Christliche Patriarchen: „Wir bleiben in Gaza

Die Stimme der Gerechtigkeit


Der lateinische und der griechische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pizzaballa und Theophilos III., bei ihrer jüngsten Pressekonferenz.
Der lateinische und der griechische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pizzaballa und Theophilos III., bei ihrer jüngsten Pressekonferenz.

Die bei­den rang­höch­sten christ­li­chen Füh­rer im Hei­li­gen Land, der Latei­ni­sche Patri­arch von Jeru­sa­lem, Kar­di­nal Pier­bat­ti­sta Piz­za­bal­la, und der grie­chisch-ortho­do­xe Patri­arch Theo­phi­los III., haben in einer gemein­sa­men Erklä­rung ange­kün­digt, trotz der israe­li­schen Mili­tär­of­fen­si­ve, Gaza nicht zu ver­las­sen. Ohne es aus­drück­lich zu sagen, machen sie damit die Prä­senz der katho­li­schen und der ortho­do­xen Kir­che zu einer Art mensch­li­chem und insti­tu­tio­nel­lem Schutz­schild für die Zivil­be­völ­ke­rung, die dort ein unglaub­lich grau­sa­mes Schick­sal erleidet.

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„Die Prie­ster und Ordens­schwe­stern haben ent­schie­den zu blei­ben und wei­ter alle zu ver­sor­gen, die in unse­ren Ein­rich­tun­gen Schutz gefun­den haben“, heißt es in dem am Diens­tag ver­öf­fent­lich­ten Kom­mu­ni­qué. Ein Ver­las­sen der Stadt und eine Flucht nach Süden käme für vie­le der Schutz­su­chen­den einem „Todes­ur­teil“ gleich.

Zuflucht in den kirchlichen Gebäuden

Seit Beginn der jüng­sten Kämp­fe haben das grie­chisch-ortho­do­xe Klo­ster St. Por­phy­ri­us und die katho­li­sche Kir­che zur Hei­li­gen Fami­lie hun­der­te Zivi­li­sten auf­ge­nom­men, dar­un­ter vie­le alte Men­schen, Frau­en und Kin­der. In den Räu­men der katho­li­schen Pfar­rei leben zudem seit Jah­ren Men­schen mit Behin­de­run­gen, betreut von den Mis­sio­na­rin­nen der Näch­sten­lie­be.

Doch die Lage spitzt sich zu: „Vie­le derer, die in unse­ren Mau­ern Zuflucht suchen, sind geschwächt und unter­ernährt infol­ge der Här­ten der ver­gan­ge­nen Mona­te“, erklär­ten die Patri­ar­chen. Ein Exodus nach Süden sei für sie kaum überlebbar.

„Vertreibung und Rache sind kein Zukunftsmodell“

Die Kir­chen­füh­rer äußer­ten schar­fe Kri­tik an den israe­li­schen Plä­nen, Gaza voll­stän­dig unter Kon­trol­le zu brin­gen und gro­ße Tei­le der Bevöl­ke­rung in den Süden zu vertreiben. 

„Ein Zukunfts­mo­dell, das auf Gefan­gen­schaft, Ver­trei­bung oder Rache grün­det, kann kei­nen Bestand haben“, schrei­ben die Patriarchen.

Sie berie­fen sich dabei auf eine jüng­ste Mah­nung von Papst Leo XIV., wonach auch die klein­sten und schwäch­sten Völ­ker das Recht haben, in ihrer Hei­mat zu leben, und nie­mand sie gewalt­sam ins Exil trei­ben dürfe.

„Es gibt kei­nen Grund, die mas­si­ve, absicht­li­che und erzwun­ge­ne Ver­trei­bung von Zivi­li­sten zu recht­fer­ti­gen“, so die bei­den Patriarchen.

Zur Infor­ma­ti­on: Bei dem Hamas-Angriff im Okto­ber 2023 waren auf grau­sa­me Wei­se auch 36 israe­li­sche Kin­der getö­tet wor­den. Die Zahl der seit­her durch die israe­li­schen Angrif­fe auf den Gaza­strei­fen getö­te­ten Kin­der hat ein Ver­hält­nis von 1 zu 500 erreicht. Am 24. August gab UNICEF bekannt, daß seit Beginn des bewaff­ne­ten Kon­flikts im Gaza­strei­fen 18.000 palä­sti­nen­si­sche Kin­der ums Leben gekom­men sind.

