
Von Prof. Roberto de Mattei*
Der Verlag Solfanelli hat gerade das Buch von Maestro Aurelio Porfiri „La destra del Signore si è alzata“ („Die Rechte des Herrn hat sich erhoben“, 251 Seiten 16,00 Euro) herausgegeben. Aurelio Porfiri, geboren im alten und belebten Stadtteil Trastevere und somit ein echter „Römer aus Rom“, war Schüler des Maestro und späteren Kardinals Domenico Bartolucci, des letzten großen Chormeisters des Päpstlichen Chores der Sixtinischen Kapelle, und ist in erster Linie Musiker. Er ist Autor von Hunderten von Kompositionen und einer Geschichte der katholischen Kirchenmusik, die vom Katholischen Zentrum der Chinese University auf Chinesisch und auf Englisch unter dem Titel „Forever I will Sing“ veröffentlicht wurde.
Ich habe ihn in nun schon fernen Jahren kennengelernt und erinnere mich noch an die schönen Konzerte, die er in der Basilika San Crisogono der Trinitarierpatres dirigierte, wo die Gebeine der seligen Anna Maria Taigi ruhen, einer Heiligen, die ihm ebenso am Herzen liegt wie der Diener Gottes Rafael Merry del Val, Staatssekretär des heiligen Pius X., der bis zu seinem Tod 1930 sein Apostolat unter den Jugendlichen von Trastevere ausübte.
Der aus Trastevere stammende Aurelio Porfiri, den das Leben in die ganze Welt bis nach Macao und Hongkong verschlagen hat, hat, ohne die Musik zu vernachlässigen, nach und nach sein Interessenfeld auf aktuelle religiöse und kulturelle Themen ausgeweitet und seine Überlegungen in Büchern, Zeitschriften, Blogs und sozialen Medien im In- und Ausland veröffentlicht. Was ihn dazu veranlaßte, Stellung zu nehmen, war vor allem der Anblick der Verwüstung der Kirchenmusik und der Liturgie in den vergangenen Jahrzehnten.
Die Nachkonzilsjahre waren eine Zeit, in der die Kirche eine Revolution erlebte, die im Namen eines „Konzilsgeistes“ durchgeführt wurde, der oft im Widerspruch zu den Dokumenten stand, die er zu fördern vorgab. Die Existenz dieser religiösen Revolution und die Suche nach einem Bezugspunkt, an dem man sich orientieren kann, führten Porfiri in die Welt des sogenannten „Traditionalismus“, dem er nie angehörte, in dem er aber lebt mit einer solchen, manchmal leidenden, Anteilnahme, daß in ihm der Entschluß reifte, dessen Geschichte zu rekonstruieren.
Porfiri ist kein Historiker im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr ein aufmerksamer Zeuge und Chronist, der in diesem Buch seine Aufgabe sehr gut erfüllt, nämlich mit der Freiheit und Unabhängigkeit des Urteils zu berichten, was er gesehen hat.
Der Traditionalismus, mit dem sich Aurelio Porfiri befaßt, ist jene Bewegung, die als Reaktion auf das Zweite Vatikanische Konzil, insbesondere nach der Liturgiereform von Paul VI. 1969, entstanden ist. Es muß jedoch gesagt werden, daß der heutige Traditionalismus eine Unterströmung einer umfassenderen kulturellen Schule ist, die als Reaktion auf die Französische Revolution entstand und von einer tiefgründigen Geschichtstheologie genährt wird, die den heutigen Neo-Traditionalisten oft unbekannt ist.
Die Gründerväter des Traditionalismus sind in dieser Hinsicht nicht nur bedeutende Autoren wie Joseph de Maistre und Juan Donoso Cortés, sondern auch die großen Päpste des 19. und 20. Jahrhunderts, vor allem der selige Pius IX. und der heilige Pius X., der in seinem apostolischen Schreiben Notre Charge Apostolique vom 25. August 1910 feststellte:
„Die wahren Freunde des Volkes sind weder Revolutionäre noch Erneuerer, sondern Traditionalisten.“
Man kann also Msgr. Marcel Lefebvre nicht ohne die 1946 von Jean Ousset gegründete Cité Catholique verstehen, ebenso wie man sich daran erinnern muß, daß das Wirken von Professor Plinio Corrêa de Oliveira aus den 1930er Jahren stammt und in direkter Kontinuität mit dem konterrevolutionären Denken des vergangenen Jahrhunderts steht. Diese Katholiken, die als „Intransigente“, „Ultramontane“, „Integristen“, „Konterrevolutionäre“, „Traditionalisten“, „Antimodernisten“ bezeichnet wurden oder sich selbst so definiert haben, waren und sind in erster Linie Katholiken.
Was sie qualifizieren sollte, sind nicht die polemischen Bezeichnungen, sondern der wahre Glaube der Kirche. Ich selbst lehne die Bezeichnung „Traditionalist“, die mir zugeschrieben wird, zwar nicht ab, aber wenn ich mich selbst definieren müßte, würde ich die Worte des heiligen Pacian von Barcelona verwenden:
„Christianus mihi nomen est, catholicus cognomen.“
„Christ ist mein Name, katholisch mein Familienname.“
Die religiöse und kulturelle Krise ist auch in den zeitgenössischen Traditionalismus eingedrungen und hat ihn in Gruppen und Strömungen gespalten. Porfiri bewegen diese Spaltungen und er stellt fest, daß es heute nicht den einen katholischen Traditionalismus gibt, sondern viele Traditionalismen, die sich oft untereinander in „singulären Tenzonen“ 1 engagieren, die er auf seinen Seiten akribisch aufzeichnet.
