In unmittelbarer Nähe des Petersdomes fand am 9. Dezember im Istituto Maria Santissima Bambina eine Tagung statt, die bewußt gegen den Strom kirchlicher Verflachung schwimmt. Unter dem Titel „Le glorie di Maria tra XIX e XX secolo“ („Die Glorien Mariens im 19. und 20. Jahrhundert“), entlehnt dem Titel des bekannten Buches des heiligen Alfons von Liguori, widmete sich das vom Comitato Papa Pacelli – Associazione Pio XII gemeinsam mit der Fondazione Lepanto veranstaltete Studientreffen der großen mariologischen Epoche der vergangenen beiden Jahrhunderte. Anlaß waren zwei markante Jubiläen: der 75. Jahrestag der Verkündigung des Dogmas von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (1950) und das hundertjährige Gedenken an die Erscheinung von Pontevedra (1925).
Den Vorsitz führte Kardinal Dominique Mamberti, Präfekt der Apostolischen Signatur und Kardinalprotodiakon. In seiner Eröffnung erinnerte er daran, daß die intensive Mariologie des 19. und 20. Jahrhunderts kein sentimentaler Überschwang war, sondern eine theologisch präzise Antwort der Kirche auf Rationalismus, Materialismus und geistliche Verwahrlosung. Die Wiederentdeckung dieser Epoche sei heute dringlicher denn je.
Newman und Maria: Mariologie als Prüfstein der Christologie
Den ersten Hauptvortrag hielt Msgr. Edoardo Cerrato CO, Bischof von Ivrea, der die marianische Theologie des heiligen John Henry Newman, seit dem 1. November Kirchenlehrer, beleuchtete. Msgr. Cerrato zeigte, daß Newman Maria nicht am Rand, sondern im Zentrum der Theologie verortete: als Neue Eva, untrennbar mit dem Erlösungswerk Christi verbunden. Für Newman – so der Referent – ist eine gesunde Mariologie stets ein Garant echter Christologie. Wo Maria richtig verstanden wird, bleibt auch Christus vor Verzeichnung geschützt.
Die marianischen Dogmen der Neuzeit erschienen Newman daher nicht als Neuerfindungen, sondern als legitime Entfaltung des überlieferten Glaubens. Cerrato zeichnete Newman als Vorbild theologischer Ausgewogenheit: tiefe marianische Frömmigkeit ohne Überschwang, verbunden mit strenger dogmatischer Klarheit.
Pontevedra: Sühnefrömmigkeit und geschichtliche Verantwortung
Einen dezidiert historischen Zugriff wählte Prof. Roberto de Mattei, Vorsitzender der Fondazione Lepanto. Im Zentrum stand die Erscheinung von Pontevedra vom 10. Dezember 1925, in der die Gottesmutter von Sr. Lucia dos Santos die Andacht der fünf ersten Samstage als Akt der Sühne verlangte. De Mattei ordnete Pontevedra in die Kette der anerkannten Marienerscheinungen seit dem 19. Jahrhundert ein – von der Rue du Bac über La Salette und Lourdes bis Fatima.
Diese Kontinuität, so der Historiker, bezeuge das Wirken der göttlichen Vorsehung in der Geschichte der Kirche. Besonders eindrücklich war der Hinweis auf eine Episode aus dem Leben des am 7. September von Papst Leo XIV. heiliggesprochenen Carlo Acutis, der kurz nach dem Tod Sr. Lucias von ihr geträumt hatte. Die Botschaft: Durch die Praxis der ersten Samstage könnten die Geschicke der Welt gewendet werden. Angesichts globaler Spannungen und realer Kriegsgefahr sei diese Aussage alles andere als fromme Folklore. De Mattei schloß mit der nüchternen, aber hoffnungsvollen Erinnerung an die Verheißung von Fatima: Der Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens sei gewiß.
