(Rom) Wie angekündigt, fand am Mittwoch, dem 31. Mai, ein Telefongespräch zwischen Papst Franziskus und dem linken brasilianischen Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva statt. Während der Heilige Stuhl über den Inhalt des Gesprächs nichts verlauten ließ, veröffentlichte die brasilianische Präsidialkanzlei eine Presseerklärung, die von VaticanNews vollinhaltlich übernommen wurde. Besteht eine hundertprozentige Übereinstimmung zwischen beiden Seiten? Kaum zu glauben. Oder doch?
Tatsache ist, daß der Heilige Stuhl, wie so oft unter Papst Franziskus, dem jeweiligen Gesprächspartner die alleinige Informations- und Deutungshoheit überläßt. Hier die Erklärung von Lulas Presseamt:
„Der Präsident der Republik, Luiz Inácio Lula da Silva, und Papst Franziskus sprachen am Mittwochmorgen (31.5.) per Telefon. Der Präsident dankte dem Papst für seinen Einsatz für den Frieden in der Ukraine und für den Kampf gegen die Armut.
In dem Gespräch bedankte sich Lula auch für den Einsatz der katholischen Kirche in Brasilien für den Schutz des Amazonasgebietes, gegen die Kräfte, die den Wald angreifen, und für die Solidarität des Papstes mit Brasilien in den vergangenen Jahren.
Der Präsident sprach von den Bemühungen, den Kampf gegen Armut und Hunger in Brasilien wieder aufzunehmen, und lud den Heiligen Vater ein, das Land zu besuchen. Papst Franziskus erklärte sich bereit, diese Einladung und die Möglichkeit eines Papstbesuches zu prüfen.
Zwischen den beiden Autoritäten wird im Juni oder Juli dieses Jahres eine Audienz im Vatikan stattfinden. Lula berichtete dem Papst auch von seinen Gesprächen mit anderen führenden Politikern über die Suche nach Frieden in der Ukraine und beklagte den eskalierenden Konflikt in der Region.
Der Papst wies Lula darauf hin, daß er aufgrund der Autorität, die er durch sein konsequentes Leben erlangt hat, die Autorität besitzt, zu führen.“
An gegenseitigen Komplimenten fehlte es demnach nicht, man versteht sich. Die „Solidarität“, die Lula erwähnte, meinte natürlich weniger Brasilien generell, sondern konkret die päpstliche Solidarität mit Lula und der politischen Linken des Landes. Bis zum Jahresbeginn regierte in Brasilien der christlich-konservative Jair Bolsonaro, dem Papst Franziskus während dessen Amtszeit keinerlei Form von Solidarität zukommen hatte lassen.
Lulas „Wahrheitsgesetz“ zur Einschränkung der Meinungsfreiheit
Kein Gesprächsthema war, zumindest laut brasilianischer Präsidialkanzlei, der Gesetzentwurf zur Einschränkung der Meinungsfreiheit, das Lula vor Jahresende durchsetzen will. Es entspricht einem verschärften Netzwerkdurchsetzungsgesetz, wie es in der Bundesrepublik Deutschland seit Oktober 2017 in Kraft ist. Im August treten auf EU-Ebene verschärfte Maßnahmen in Kraft.
Begründet werden die Maßnahmen als „Kampf gegen Haßrede“. Dafür gibt es bereits ausreichend Bestimmungen im Strafrecht. In Wirklichkeit zielen die neuen Normen auf die Bekämpfung von „Fake News“ ab, und da beginnt die Angelegenheit in die Schieflage zu geraten.
Wer entscheidet, was eine Falschmeldung ist, was nicht? Die jeweilige Regierung? Hat der sich selbst als wertneutral postulierende demokratische Staat überhaupt die Aufgabe, Schiedsrichter oder gar Zensor über die „Wahrheit“ zu sein. Wessen Wahrheit?
Die Betreiber von sozialen Netzwerken werden gesetzlich verpflichtet, Zensur auszuüben. Wie schnell die Meinungsfreiheit und der freie und öffentliche Diskurs darunter leiden können, führten die vergangenen drei Corona-Jahre vor Augen. Viel von dem, was sich inzwischen bestätigt hat, wurde in dieser Zeit von Google, Twitter, Facebook & Co. unterdrückt. Das könnte viele Menschen das Leben gekostet oder sie in ihrer Gesundheit schwer beeinträchtigt haben. Die Regierungs-“Wahrheit“ entpuppte sich als Propagandanarrativ der PR-Abteilungen von interessengeleiteten Pharmakonzernen, die damit unzählige Milliarden verdienten.
Der Wunsch nach Internetzensur kam genau am Tag nach dem Wahlsieg von Donald Trump auf. Am nächsten Morgen veröffentlichte das New York magazine einen Leitartikel, in dem den sozialen Netzwerken, da eine unkontrollierte Informationsquelle, die Schuld am Trump-Sieg gegeben wurde. Dieselben sozialen Netzwerke, die nach dem Wahlsieg von Barack Obama 2008 als „Revolution der Information“ gefeiert wurden, werden von den gleichen linken Kräften seither ins Visier genommen. Mark Zuckerberg gab Mitte Dezember 2016 bekannt, ab nun „Fake News“ bekämpfen zu wollen. Die Gesetze werden laufend verschärft mit dem offensichtlichen Ziel, nicht die Qualität des Informationsflusses zu verbessern, sondern das Internet unter Kontrolle zu bringen. Wer den Informationsfluß kontrolliert, kontrolliert die öffentliche Meinung, und wer diese kontrolliert, kontrolliert die Politik eines Landes. Das bedeutet Macht.
Das neue Gesetz, das Lula da Silva in Brasilien durchsetzen will, dient natürlich der Zementierung seiner Macht. So wie es in den USA keinen zweiten Wahlsieg von Donald Trump geben soll, soll es in Brasilien keinen zweiten Sieg eines Jair Bolsonaro geben.
Kritiker, darunter vor allem Katholiken und Evangelikale, warnen vor einem „getarnten Totalitarismus“. Ein konkretes Beispiel: Anfang Mai wurden mehrere Millionen Brasilianer über die Messenger-App Telegram davor gewarnt, daß das neue Gesetz das „Ende der Meinungsfreiheit“ bedeute. Darauf drohte der Lula-nahe Höchstrichter Alexandre de Moraes, Telegram für 72 Stunden zu sperren, falls die Nachricht nicht gelöscht wird. Telegram knickte ein und sperrte die Nachricht. Die Nachricht war eine einwandfrei von der Verfassung gedeckte Meinungsäußerung. Das Beispiel zeigt, wie schnell ein solches Instrument in den falschen Händen zur Einschränkung der Meinungsfreiheit mißbraucht werden kann.
Papst Franziskus äußerte sich zur handfesten Bedrohung der Meinungsfreiheit bisher nicht. Eine Kommission der befreiungstheologisch durchtränkten Brasilianischen Bischofskonferenz unterstützt das Gesetz der sozialistischen Regierung sogar ausdrücklich. Man versteht sich eben.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanNews (Screenshot)