Cristina Campo und die Welt der Tradition

Die ersten Verteidiger des überlieferten Ritus


Cristina Campo, eigentlich Vittoria Guerrini, war eine Streiterin für den Erhalt der überlieferten Messe.
Cristina Campo, eigentlich Vittoria Guerrini, war eine Streiterin für den Erhalt der überlieferten Messe.

Von Rober­to de Mattei*

Die tie­fe Kri­se der Kir­che wird von vie­len auf die Amts­zeit von Papst Fran­zis­kus zurück­ge­führt, die als radi­ka­ler Bruch mit den Pon­ti­fi­ka­ten sei­ner Vor­gän­ger inter­pre­tiert wird. In Wirk­lich­keit soll­te uns die Schwe­re der Kri­se, die heu­te alle kirch­li­chen Berei­che durch­dringt, von der Spit­ze bis hin zu den klein­sten ört­li­chen Rea­li­tä­ten, zu der Erkennt­nis füh­ren, daß die­ser Pro­zeß der Selbst­zer­stö­rung wei­ter zurück­liegt. Eine Reak­ti­on dar­auf hat sich jedoch bereits in den 1960er Jah­ren mani­fe­stiert, und die Kennt­nis ihrer Prot­ago­ni­sten ist unab­ding­bar, um den­je­ni­gen gerecht zu wer­den, die vor uns den guten Kampf gekämpft haben.

Einen wich­ti­gen Bei­trag dazu lie­fert das von Joseph Shaw her­aus­ge­ge­be­ne Buch The Latin Mass and the Intellec­tu­als: The Peti­ti­ons to Save the Anci­ent Mass from 1966 to 2007 (Die latei­ni­sche Mes­se und die Intel­lek­tu­el­len: Die Peti­tio­nen zur Ret­tung der alten Mes­se von 1966 bis 2007, Arou­ca Press, 2023). Joseph Shaw, ein eng­li­scher Phi­lo­soph und der­zei­ti­ger Prä­si­dent der FIUV (Inter­na­tio­na­le Föde­ra­ti­on Una Voce), hat in die­sem Band eine Rei­he von Auf­sät­zen gesam­melt, die den Peti­tio­nen gewid­met sind, die von 1966 bis 2007 folg­ten und den Hei­li­gen Stuhl auf­for­der­ten, den Gebrauch des alten Meß­buchs, der tra­di­tio­nel­len römi­schen Lit­ur­gie und des Gre­go­ria­ni­schen Cho­rals zu bewah­ren. Der Band, der ein schö­nes Vor­wort von Mar­tin Mose­bach ent­hält, kon­zen­triert sich haupt­säch­lich auf die bei­den gro­ßen Peti­tio­nen von 1966 und 1971, die erste zur Ver­tei­di­gung der latei­ni­schen Spra­che, die zwei­te zur Erhal­tung der alten Messe.

Die erste Peti­ti­on, die am 5. Febru­ar 1966 ver­öf­fent­licht wur­de, trug die Unter­schrif­ten von sie­ben­und­drei­ßig Intel­lek­tu­el­len und Künst­lern aus allen Län­dern, dar­un­ter Wyn­stan Hugh Auden, Jor­ge Luís Bor­ges, Gior­gio De Chi­ri­co, Augu­sto Del Noce, Juli­en Green, Gabri­el Mar­cel, Jac­ques Mari­tain, Sal­va­to­re Qua­si­mo­do und Eve­lyn Waugh. Paul VI. war über die­se Bewe­gung besorgt und schrieb am 15. August in sei­nem Schrei­ben Sacri­fi­ci­um Lau­dis, daß die latei­ni­sche Spra­che „weit davon ent­fernt ist, gering­ge­schätzt zu wer­den, und es sicher­lich wert ist, stark ver­tei­digt zu wer­den“. In Wirk­lich­keit geschah genau das Gegen­teil. Des­halb grün­de­ten am 7. Janu­ar 1967 Ver­tre­ter aus vier­zehn Län­dern in Paris die Foe­de­ra­tio Inter­na­tio­na­lis Una Voce (FIUV) zur Bewah­rung der latei­nisch-gre­go­ria­ni­schen Lit­ur­gie unter dem Vor­sitz von Eric Ver­meh­ren de Saven­them, dem ersten Vor­gän­ger von Joseph Shaw.

