Der Samen der Zwietracht: Das Zweite Vatikanische Konzil

Können Katholiken und Ketzer sich auf dieselben kirchlichen Dokumente berufen?


Zweites Vatikanisches Konzil als Ort und Ausgangspunkt falscher Weichenstellungen
Zweites Vatikanisches Konzil als Ort und Ausgangspunkt falscher Weichenstellungen

Von Ivan Poljaković*

Anzei­ge

In die­sem Jahr fei­ert die Kir­che den 60. Jah­res­tag des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils. Vie­le ortho­do­xe (recht­gläu­bi­ge) Geist­li­che wer­den eini­ge schö­ne und ortho­do­xe Sät­ze aus den Kon­zils­do­ku­men­ten zitie­ren. Gleich­zei­tig wer­den Häre­ti­ker in den­sel­ben Doku­men­ten For­mu­lie­run­gen fin­den, die ihnen zusa­gen, weil sie sich zur Ver­brei­tung von Irr­leh­ren eignen.

Kann eine Samm­lung kirch­li­cher Doku­men­te, die sowohl von Katho­li­ken als auch von Ket­zern zur Ver­brei­tung ihrer Ansich­ten genutzt wird, wirk­lich als katho­lisch bezeich­net wer­den? Kann eine gute Sup­pe, der ein paar Trop­fen Gift bei­gemischt wer­den, noch genieß­bar sein? Unge­ach­tet ihres spe­zi­fisch katho­li­schen Inhalts sind sol­che Doku­men­te gefähr­lich für die See­le, weil sie ket­ze­ri­sche Behaup­tun­gen ent­hal­ten, genau wie die beste Sup­pe dem Kör­per scha­det, wenn man ihr einen Trop­fen Gift hinzufügt.

Katholische Ansichten

Die Tradition muss als größter Schatz bewahrt werden

Katho­li­ken wis­sen, dass nie­mand in der Kir­che, nicht ein­mal der Papst, die Auto­ri­tät besitzt, neue Leh­ren zu ver­kün­den. Das unter­schei­det uns von Pro­te­stan­ten. Die Kir­che ist gemäß dem Auf­trag Chri­sti ver­pflich­tet, das Glau­bens­gut, wie sie es von den Apo­steln emp­fan­gen hat, zu bewah­ren und an neue Gene­ra­tio­nen wei­ter­zu­ge­ben. Sie ist unfehl­bar, gera­de weil sie gött­li­che Offen­ba­rung und nicht irgend­wel­che mensch­li­chen „Wahr­hei­ten“ verkündet:

„Die­se Unfehl­bar­keit, mit wel­cher der gött­li­che Erlö­ser sei­ne Kir­che bei der Defi­nie­rung einer Glau­bens- und Sit­ten­leh­re aus­ge­stat­tet sehen woll­te, reicht so weit wie die Hin­ter­la­ge der gött­li­chen Offen­ba­rung, wel­che rein bewahrt und getreu­lich aus­ge­legt wer­den muß, es erfor­dert.
Die­ser Unfehl­bar­keit erfreut sich der Bischof von Rom, das Haupt des Bischofs­kol­le­gi­ums, kraft sei­nes Amtes, wenn er als ober­ster Hirt und Leh­rer aller Christ­gläu­bi­gen, der sei­ne Brü­der im Glau­ben stärkt (vgl. Lk 22,32), eine Glau­bens- oder Sit­ten­leh­re in einem end­gül­ti­gen Akt ver­kün­det. Daher hei­ßen sei­ne Defi­ni­tio­nen mit Recht aus sich und nicht erst auf­grund der Zustim­mung der Kir­che unan­fecht­bar, da sie ja unter dem Bei­stand des Hei­li­gen Gei­stes vor­ge­bracht sind, der ihm im hei­li­gen Petrus ver­hei­ßen wur­de. Sie bedür­fen daher kei­ner Bestä­ti­gung durch ande­re und dul­den kei­ne Beru­fung an ein ande­res Urteil“ (Lumen gen­ti­um, 25).1

„Die Hei­li­ge Über­lie­fe­rung und die Hei­li­ge Schrift bil­den den einen der Kir­che über­las­se­nen hei­li­gen Schatz des Wor­tes Got­tes… Die Auf­ga­be aber, das geschrie­be­ne oder über­lie­fer­te Wort Got­tes ver­bind­lich zu erklä­ren, ist nur dem leben­di­gen Lehr­amt der Kir­che anver­traut, des­sen Voll­macht im Namen Jesu Chri­sti aus­ge­übt wird. Das Lehr­amt ist nicht über dem Wort Got­tes, son­dern dient ihm, indem es nichts lehrt, als was über­lie­fert ist, weil es das Wort Got­tes aus gött­li­chem Auf­trag und mit dem Bei­stand des Hei­li­gen Gei­stes voll Ehr­furcht hört, hei­lig bewahrt und treu aus­legt und weil es alles, was es als von Gott geof­fen­bart zu glau­ben vor­legt, aus die­sem einen Schatz des Glau­bens schöpft“ (Dei ver­bum, 10).2

Wir sehen hier, dass die Kon­zils­vä­ter an der Tra­di­ti­on fest­hal­ten, sie sorg­sam bewah­ren und die Leh­re frü­he­rer Kon­zi­li­en bestätigen:

„Die­sen ehr­wür­di­gen Glau­ben unse­rer Vor­fah­ren an die leben­di­ge Gemein­schaft mit den Brü­dern, die in der himm­li­schen Herr­lich­keit sind oder noch nach dem Tode gerei­nigt wer­den, über­nimmt die­se Hei­li­ge Syn­ode mit gro­ßer Ehr­furcht und legt die Beschlüs­se des II. Kon­zils von Nicæa, der Kon­zi­li­en von Flo­renz und von Tri­ent wie­der­um vor“ (Lumen gen­ti­um, 51).3 Glaubt mir, Ket­zer wer­den die­se Stel­le nicht zitie­ren, denn sie wür­den einen Ner­ven­zu­sam­men­bruch erlei­den, wenn sie vom Kon­zil von Tri­ent hören.