Pius XII. und das Dogma der Assunta
Der Jurist Emilio Artiglieri widmete sich der Dogmatisierung der Aufnahme Mariens in den Himmel durch Papst Pius XII. Er machte deutlich, daß das Dogma keine isolierte päpstliche Entscheidung war, sondern auf dem weltweiten Episkopat und dem sensus fidelium beruhte. Nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges habe Pius XII. bewußt ein Zeichen der Hoffnung setzen wollen: gegen Nihilismus, Leibverachtung und materialistische Ideologien.
Die Assumpta, so Artiglieri, steht für das christliche Menschenbild schlechthin: Leib und Seele sind zur Verherrlichung bestimmt. Damit erhielt das Dogma nicht nur eine eschatologische, sondern auch eine zutiefst kulturelle und moralische Dimension.
Garrigou-Lagrange und die geistliche Mutterschaft Mariens
Den theologischen Schlußpunkt setzte der Dominikaner P. Mario Paolo Maria Padovano OP, der auf das Werk „Die Mutter des Erlösers und unser inneres Leben“ von Reginald Garrigou-Lagrange einging, das im Rahmen der Tagung vorgestellt wurde. Padovano entfaltete eine Mariologie, die weder sentimental noch abstrakt ist. Er präsentierte Maria als Mutter Christi und der Kirche, als Erzieherin der Seelen und als wirksame Fürsprecherin.
Besonders betonte er die klassische Lehre von der Hyperdulia, der einzigartigen Verehrung Mariens, die streng von der Gott allein gebührenden Anbetung unterschieden bleibt. Gerade diese klare Unterscheidung bewahre die marianische Frömmigkeit vor Mißverständnissen – und mache sie zugleich fruchtbar für das geistliche Leben.
Aktuelle Spannungen: Miterlöserin und Mittlerin aller Gnaden
Vor dem Hintergrund dieser reichen Tradition erhält der gegenwärtige mariologische Streit um die Marientitel „Miterlöserin“ und „Mittlerin aller Gnaden“ besonderes Gewicht. In einer jüngsten Stellungnahme betonte das Dikasterium für die Glaubenslehre, daß solche Bezeichnungen zwar in der theologischen Geschichte und in der Frömmigkeit verankert seien, jedoch mißverstanden werden könnten, wenn sie nicht streng im Sinne der einzigartigen Mittlerschaft Christi ausgelegt würden. Maria wirke stets nur teilnehmend, untergeordnet und abhängig vom einen Erlöser.
Dieses vatikanische Dokument steht exemplarisch für eine Spannung, die auch durch die römische Tagung spürbar war: zwischen der Fülle der marianischen Überlieferung und der Zurückhaltung des heutigen kirchlichen Lehramtes, neue dogmatische Festlegungen vorzunehmen. Gerade hier zeigte sich die Aktualität des Rückblicks auf das 19. und 20. Jahrhundert, in dem die Kirche den Mut besaß, marianische Wahrheiten klar zu benennen und verbindlich (dogmatisch) zu formulieren.
Die Tagung machte deutlich, daß die mariologische Blütezeit zwischen 1800 und 1950 kein abgeschlossenes Kapitel ist. In einer Kirche, die um ihre Identität ringt, erweist sich der Blick auf Maria als Wegweiser. Die Jubiläen von Pontevedra und der Assumpta sind mehr als historische Gedenktage: Sie erinnern an eine theologische Klarheit und geistliche Tiefe, die vielerorts schmerzlich vermißt wird.
Daß diese Akzente ausgerechnet in Rom gesetzt wurden – wenn auch fernab medialer Aufmerksamkeit –, verleiht der Tagung eine stille, aber nachhaltige Bedeutung. Maria ist, wie die Referenten übereinstimmend betonten, nicht Randfigur der Frömmigkeit, sondern Schlüsselgestalt zum Verständnis von Kirche, Erlösung und christlicher Hoffnung.
Text: Guido Garofalo
Bild: Wikicommons


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