Neben den mehr oder weniger bekannten Instituten und Gruppen, die sich innerhalb der Institutionen der Kirche bewegen, gibt es auch solche am Rande oder außerhalb der Kirche: Sedisvakantisten, Sedisprivationisten, Sedismaterialisten, Sedisimpeditionisten… Oft haben diese Gruppen Untergruppen und nicht selten stehen sie gegeneinander. Porfiri läßt jede von ihnen zu Wort kommen, doch sie alle unter Vermeidung einer inhaltlichen Wertung zu erwähnen, birgt die Gefahr, die dialektische Verwirrung, die er zu Recht beklagt und die ihn zu seinen Forschungen veranlaßt hat, noch zu verstärken.
Sein Versuch, eine so komplexe Bewegung historisch zu rekonstruieren, ist jedoch eine Pionierarbeit und muß daher gewürdigt werden. Porfiri ist kein Traditionalist, aber er ist auch kein Anti-Traditionalist. Er liebt die Tradition, lehnt aber das ab, was er die Pathologie des Traditionalismus nennt.
Prof. Andrea Sandri hat drei Züge dieser Pathologie identifiziert, die vor allem in der Nach-Covid-Ära explodiert sind: die Leugnung der sichtbaren Kirche, die Reduzierung der kirchlichen Ordnung auf die eigene Bezugsgruppe und der politisch-apokalyptische Ansatz, der darin gipfelt, die politische Aktion zum „großen Sakrament“ der Befreiung zu erheben (Vigiliae Alexandrinae, 29. Juni 2021).
Daraus folgt die Tendenz, zu vergessen, daß das Christentum eine institutionelle und geordnete Realität ist, und die Grenze der Tradition vom übernatürlichen Leben, das an die zweite Stelle rückt, zum Kampf für die Befreiung der Welt von der großen politischen Verschwörung zu verschieben. Die Gnade wird ganz äußerlich verstanden in diesem Kampf, in dem das Heil vom Menschen im Kampf gegen eine Macht ergriffen werden muß, die nicht wegen ihrer Mißbräuche, sondern in ihrem Wesen böse ist.
So ist es nicht verwunderlich, daß wir in der traditionalistischen Bewegung Persönlichkeiten von großem intellektuellem und moralischem Format antreffen, aber auch solche, die nur ein bißchen Ruhm ernten wollen und dabei zerbrechliche und unzufriedene Menschen anziehen.
Das Buch von Aurelio Porfiri, das mit dem gesunden Menschenverstand des „Römers aus Rom“ geschrieben wurde, ist auch eine Einladung, über die Zersplitterung einer Welt nachzudenken, die auf der Suche nach Reinheit allzu oft in den Abgrund des Chaos stürzt. „Jene, die wachsam sein müssen“, schreibt Porfiri, „sind gerade diejenigen, die sich reiner fühlen, weil auf dem Gipfel des Berges San Juan de la Cruz das Gleichgewicht unsicherer und die Luft dünner wird“ (Stilum Curiae, 29. Oktober 2022).
Porfiri ist auch ein Satz von Gustave Thibon wichtig: „Nichts ist so reinigungsbedürftig wie das, was wir Reinheit nennen.“ Das bedeutet, daß man, um mit Reinheit zu urteilen, auch ein Herz haben muß, das frei von Bösem ist und nahe Freunde nicht mehr haßt als ferne Feinde. Deshalb ist es vorgeschrieben, die Beurteilung der Absichten unserer Glaubensbrüder allein Gott zu überlassen.
Das Motu Proprio Traditionis Custodes von Papst Franziskus vom 16. Juli 2021, das durch das vom Heiligen Vater am 21. Februar 2023 genehmigte Reskript bestätigt wurde, scheint in die Richtung zu gehen, traditionalistische Gruppen zu zerschlagen. Es ist jedoch legitim, sich zu fragen, ob im rechtmäßigen Widerstand gegen ungerechte restriktive Maßnahmen bestimmte Kritiken der Traditionalisten an ihren Verfolgern sich von deren Positionen nicht nur in ihrer äußeren Haltung unterscheiden, während sich auf einer inneren Ebene die Eigenschaften der Seele sehr ähnlich sind.
Aurelio Porfiri schließt sein Buch mit der Feststellung, daß die Sache des katholischen Traditionalismus der nachkonziliaren Kirche ein Stachel im Fleisch zu sein scheint. Nach zehn Jahren des Pontifikats von Papst Franziskus ist es schwierig, die künftige Entwicklung dieses Weges vorherzusagen, der, wie er zu Recht anmerkt, in jedem Fall mit der Figur des neuen Pontifex verbunden sein wird. Das ist richtig. In der Kirche ist der Papst, der Stellvertreter Jesu Christi, wenn er auch manchmal ein Problem darstellt, auch immer die Lösung für jedes Problem.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
Bücher von Prof. Roberto de Mattei in deutscher Übersetzung und die Bücher von Martin Mosebach können Sie bei unserer Partnerbuchhandlung beziehen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
1 Eine Form des Streitgedichts, Streitliedes, deren Ursprung in der provenzalischen Dichtung gesehen wird. Gemeint sind jedoch im eher heiteren Sinn Formen von Eigenbrötelei.