Außerhalb der Kirche gibt es keine Erlösung

„Außer­halb der Kir­che gibt es kein Heil“ ist ein Dog­ma der Kir­che. Es wur­de auch vom Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil bestä­tigt, doch heu­te spricht nie­mand mehr davon:

 „Der Grund die­ser mis­sio­na­ri­schen Tätig­keit ergibt sich aus dem Plan Got­tes, der ‚will, daß alle Men­schen heil wer­den und zur Erkennt­nis der Wahr­heit gelan­gen. Denn es ist nur ein Gott und nur ein Mitt­ler zwi­schen Gott und den Men­schen, der Mensch Chri­stus Jesus, der sich selbst als Löse­geld für alle hin­ge­ge­ben hat‘ (1 Tim 2,4–6), ‚und in kei­nem andern ist Heil‘ (Apg 4,12). So ist es nötig, daß sich alle zu ihm, der durch die Ver­kün­di­gung der Kir­che erkannt wird, bekeh­ren sowie ihm und sei­nem Leib, der Kir­che, durch die Tau­fe ein­ge­glie­dert wer­den. Chri­stus selbst hat näm­lich ‚mit aus­drück­li­chen Wor­ten die Not­wen­dig­keit des Glau­bens und der Tau­fe betont und damit zugleich die Not­wen­dig­keit der Kir­che, in die die Men­schen durch die Tau­fe wie durch eine Tür ein­tre­ten, bekräf­tigt. Dar­um könn­ten jene Men­schen nicht geret­tet wer­den, die um die katho­li­sche Kir­che und ihre von Gott durch Chri­stus gestif­te­te Heils­not­wen­dig­keit wis­sen, in sie aber nicht ein­tre­ten oder in ihr nicht aus­har­ren woll­ten‘. Wenn­gleich Gott Men­schen, die das Evan­ge­li­um ohne ihre Schuld nicht ken­nen, auf Wegen, die er weiß, zum Glau­ben füh­ren kann, ohne den es unmög­lich ist, ihm zu gefal­len, so liegt also doch auf der Kir­che die Not­wen­dig­keit und zugleich das hei­li­ge Recht der Evan­ge­li­ums­ver­kün­di­gung. Des­halb behält heu­te und immer die mis­sio­na­ri­sche Tätig­keit ihre unge­schmä­ler­te Bedeu­tung und Not­wen­dig­keit“ (Ad gen­tes, 7).4

„Den katho­li­schen Gläu­bi­gen wen­det die Hei­li­ge Syn­ode beson­ders ihre Auf­merk­sam­keit zu. Gestützt auf die Hei­li­ge Schrift und die Tra­di­ti­on, lehrt sie, daß die­se pil­gern­de Kir­che zum Hei­le not­wen­dig sei. Chri­stus allein ist Mitt­ler und Weg zum Heil, der in sei­nem Leib, der Kir­che, uns gegen­wär­tig wird; indem er aber selbst mit aus­drück­li­chen Wor­ten die Not­wen­dig­keit des Glau­bens und der Tau­fe betont hat (vgl. Mk 16,16; Joh 3,5), hat er zugleich die Not­wen­dig­keit der Kir­che, in die die Men­schen durch die Tau­fe wie durch eine Türe ein­tre­ten, bekräf­tigt. Dar­um könn­ten jene Men­schen nicht geret­tet wer­den, die um die katho­li­sche Kir­che und ihre von Gott durch Chri­stus gestif­te­te Heils­not­wen­dig­keit wis­sen, in sie aber nicht ein­tre­ten oder in ihr nicht aus­har­ren woll­ten“ (Lumen gen­ti­um, 14).5

Für das Heil der See­le genügt es nicht, getauft zu sein, son­dern es bedarf des Aus­har­rens im Glau­ben, der Annah­me der gesam­ten Leh­re der Kir­che und der Unter­ord­nung des eige­nen Lebens darunter:

„Die Tau­fe begrün­det also ein sakra­men­ta­les Band der Ein­heit zwi­schen allen, die durch sie wie­der­ge­bo­ren sind. Den­noch ist die Tau­fe nur ein Anfang und Aus­gangs­punkt, da sie ihrem gan­zen Wesen nach hin­zielt auf die Erlan­gung der Fül­le des Lebens in Chri­stus. Daher ist die Tau­fe hin­ge­ord­net auf das voll­stän­di­ge Bekennt­nis des Glau­bens, auf die völ­li­ge Ein­glie­de­rung in die Heils­ver­an­stal­tung, wie Chri­stus sie gewollt hat, schließ­lich auf die voll­stän­di­ge Ein­fü­gung in die eucha­ri­sti­sche Gemein­schaft“ (Unita­tis red­in­te­gra­tio, 22).6

Die Liturgie muss ebenfalls in die Tradition eingebunden werden

Die tra­di­tio­nel­le latei­ni­sche Mes­se hat sich seit den Tagen der Apo­stel orga­nisch wei­ter­ent­wickelt und ist seit min­de­stens dem sech­sten Jahr­hun­dert nahe­zu unver­än­dert geblie­ben. Die Kon­zils­vä­ter beab­sich­tig­ten zwei­fel­los, die­se orga­ni­sche Ent­wick­lung fortzuführen:

„Treu der Über­lie­fe­rung erklärt das Hei­li­ge Kon­zil schließ­lich, daß die hei­li­ge Mut­ter Kir­che allen recht­lich aner­kann­ten Riten glei­ches Recht und glei­che Ehre zuer­kennt. Es ist ihr Wil­le, daß die­se Riten in Zukunft erhal­ten und in jeder Wei­se geför­dert wer­den, und es ist ihr Wunsch, daß sie, soweit es not tut, in ihrem gan­zen Umfang gemäß dem Geist gesun­der Über­lie­fe­rung über­prüft und im Hin­blick auf die Ver­hält­nis­se und Not­wen­dig­kei­ten der Gegen­wart mit neu­er Kraft aus­ge­stat­tet wer­den“ (Sacro­sanc­tum con­ci­li­um, 4). „Der Gebrauch der latei­ni­schen Spra­che soll in den latei­ni­schen Riten erhal­ten blei­ben, soweit nicht Son­der­recht ent­ge­gen­steht“ (Sacro­sanc­tum con­ci­li­um, 36.1). „Die Kir­che betrach­tet den Gre­go­ria­ni­schen Cho­ral als den der römi­schen Lit­ur­gie eige­nen Gesang; dem­ge­mäß soll er in ihren lit­ur­gi­schen Hand­lun­gen, wenn im übri­gen die glei­chen Vor­aus­set­zun­gen gege­ben sind, den ersten Platz ein­neh­men“ (Sacro­sanc­tum con­ci­li­um, 116). „Die Pfei­fen­or­gel soll in der latei­ni­schen Kir­che als tra­di­tio­nel­les Musik­in­stru­ment in hohen Ehren gehal­ten wer­den; denn ihr Klang ver­mag den Glanz der kirch­li­chen Zere­mo­nien wun­der­bar zu stei­gern und die Her­zen mäch­tig zu Gott und zum Him­mel empor­zu­he­ben“ (Sacro­sanc­tum con­ci­li­um, 120).7 Es gibt hier gar kei­ne Erwäh­nung von der Zer­stö­rung von Altä­ren und Kom­mu­ni­on­bän­ken, von der Kom­mu­ni­on in die Hand, von der Hin­wen­dung der Prie­ster zum Volk und ande­ren Neue­run­gen, die Anni­ba­le Bug­nini, ein Mit­glied der Frei­mau­rer­lo­ge, nach dem Kon­zil in Zusam­men­ar­beit mit Pro­te­stan­ten in den Novus Ordo einführte.

