Erlösung vollbrachte, du, die Miterlöserin warst und an seinen Schmerzen teilhattest …“ (Maria SS., Edizioni Paoline, S. 246; L’Osservatore Romano, 29–30. April 1935, S. 1).
Im Jahr 1937 wird der Titel Miterlöserin durch Kardinal Eugenio Pacelli (später Papst Pius XII.) in einer Ansprache verwendet (L’Osservatore Romano, 8. Dezember 1937, S. 3–4).
Am 27. Februar 1939, während der Sedisvakanz zwischen Pius XI. und Pius XII., wird von der Mailänder Verlagsgesellschaft Vita e Pensiero das Werk „Maria, Mittlerin aller Gnaden“ von Pater Leonardo Maria Bello OFM, Generalminister der Franziskaner, veröffentlicht. Im Kapitel „Maria als Mittlerin in ihrer Rolle als Miterlöserin“ (S. 21–29) heißt es: „Die selige Jungfrau wird zu Recht als universale Mittlerin verkündet, denn als Miterlöserin hat sie – durch die überfließenden Verdienste Christi – tatsächlich alle Gnaden, die im mystischen Leib Christi fließen, verdient: radikal und mittelbar durch ihre Mitwirkung an der Inkarnation des Wortes, formell und unmittelbar durch ihre engste Vereinigung mit dem gesamten Erlösungswerk Christi.“
Er merkt an: „Der Begriff ‚Miterlöserin‘, der in päpstlichen Dokumenten Verwendung findet, wird von Franziskanern bereits seit dem 17. Jahrhundert gebraucht“ (S. 21, Anm. 3).
Maria habe sich „mit ihrem Sohn als Miterlöserin aller Menschen Gott dargebracht“ (S. 25).
Er schließt: „Da die schmerzensreiche Jungfrau Gott für das Heil des Menschengeschlechts die Passion Christi und die unsäglichen Schmerzen ihres eigenen Herzens dargebracht hat, die – mit denen Christi vereint – Genugtuung leisteten und den Charakter eines erlösenden Preises hatten, wird sie zu Recht die Miterlöserin aller genannt“ (S. 28).
Abschließend erklärt er: „Aus allem Dargelegten ergibt sich klar, daß die selige Jungfrau Maria durch ihr Amt als Miterlöserin in angemessener Weise den Preis unseres Heils entrichtet hat, wie es der seraphische Lehrer fromm lehrt, und daß sie durch das Verdienst zumindest ihrer Würde alle Gnaden positiv verdient hat. Aus diesem Grunde nennt die Kirche Maria mit Recht die universale Mittlerin“ (S. 29).
*Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata (FFI) an; der promovierte Kirchenhistoriker gilt als einer der besten katholischen Kenner der Freimaurerei, der er mehrere Standardwerke und zahlreiche Aufsätze gewidmet hat. In zahlreichen seiner Veröffentlichungen geht es ihm darum, den Nachweis zu erbringen, daß die Freimaurerei von Anfang an esoterische und gnostische Elemente enthielt, die bis heute ihre Unvereinbarkeit mit der kirchlichen Glaubenslehre begründen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana