
Luigi Bisignani berichtet in einem Artikel, der am 29. Juni 2025 in der römischen Tageszeitung Il Tempo erschienen ist, beachtenswerte Hintergrundinformationen: Papst Leo XIV. greife mit chirurgischer Präzision in die römische Kurie ein und beginne, einige Machtzentren – darunter die Gemeinschaft von Sant’Egidio – zurückzustutzen. Für Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin zeichne sich ein „goldener Abgang“ ab: Leo wolle ihn als Patriarchen nach Venedig entsenden. Bisignani spricht von einer „sanften Revolution“.
Bereits jetzt sei zu beobachten, daß der Pilgerstrom zu den Gräbern Johannes Pauls II. und Benedikts XVI. unvermindert anhält, während der Zustrom zu Papst Franziskus nachlasse. Das erleichtere Schritte auf anderen Ebenen.
Das Staatssekretariat
Die „Präzisionseingriffe“ betreffen vor allem Personalentscheidungen. Für Parolin, einen Venetianer, zeichne sich ein „allerdurchlauchtester“ Abgang ab, indem er in die Serenissima versetzt werden soll, wie Venedig im Nachklang der einst mächtigen Seerepublik genannt wird. Folge von Parolins neue Aufgabe wäre die Neubesetzung des einflußreichen Staatssekretariats. Als möglicher Nachfolger gilt Msgr. Gabriele Giordano Caccia, derzeit Ständiger Beobachter des Vatikans bei den Vereinten Nationen.
Bei seinem ersten Treffen mit den vatikanischen Angestellten am 24. Mai ließ Papst Leo XIV. mit einer alten römischen Weisheit durchblicken, wie er sein Pontifikat versteht:
„Die Päpste kommen und gehen – die Kurie bleibt.“
Leo beabsichtige zudem, so Bisignani, die seit der bergoglianischen Absetzung von Msgr. Georg Gänswein vakante Stelle des Präfekten des Päpstlichen Hauses neu zu besetzen. Leonardo Sapienza hatte die Aufgabe seither interimistisch übernommen. Als neuen Präfekten wolle Leo den derzeitigen Nuntius für Italien und San Marino, Erzbischof Peter Rajič, ernennen – einen Kanadier kroatischer Abstammung aus der Herzegowina.
Das Bischofsdikasterium und die Supplicationes
Auch das Amt des Präfekten des Dikasteriums für die Bischöfe, das Kardinal Robert Prevost bis zum 8. Mai 2025 selbst innehatte, ist vakant. In Betracht gezogen würden zwei Kandidaten: Msgr. Luis de San Martín, derzeit Untersekretär der Bischofssynode und – wie Prevost – Augustiner; sowie Kardinal Luis Antonio Tagle, gegenwärtig Pro-Präfekt des Dikasteriums für die Evangelisierung.
Während der Generalkongregationen vor dem Konklave habe Prevost – ermutigt durch die Kardinäle Burke und Versaldi, zwei führende Juristen – zahlreiche „Supplicationes“ (Bitten) entgegengenommen. An oberster Stelle sei der Wunsch nach einer kompromißlosen Transparenz der vatikanischen Justiz genannt worden – eine Reaktion auf den chaotischen Umgang mit dem Fall Kardinal Becciu. Dessen Berufungsverhandlung ist für den 22. September angesetzt – in Rom rechnet man mit allem.
Castel Gandolfo
Ein weiteres Reformfeld betrifft Castel Gandolfo. Der einstige Sommersitz der Päpste – Rückzugsort, Gebetsstätte, Sterbeort – wurde unter Franziskus seiner Würde beraubt und teilweise zweifelhaften Nutzungen zugeführt, darunter Projekte ohne geistliche oder historische Sensibilität. Pius XII. und Paul VI. starben hier. Während der NS-Besatzung wurden im Schloß viele Juden verborgen und vom Schloß aus Tausende gerettet. Pius XII. ließ sogar sein Schlafzimmer in einen Kreißsaal umwandeln – Kinder jüdischer Mütter sollten dort zur Welt kommen, obwohl die Nazis ihre Geburt aus rassistischem Haß verhindern wollten.
