Das Rätsel der zweifach neugestalteten päpstlichen Kapelle

Die zerstörten Mosaike von Alexander Kornouchow, ersetzt durch jene von Marko Ivan Rupnik


In der zweiten Hälfte der 90er Jahre wurde die päpstliche Kapelle Redemptoris Mater zwei Mal neugestaltet: zuerst vom russischen Künstler Kornouchow (links), dann von Marko Ivan Rupnik (rechts). Der Fall wirft zahlreiche Fragen auf, warum Kornouchows Mosaike zerstört und ersetzt wurden.
In der zweiten Hälfte der 90er Jahre wurde die päpstliche Kapelle Redemptoris Mater zwei Mal neugestaltet: zuerst vom russischen Künstler Kornouchow (links), dann von Marko Ivan Rupnik (rechts). Der Fall wirft zahlreiche Fragen auf, warum Kornouchows Mosaike zerstört und ersetzt wurden.

Immer neue Kapi­tel wer­den zum Fall Mar­ko Ivan Rup­nik bekannt. Dazu gehört auch die von ihm durch­ge­führ­te Neu­ge­stal­tung der päpst­li­chen Kapel­le im Apo­sto­li­schen Palast des Vati­kans, die den Welt­ruhm des slo­we­ni­schen Künst­ler­prie­sters und ehe­ma­li­gen Jesui­ten begrün­de­te. Die Neu­ge­stal­tung hat jedoch eine Vor­ge­schich­te: Ein rus­si­scher Künst­ler hat­te die Kapel­le bereits neu­ge­stal­tet, als sei­ne Mosai­ke wie­der weit­ge­hend ent­fernt und durch Rup­niks Wer­ke ersetzt wur­den. Die Rede ist von einem „künst­le­ri­schen Putsch“, so Ste­fa­no Chiap­pa­lo­ne, der für die Nuo­va Bus­so­la Quo­ti­dia­na (NBQ) den unge­wöhn­li­chen Vor­fall mit den Zuta­ten eines Kunst­kri­mis und eines offen­bar „unan­tast­ba­ren Mythos“, den Rup­nik umgibt, beschrieb.

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„Daß die Mosai­ke des Gewöl­bes und der Sei­ten­wän­de zer­stört wur­den, erfuhr ich erst nach eini­gen Mona­ten. Sie wur­den unter dem Vor­wand zer­stört, daß die Mosa­ik­stei­ne her­un­ter­ge­fal­len sei­en. Aber das war abso­lut unmög­lich, ohne sie zum Her­un­ter­fal­len zu zwin­gen. Ich habe immer noch den ernst­haf­ten Ver­dacht, daß Rup­nik die­se ‚Anschul­di­gung‘ erfun­den hat, um mich als Mosai­zist in dem Pro­jekt zu erset­zen“, so der rus­si­sche Mosai­zist Alex­an­der Korn­ouchow zu NBQ.

Korn­ouchow spricht von sei­nen Mosai­ken in der Kapel­le Redempto­ris Mater im Apo­sto­li­schen Palast des Vati­kans. Der Hei­li­ge Stuhl bie­tet auf sei­ner Inter­net­sei­te einen vir­tu­el­len Besuch der Kapel­le an. Heu­te ist die­se Kapel­le untrenn­bar mit dem Namen und dem Mythos des slo­we­ni­schen Künst­ler­prie­sters Mar­ko Ivan Rup­nik ver­bun­den, der Ende der 1990er Jah­re zusam­men mit eini­gen Mit­ar­bei­tern die Kapel­le völ­lig neu gestal­te­te. Wegen schwer­wie­gen­der Miß­brauchs­vor­wür­fe wur­de Rup­nik 2023 aus dem Jesui­ten­or­den aus­ge­schlos­sen. Sei­ne bereits fest­ge­stell­te Exkom­mu­ni­ka­ti­on wur­de offen­bar durch die schüt­zen­de Inter­ven­ti­on von Papst Fran­zis­kus per­sön­lich wie­der still­schwei­gend fal­len­ge­las­sen. Seit 2023 ist ein neu­es Ver­fah­ren gegen Rup­nik beim Glau­bens­dik­aste­ri­um anhän­gig, das jedoch nicht vom Fleck kom­men will, als wür­de es wie­der­um von einer schüt­zen­den Hand ein­ge­bremst werden.