Ketzerische Ansichten

Aller­dings sind eini­ge Doku­men­te des­sel­ben Kon­zils, die von den­sel­ben Kon­zils­vä­tern ver­ab­schie­det wur­den, gelin­de gesagt pro­ble­ma­tisch. Wer dies nicht erkennt, kennt ent­we­der den katho­li­schen Glau­ben nicht oder die Doku­men­te des Kon­zils nicht. So wie Papst Johan­nes XXIII. bei der Eröff­nung des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils ein „Aggior­na­men­to“ (Anpas­sung) an die Welt andeu­te­te, tat dies auch Papst Paul VI. In sei­ner Schluss­re­de mach­te er deut­lich, dass die Kir­che dem Druck der Welt gewis­ser­ma­ßen erle­gen war: „Der säku­la­re Huma­nis­mus, der sich in sei­ner erschrecken­den anti­kle­ri­ka­len Rea­li­tät offen­bar­te, wider­setz­te sich in gewis­ser Wei­se dem Kon­zil. Die Reli­gi­on Got­tes, der Mensch wur­de, traf auf die Reli­gi­on (denn das ist sie) des Men­schen, der sich selbst zu Gott macht. Und was geschah? Gab es einen Kon­flikt, einen Kampf, eine Ver­ur­tei­lung? Es hät­te einen geben kön­nen, aber es gab kei­nen. Die alte Geschich­te vom Sama­ri­ter war das Vor­bild für die Spi­ri­tua­li­tät des Kon­zils. Ein Gefühl gren­zen­lo­sen Mit­ge­fühls durch­drang das gesam­te Kon­zil. Die Auf­merk­sam­keit unse­res Kon­zils galt der Ent­deckung der mensch­li­chen Bedürf­nis­se (und die­se Bedürf­nis­se wach­sen im Ver­hält­nis zu der Grö­ße, die sich der Sohn der Erde aneig­net). Aber wir rufen die­je­ni­gen, die sich moder­ne Huma­ni­sten nen­nen und die den tran­szen­den­ta­len Wert der höch­sten Wirk­lich­kei­ten ver­leug­net haben, dazu auf, dem Kon­zil wenig­stens eine Aner­ken­nung zu zol­len und unse­ren eige­nen neu­en Huma­nis­mus anzu­er­ken­nen: Auch wir ach­ten die Mensch­heit, mehr als alle ande­ren.“8 Doch schon bald nach dem Ende des Kon­zils im Jahr 1972, am Fest der Hei­li­gen Petrus und Pau­lus, deu­te­te der­sel­be Papst an, dass etwas schief­ge­lau­fen war: „Der Rauch Satans drang durch einen Spalt in den Tem­pel Got­tes ein.“9

Der Mensch steht im Mittelpunkt von allem, nicht Gott

Ja, durch einen Riss – und die­ser Riss war das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil – schlich sich die Häre­sie ein und ver­brei­te­te sich. Seit Berg­o­glio 2013 an die Macht kam, sind katho­li­sche Wahr­hei­ten in der Kir­chen­füh­rung kaum noch zu hören. Die Haupt­the­men sind aus­ge­spro­chen säku­lar, huma­ni­tär, und fügen sich gut in die glo­ba­li­sti­sche Ideo­lo­gie der Ver­ein­ten Natio­nen ein: Kli­ma­wan­del, Öko­lo­gie, Migra­ti­on, alles Mög­li­che, nur das Wich­tig­ste – das See­len­heil – wird nicht mehr erwähnt. Und es ist erstaun­lich, dass sich sowohl die treu­en Kin­der der Kir­che als auch die Häre­ti­ker auf dem­sel­ben Kon­zil beru­fen. Für die Häre­ti­ker steht jedoch nicht mehr Gott im Mit­tel­punkt, son­dern der Mensch:

„Es ist fast ein­mü­ti­ge Auf­fas­sung der Gläu­bi­gen und der Nicht­gläu­bi­gen, daß alles auf Erden auf den Men­schen als sei­nen Mit­tel- und Höhe­punkt hin­zu­ord­nen ist“ (Gau­di­um et spes, 12).10 Hier sehen wir einen kla­ren Wan­del vom Chri­sto­zen­tris­mus zum Anthro­po­zen­tris­mus. Im Mit­tel­punkt von allem soll­te Gott ste­hen, nicht der Mensch – das hat die Kir­che seit jeher gelehrt. Man könn­te hier unzäh­li­ge kirch­li­che Doku­men­te anfüh­ren, daher beschrän­ken wir uns auf ein ein­zi­ges Zitat von Papst Leo XIII.: „Wie es mit den Ein­zel­nen ist, so ist es auch mit den Natio­nen. Auch sie sind dem Unter­gang geweiht, wenn sie vom Weg abwei­chen. Der Sohn Got­tes, Schöp­fer und Erlö­ser der Mensch­heit, ist König und Herr der Erde und hat die höch­ste Auto­ri­tät über die Men­schen, sowohl ein­zeln als auch als Gemein­schaft… Des­halb soll­te das Gesetz Chri­sti in der mensch­li­chen Gesell­schaft herr­schen und Richt­schnur und Lehr­mei­ster des öffent­li­chen wie des pri­va­ten Lebens sein“ (Tamet­si Futu­ra, 8).11 Auch Johan­nes Paul II. erin­ner­te die Chri­sten wie­der­holt dar­an, dass Chri­stus, nicht der Mensch, Mit­tel­punkt und Gip­fel aller Din­ge ist (vgl. Redemptor homi­nis).12

Es kommt nicht mehr dar­auf an, das Wort Got­tes zu ver­kün­den, son­dern viel­mehr dar­auf, nie­man­den zu belei­di­gen: „Jede Grup­pe muß den Bedürf­nis­sen und berech­tig­ten Ansprü­chen ande­rer Grup­pen, ja dem Gemein­wohl der gan­zen Mensch­heits­fa­mi­lie Rech­nung tra­gen. Gleich­zei­tig wächst auch das Bewußt­sein der erha­be­nen Wür­de, die der mensch­li­chen Per­son zukommt, da sie die gan­ze Ding­welt über­ragt und Trä­ger all­ge­mein­gül­ti­ger sowie unver­letz­li­cher Rech­te und Pflich­ten ist“ (Gau­di­um et Spes, 26).13

Man­che Geist­li­che bemü­hen sich nach Kräf­ten, zur Neu­en Welt­ord­nung bei­zu­tra­gen, und fan­den ihre Inspi­ra­ti­on – man mag es kaum glau­ben – aus­ge­rech­net im Konzil:

„Allen sei es ein hei­li­ges Gesetz, die For­de­run­gen aus der gesell­schaft­li­chen Ver­floch­ten­heit unter die Haupt­pflich­ten des heu­ti­gen Men­schen zu rech­nen und sie als sol­che zu beobachten.