Bisignani hält es für möglich, daß der Einfluß von Kardinal Fabio Baggio, der Stiftung Laudato si’ sowie des vielzitierten „seltsamen Paars“ – Sr. Alessandra Smerilli und Msgr. Roberto Campisi – in Castel Gandolfo bald Vergangenheit sein könnte.
Auch beim vatikanischen Wirtschaftssekretariat zeichne sich ein Wechsel ab. Der Spanier Maximino Caballero Ledo, ein Laie mit betont unternehmerischem Stil, steht laut Bisignani in der Kritik. Ihm wird ein „wenig christlicher“ Führungsansatz vorgeworfen. Dasselbe gelte für den Jesuiten Juan Cruz Villalón, der als Architekt zahlreicher umstrittener Ernennungen der vergangenen Dekade gilt.
Bergoglios eigenwillige Art im Umgang mit der Kurie
Franziskus hatte eine eigene Art, sich die Kurie dienstbar zu machen. Ernennungen waren dabei nur ein Werkzeug. Da er wußte, daß er den Apparat nicht vollständig umgestalten konnte, begegnete er ihm mit tiefem Mißtrauen – teils aus schlechter Erfahrung, teils aus grundsätzlicher Abneigung gegenüber gewachsenen Strukturen. Legendär sind seine Weihnachtsschelten, bei denen er seine engsten Mitarbeiter öffentlich demütigte. Neben fragwürdigen Personalentscheidungen waren genau diese Beschimpfungen und das gezielte Ausspielen von Mitarbeitern die Hauptinstrumente seiner „Kuriendomestizierung“. Zurück blieben Spaltung, Mißtrauen und ein vergiftetes Arbeitsklima.
Zudem entstanden unter Franziskus „abgeschlossene Zirkel“, die Bisignani als die „Scharfrichter von Santa Marta“ bezeichnet – Figuren, deren Aufstieg allein ihrer persönlichen Loyalität zum Papst zu verdanken war. Der Apparat sehnt sich nun nach geordneten Verhältnissen. Doch Leo XIV. wird Seilschaften durchtrennen müssen, wenn er wirkliche Reform will.
Das erwähnte Dikasterium für die Evangelisierung wurde im Rahmen der Kurienreform in zwei Sektionen aufgeteilt – faktisch ohne Zusammenarbeit. Tagle leitete die eine, Fisichella die andere. Tagle wurde vom Präfekten der Propaganda Fide zum Pro-Präfekten degradiert; Fisichella hingegen wurde vom Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Neuevangelisierung zum Pro-Präfekten erhoben. 2022 übertrug Franziskus ihm die Organisation des Heiligen Jahres 2025. Dieses droht nun, trotz des Papstwechsels, zu einem finanziellen Fiasko zu werden – weniger durch kirchliches Versagen als durch die italienische Regierung, die zentrale Zusagen nicht eingehalten hat.
Auch innerhalb des römischen Klerus regt sich Unmut, mit dem sich Leo XIV. bald wird auseinandersetzen müssen. Insbesondere der rasche Aufstieg von Renato Tarantelli Baccari zum Vizegeneralvikar der Diözese Rom hat zu erheblichen Irritationen geführt – vor allem wegen seiner fragwürdigen Verwaltungspraxis.
Neuer Erzbischof für Mailand?
Ein weiterer Bericht, erschienen gleichfalls am 29. Juni 2025 in der Tageszeitung Il Giornale, betrifft eine mögliche Neubesetzung des Mailänder Erzbistums – einer der bedeutendsten Diözesen der Welt. Als künftiger Erzbischof sei Kardinal Pierbattista Pizzaballa vorgesehen, derzeit lateinischer Patriarch von Jerusalem. Der amtierende Erzbischof, Mario Delpini, der bislang kaum Akzente setzte, wird in weniger als einem Jahr die Altersgrenze von 75 Jahren erreichen.
Bis dahin fließt noch einiges Wasser den Tiber hinunter.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Il Tempo (Screenshot)
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