Nach der Neu­ge­stal­tung der päpst­li­chen Kapel­le erhielt Rup­nik Auf­trä­ge für die bedeu­tend­sten Wall­fahrts­or­te und Hei­lig­tü­mer welt­weit. Sein inter­na­tio­na­ler Auf­stieg, der ein Vier­tel­jahr­hun­dert währ­te, hat­te sei­nen Aus­gangs­punkt in der Kapel­le Redempto­ris Mater.

Von Korn­ouchow ist dort heu­te nur noch das Himm­li­sche Jeru­sa­lem an der Altar­wand zu sehen, aller­dings oben ampu­tiert, wie die Fotos zei­gen. Der rus­si­sche Mei­ster bestä­tig­te NBQ, daß er noch viel mehr geschaf­fen hat­te, bevor er kur­zer­hand ent­las­sen wur­de. Ins­ge­samt umfaß­te sein Werk „die West­wand, das Gewöl­be, eini­ge Hei­li­gen­fi­gu­ren, die Ver­kün­di­gung und Jakobs Traum­sze­ne sowie die Seitenwände“.

Auf sei­ner Face­book-Sei­te ver­öf­fent­lich­te Korn­ouchow am 7. April 2023 eines sei­ner Wer­ke mit der Bild­un­ter­schrift: „Die Ver­kün­di­gung – Vati­kan (zer­stört)“. Zer­stört?

Korn­ouchows zer­stör­tes Verkündigungsmosaik

Gehen wir einen Schritt zurück. Im zwei­ten Stock des Apo­sto­li­schen Pala­stes befin­det sich unmit­tel­bar vor den päpst­li­chen Appar­te­ments eine Kapel­le, die frü­her als Mat­hil­den-Kapel­le bekannt war. Anläß­lich des Maria­ni­schen Jah­res 1987/​88 wur­de sie auf Wunsch von Papst Johan­nes Paul II. in Redempto­ris Mater umbe­nannt. Unter die­sem Namen hat­te der Papst am 25. März 1987 eine Enzy­kli­ka über die seli­ge Jung­frau Maria im Leben der pil­gern­den Kir­che veröffentlicht.

Johan­nes Paul II. bemüh­te sich ver­stärkt um eine Aus­söh­nung zwi­schen der Ost- und der West­kir­che und betrach­te­te die Kapel­le als öku­me­ni­sches Sym­bol für die ver­schie­de­nen unter der Lei­tung des Pap­stes mit Rom unier­ten Kir­chen. Die Kapel­le soll­te eine wich­ti­ge Prä­senz der öst­li­chen Tra­di­ti­on in der Vati­kan­stadt dar­stel­len und dem­entspre­chend neu­ge­stal­tet werden. 

Das iko­no­gra­phi­sche Pro­gramm dazu ent­warf Oleg Ulja­now. Den Auf­trag zur Umset­zung erhielt der rus­sisch-ortho­do­xe Künst­ler Alex­an­der Korn­ouchow, der sich in sei­ner Aus­füh­rung an den tra­di­tio­nel­len Bild­ka­non hielt, wie er für ortho­do­xe und mit Rom unier­te Ost­kir­chen des byzan­ti­ni­schen Ritus üblich ist, dar­un­ter die Theo­to­kos und die Aller­hei­lig­ste Drei­fal­tig­keit. Der 1947 gebo­re­ne Korn­ouchow stu­dier­te an der Kunst­aka­de­mie in Mos­kau unter Lyud­mi­la Tre­gu­ben­ko. Korn­ouchow setzt sich inten­siv mit der byzan­ti­ni­schen Kunst aus­ein­an­der, wobei er nie eine blo­ße Nach­ah­mung anstreb­te, son­dern bemüht ist, ihren Geist und ihre Essenz in sein Werk zu integrieren.

Die Finan­zie­rung der Neu­ge­stal­tung war ein Geschenk des Kar­di­nals­kol­le­gi­ums zum 50. Prie­ster­ju­bi­lä­um von Johan­nes Paul II. im Jahr 1996. Die Kapel­le soll­te die „zwei Lun­gen­flü­gel“ der Kir­che sicht­bar machen, von der der Papst mit Blick auf die Ost­kir­che gespro­chen hatte.

