
Von Roberto de Mattei*
Die heilige Katharina wurde zu Genua am 5. April des Jahres 1447 geboren, als jüngste von fünf Kindern. Ihr Vater war Giacomo Fieschi. Sie entstammte damit einer berühmten ligurischen Familie, welche der Kirche zwei Päpste schenkte, Innozenz IV. und Hadrian V. Das tiefe innere Leben Katharinas erblühte im Alter von dreizehn Jahren.
Sie fühlte sich vom Kloster angezogen, doch ihren Eltern gehorchend vermählte sie sich im Jahr 1463, im Alter von sechzehn Jahren, mit Giuliano Adorno, welcher einer ebenso reichen und bedeutenden Genueser Familie entstammte. Der Gemahl aber erwies sich als ein Mann von ausschweifendem Leben, der das Familienvermögen im Spiel verschleuderte und seine Frau mißhandelte, wodurch er ihr Unglück bereitete. Katharina hatte für ihn ihre Berufung aufgegeben und führte viele Jahre das Leben einer Ehefrau, welche in der Welt Zuflucht vor ihrem Kummer suchte.
Ernest Hello machte eine Beobachtung, die zum Nachdenken anregt, da sie auf das Leben vieler Seelen zutrifft, die zur Heiligkeit berufen sind und sich in Zeiten, da sie am Abgrund zu stehen scheinen, nicht entmutigen lassen sollten: „Im Leben der kontemplativen Heiligen gibt es eine Reihe von falschen Anfängen, die uns völlig unverständlich sind. Sie zögern, tappen im Dunkeln, irren sich, schreiten voran, treten zurück, ändern den Weg. Es scheint, als vergeudeten sie Zeit. Die unergründlichen Pfade, denen sie folgen, scheinen unendlich lang zu sein. Man fragt sich, warum der Geist, der sie führt, ihnen nicht sogleich den kurzen und geraden Weg zum Ziel weist. Warum? Die Frage bleibt ohne Antwort.“
Nach Jahren des Irrtums senkte sich ein plötzlicher Sonnenstrahl auf die verwirrte Seele Katharinas. Am 20. März 1473 begab sie sich in die Kirche des heiligen Benedikt, um die Beichte abzulegen. Als sie vor dem Priester kniete, empfing sie – wie sie selbst schreibt – eine Wunde im Herzen, einer ungeheuren Gottesliebe gleich, begleitet von einer so klaren Schau ihres eigenen Elends und ihrer Fehler, und zugleich der unermeßlichen göttlichen Güte, daß sie beinahe ohnmächtig wurde. Es war eine jener zahlreichen Ekstasen oder mystischen Entrückungen, die sich später wiederholen sollten. Katharina faßte den Entschluß, der ihr ganzes Leben bestimmen sollte, ausgedrückt in den Worten: „Nicht mehr Welt, nicht mehr Sünde.“ Sie empfand Abscheu vor der Sünde und erkannte die Schönheit der göttlichen Gnade. Sie war sechsundzwanzig Jahre alt, doch gab sie sich so völlig in die Hände des Herrn hin, daß sie in den folgenden fünfundzwanzig Jahren – wie sie schreibt – „ohne jede Mittel einer Kreatur, allein von Gott unterwiesen und geführt“ lebte (Libro de la Vita mirabile et dottrina santa, 117r-118r).
Erste Frucht dieser geistlichen Wende war die Bekehrung ihres Gatten Giuliano, der in den Dritten Orden des heiligen Franziskus eintrat. Sie hatten keine Kinder. Einvernehmlich verließen sie ihr großes Anwesen und zogen in ein bescheideneres Haus nahe dem Hospital von Pammatone, dem größten Hospitalkomplex Genuas, in welchem Katharina als Schreiberin zu dienen begann und später, was damals für eine Frau selten war, zur Direktorin ernannt wurde.
