
Immer neue Kapitel werden zum Fall Marko Ivan Rupnik bekannt. Dazu gehört auch die von ihm durchgeführte Neugestaltung der päpstlichen Kapelle im Apostolischen Palast des Vatikans, die den Weltruhm des slowenischen Künstlerpriesters und ehemaligen Jesuiten begründete. Die Neugestaltung hat jedoch eine Vorgeschichte: Ein russischer Künstler hatte die Kapelle bereits neugestaltet, als seine Mosaike wieder weitgehend entfernt und durch Rupniks Werke ersetzt wurden. Die Rede ist von einem „künstlerischen Putsch“, so Stefano Chiappalone, der für die Nuova Bussola Quotidiana (NBQ) den ungewöhnlichen Vorfall mit den Zutaten eines Kunstkrimis und eines offenbar „unantastbaren Mythos“, den Rupnik umgibt, beschrieb.
„Daß die Mosaike des Gewölbes und der Seitenwände zerstört wurden, erfuhr ich erst nach einigen Monaten. Sie wurden unter dem Vorwand zerstört, daß die Mosaiksteine heruntergefallen seien. Aber das war absolut unmöglich, ohne sie zum Herunterfallen zu zwingen. Ich habe immer noch den ernsthaften Verdacht, daß Rupnik diese ‚Anschuldigung‘ erfunden hat, um mich als Mosaizist in dem Projekt zu ersetzen“, so der russische Mosaizist Alexander Kornouchow zu NBQ.
Kornouchow spricht von seinen Mosaiken in der Kapelle Redemptoris Mater im Apostolischen Palast des Vatikans. Der Heilige Stuhl bietet auf seiner Internetseite einen virtuellen Besuch der Kapelle an. Heute ist diese Kapelle untrennbar mit dem Namen und dem Mythos des slowenischen Künstlerpriesters Marko Ivan Rupnik verbunden, der Ende der 1990er Jahre zusammen mit einigen Mitarbeitern die Kapelle völlig neu gestaltete. Wegen schwerwiegender Mißbrauchsvorwürfe wurde Rupnik 2023 aus dem Jesuitenorden ausgeschlossen. Seine bereits festgestellte Exkommunikation wurde offenbar durch die schützende Intervention von Papst Franziskus persönlich wieder stillschweigend fallengelassen. Seit 2023 ist ein neues Verfahren gegen Rupnik beim Glaubensdikasterium anhängig, das jedoch nicht vom Fleck kommen will, als würde es wiederum von einer schützenden Hand eingebremst werden.
Nach der Neugestaltung der päpstlichen Kapelle erhielt Rupnik Aufträge für die bedeutendsten Wallfahrtsorte und Heiligtümer weltweit. Sein internationaler Aufstieg, der ein Vierteljahrhundert währte, hatte seinen Ausgangspunkt in der Kapelle Redemptoris Mater.
Von Kornouchow ist dort heute nur noch das Himmlische Jerusalem an der Altarwand zu sehen, allerdings oben amputiert, wie die Fotos zeigen. Der russische Meister bestätigte NBQ, daß er noch viel mehr geschaffen hatte, bevor er kurzerhand entlassen wurde. Insgesamt umfaßte sein Werk „die Westwand, das Gewölbe, einige Heiligenfiguren, die Verkündigung und Jakobs Traumszene sowie die Seitenwände“.
Auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte Kornouchow am 7. April 2023 eines seiner Werke mit der Bildunterschrift: „Die Verkündigung – Vatikan (zerstört)“. Zerstört?

Gehen wir einen Schritt zurück. Im zweiten Stock des Apostolischen Palastes befindet sich unmittelbar vor den päpstlichen Appartements eine Kapelle, die früher als Mathilden-Kapelle bekannt war. Anläßlich des Marianischen Jahres 1987/88 wurde sie auf Wunsch von Papst Johannes Paul II. in Redemptoris Mater umbenannt. Unter diesem Namen hatte der Papst am 25. März 1987 eine Enzyklika über die selige Jungfrau Maria im Leben der pilgernden Kirche veröffentlicht.