Die Schrift­stel­le­rin Vitto­ria Guer­ri­ni ali­as Cri­sti­na Campo

Am 3. April 1969 wur­de mit der Apo­sto­li­schen Kon­sti­tu­ti­on Mis­sa­le Roma­num der Novus Ordo Mis­sae ein­ge­führt, dem im Okto­ber des­sel­ben Jah­res das Bre­ve esa­me cri­ti­co del Novus Ordo Mis­sae („Kur­ze kri­ti­sche Unter­su­chung des neu­en Ordo Mis­sae“) der Kar­di­nä­le Anto­nio Bac­ci und Alfre­do Otta­via­ni ent­ge­gen­ge­setzt wur­de. Am 16. Juli 1971 for­der­ten mehr als hun­dert bedeu­ten­de Per­sön­lich­kei­ten in einer zwei­ten inter­na­tio­na­len Peti­ti­on den Hei­li­gen Stuhl auf, „mit größ­tem Ernst zu beden­ken, welch unge­heu­re Ver­ant­wor­tung er vor der Geschich­te des mensch­li­chen Gei­stes auf sich neh­men wür­de, wenn er nicht zulie­ße, daß die tra­di­tio­nel­le Mes­se ewig wei­ter­lebt“. Vie­le der Unter­zeich­ner waren die­sel­ben wie bei dem frü­he­ren Appell. Die neu­en Unter­zeich­ner waren eben­so illu­ster, wie Roma­no Ame­rio, Aga­tha Chri­stie, Hen­ri de Mon­t­her­lant, Robert Gra­ves, Gra­ham Gree­ne, Alfred Mar­nau, Yehu­di Menu­hin, Mal­colm Mud­der­idge, Gui­do Pio­ve­ne, Ber­nard Wall. Der Peti­ti­on von 1971 gelang es, eine knap­pe Frei­heit für das Über­le­ben der Alten Mes­se im Ver­ei­nig­ten König­reich zu erlan­gen, aber sie hat­te vor allem einen star­ken sym­bo­li­schen Wert.

Das Buch von Joseph Shaw beleuch­tet, vor allem dank zwei­er Essays von Pater Gabri­el Díaz Patri, einen Aspekt, der nicht jedem bekannt sein dürf­te. Die See­le der „Kur­zen kri­ti­schen Unter­su­chung“ und der bei­den Peti­tio­nen von 1966 und 1971 war eine ita­lie­ni­sche Schrift­stel­le­rin mit schlan­ker Erschei­nung, aber feu­ri­ger See­le, Vitto­ria Guer­ri­ni, bekannt unter dem Pseud­onym Cri­sti­na Cam­po. Der kul­tu­rel­le Main­stream ent­deckt heu­te ihr poe­ti­sches Werk wie­der, spielt aber die star­ken reli­giö­sen Beweg­grün­de ihres Lebens herunter.

Vitto­ria Guer­ri­ni wur­de am 28. April 1923 in Bolo­gna gebo­ren, als Toch­ter des Musi­kers Gui­do Guer­ri­ni und Nich­te des noch berühm­te­ren Kom­po­ni­sten Otto­ri­no Res­pighi. Sie hat­te kei­ne ernst­haf­te reli­giö­se Aus­bil­dung, son­dern ver­tief­te sich in die Lite­ra­tur, bewegt von der Lie­be zur Schön­heit und dem Kult der Voll­kom­men­heit. Die Kennt­nis des Lebens und des Werks von Simo­ne Weil präg­te sie zutiefst, doch wäh­rend die fran­zö­sisch-jüdi­sche Phi­lo­so­phin vor dem Tor der Kon­ver­si­on ste­hen blieb, durch­schritt Vitto­ria Gue­ri­ni die­ses. Das geschah um 1965, dem Jahr, in dem in Ita­li­en die ersten Mes­sen in der Volks­spra­che gefei­ert wur­den und sich die ver­hee­ren­den Aus­wir­kun­gen der Lit­ur­gie­re­form von Paul VI. abzeich­ne­ten, die im Novus Ordo Mis­sae gip­fel­te. Vitto­ria Guer­ri­ni war schockiert und ent­wickel­te eine wach­sen­de Lie­be für die Mes­se der Tra­di­ti­on. „Der Fun­ke der Bekeh­rung kann durch eine ein­zi­ge voll­kom­me­ne lit­ur­gi­sche Geste ent­zün­det wer­den“, schrieb sie 1966.