Je mehr näm­lich die Welt zusam­men­wächst, desto offen­kun­di­ger grei­fen die Auf­ga­ben der Men­schen über die Son­der­grup­pen hin­aus und erhal­ten all­mäh­lich eine Bedeu­tung für die Welt als ganze.

Das wird nur dann zur Aus­wir­kung kom­men, wenn die Ein­zel­nen und ihre Grup­pen die sitt­li­chen und gesell­schaft­li­chen Tugen­den bei sich selbst pfle­gen und in der Gesell­schaft zur Gel­tung brin­gen; dann wer­den sie mit der not­wen­di­gen Hil­fe der gött­li­chen Gna­de wahr­haft neue Men­schen und Erbau­er einer neu­en Mensch­heit“ (Gau­di­um et spes, 30).14

Die Kirche besitzt nicht mehr die Fülle der Wahrheit

Im sel­ben Doku­ment for­dern die Kon­zils­vä­ter ein „inne­res Gerech­tig­keits­emp­fin­den“. Ich den­ke dabei sofort an LGBTQ+ und ande­re abwei­chen­de Grup­pen, die ihre Posi­tio­nen auf die­ses inne­re Gerech­tig­keits­emp­fin­den grün­den: „Für den Auf­bau eines wirk­lich men­schen­wür­di­gen poli­ti­schen Lebens ist nichts so wich­tig wie die Pfle­ge der inne­ren Ein­stel­lung auf Gerech­tig­keit, Wohl­wol­len und Dienst am Gemein­wohl sowie die Schaf­fung fester Grund­über­zeu­gun­gen über das wah­re Wesen poli­ti­scher Gemein­schaft und über das Ziel, den rech­ten Gebrauch und die Gren­zen der öffent­li­chen Gewalt“ (Gau­di­um et spes, 73).15 Die Kämp­fe­rin­nen für „repro­duk­ti­ve Rech­te der Frau­en“ (ein Euphe­mis­mus für Abtrei­bung) beru­fen sich gera­de auf die­ses „inne­re Gerech­tig­keits­emp­fin­den“. Heu­te haben wir also eine „wah­re poli­ti­sche Gemein­schaft“, denn die Poli­ti­ker haben die Doku­men­te des Kon­zils gele­sen, und dem­entspre­chend sind Abtrei­bung und gleich­ge­schlecht­li­che Part­ner­schaf­ten legal – man erin­ne­re sich, dass Papst Fran­zis­kus, gestützt auf ein „inne­res Gerech­tig­keits­emp­fin­den“, die Lega­li­sie­rung von Sodo­mie befür­wor­te­te. Nicht mehr die objek­ti­ve Wahr­heit oder Got­tes Gesetz zäh­len, son­dern das „inne­re Gefühl“.

Die katho­li­sche Kir­che hat stets gelehrt, die Fül­le der Wahr­heit in Glau­bens- und Sit­ten­fra­gen zu besit­zen (KKK 868, 2625; 1 Tim 3,15). Doch liest man Gau­di­um et spes , gelangt man zu dem Schluss, dass der katho­li­sche Glau­be eben­so weit von der Wahr­heit ent­fernt ist wie ande­re Religionen:

„Durch die Treue zum Gewis­sen sind die Chri­sten mit den übri­gen Men­schen ver­bun­den im Suchen nach der Wahr­heit und zur wahr­heits­ge­mä­ßen Lösung all der vie­len mora­li­schen Pro­ble­me, die im Leben der Ein­zel­nen wie im gesell­schaft­li­chen Zusam­men­le­ben ent­ste­hen“ (Gau­di­um et spes, 16).16 Robert Pré­vost, Leo XIV., hat mehr­fach erklärt, er wer­de Berg­o­gli­os Bei­spiel fol­gen, und wir sehen Tag für Tag, dass er es ernst meint. So am 26.10.2025 in einer Pre­digt sag­te er: „Die ober­ste Regel in der Kir­che ist die Lie­be. Nie­mand ist beru­fen zu herr­schen; alle sind zum Die­nen beru­fen. Nie­mand soll sei­ne eige­nen Ideen auf­zwin­gen; wir müs­sen ein­an­der zuhö­ren. Nie­mand ist aus­ge­schlos­sen; wir alle sind zur Teil­ha­be beru­fen. Nie­mand besitzt die gan­ze Wahr­heit; wir müs­sen sie alle demü­tig und gemein­sam suchen… Eine syn­oda­le Kir­che zu sein bedeu­tet zu erken­nen, dass die Wahr­heit nicht beses­sen, son­dern gemein­sam gesucht wird, indem wir uns von einem unru­hi­gen, von Lie­be erfüll­ten Her­zen lei­ten las­sen.“17 Was der Pre­vost über­sieht, ist die Tat­sa­che, dass wah­re Lie­be ohne Wahr­heit nicht exi­stiert, und die Wahr­heit ist, dass die Kir­che die Fül­le der Wahr­heit besitzt. Lie­be ohne Wahr­heit wird zur lee­ren Paro­le des Homo­se­xu­el­len: „Lie­be ist Lie­be.“ Aber das höch­ste Ziel der katho­li­schen Kir­che ist die wah­re Lie­be: das Heil der See­len (Kanon 1752), wes­halb die Kir­che die Wahr­heit leh­ren soll, die sie besitzt, und nicht die „Wahr­heit“ unter den Hei­den suchen soll.

