Matthias Sellmann und die jungen Priester – die mit dem Synodalen Weg nicht viel anfangen können

Der Nihilismus ist „der unheimlichste aller Gäste“


Was läßt die Kirche austrocknen?
Was läßt die Kirche austrocknen?

„Die Mehr­heit der jun­gen Prie­ster kann mit den The­men des Syn­oda­len Wegs nicht viel anfan­gen […] und frem­delt mit der moder­nen Welt.“ Das ist die Quint­essenz der Stu­die „Wer wird Prie­ster?“, die das Bochu­mer Zen­trum für ange­wand­te Pasto­ral­for­schung unter ihrem Lei­ter, dem Pasto­ral­theo­lo­gen Mat­thi­as Sell­mann, im Auf­trag der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz erstell­te. Der Auf­trag der Bischofs­kon­fe­renz umfaß­te auch „stra­te­gi­sche Emp­feh­lun­gen aus pasto­ral­theo­lo­gi­scher Sicht“. Sell­mann prä­sen­tier­te die zen­tra­len Ergeb­nis­se der Stu­die als „beun­ru­hi­gend“. Dar­auf reagiert Vigi­li­us, der im Früh­jahr mit der Ana­ly­se „Der gro­ße Ver­lust oder das Pon­ti­fi­kat des Jor­ge Mario Berg­o­glio“ inter­na­tio­na­le Auf­merk­sam­keit fand.

Matthias Sellmann und die Priester

Anzei­ge

Von Vigi­li­us

„Man hat nur spät den Mut zu dem, was man eigent­lich weiß. Dass ich von Grund aus bis­her Nihi­list gewe­sen bin, das habe ich mir erst seit kur­zem ein­ge­stan­den: Die Ener­gie, die Non­cha­lance, mit der ich als Nihi­list vor­wärts ging, täusch­te mich über die­se Grund­tat­sa­che. Wenn man einem Zie­le ent­ge­gen­geht, so scheint es unmög­lich, dass »die Ziel­lo­sig­keit an sich« unser Glau­bens­grund­satz ist.“

Die­se Sät­ze stam­men von Fried­rich Nietz­sche, der in sei­nem sechs­und­fünf­zig­sten Lebens­jah­re starb. Mat­thi­as Sell­mann, Lei­ter des an der Ruhr-Uni­ver­si­tät Bochum ansäs­si­gen „Zen­trums für ange­wand­te Pasto­ral­for­schung“, hat sein sechs­und­fünf­zig­stes Lebens­jahr bereits deut­lich über­schrit­ten. Als Nietz­sche sei­ne oben zitier­te Ein­sicht for­mu­lier­te, war Nietz­sche etwa vier­zig Jah­re alt. Und er nennt sie eine „spät“ eingestandene.

Sellmanns Bild der Dinge

Mat­thi­as Sell­mann ist also Pasto­ral­for­scher, und zwar einer, der sei­ne For­schung „anwen­den“ will. Wozu er sie anwen­den will, erläu­tert er in einem Inter­view mit dem Online­por­tal katho​lisch​.de der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz. Unmit­tel­ba­rer Aus­gangs­punkt des Inter­views ist eine Stu­die, die Sell­manns Insti­tut im Auf­trag die­ser Kon­fe­renz durch­ge­führt hat.1 Gegen­stand der Stu­die ist das Selbst­ver­ständ­nis der jün­ge­ren Prie­ster in Deutsch­land, die inner­halb des letz­ten Jahr­zehnts geweiht wur­den. Das kirch­li­che Estab­lish­ment hält die Ergeb­nis­se die­ser Stu­die, so lässt es sich den ein­schlä­gi­gen Kom­men­ta­ren ent­neh­men, für „besorg­nis­er­re­gend“, „sehr besorg­nis­er­re­gend“, „mehr als bedenk­lich“ und auch für „sehr pro­ble­ma­tisch“. Denn Sell­manns Stu­die „Wer wird Prie­ster?“ befun­det, dass die jün­ge­ren Prie­ster „in der Mehr­zahl mit den Set­tings und Wer­ten der moder­nen Gesell­schaft frem­deln“ und damit auch „den Syn­oda­len Weg nicht mitmachen“.

