Von Wolfram Schrems*
Die spektakulären Aussagen von Erzbischof Carlo Maria Viganò, ehemaliger Nuntius in den USA und Aufdecker von Lügen und Korruption des gegenwärtigen Pontifikats, in einem Interview mit der portugiesischen Seite Dies irae (deutsche Übersetzung auf dieser Seite) vom 21. April dürfen nicht verhallen. Daher sollen sie noch einmal aufgegriffen werden. Sie sind für die Deutung der aktuellen Geschehnisse von größter Wichtigkeit. Exzellenz hatte sich unter anderem zum Thema Drittes Geheimnis von Fatima geäußert. Er ist der bis jetzt höchstrangige Kirchenmann, der den Vatikan in dieser Materie der Lüge beschuldigt. Da sich die Ereignisse in Kirche und Welt dramatisch zuspitzen, sollen hier sowohl die Aussagen Viganòs als auch eine kürzlich publizierte Recherche, die im Kern zu denselben Ergebnissen kommt, dargestellt und kommentiert werden.[1]
Leider ist auch ein Wort der Kritik an den offiziellen Fatima-Apostolaten für ihre Unterwürfigkeit unter die vatikanische Parteilinie und ihre Faktenresistenz am Platz.
Der Erzbischof als Whistleblower: Bestätigung eines alten Verdachtes
Viganò, der derzeit an einem unbekannten Ort wohnt, sagte in aller wünschenswerten Deutlichkeit:
„Der dritte Teil der Botschaft, die Unsere Liebe Frau den Hirten von Fatima anvertraute, damit sie sie dem hl. Vater übermitteln, ist bis heute ein Geheimnis.“
Damit bestätigt er den Verdacht, den sowohl namhafte Experten als auch mit gesundem Menschenverstand begabte Gläubige seit der angeblich vollständigen Veröffentlichung des Dritten Geheimnisses am 26. Juni 2000 durch die Glaubenskongregation (CDF) äußerten:
Die Beschreibung der Vision durch Sr. Lucia, faksimiliert in der Veröffentlichung der CDF mit dem mißglückten Namen Die Botschaft von Fatima abgedruckt, stammt zwar mit höchster Wahrscheinlichkeit von der Seherin, aber es fehlen die erklärenden Worte Unserer Lieben Frau. Das läßt sich erstens aus der Tatsache erschließen, daß die drei Seherkinder am 13. Juli 1917 die ersten beiden Geheimnisse (Hölle, Andacht zum Unbefleckten Herzen Mariens und Weihe Rußlands) ausdrücklich erklärt bekamen. Es ist ausgeschlossen, daß eine dermaßen dramatische, aber in sich nicht verständliche Vision, wie sie im Dritten Geheimnis gezeigt wird, unerklärt hätte bleiben sollen. Und zweitens hat Rom im Jahr 1960 selbst ausdrücklich festgehalten, daß es beim Dritten Geheimnis auch um „Worte“ Unserer Lieben Frau geht.
Viganò sagte zu diesem Punkt im Interview:
„Unsere Liebe Frau wünschte, daß [das Geheimnis] im Jahr 1960 veröffentlicht werden sollte, aber Johannes XXIII. veröffentlichte am 8. Februar jenes Jahres eine Stellungnahme, in der er erklärte […], ‚er will nicht die Verantwortung für die Garantie der Wahrheit der Worte übernehmen, von denen die drei kleinen Hirten sagen, daß sie die Jungfrau Maria zu ihnen gesprochen hat‘.“
Bekanntlich wurde die Stellungnahme von Papst Johannes XXIII. als anonyme Presseerklärung über die portugiesische Nachrichtenagentur ANI verbreitet. Sie löste bei den Gläubigen, die schon lange auf die Veröffentlichung des Dritten Geheimnisses warteten, Bestürzung aus. Sie säte Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Seher und trug zum fast völligen Verschwinden der Fatima-Botschaft aus dem Bewußtsein der Gläubigen nach dem Konzil bei.
Diese Presseerklärung räumte ein, was später kirchenoffiziell geleugnet wurde, nämlich, daß es erklärende Worte zur Vision gab.