Förderung anderer Religionen

Katho­li­ken sol­len den katho­li­schen Glau­ben för­dern, doch eini­ge Kon­zils­vä­ter schei­nen ande­rer Mei­nung zu sein:

„Des­halb mahnt sie [die katho­li­sche Kir­che] ihre Söh­ne, daß sie mit KIug­heit und Lie­be, durch Gespräch und Zusam­men­ar­beit mit den Beken­nern ande­rer Reli­gio­nen sowie durch ihr Zeug­nis des christ­li­chen Glau­bens und Lebens jene geist­li­chen und sitt­li­chen Güter und auch die sozi­al-kul­tu­rel­len Wer­te, die sich bei ihnen fin­den, aner­ken­nen, wah­ren und för­dern“ (Nost­ra aet­a­te, 2).18 Wie bit­te? Katho­li­ken sol­len fal­sche Reli­gio­nen för­dern?! Unter der Füh­rung von Leo XIV. tat der Vati­kan genau das am 28. Okto­ber 2025 und för­der­te Reli­gio­nen, die fal­sche Göt­ter und Dämo­nen anbe­ten.19 Denn laut Nost­ra aet­a­te soll der Hin­du­is­mus „das gött­li­che Geheim­nis aus­drücken“, und im Bud­dhis­mus errei­chen „Men­schen mit from­men und ver­trau­ens­vol­len Her­zen“ einen Zustand „voll­kom­me­ner Befrei­ung“ und erlan­gen „die höch­ste Erleuchtung“:

„Im Zusam­men­hang mit dem Fort­schrei­ten der Kul­tur suchen die Reli­gio­nen mit genaue­ren Begrif­fen und in einer mehr durch­ge­bil­de­ten Spra­che Ant­wort auf die glei­chen Fra­gen. So erfor­schen im Hin­du­is­mus die Men­schen das gött­li­che Geheim­nis und brin­gen es in einem uner­schöpf­li­chen Reich­tum von Mythen und in tief­drin­gen­den phi­lo­so­phi­schen Ver­su­chen zum Aus­druck und suchen durch asze­ti­sche Lebens­for­men oder tie­fe Medi­ta­ti­on oder lie­bend ver­trau­en­de Zuflucht zu Gott Befrei­ung von der Enge und Beschränkt­heit unse­rer Lage. In den ver­schie­de­nen For­men des Bud­dhis­mus wird das radi­ka­le Unge­nü­gen der ver­än­der­li­chen Welt aner­kannt und ein Weg gelehrt, auf dem die Men­schen mit from­mem und ver­trau­en­dem Sinn ent­we­der den Zustand voll­kom­me­ner Befrei­ung zu errei­chen oder – sei es durch eige­ne Bemü­hung, sei es ver­mit­tels höhe­rer Hil­fe – zur höch­sten Erleuch­tung zu gelan­gen ver­mö­gen. So sind auch die übri­gen in der gan­zen Welt ver­brei­te­ten Reli­gio­nen bemüht, der Unru­he des mensch­li­chen Her­zens auf ver­schie­de­ne Wei­se zu begeg­nen, indem sie Wege wei­sen: Leh­ren und Lebens­re­geln sowie auch hei­li­ge Riten.

Die katho­li­sche Kir­che lehnt nichts von alle­dem ab, was in die­sen Reli­gio­nen wahr und hei­lig ist. Mit auf­rich­ti­gem Ernst betrach­tet sie jene Hand­lungs- und Lebens­wei­sen, jene Vor­schrif­ten und Leh­ren, die zwar in man­chem von dem abwei­chen, was sie sel­ber für wahr hält und lehrt, doch nicht sel­ten einen Strahl jener Wahr­heit erken­nen las­sen, die alle Men­schen erleuch­tet“20 (Nost­ra aet­a­te, 2).

Man beach­te, dass das Doku­ment hier behaup­tet, Hin­dus wür­den sich „Gott“ zuwen­den, obwohl wir wis­sen, dass sie sich fal­schen Göt­tern zuwen­den. Wei­ter heißt es, die betref­fen­den Reli­gio­nen hät­ten „hei­li­ge Riten“. Des­halb konn­te Berg­o­glio in Sin­ga­pur, gestützt auf Nost­ra aet­a­te , die Ket­ze­rei aus­spre­chen: „Jede Reli­gi­on ist ein Weg zu Gott.“21

Natür­lich kann die Bibel die­se Behaup­tun­gen nicht stüt­zen. Im Gegen­teil, in der Bibel fin­den wir gegen­tei­li­ge Aus­sa­gen: Gott bestraft die­je­ni­gen streng, die frem­de Göt­ter anbeten:

„Er sprach zu Mose: ‚Nimm die Anfüh­rer des Vol­kes gefan­gen und häng sie am hell­lich­ten Tag auf! Nur so könnt ihr mei­nen glü­hen­den Zorn von euch abwen­den.‚Mose befahl den Rich­tern Isra­els: ‚Tötet jeden von euren Leu­ten, der Baal-Peor als sei­nen Gott ver­ehrt hat!‘“ (Num 25,4–5). Gott sag­te nicht: „För­dert ihre gei­sti­gen und mora­li­schen Güter sowie ihre sozio­kul­tu­rel­len Wer­te“, aber die Kon­zils­vä­ter, Berg­o­glio und nun Leo tun genau das. Viel­leicht soll­ten wir statt der Bibel anfan­gen, die Veden und den Tri­pit­a­ka zu lesen.22

Über Mus­li­me sagt das Kozil: „Sie mühen sich, auch sei­nen ver­bor­ge­nen Rat­schlüs­sen sich mit gan­zer See­le zu unter­wer­fen, so wie Abra­ham sich Gott unter­wor­fen hat, auf den der isla­mi­sche Glau­be sich ger­ne beruft. Jesus, den sie aller­dings nicht als Gott aner­ken­nen, ver­eh­ren sie doch als Pro­phe­ten“ (Nost­ra aet­a­te, 3).23 Es stimmt, dass sich man­che Mus­li­me oft den „ver­bor­ge­nen Rat­schlüs­sen“ ihres Got­tes unter­wer­fen, ins­be­son­de­re wenn sie, dem Koran, ihrem hei­li­gen Buch, fol­gend, unschul­di­ge Men­schen töten, im Glau­ben, damit die „ver­bor­ge­ne Rat­schlüs­sen“ aus­zu­füh­ren. In den letz­ten Jahr­zehn­ten haben wir Ter­ror­an­schlä­ge gegen Chri­sten erlebt, vor allem in Afri­ka und Asi­en. Bis­lang ist uns kei­ne isla­mi­sche Rechts­schu­le bekannt, die behaup­tet hät­te, eine sol­che Tat wider­sprä­che den Leh­ren ihres Glau­bens, obwohl eini­ge isla­mi­sche Füh­rer sol­che Angrif­fe ver­ur­teilt haben.