Cri­sti­na Cam­po beim Besuch der Hei­li­gen Messe

Nach ihrer Bekeh­rung begann sich die Lie­bes­be­zie­hung, die sie seit 1959 mit dem bereits ver­hei­ra­te­ten anglo-ita­lie­ni­schen Intel­lek­tu­el­len Elé­mi­re Zolla ver­band, zu quä­len. Zolla war ein Eso­te­ri­ker, ein Über­re­dungs­künst­ler und Fabu­list. Cri­sti­na Cam­po hin­ge­gen, wie sie nun genannt wur­de, war eine unge­stü­me Wahr­heits­su­chen­de. Er woll­te sie ent­ka­tho­li­sie­ren, sie woll­te ihn bekeh­ren. Aber nichts ist schwie­ri­ger als die Bekeh­rung eines Gno­sti­kers, der den Glau­ben nicht aus Laster­haf­tig­keit, son­dern aus rei­nem intel­lek­tu­el­lem Stolz ablehnt.

Zwi­schen 1969 und 1970 lern­te ich, in mei­nen Zwan­zi­gern, die bei­den ken­nen. Cri­sti­na Cam­po und Elé­mi­re Zolla leb­ten in einer klei­nen Oase der Piaz­za San­t’An­sel­mo in Rom, auf dem Aven­tin. Sie im Hoch­par­terre einer klei­nen Vil­la mit der Num­mer 3, er im Halb­ge­schoß eines Gäste­hau­ses mit der Num­mer 2 am sel­ben Platz.

Ich erin­ne­re mich, daß Cri­sti­na Cam­po von Mon­si­gno­re Mar­cel Lefeb­v­re fas­zi­niert war. In sei­nem Gesicht sah sie sogar die Gestalt des hei­li­gen Pius X. Doch ihr Leben war nicht frei von Wider­sprü­chen. An den Nach­mit­ta­gen war die Woh­nung von Cri­sti­na Cam­po das Zuhau­se von Zollas Eso­te­rik-Kli­en­tel, dar­un­ter Okkul­ti­sten wie der Ägyp­to­lo­ge Boris de Rache­wiltz, der Arzt von Juli­us Evo­la, Pla­ci­do Pro­ce­si, und der Sans­krit-Pro­fes­sor und Anthro­po­soph Pio Filippa­ni Ron­co­ni. Als ich die­se Per­sön­lich­kei­ten von bril­lan­ter, aber luzi­fe­ri­scher Intel­li­genz ken­nen­lern­te, wur­de mir bald klar, daß sie hin­ter ihrem schein­ba­ren Respekt für die katho­li­sche Kir­che in Wirk­lich­keit eine tie­fe Abnei­gung gegen sie heg­ten, und so ging ich auf Distanz zu ihnen.

Das quä­len­de Zusam­men­le­ben zwi­schen Cri­sti­na Cam­po und Elé­mi­re Zolla bekam im Lau­fe der Jah­re Ris­se, löste sich aber nicht auf. Der­sel­be Salon, der am Nach­mit­tag die Eso­te­ri­ker beher­berg­te, ohne daß Cri­sti­na Cam­po anwe­send war, wur­de am Abend zum Haupt­quar­tier der Ver­fech­ter der tra­di­tio­nel­len Mes­se, ohne daß Elé­mi­re Zolla anwe­send war. In der klei­nen Vil­la an der Piaz­za San­t’An­sel­mo traf sich oft die Grup­pe von Theo­lo­gen und Lit­ur­gi­kern ver­schie­de­ner Natio­na­li­tä­ten, die die Kur­ze kri­ti­sche Unter­su­chung verfaßte.