Bereits im Jahr 2006 hat in diesem Zusammenhang der italienische Autor Antonio Socci in seinem Buch Das vierte Geheimnis von Fatima (englisch 2009) dargelegt, daß die offizielle Stellungnahme der Glaubenskongregation problematisch unvollständig ist. Socci hatte sich übrigens dieses Themas mit der Absicht angenommen, die Vorwürfe des Fatima-Apostolates von P. Nicholas Gruner und anderer Nonkonformisten zu entkräften (!), wurde aber unter der Last der Fakten selbst zum Kritiker der vatikanischen Position. Erzbischof Viganò teilt die Meinung Soccis, daß der Vatikan nicht aufrichtig war.
Er kommt auch zu dem – ohnehin für jedermann erkennbaren – Schluß, daß die Weihe Rußlands – entgegen der offiziellen Propaganda des Vatikans – eben niemals auftragsgemäß durchgeführt worden ist:
„Laßt uns nicht den ignorierten Aufruf Unserer Lieben Frau an Papst und alle Bischöfe vergessen, Rußland an Ihr Unbeflecktes Herz als Bedingung des Sieges über Kommunismus und atheistischen Materialismus zu weihen: nicht ‚die Welt‘ zu weihen, nicht ‚die Nation, die Sie uns zu weihen wünscht‘, sondern ‚Rußland‘. Kostete es so viel, das zu tun? Offenbar schon für diejenigen, die keinen übernatürlichen Blick haben.“
Viganò kritisiert damit die verbalen Verrenkungen, die Papst Johannes Paul II. beim Weiheakt am 25. März 1984 vollführte.
Er kritisiert dann auch die desaströse und kompromittierende vatikanische Ostpolitik, die eben genau mit Johannes XXIII. einsetzte. Dieser meinte, mit dem Terrorstaat Sowjetunion einen Weg der Diplomatie und Entspannung gehen zu sollen, verstand aber – so Viganò – nicht, daß „ohne Gott kein Friede möglich ist“. Er meint, daß mit Wladimir Putin als russischem Staatschef, der ein Christ sei, eine ausdrückliche Weihe Rußlands, wie sie Unsere Liebe Frau gewünscht hat, kein Problem sein könne. (Eine Begründung, die Weihe nicht zu vollziehen, bestand nämlich u. a. darin, daß man eine Provokation des Sowjetregimes vermeiden wollte. Da der Auftrag zur Durchführung der Weihe aber 1929 kam, war er natürlich für die Sowjetzeit vorgesehen.)
Schließlich benennt Viganò die Verschleierungs- und Lügenpolitik von Kardinal Angelo Sodano, damals Kardinalstaatssekretär (1991 – 2006), und Kardinal Tarcisio Bertone, Nachfolger Sodanos in diesem Amt (2006 – 2013). Er wirft ihnen vor, dem Volk Gottes eingeredet zu haben, daß die Worte der Jungfrau Maria nichts mit der Krise in der Kirche und mit „dem Zusammenwirken von Modernisten und Freimaurerei hinter den Kulissen des II. Vaticanums“ zu tun hätten. (Bekanntlich erklärte der Vatikan in genannter Veröffentlichung, die Vision des Dritten Geheimnisses bezöge sich auf das Attentat auf Johannes Paul II. am 13. Mai 1981, sei somit erfüllt und liege in der Vergangenheit, weitere Fragen seien überflüssig: Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen.)
Viganò ist leider beim dritten der an der Vertuschungsaktion beteiligen Hierarchen, dem damaligen Glaubenspräfekten Kardinal Ratzinger, eher unkonkret und vermeidet offene Kritik (genauso wird Papst Johannes Paul II. nicht genannt).
Er folgert:
„Diejenigen, die das Dritte Geheimnis lasen, sagten klar, daß dessen Inhalt die Apostasie in der Kirche betrifft, die genau in den frühen 60er Jahren begann und heute ein dermaßen evidentes Niveau erreichte, daß sie von weltlichen Beobachtern erkannt werden kann. Dieses beinahe obsessive Herumreiten auf Themen, die die Kirche immer verurteilt hat, wie Relativismus und religiöse Indifferenz, falscher Ökumenismus, Malthusianischer Ökologismus, Homo-Häresie und Immigration, fand in der Erklärung von Abu Dhabi die Erfüllung eines Plans, der seit mehr als zweihundert Jahren von den geheimen Sekten ausgeheckt wurde.“
Ganz klar ist damit, daß Viganò den wohlbegründeten Verdacht, der Vatikan sei nicht aufrichtig in Bezug auf Fatima, spektakulär bestätigt.