Die Patri­ar­chen leh­nen jede Ver­gel­tung als Hand­lungs­mo­tiv ab, das Unschul­di­ge trifft. Das Aus­maß der israe­li­schen Gewalt steht zudem außer­halb jeder Ver­hält­nis­mä­ßig­keit und wider­spricht allen inter­na­tio­na­len Abkom­men, ange­fan­gen von der Haa­ger Land­kriegs­ord­nung (1899) und Fol­ge­ab­kom­men, die aus­drück­lich jeg­li­che Maß­nah­me, bei der Zivi­li­sten zu Scha­den kom­men, aus­schließt. Auch Ver­gel­tung im Sin­ne strik­ter mili­tä­ri­scher Not­wen­dig­keit (stets unter Aus­klam­me­rung von Zivi­li­sten) in einem Ver­hält­nis 1:10, nie de jure, aber de fac­to bis zum Ende des Zwei­ten Welt­kriegs so ange­nom­men, wur­de mit den Gen­fer Kon­ven­tio­nen von 1949 end­gül­tig aufgehoben.

Die Patri­ar­chen sehen in dem, was im Hei­li­gen Land geschieht, einen zum Him­mel schrei­en­den Skan­dal: Angrif­fe auf Unschul­di­ge und Rache an Unschul­di­gen und dies auch noch in einer unglaub­li­chen Unver­hält­nis­mä­ßig­keit. Der drit­te Skan­dal sind der feh­len­de Auf­schrei der zivi­li­sier­ten Welt und die statt­des­sen unter­nom­me­nen Recht­fer­ti­gungs­ver­su­che. Die eine Fra­ge ist die berech­tig­te Bekämp­fung der Hamas. Die ande­re Fra­ge, um die es den Patri­ar­chen geht, ist jedoch der inak­zep­ta­ble Kampf gegen die Zivil­be­völ­ke­rung. Die Par­tei­nah­me darf nie soweit gehen, Unrecht zu entschuldigen.

Appell an die Weltgemeinschaft

Mit ein­dring­li­chen Wor­ten for­der­ten die Patri­ar­chen die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft zum Han­deln auf:

„Es ist an der Zeit, die­ser Spi­ra­le der Gewalt ein Ende zu set­zen, den Krieg zu been­den und das Gemein­wohl der Men­schen in den Vor­der­grund zu stellen.“

Beson­ders beton­ten sie die Not­wen­dig­keit, ver­miß­te Per­so­nen und an erster Stel­le die israe­li­schen Gei­seln frei­zu­be­kom­men, die sich noch immer in der Hand der isla­mi­schen Hamas befin­den. Der Latei­ni­sche Patri­arch von Jeru­sa­lem, Kar­di­nal Piz­za­bal­la, hat­te sich sofort, weni­ge Tage nach der schreck­li­chen Gei­sel­nah­me israe­li­scher Bür­ger durch Hamas, selbst im Aus­tausch für die Frei­las­sung der Gei­seln angeboten.

Der Aus­tausch kam aber nicht zustan­de. Obwohl sich das vati­ka­ni­sche Staats­se­kre­ta­ri­at bemüh­te, blieb der Kon­takt zu Hamas blockiert. Die israe­li­sche Regie­rung Netan­ja­hu äußer­te sich offi­zi­ell nicht zu dem Ange­bot, son­dern for­der­te etwas harsch vom Hei­li­gen Stuhl eine ein­sei­ti­ge Parteinahme. 

Der Latei­ni­sche Patri­arch bemüht sich seit Okto­ber 2023 in immer neu­en Initia­ti­ven um die Frei­las­sung der Gei­seln, trennt jedoch die­se Fra­ge, wie ins­ge­samt die Rol­le der Hamas von der Gesamt­fra­ge der ein­hei­mi­schen ara­bi­schen Bevöl­ke­rung, Chri­sten und Mus­li­men, die seit der Errich­tung des Staa­tes Isra­el aus ihrer Hei­mat ver­trie­ben wur­den und in einer Art israe­li­schem Pro­tek­to­rat leben müs­sen. Das ist auch die Linie des Hei­li­gen Stuhls. Die begrün­de­te Wei­ge­rung der Kir­che, ein­sei­tig Par­tei zu ergrei­fen, sorgt seit den 60er Jah­ren für anhal­ten­de Spannungen.

„Zu vie­le Fami­li­en auf allen Sei­ten haben zu lan­ge gelit­ten. Es ist Zeit, daß Hei­lung mög­lich wird“, so die Patri­ar­chen in ihrer gest­ri­gen Erklärung.

Den Abschluß ihrer Posi­tio­nie­rung rahm­ten die bei­den Kir­chen­ober­häup­ter mit einem Vers aus den Sprü­chen Salomos: 

„Auf dem Pfad der Gerech­tig­keit liegt das Leben, der Weg führt nicht in den Tod“ (Spr 12,28).

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Latei­ni­sches Patri­ar­chat von Jeru­sa­lem (Screen­shot)

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