Um den Hin­ter­grund des Doku­ments Nost­ra aet­a­te bes­ser zu ver­ste­hen, ist es wich­tig zu wis­sen, wer sein gei­sti­ger Vater war. Es han­delt sich um Gre­go­ry Baum, einen Homo­se­xu­el­len und ehe­ma­li­gen Prie­ster, der die­ses Doku­ment ver­fass­te, das den katho­li­schen Glau­ben auf per­fi­de Wei­se unter­gräbt. In sei­nem Buch „The oil has not run dry“ gibt Baum zu, homo­se­xu­ell gewe­sen zu sein: „Ich habe mei­ne Homo­se­xua­li­tät nicht öffent­lich bekannt, weil ein sol­ches Bekennt­nis mei­nen Ein­fluss als Theo­lo­ge geschmä­lert hät­te … Ich woll­te als Theo­lo­ge gehört wer­den, der an Gott als den Erlö­ser der Welt glaub­te und sich für sozia­le Gerech­tig­keit, Befrei­ungs­theo­lo­gie und glo­ba­le Soli­da­ri­tät ein­setz­te.“24 Neben der Aus­übung der Sodo­mie ver­ließ er spä­ter das Prie­ster­amt, hei­ra­te­te eine Non­ne, befür­wor­te­te Emp­fäng­nis­ver­hü­tung und die gleich­ge­schlecht­li­che Ehe und war, wie er selbst zugibt, ein Anhän­ger der „ein­zig­ar­ti­gen Häre­sie“25 der soge­nann­ten Befrei­ungs­theo­lo­gie. Häre­ti­ker fei­ern ihn natür­lich als gro­ßen Theo­lo­gen. Kann irgend­je­mand bei kla­rem Ver­stand ernst­haft glau­ben, dass Ket­zer für uns kirch­li­che Doku­men­te ver­fas­sen sollten?

Die Kirche ist für die Erlösung nicht mehr wichtig

Wäh­rend eini­ge Doku­men­te ein­deu­tig die Leh­re ver­mit­teln, dass es kein Heil außer­halb der Kir­che gibt, pro­pa­gie­ren ande­re, wie zum Bei­spiel Nost­ra aet­a­te, fal­sche Reli­gio­nen. Die zuvor genann­te Leh­re wird auch durch Unita­tis red­in­te­gra­tio widerlegt:

„Hin­zu kommt, daß eini­ge, ja sogar vie­le und bedeu­ten­de Ele­men­te oder Güter, aus denen ins­ge­samt die Kir­che erbaut wird und ihr Leben gewinnt, auch außer­halb der sicht­ba­ren Gren­zen der katho­li­schen Kir­che exi­stie­ren kön­nen: das geschrie­be­ne Wort Got­tes, das Leben der Gna­de, Glau­be, Hoff­nung und Lie­be und ande­re inne­re Gaben des Hei­li­gen Gei­stes und sicht­ba­re Ele­men­te: all die­ses, das von Chri­stus aus­geht und zu ihm hin­führt, gehört rech­tens zu der ein­zi­gen Kir­che Christi.

Auch zahl­rei­che lit­ur­gi­sche Hand­lun­gen der christ­li­chen Reli­gi­on wer­den bei den von uns getrenn­ten Brü­dern voll­zo­gen, die auf ver­schie­de­ne Wei­se je nach der ver­schie­de­nen Ver­faßt­heit einer jeden Kir­che und Gemein­schaft ohne Zwei­fel tat­säch­lich das Leben der Gna­de zeu­gen kön­nen und als geeig­ne­te Mit­tel für den Zutritt zur Gemein­schaft des Hei­les ange­se­hen wer­den müssen.

Eben­so sind die­se getrenn­ten Kir­chen und Gemein­schaf­ten trotz der Män­gel, die ihnen nach unse­rem Glau­ben anhaf­ten, nicht ohne Bedeu­tung und Gewicht im Geheim­nis des Hei­les. Denn der Geist Chri­sti hat sich gewür­digt, sie als Mit­tel des Hei­les zu gebrau­chen, deren Wirk­sam­keit sich von der der katho­li­schen Kir­che anver­trau­ten Fül­le der Gna­de und Wahr­heit her­lei­tet“ (Unita­tis red­in­te­gra­tio, 3).26

Des­halb bestand Berg­o­glio dar­auf, dass Pro­te­stan­ten nicht zur Mut­ter­kir­che zurück­keh­ren soll­ten; er ver­stand die­se Ver­se rich­tig. War­um soll­ten sie zum katho­li­schen Glau­ben zurück­keh­ren, wenn sie ohne­hin geret­tet wer­den? Das wäre unlo­gisch. Er wuss­te, wovon er sprach. Nach der Unter­zeich­nung des „Doku­ments über die mensch­li­che Brü­der­lich­keit“27 im Jahr 2019, in dem prak­tisch alle Reli­gio­nen gleich­ge­stellt sind, sag­te Fran­zis­kus auf dem Rück­flug: „Ich möch­te es noch ein­mal ganz deut­lich sagen: Aus katho­li­scher Sicht weicht die­ses Doku­ment nicht einen Mil­li­me­ter vom Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil ab.“ Und er hat­te Recht. Das ein­zi­ge Pro­blem ist, dass eini­ge Doku­men­te des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils vom katho­li­schen Glau­ben abwei­chen. Wir wis­sen, dass die Kir­che reli­giö­sen Indif­fe­ren­tis­mus wie­der­holt ver­ur­teilt hat. So schreibt bei­spiels­wei­se Papst Gre­gor XVI. in sei­ner Enzy­kli­ka Mira­ri vos : „Wir betrach­ten nun eine wei­te­re gro­ße Quel­le des Übels, die die Kir­che gegen­wär­tig heim­sucht: die Gleich­gül­tig­keit. Die­se ver­kehr­te Ansicht brei­tet sich all­seits durch die Täu­schung der Bösen aus, die behaup­ten, es sei mög­lich, das ewi­ge See­len­heil durch das Bekennt­nis zu irgend­ei­ner Reli­gi­on zu erlan­gen, solan­ge nur die Moral gewahrt blei­be.“28

Universelle Brüderlichkeit

Als ich die Enzy­kli­ka „Fra­tel­li tut­ti“ von Papst Fran­zis­kus zum ersten Mal las, frag­te ich mich, woher er die Vor­stel­lung hat­te, alle Men­schen sei­en Brü­der, wo wir doch wis­sen, dass die Kir­che lehrt, wir Katho­li­ken sei­en Brü­der in Chri­stus (Pro­te­stan­ten sei­en getrenn­te Brü­der), und dass die Übri­gen nicht unse­re Brü­der, son­dern unse­re Nach­barn oder Fein­de sei­en, die wir den­noch lie­ben soll­ten. Doch beim Lesen der Kon­zils­do­ku­men­te ent­deck­te ich den Ursprung die­ser Idee:

„Wir kön­nen aber Gott, den Vater aller, nicht anru­fen, wenn wir irgend­wel­chen Men­schen, die ja nach dem Eben­bild Got­tes geschaf­fen sind, die brü­der­li­che Hal­tung ver­wei­gern. Das Ver­hal­ten des Men­schen zu Gott dem Vater und sein Ver­hal­ten zu den Men­schen­brü­dern ste­hen in so engem Zusam­men­hang, daß die Schrift sagt: ‚Wer nicht liebt, kennt Gott nicht‘ (1 Joh 4,8)“29 (Nost­ra aet­a­te, 5). Die uni­ver­sel­le Brü­der­lich­keit ist eines der Haupt­prin­zi­pi­en der Frei­mau­re­rei, daher über­rascht es nicht, dass die Frei­mau­rer Papst Fran­zis­kus nach der Ver­öf­fent­li­chung von Fra­tel­li tut­ti zur Annah­me ihres „gro­ßen Prin­zips“ beglückwünschten.