Leider kommt er mit seiner Wortmeldung fast zwanzig Jahre zu spät. Es ist eine große Tragik, daß Kirchenmänner oft sehr spät in ihrem Leben mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit gehen. Es hätte schon viel früher geschehen müssen.
Dieser Vorwurf trifft unter den noch Lebenden natürlich an erster Stelle Papst emeritus Benedikt. Wir haben uns ausführlich dazu geäußert und brauchen deswegen die Argumente nicht im einzelnen zu wiederholen. Wir wollen aber den Appell wiederholen, daß er sich endlich zu Fatima, zur Apostasie in der Kirche und zu den Umständen seines Rücktritts äußern möge.
Um die Argumentation des ehemaligen Nuntius zu untermauern, soll ein kurzer Blick auf eine rezente Publikation der Piusbruderschaft geworfen werden.
Pater Stehlin: Kardinal Bertone lügt
Seitens der Priesterbruderschaft St. Pius X. hat P. Karl Stehlin, Wiederbegründer der Militia Immaculatae im Geist des hl. Maximilian Kolbe, im Jahr 2017 den dritten Band seiner Serie Fatima – Leitstern für die letzten Zeiten herausgebracht. Dieser liegt seit vergangenem Jahr in einer deutschen Übersetzung des Alverna-Verlages vor.
Für unser Thema ist besonders ein Abschnitt relevant:
In Bezug auf die angeblich vollständige Veröffentlichung des Dritten Geheimnisses konstatiert P. Stehlin das Evidente, nämlich, daß Rom den Gläubigen niemals mitteilte, wofür das ominöse „etc.“ im Satz: „In Portugal wird das Dogma des Glaubens immer bewahrt bleiben etc.“ steht:
„Die im Jahr 2000 herausgegebene Version ist aber weder eine logische noch eine verbale Weiterführung dieses Satzes“ (77).
Schon damals hat man im Vatikan zu Fußnoten Ausflucht genommen und in einer solchen angemerkt, daß Sr. Lucia in ihrer vierten Lebensbeschreibung diesen Satz eingefügt hätte. Darauf wird aber mit keinem weiteren Wort eingegangen (!).
Stehlin bezichtigt Kardinal Bertone der Lüge, wenn dieser sagt, daß Sr. Lucia eigenmächtig als Publikationsdatum des Dritten Geheimnisses das Jahr 1960 angab (78).
Das Datum war aber von Unserer Lieben Frau angegeben worden. Auch Erzbischof Viganò bekräftigt das nunmehr in genanntem Interview.
(Nicht nachzuvollziehen ist für mich allerdings die Meinung Stehlins, daß die von der Glaubenskongregation im Jahr 2000 veröffentlichte Vision des Dritten Geheimnisses gefälscht sein könnte (81ff). Die Begründungen scheinen nicht stichhaltig. Weder Mark Fellows in Fatima in Twilight noch das Fatima-Center haben nach meinem Kenntnisstand die Authentizität dieses Textes bezweifelt. Dr. Chojnowski veröffentlichte die Expertise eines Graphologen, derzufolge die Handschrift, in der die Beschreibung der Vision verfaßt worden ist, mit derjenigen Sr. Lucias, wie sie bis 1957 bekannt war, übereinstimmt. Wenn der Text der Vision tatsächlich gefälscht sein soll, dann fragt man sich, warum die Fälscher die Vision nicht auf das Attentat vom 13. Mai 1981 hingebogen hätten. Denn die vatikanoffizielle Deutung der Vision bestand gerade darin, sie auf das Attentat zu beziehen. Das ist aber hier nur ein Nebenthema. [2])
Offizielles Fatima-Apostolat macht Fatima irrelevant
Leider sind die Ableger des Weltapostolates von Fatima (WAF) im deutschen Sprachraum, soweit sie mir bekannt sind, voll auf der vatikanischen Linie.