Um Cri­sti­na Cam­po in ihrer Kom­ple­xi­tät und die Geschich­te ihrer Bekeh­rung zu ver­ste­hen, ist es nütz­lich, das Buch Cri­sti­na Cam­po, o l’ambiguità del­la Tra­di­zio­ne (Cen­tro Libra­rio Soda­li­ti­um, 2005) von Don Fran­ces­co Ricos­sa ken­nen­zu­ler­nen, einem Prie­ster aus Turin, des­sen sed­eva­kan­ti­sti­sche Posi­tio­nen ich nicht tei­le, des­sen Qua­li­tä­ten als Histo­ri­ker ich aber schät­ze. Wie Pater Ricos­sa zu Recht fest­stellt, war es für die Schrift­stel­le­rin so, als ob ihr Kampf für die römi­sche Mes­se auf der einen Sei­te der Waa­ge stand und auf der ande­ren Sei­te eine Ten­denz zum Gno­sti­zis­mus, die durch ihre Ver­bin­dung mit Zolla noch ver­stärkt wur­de. Aber, so Ricos­sa: „Cri­sti­na Cam­po hat zur Ret­tung der Mes­se bei­getra­gen: Hof­fen wir, daß die­ser groß­zü­gi­ge Kampf auch zur Ret­tung ihrer See­le bei­getra­gen hat“.

Vitto­ria Guer­ri­ni, die schon immer von schwa­cher Gesund­heit war, starb am 10. Janu­ar 1977 in Rom im Alter von 54 Jah­ren an Herz­ver­sa­gen. Der deut­sche Bene­dik­ti­ner-Erz­bi­schof Augu­stin May­er, ein spä­te­rer Kar­di­nal, spen­de­te ihr die Ster­be­sa­kra­men­te. Sie ist auf dem histo­ri­schen Fried­hof der Cer­to­sa di Bolo­gna begra­ben, im Schat­ten der Wall­fahrts­kir­che der Madon­na di San Luca, der sie als Kind anver­traut wor­den war und die sie hof­fent­lich in ihre Arme genom­men hat.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

Bücher von Prof. Rober­to de Mat­tei in deut­scher Über­set­zung und die Bücher von Mar­tin Mose­bach kön­nen Sie bei unse­rer Part­ner­buch­hand­lung beziehen.

Übersetzung/​Fußnote: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

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1 Kommentar

  1. Die­se inter­es­san­te Geschich­te gibt einen guten detail­lier­ten Blick auf die tur­bu­len­te Zei­ten 1966–1967.
    Ins Auge trifft die wich­tig­ste Aus­sa­ge: „Cri­sti­na Cam­po war fas­zi­niert von Mon­si­gno­re Mar­cel Lefebvre“.
    Ja, das waren vie­le, aber wenn es zur Sache kam, waren so vie­le ängst­lich und fei­ge, und wichen aus.
    Und par­al­lel mach­te die moder­ni­sti­sche Strö­mung mit ihrem Moder­nis­mus, mit ihrer Welt­ge­fäl­lig­keit und Main­stream­ver­liebt­heit, mit ihrer breit dekla­mier­ter Gut­menschlick­eit und Pro­le­ta­ri­sie­rung und zugleich mit ihrem säu­er­li­chen Hass auf die Tra­di­ti­on bei Kir­chen­fer­nen nur Ver­ach­tung aus.
    Ich erin­ne­re mich leb­haft wie mein Vater, nach gro­ßem Frust in sei­nen Jugend­jah­re dann anti­kle­ri­kal und ziem­lich glau­bens­fern gewor­den und ein rich­ti­ger Hau­de­gen, 1973 bei einem Fami­li­en­fest (auch um sei­ne from­me Schwie­ger­mut­ter, mei­ne Groß­mutter, zu ärgern) laut ausrief:
    „Die­ser Mons­ei­gneur Lefeb­v­re hat wenig­stens Mut und Tat­kraft! Der zeigt, wo es lang geht!“.
    Es wur­de von so vie­len seriö­se Gläu­bi­gen soviel gelit­ten und mit Bauch­schmer­zen soviel Unsinn toleriert.
    Umso hel­ler leuch­tet die Gestalt von EB Msgr. Lefeb­v­re und den vie­len Gefähr­ten, beson­ders der ersten Stunde.
    (Buch: Mar­cel Lefeb­v­re, Ein Leben für die Kir­che, von Ber­nard Tis­sier de Mal­ler­ais, Sar­to Ver­lag Bobin­gen, 2022).

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