Religionsfreiheit – selbst Satanisten haben das „Recht“, ihre Lehre öffentlich zu verkünden

Das Doku­ment zur Reli­gi­ons­frei­heit, Dignita­tis hum­a­nae, ver­tritt eine Posi­ti­on, die der zwei­tau­send­jäh­ri­gen Leh­re der katho­li­schen Kir­che dia­me­tral entgegensteht:

„Das Vati­ka­ni­sche Kon­zil erklärt, daß die mensch­li­che Per­son das Recht auf reli­giö­se Frei­heit hat. Die­se Frei­heit besteht dar­in, daß alle Men­schen frei sein müs­sen von jedem Zwang sowohl von sei­ten Ein­zel­ner wie gesell­schaft­li­cher Grup­pen, wie jeg­li­cher mensch­li­chen Gewalt, so daß in reli­giö­sen Din­gen nie­mand gezwun­gen wird, gegen sein Gewis­sen zu han­deln, noch dar­an gehin­dert wird, pri­vat und öffent­lich, als ein­zel­ner oder in Ver­bin­dung mit ande­ren – inner­halb der gebüh­ren­den Gren­zen – nach sei­nem Gewis­sen zu han­deln“  (Dignita­tis hum­a­nae, 2).30 

„Zwei­fel­los ver­lan­gen die Men­schen unse­res Zeit­al­ters danach, die Reli­gi­on pri­vat und öffent­lich in Frei­heit beken­nen zu kön­nen; bekannt­lich ist die Reli­gi­ons­frei­heit auch in den mei­sten Ver­fas­sun­gen schon zum bür­ger­li­chen Recht erklärt, und sie wird in inter­na­tio­na­len Doku­men­ten fei­er­lich aner­kannt“ (Dignita­tis hum­a­nae, 15).31 Im Kern geht es hier um das „Recht“, das das Kon­zil mit dem säku­la­ren Rechts­be­griff gleich­setzt, dem­zu­fol­ge jeder das Recht hat, sei­ne Ansich­ten öffent­lich zu ver­brei­ten, selbst wenn sie falsch sind. Wah­res Recht muss auf dem Natur­recht (ent­spre­chend der von Gott geschaf­fe­nen Natur) und/​oder dem posi­ti­ven Recht Got­tes (durch die Offen­ba­rung gege­ben) beru­hen, andern­falls wird Recht zu einer will­kür­li­chen Kate­go­rie. Des­halb sehen wir uns heu­te, dank auch des Kon­zils, mit einer Flut von „Rech­ten“ aller Art kon­fron­tiert: dem Recht auf Abtrei­bung, auf gleich­ge­schlecht­li­che Ehe, auf Ster­be­hil­fe, Trans­se­xua­li­tät usw. Es war der Aus­schuss für die Rech­te der Frau und die Gleich­stel­lung der Geschlech­ter der Euro­päi­schen Uni­on, der ein Doku­ment ver­ab­schie­de­te, das das „Recht“ auf die Tötung unge­bo­re­ner Kin­der fest­leg­te: „Der Zugang zu sexu­el­ler und repro­duk­ti­ver Gesund­heit und den damit ver­bun­de­nen Rech­ten, ein­schließ­lich siche­rer, all­ge­mein ver­füg­ba­rer und lega­ler Schwan­ger­schafts­ab­brü­che, ist ein Grund­recht “ (Her­vor­he­bung durch den Autor).32

In 1864 ver­ur­teil­te Papst Pius IX. in  sei­nem Syl­labus Errorum, einem Teil der Enzy­kli­ka  Quan­ta cura, genau die­se Behaup­tung: „Jeder Mensch ist frei, den Glau­ben anzu­neh­men und zu beken­nen, den er, vom Licht der Ver­nunft gelei­tet, für den wah­ren Glau­ben hält“ (Nr. 15).33 Es ist wich­tig anzu­mer­ken, dass die Ver­ur­tei­lung der im  Syl­labus Errorum auf­ge­führ­ten Irr­leh­ren  zur unfehl­ba­ren Leh­re der Kir­che gehört.

Bischö­fe sol­len über­rascht sein und pro­te­stie­ren, wenn ver­schie­de­ne Sek­ten Gen­der­ideo­lo­gie und ande­re Per­ver­sio­nen pro­pa­gie­ren und ver­su­chen, die­se Pro­gram­me in Schu­len zu eta­blie­ren,34 wobei sie ver­ges­sen, dass die­ses „Bür­ger­recht“ eben vom Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil aner­kannt wur­de. Selbst­ver­ständ­lich hat die Kir­che stets die mensch­li­che Frei­heit respek­tiert und sich nicht in die per­sön­li­chen Über­zeu­gun­gen eines Men­schen ein­ge­mischt, doch besteht ein gro­ßer Unter­schied zwi­schen einem pri­va­ten und einem öffent­li­chen Glau­bens­be­kennt­nis. Ein öffent­li­ches Bekennt­nis, also die Ver­brei­tung von Ket­ze­rei, führt unwei­ger­lich zum Zusam­men­bruch einer auf christ­li­chen Wer­ten basie­ren­den Gesell­schaft. Zwar erwähn­te das Kon­zil nicht aus­drück­lich, dass auch Sata­ni­sten das Recht haben, öffent­lich zu leh­ren, doch geht dies ein­deu­tig aus dem oben genann­ten Text hervor.