Johannes Paul II. bemühte sich verstärkt um eine Aussöhnung zwischen der Ost- und der Westkirche und betrachtete die Kapelle als ökumenisches Symbol für die verschiedenen unter der Leitung des Papstes mit Rom unierten Kirchen. Die Kapelle sollte eine wichtige Präsenz der östlichen Tradition in der Vatikanstadt darstellen und dementsprechend neugestaltet werden.
Das ikonographische Programm dazu entwarf Oleg Uljanow. Den Auftrag zur Umsetzung erhielt der russisch-orthodoxe Künstler Alexander Kornouchow, der sich in seiner Ausführung an den traditionellen Bildkanon hielt, wie er für orthodoxe und mit Rom unierte Ostkirchen des byzantinischen Ritus üblich ist, darunter die Theotokos und die Allerheiligste Dreifaltigkeit. Der 1947 geborene Kornouchow studierte an der Kunstakademie in Moskau unter Lyudmila Tregubenko. Kornouchow setzt sich intensiv mit der byzantinischen Kunst auseinander, wobei er nie eine bloße Nachahmung anstrebte, sondern bemüht ist, ihren Geist und ihre Essenz in sein Werk zu integrieren.
Die Finanzierung der Neugestaltung war ein Geschenk des Kardinalskollegiums zum 50. Priesterjubiläum von Johannes Paul II. im Jahr 1996. Die Kapelle sollte die „zwei Lungenflügel“ der Kirche sichtbar machen, von der der Papst mit Blick auf die Ostkirche gesprochen hatte.
Die Leitung des Gesamtprojekts lag in den Händen des tschechischen Jesuiten Pater Tomáš Špidlík, den Johannes Paul II. 2003 in das Kardinalskollegium aufnahm. „Špidlík schlug mir vor, die Mosaike der Kapelle zu gestalten, nachdem er die Bilder der Mosaike gesehen hatte, die ich in der Verklärungskirche in Tùšino in Moskau geschaffen hatte“, so Kornouchow. „Das gesamte Projekt der Kapellenmosaike wurde mir allein anvertraut.“
Špidlík zog jedoch auch Rupniks Zentrum Aletti hinzu. Dazu Kornouchow: „Im Aletti-Zentrum war ich zu Gast und habe dort die Mosaikproben gemacht“. Rupnik trat ihm gegenüber „von Anfang an als Projektkoordinator“ auf. „Er war es, der mit der Vatikanverwaltung in Kontakt stand.“ Eine künstlerische Zusammenarbeit hatte es aber zu keinem Zeitpunkt gegeben. Von dem Mißbrauchsskandal, in dem Rupnik angeklagt ist, „habe ich erst in jüngster Zeit erfahren“.
Kornouchow gehört heute jedoch auch zu jenen, die die Wahrheit über Rupnik fordern, so Chiappalone, allerdings in seinem Fall über die verlorenen Mosaike, die durch Rupnik ersetzt wurden, dessen internationaler Ruhm aus diesem ersten prestigeträchtigen Auftrag hervorging.
Federica Tourn hat die Affäre um die Neugestaltung der päpstlichen Kapelle für die Tageszeitung Domani in dem Artikel: „Rupnik, der Vatikan und der russische Künstler: der Schlamassel der ‚neuen Sixtina‘“ rekonstruiert, indem sie beide Seiten zu Wort kommen ließ und die beiden Versionen gegenüberstellte.
- Laut Rupniks Aletti-Zentrum hätten Kornouchows Mosaike wegen eines ungeeigneten Klebers nicht gehalten und sich die Mosaiksteine gelöst, so hätten die Mosaike ersetzt werden müssen.
- Für Kornouchow ist die Entfernung seiner schon ausgeführten Mosaike mutwillig erfolgt, um sie durch Rupniks eigene Werke zu ersetzen. Ein generelles Kleberproblem sei ausgeschlossen.