Ihr Leben war somit gänzlich tätig, ungeachtet der mystischen Gnadengaben und der Tiefe ihres inneren Lebens. Um sie versammelte sich eine Schar treuer Jünger, unter denen sich der genuesische Notar Ettore Vernazza hervortat, verheiratet und Vater dreier Töchter, der sich wie sie entschied, dem Herrn gänzlich zu folgen und den Kranken zu dienen. Gemeinsam gründeten sie im Jahre 1497 die Bruderschaft der Göttlichen Liebe, das erste eines geistlichen Netzwerks von Bruderschaften, das bald ganz Italien zu umspannen begann. Die Vereinigung bestand vornehmlich aus Laien, die im stillen einem brennenden Apostolat gegenüber Armen, Kranken und Leidenden nachgingen, doch vor allem darauf bedacht waren, in der Eintracht der Herzen „die göttliche Liebe, das heißt die Nächstenliebe“, zu verankern.
Unter den Prüfungen, durch welche Gott Katharina führte, war jene, nur selten Verständnis und Rat bei anderen zu finden. In den letzten Lebensjahren litt sie an einer außergewöhnlichen Krankheit, der die Ärzte nicht abhelfen konnten. Es war ein beständiges Martyrium. An den Festtagen der Heiligen empfand sie alle Leiden, welche diese Heiligen erduldet hatten. In späteren Zeiten nahm sie nichts anderes mehr zu sich als die Heilige Kommunion, die sie täglich empfing, was damals keineswegs üblich war.
Der Tod, „süß und sanft und schön“, kam am 15. September 1510, im Alter von dreiundsechzig Jahren. Sie wurde in der Kirche der Heiligsten Verkündigung zu Genua bestattet, heute bekannt als Kirche der Heiligen Katharina von Genua. Sie wurde 1675 von Papst Clemens X. seliggesprochen und 1737 von Papst Clemens XII. heiliggesprochen. Im Jahre 1943 erklärte Pius XII. sie zur zweiten Schutzpatronin der italienischen Krankenhäuser.
Ihre Lebensbeschreibung, der Geistliche Dialog und das Traktat über das Fegefeuer sind die Werke, welche ihre tiefe Lehre zusammenfassen. Zu ihren geistlichen Kindern sprach sie: „Wenn ich von der Liebe spreche, habe ich das Gefühl, sie zu beleidigen – so weit entfernt sind meine Worte von dem, was sie wirklich ist. Wißt nur eines: Fiele auch nur ein einziger Tropfen dessen, was mein Herz enthält, in die Hölle, so würde die Hölle sich in ein Paradies verwandeln.“
Der geistliche Einfluß der heiligen Katharina von Genua und der Bruderschaften der Göttlichen Liebe war tiefgreifender, als sie sich je hätte erdenken können. Der Bruderschaft der Göttlichen Liebe in Rom gehörte auch der heilige Gaetano von Thiene an, der Gründer der Theatiner, der ersten Priesterkongregation, welche, obwohl sie die Gelübde ablegten, kein klösterliches Leben führten, sondern ihr Apostolat in der Welt ausübten. Nach ihrem Vorbild beriefen sich im 16. Jahrhundert die Barnabiten des heiligen Antonius Zaccaria, die Somasker des heiligen Hieronymus Emiliani und die Kamillianer des heiligen Kamillus von Lellis, womit sie die Erfahrung der „Regularkleriker“ in der Kirche einleiteten, deren Kennzeichen die Suche nach evangelischer Vollkommenheit im Gleichgewicht von Kontemplation und Wirken war.
Die Regeln der Regularkleriker verlangten, daß sie keine „Bettler“ sein durften, das heißt, keine finanzielle Unterstützung erfragen, sondern allein von dem leben sollten, was ihnen gegeben wurde, ohne zu bitten. Dies förderte in ihren Kongregationen und anderen jenes Vertrauen auf die göttliche Vorsehung, das die italienische Spiritualität kennzeichnet. Katharina von Genua, die Heilige der Göttlichen Liebe, kann als die geistliche Mutter einer unsichtbaren Strömung der Heiligkeit gelten, die Italien an der Schwelle zum fünfzehnten Jahrhundert vor den Giften des Humanismus und Luthertums bewahrte und deren Widerhall sich in den folgenden Jahrhunderten bis in unsere Tage erstreckte.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
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