Abschluss

Wir sehen also, dass sich die heu­ti­gen Häre­ti­ker inner­halb der Kir­che stets auf das­sel­be Kon­zil beru­fen wie die ortho­do­xen Katho­li­ken. Des­halb leg­te das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil zwei­fel­los den Grund­stein für die Zwie­tracht, die lan­ge Zeit reif­te und, wie Prof. Tonči Matu­lić sagt, im Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus ihre vol­le Blü­te erreich­te: „Man kann sagen, dass Papst Fran­zis­kus, als Phä­no­men, die aus­ge­reif­te Frucht der Kir­che ist, die das Kon­zil mit sei­nem Geist und Buch­sta­ben gesät hat­te.“35 Ein Kon­zil, zwei Reli­gio­nen. Papst Bene­dikt XVI. war sich des­sen offen­sicht­lich bewusst. Auf die Fra­ge von Peter See­wald: „Gehört es zur Tra­gö­die des Kon­zils, dass mit ihm ein neu­es inner­kirch­li­ches Schis­ma begann, das im Wesent­li­chen bis heu­te andau­ert?“, ant­wor­te­te Papst Bene­dikt XVI.: „Ich wür­de sagen: Ja.“36 Aus die­sem Grund ver­such­te er mit sei­nem Han­deln und sei­nen Maß­nah­men behut­sam, die Kir­che wie­der auf den rech­ten Weg zu füh­ren. Erwäh­nen wir nur sei­ne Leh­re von der Her­me­neu­tik der Kon­ti­nui­tät, mit der er for­der­te, dass alle Doku­men­te des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils im Lich­te der Tra­di­ti­on inter­pre­tiert wer­den müss­ten, sei­ne Kri­tik an den soge­nann­ten „Super­dog­men“ des Kon­zils, das Motu pro­prio Sum­morum pon­ti­fi­cum, das es jedem Prie­ster erlaub­te, die tra­di­tio­nel­le latei­ni­sche Mes­se zu fei­ern, usw. Aller­dings war er zu kur­ze Zeit im Dienst Petri, und nach sei­nem Tod über­nah­men Wöl­fe im Schafs­pelz das Ruder der Kirche.

Ange­sichts all des­sen, da der Vati­kan den 60. Jah­res­tag des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils fei­ert, schla­ge ich eine Gedenk­fei­er vor, bei der wir mit Trau­er an den Beginn des gro­ßen Glau­bens­ab­falls erin­nern werden.

*Ivan Pol­ja­ko­vić, gebo­ren 1956 in Subo­ti­ca, stu­dier­te Angli­stik und Ger­ma­ni­stik an den Uni­ver­si­tä­ten Inns­bruck, Cam­bridge, Zagreb, Rostock und Auck­land, wo er meh­re­re Jah­re leb­te und an einer katho­li­schen Schu­le unter­rich­te­te, er war bis 2021 Assi­stenz­pro­fes­sor und Lei­ter des Fremd­spra­chen­zen­trums an der Uni­ver­si­tät Zadar und ist aus­ge­bil­de­ter Religionslehrer.

Bild: Vati​can​.va (Screen­shot)


1 Doku­men­te des II. Vati­ka­ni­schen Kon­zils (Wei­ter: DVK), Lumen gen­ti­um, 25.

2 DVK, Dei ver­bum, 10

3 DVK, Lumen gen­ti­um, 51

4 DVK, Ad gen­tes, 7

5 DVK, Lumen gen­ti­um, 14

6 DVK, Unita­tis red­in­te­gra­tio, 22

7 DVK, Sacro­sanc­tum concilium

8 Schluss des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils: Rede in der letz­ten öffent­li­chen Sit­zung (7. Dezem­ber 1965) (28.10.2025)

9 29. Juni 1972: Hei­li­ge Mes­se zum 9. Jah­res­tag der Krö­nung der Hei­li­gen Peter und Paul (28.10.2025)

10 DVK, Gau­di­um et spes, 12

11 Tamet­si Futu­ra Pro­s­pi­ci­en­ti­bus (1. Novem­ber 1900) (30.10.2025)

12 Redemptor Homi­nis (4. März 1979) (30.10.2025)

13 DVK, Gau­di­um et Spes, 26

14 DVK, Gau­di­um et Spes, 30

15 DVK, Gau­di­um et Spes, 73

16 DVK, Gau­di­um et Spes, 16

17 Hei­li­ge Mes­se – Jubi­lä­um der Syn­od­al­teams und Betei­li­gungs­gre­mi­en (26. Okto­ber 2025) (30.10.2025)

18 DVK, Nost­ra aet­a­te, 2

19 Vati­kan ehrt Hin­du­is­mus und Islam mit Tanz­fei­er zum Jah­res­tag von Nost­ra Aet­a­te – Life­Si­te (30.10.2025)

20 DVK, Nost­ra aet­a­te, 2

21 Papst Fran­zis­kus: „Jede Reli­gi­on ist ein Weg, zu Gott zu gelan­gen“ – Life­Si­te (9.11.2025)

22 Hei­li­ge Schrif­ten der Hin­dus und Buddhisten.

23 DVK, Nost­ra aet­a­te, 3

24 Gre­go­ry Baum: The Oil Has Not Run Dry: The Sto­ry of My Theo­lo­gi­cal Pathway. Lon­don: McGill-Queen’s Uni­ver­si­ty Press, 2017.

25 Ein Begriff, den Papst Bene­dikt XVI. in sei­ner Ver­ur­tei­lung der Befrei­ungs­theo­lo­gie verwendete.

26 DVK, Unita­tis red­in­te­gra­tio, 3

27 Doku­ment über „Mensch­li­che Brü­der­lich­keit für den Welt­frie­den und das Zusam­men­le­ben“ (Abu Dha­bi, 4. Febru­ar 2019) (30. Okto­ber 2025)

28 Mira­ri vos, 13. Mira­ri Vos – Päpst­li­che Enzy­kli­ka (30.10.2025)

29 DVK, Nost­ra aet­a­te, 5

30 DVK, Dignita­tis hum­a­nae, 2

31 DVK, Dignita­tis hum­a­nae, 15

32 Ent­schlie­ßungs­ent­wurf , D. (30.10.2025)

33 Pius IX., Quan­ta Cura, 8. Dezem­ber 1864 (30.10.2025)

34 Nad­bis­ku­pi­ja o ‘seksu­al­nom odgo­ju’: Nedo­pu­stivo je da pred­met s pogub­nom ideo­lo­gi­jom uđe u ško­le, 30. Sep­tem­ber 2025 (30.10.2025)

35 Tonči Matu­lić:  Ist Papst Fran­zis­kus ein Katho­lik?, in:  Nova pri­sut­nost 19 (2021) 2, 255–286. Pp. 274.

36 Bene­dikt XVI.: Letz­te Gesprä­che mit Peter See­wald. Zwei­te Auf­la­ge. Split: Ver­bum, 2016. S. 153.

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