Beispielsweise konnte man vom Fatima-Weltapostolat der Deutschschweiz, nämlich vom mittlerweile verstorbenen Pfarrer Dr. Adolf Fugel, R. I. P., hören, daß das Veröffentlichungsdatum für das Dritte Geheimnis, nämlich das Jahr 1960, von Sr. Lucia stammen würde. Genau das ist falsch.[3]
In der österreichischen Sektion des WAF ist man faktenresistent und glaubt tatsächlich, daß der Vatikan im Jahr 2000 die volle Wahrheit gesagt hätte. Man glaubt dort zudem, daß Rußland wunschgemäß und ordnungsgemäß geweiht worden wäre (nämlich 1984). Warum dann Rußland nicht bekehrt sei und die Periode des Friedens auf sich warten lasse, wird so beantwortet, daß es bei der Bekehrung Rußlands – so wörtlich – nicht um „Magie“ ginge. Es könne also mit der Bekehrung noch dauern. Außerdem habe auch (der Propagandist der vatikanischen Linie) Carlos Evaristo genau das gesagt[4]. Und Fr. Nicholas Gruner (am 4. Mai 2015 verstorben, R. I. P.) sei überhaupt ein Sedisvakantist gewesen. Was aber unwahr ist.
Das WAF Österreich hat dem Vernehmen nach auch kein kritisches Wort über die wochenlange Abschaffung des sakramentalen Lebens in Österreich verloren. Was umso unverständlicher ist, als ja dadurch die Feier der von der Muttergottes ausdrücklich gewünschten Sühnesamstage zweimal de facto verunmöglicht wurde.
Man fragt sich, wie ein solches Apostolat die Gläubigen zu Gebet und Sühne im Sinn von Fatima auffordern können soll, wenn es sich weigert, die Mißstände zu sehen, zu benennen und den Gläubigen als Gebetsanliegen vorzulegen.
Fatima zu verkünden und gleichzeitig die offizielle Kirchenpolitik mit Konzil und fälschlich so genannter „Liturgiereform“ nicht kritisch zu benennen, ist wie mit angezogener Handbremse autozufahren.
Schlußfolgerungen
Man muß Erzbischof Viganò für seine Aufrichtigkeit und seinen Mut dankbar sein. Es ist für jeden Katholiken schwierig, unangenehme Wahrheiten auszusprechen, besonders, wenn sie die Hierarchie der Kirche betreffen: Papst und Bischöfe sind nun einmal so und anders die Träger des apostolischen Amtes.
Die Wahrheitsliebe verbietet aber Zustimmung oder auch nur Schweigen zu dem Wahnsinn, der sich derzeit ereignet.
Eine Schlußfolgerung des Gesagten ist, daß die Gläubigen – leider – der offiziellen Vatikanpolitik zu Fatima, auch der von Papst Benedikt XVI. und Johannes Paul II. ihre Zustimmung versagen müssen.
Die andere ist, die Sühnesamstage treu zu begehen und die anderen Anforderungen der Botschaft im eigenen Leben umzusetzen und dafür auch die Hirten der Kirche zu gewinnen. Besonders die Weihe Rußlands muß die Intention der Gläubigen sein.
*Wolfram Schrems, Wien, Mag. theol., Mag. phil., Katechist, Pro-Lifer
[1] Eine detailreiche und kurzweilige Diskussion der Aussagen Viganòs wird auf Dr. Taylor Marshalls Youtube-Kanal geboten. Er befragt dort den Fatima-Experten Christopher Ferrara, der die englische Übersetzung des Buches von Antonio Socci Das vierte Geheimnis von Fatima erstellte. Interessierte Leser, die amerikanisches Englisch gut verstehen, sollten diese Erörterungen anhören.
[2] Noch ein anderes Thema ist die Identität von Sr. Lucia: Auch P. Stehlin thematisiert in dieser Publikation leider nicht die Frage, wer eigentlich die Person war, die ab 1967 Sr. Lucia darstellen sollte. Damit folgt er der Linie des – ansonsten verdienstvollen und hier schon vorgestellten – Buches seiner Mitbrüder P. Mura und P. Huber, Fatima-Rom-Moskau, das diese eigentlich naheliegende Frage ebenfalls ungestellt ließ. Angesichts der hier bereits vorgestellten Forschungen, die der thomistische Philosoph Dr. Peter Chojnowski in Auftrag gegeben hat, wäre es von größter Dringlichkeit, dem auch im deutschen Sprachraum professionell nachzugehen.
[3] Zu einigen Publikationen von Hw. Fugel habe ich mich ebenfalls ausführlich geäußert.
[4] Zu Evaristo habe ich mich hier geäußert.
Fatima : Vortrag Dr. Gregorius Hesse auf Youtube „Kardinal Ratzingers 3.Geheimnis“ 1+2 Teil
Hörenswert !