Tourn fragt deshalb: „Wenn das Aletti-Zentrum den russischen Künstler beaufsichtigen und unterstützen sollte, warum hat es dann das mögliche Kleberproblem nicht gelöst? Angenommen, die Mosaiksteine hatten sich gelöst und die Mosaike hätten von Grund auf neu gemacht werden müssen, hätte Kornouchow sie dann nicht selbst neu machen sollen, anstatt ihn durch einen anderen Künstler zu ersetzen, der bis dahin noch nie Mosaike gemacht hatte?“
Damals war Rupnik Maler und kein Mosaizist, aber einer ziemlich hagiographischen Erzählung zufolge sei er aufgrund des „vierten Gelübdes“, das die Jesuiten zu einem besonderen Gehorsam gegenüber dem Papst verpflichtet, zu einem solchen geworden:
„Diese Kapelle ist das Ergebnis dieses besonderen Gehorsams, denn Pater Rupnik hat vorher keine Mosaike gemacht, er war Maler. Aber wenn der Papst dich um ein Mosaik bittet, was machst du dann? Man macht ein Mosaik“, erzählt Nataša Govekar vom Aletti-Zentrum scherzhaft in einem Video, das der Kapelle Redemptoris Mater gewidmet ist. Und gleich darauf, mit dem himmlischen Jerusalem im Rücken, erwähnt sie „einen russischen Künstler, der ein Jahr oder so früher gearbeitet hat… einen russischen Künstler, der, sagen wir mal, einem traditionellen Stil treuer ist“. Der russische Künstler wurde nicht namentlich genannt, „als wäre er jemand auf der Durchreise“ gewesen, so Chiappalone.
Von Kornouchows „Durchreise“ gibt es jedoch, abgesehen vom überlebenden Himmlischen Jerusalem, eine Spur auf seiner Internetseite (hier und hier), deren Bilder äußerst wertvoll sind, weil sie es erlauben, die Kapelle Redemptoris Mater zu sehen, wie sie ausgesehen hatte, bevor sie von Rupnik umgestaltet wurde. Rupnik erfand auch die ursprüngliche Inspiration der Kapelle „neu“, wie Chiappalone betont.
„Meiner Meinung nach ist Rupniks Kunst weit von der byzantinischen Tradition entfernt und ein Beispiel für die Postmoderne, die nichts mit der Architektur zu tun hat“, so Kornouchow.
„In der Tat ist der Unterschied im Stil frappierend“, attestiert auch Chiappalone, „nicht nur, wenn man Kornouchows Himmlisches Jerusalem mit den anderen Wänden vergleicht, sondern auch, wenn man das ‚Vorher‘ und das ‚Nachher‘ vergleicht. Der in der Mitte des Gewölbes dargestellte Christus stellt vielleicht die radikalste Veränderung zwischen der Version des russischen Künstlers und der Version des Zentrums Aletti dar“, so Chiappalone.
Die Kostenfrage wurde bisher noch nicht gestellt, da die Kapelle innerhalb kurzer Zeit gleich zweimal neugestaltet wurde.
Fakt ist, daß der Auftrag in der Kapelle Redemptoris Mater die Geburtsstunde Rupniks als Mosaizist und der Beginn seines unaufhaltsam scheinenden Aufstiegs zum unumstrittenen Haus- und Hofkünstler der katholischen Kirche wurde.
Während man bei den Werken Kornouchows keinerlei Bedenken hatte, so Chiappalone, sie kurzerhand wegen eines möglichen, aber nicht bewiesenen Materialfehlers zu entfernen, stößt man heute „in ein Hornissennest“, wenn die Rede darauf kommt, die Werke Rupniks zu entfernen oder zu verdecken. Dabei steht Rupnik im Zentrum eines Mißbrauchskandals, während Kornouchow sich nichts zuschulden hatte kommen lassen.


Text: Giuseppe Nardi
Bild: NBQ/centroaletti.com/Facebook (Screenshots)