Die Lei­tung des Gesamt­pro­jekts lag in den Hän­den des tsche­chi­schen Jesui­ten Pater Tomáš Špid­lík, den Johan­nes Paul II. 2003 in das Kar­di­nals­kol­le­gi­um auf­nahm. „Špid­lík schlug mir vor, die Mosai­ke der Kapel­le zu gestal­ten, nach­dem er die Bil­der der Mosai­ke gese­hen hat­te, die ich in der Ver­klä­rungs­kir­che in Tùši­no in Mos­kau geschaf­fen hat­te“, so Korn­ouchow. „Das gesam­te Pro­jekt der Kapel­len­mo­sai­ke wur­de mir allein anvertraut.“

Špid­lík zog jedoch auch Rup­niks Zen­trum Alet­ti hin­zu. Dazu Korn­ouchow: „Im Alet­ti-Zen­trum war ich zu Gast und habe dort die Mosa­ik­pro­ben gemacht“. Rup­nik trat ihm gegen­über „von Anfang an als Pro­jekt­ko­or­di­na­tor“ auf. „Er war es, der mit der Vati­kan­ver­wal­tung in Kon­takt stand.“ Eine künst­le­ri­sche Zusam­men­ar­beit hat­te es aber zu kei­nem Zeit­punkt gege­ben. Von dem Miß­brauchs­skan­dal, in dem Rup­nik ange­klagt ist, „habe ich erst in jüng­ster Zeit erfahren“.

Korn­ouchow gehört heu­te jedoch auch zu jenen, die die Wahr­heit über Rup­nik for­dern, so Chiap­pa­lo­ne, aller­dings in sei­nem Fall über die ver­lo­re­nen Mosai­ke, die durch Rup­nik ersetzt wur­den, des­sen inter­na­tio­na­ler Ruhm aus die­sem ersten pre­sti­ge­träch­ti­gen Auf­trag hervorging.

Fede­ri­ca Tourn hat die Affä­re um die Neu­ge­stal­tung der päpst­li­chen Kapel­le für die Tages­zei­tung Doma­ni in dem Arti­kel: „Rup­nik, der Vati­kan und der rus­si­sche Künst­ler: der Schla­mas­sel der ‚neu­en Six­ti­na‘“ rekon­stru­iert, indem sie bei­de Sei­ten zu Wort kom­men ließ und die bei­den Ver­sio­nen gegenüberstellte.

  • Laut Rup­niks Alet­ti-Zen­trum hät­ten Korn­ouchows Mosai­ke wegen eines unge­eig­ne­ten Kle­bers nicht gehal­ten und sich die Mosa­ik­stei­ne gelöst, so hät­ten die Mosai­ke ersetzt wer­den müssen.
  • Für Korn­ouchow ist die Ent­fer­nung sei­ner schon aus­ge­führ­ten Mosai­ke mut­wil­lig erfolgt, um sie durch Rup­niks eige­ne Wer­ke zu erset­zen. Ein gene­rel­les Kle­ber­pro­blem sei ausgeschlossen.

Tourn fragt des­halb: „Wenn das Alet­ti-Zen­trum den rus­si­schen Künst­ler beauf­sich­ti­gen und unter­stüt­zen soll­te, war­um hat es dann das mög­li­che Kle­ber­pro­blem nicht gelöst? Ange­nom­men, die Mosa­ik­stei­ne hat­ten sich gelöst und die Mosai­ke hät­ten von Grund auf neu gemacht wer­den müs­sen, hät­te Korn­ouchow sie dann nicht selbst neu machen sol­len, anstatt ihn durch einen ande­ren Künst­ler zu erset­zen, der bis dahin noch nie Mosai­ke gemacht hatte?“

Damals war Rup­nik Maler und kein Mosai­zist, aber einer ziem­lich hagio­gra­phi­schen Erzäh­lung zufol­ge sei er auf­grund des „vier­ten Gelüb­des“, das die Jesui­ten zu einem beson­de­ren Gehor­sam gegen­über dem Papst ver­pflich­tet, zu einem sol­chen geworden:

„Die­se Kapel­le ist das Ergeb­nis die­ses beson­de­ren Gehor­sams, denn Pater Rup­nik hat vor­her kei­ne Mosai­ke gemacht, er war Maler. Aber wenn der Papst dich um ein Mosa­ik bit­tet, was machst du dann? Man macht ein Mosa­ik“, erzählt Nataša Gove­kar vom Alet­ti-Zen­trum scherz­haft in einem Video, das der Kapel­le Redempto­ris Mater gewid­met ist. Und gleich dar­auf, mit dem himm­li­schen Jeru­sa­lem im Rücken, erwähnt sie „einen rus­si­schen Künst­ler, der ein Jahr oder so frü­her gear­bei­tet hat… einen rus­si­schen Künst­ler, der, sagen wir mal, einem tra­di­tio­nel­len Stil treu­er ist“. Der rus­si­sche Künst­ler wur­de nicht nament­lich genannt, „als wäre er jemand auf der Durch­rei­se“ gewe­sen, so Chiappalone.

Von Korn­ouchows „Durch­rei­se“ gibt es jedoch, abge­se­hen vom über­le­ben­den Himm­li­schen Jeru­sa­lem, eine Spur auf sei­ner Inter­net­sei­te (hier und hier), deren Bil­der äußerst wert­voll sind, weil sie es erlau­ben, die Kapel­le Redempto­ris Mater zu sehen, wie sie aus­ge­se­hen hat­te, bevor sie von Rup­nik umge­stal­tet wur­de. Rup­nik erfand auch die ursprüng­li­che Inspi­ra­ti­on der Kapel­le „neu“, wie Chiap­pa­lo­ne betont.

„Mei­ner Mei­nung nach ist Rup­niks Kunst weit von der byzan­ti­ni­schen Tra­di­ti­on ent­fernt und ein Bei­spiel für die Post­mo­der­ne, die nichts mit der Archi­tek­tur zu tun hat“, so Kornouchow.

„In der Tat ist der Unter­schied im Stil frap­pie­rend“, atte­stiert auch Chiap­pa­lo­ne, „nicht nur, wenn man Korn­ouchows Himm­li­sches Jeru­sa­lem mit den ande­ren Wän­den ver­gleicht, son­dern auch, wenn man das ‚Vor­her‘ und das ‚Nach­her‘ ver­gleicht. Der in der Mit­te des Gewöl­bes dar­ge­stell­te Chri­stus stellt viel­leicht die radi­kal­ste Ver­än­de­rung zwi­schen der Ver­si­on des rus­si­schen Künst­lers und der Ver­si­on des Zen­trums Alet­ti dar“, so Chiappalone.

Die Kosten­fra­ge wur­de bis­her noch nicht gestellt, da die Kapel­le inner­halb kur­zer Zeit gleich zwei­mal neu­ge­stal­tet wurde.

Fakt ist, daß der Auf­trag in der Kapel­le Redempto­ris Mater die Geburts­stun­de Rup­niks als Mosai­zist und der Beginn sei­nes unauf­halt­sam schei­nen­den Auf­stiegs zum unum­strit­te­nen Haus- und Hof­künst­ler der katho­li­schen Kir­che wurde.

Wäh­rend man bei den Wer­ken Korn­ouchows kei­ner­lei Beden­ken hat­te, so Chiap­pa­lo­ne, sie kur­zer­hand wegen eines mög­li­chen, aber nicht bewie­se­nen Mate­ri­al­feh­lers zu ent­fer­nen, stößt man heu­te „in ein Hor­nis­sen­nest“, wenn die Rede dar­auf kommt, die Wer­ke Rup­niks zu ent­fer­nen oder zu ver­decken. Dabei steht Rup­nik im Zen­trum eines Miß­brauch­skan­dals, wäh­rend Korn­ouchow sich nichts zuschul­den hat­te kom­men lassen.

Die päpst­li­che Kapel­le Redempto­ris Mater mit den Mosai­ken von Alex­an­der Kornouchow
Die päpst­li­che Kapel­le Redempto­ris Mater mit den Mosai­ken von Mar­ko Ivan Rup­nik (nur Korn­ouchows Himm­li­sches Jeru­sa­lem an der Ost­wand blieb erhalten)

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: NBQ/centroaletti.com/Facebook (Screen­shots)

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