Für die Kom­men­ta­to­ren ist es unzwei­deu­tig, dass die befrag­ten Prie­ster mit ihrer Hal­tung „kle­ri­ka­les Mona­den­tum“ betrei­ben und die „Zeit­ge­nos­sen­schaft“ ver­wei­gern. Sozio­lo­gisch sei das, so Sell­mann, aber nicht ver­wun­der­lich, denn die bedenk­li­che Prie­ster­schar stam­me weit­ge­hend aus jenen spie­ßi­gen Sozi­al­mi­lieus, die im gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Trend gera­de „aus­trock­nen“ wür­den. Das begrün­de die man­geln­de Auf­ge­klärt­heit, auch was den Syn­oda­len Weg betrifft. Dem­entspre­chend weiß einer der Besorg­ten, der sogar zum „Jour­na­list des Jah­res“2 gekürt wur­de, noch hin­zu­zu­fü­gen, dass die prie­ster­lich geschmäh­ten Bemü­hun­gen des Syn­oda­len Weges doch gera­de ein „Aus­druck der Sor­ge um die Amts­trä­ger“ sei­en.3 Ja, wie kann man nur so blind sein und nicht erken­nen, wie prie­ster­freund­lich etwa der auf dem Syn­oda­len Weg ein­ge­brach­te und von fast der Hälf­te der Dele­gier­ten begrüß­te Antrag war, zu prü­fen, ob es über­haupt noch Prie­ster in der Kir­che brau­che? Wenn etwas klar ist, dann doch, dass die Sache der Prie­ster bei Irme Stet­ter-Karp, Clau­dia Lücking-Michel und Julia Knop gut auf­ge­ho­ben ist.

Aber zurück zu Pasto­ral­for­scher Sell­mann. Viel inter­es­san­ter als das ohne­hin erwart­ba­re Stu­di­en­re­sul­tat sind sei­ne anläss­li­chen Ein­schät­zun­gen auf katho​lisch​.de. Denn Sell­mann bekennt sich „klar zum Syn­oda­len Weg“ und räumt frei­mü­tig ein, dass er die von ihm ver­ant­wor­te­te Stu­die im Hori­zont „sei­ner Theo­lo­gie“ inter­pre­tie­re: „Ich habe ein bestimm­tes Kirchen‑, ein bestimm­tes Prie­ster- und ein bestimm­tes Gesell­schafts­bild.“ Die­ses bestimm­te Bild der Din­ge besitzt nun sel­ber in über­rei­chem Maße jene den Prie­stern von Sell­mann abver­lang­te „vol­le Zeit­ge­nos­sen­schaft“, dass es uns einen per­fek­ten Ein­blick in den Mecha­nis­mus des Gei­stes unse­rer Zeit ver­mit­telt, der mit dem heu­te in der Kir­che weit­flä­chig herr­schen­den Bewusst­sein rück­stands­los iden­tisch gewor­den ist.

Herr Sell­mann ist ein gro­ßer Freund unse­rer Gesell­schaft. Dar­in kommt er mit dem Syn­oda­len Weg und des­sen Prä­si­den­ten, Bischof Georg Bät­zing, über­ein. Denn Bischof Bät­zing ist wie die Par­tei­gän­ger des Syn­oda­len Weges ein Phil­an­throp rein­sten Was­sers und bekennt sich vor­be­halt­los zur diver­sen, post­ko­lo­nia­li­sti­schen und inklu­si­vi­sti­schen Gesell­schaft. Des­we­gen hält Bischof Bät­zing mit sei­nem Amts­bru­der Rein­hard Marx und den Syn­oda­len sen­si­blen Abstand von der anti-divers ver­steh­ba­ren Rede vom „christ­li­chen Abend­land“. Das deut­schen Grund­ge­setz gilt Bät­zing jedoch, und da dürf­te er auch Herrn Sell­mann aus dem Her­zen spre­chen, nach dem Abschied vom christ­li­chen Abend­land und in Zei­ten der Total­ver­flüs­si­gung der Glau­bens­leh­re als „zeit­los und unver­rück­bar“. Wie wir in der Coro­na-Zeit gese­hen haben, ist der Grund­ge­setz­freund Bät­zing für die im Grund­ge­setz ver­an­ker­ten unver­rück­ba­ren Grund­rech­te ja auch unver­rück­bar eingetreten.

Eben­so wie sein Auf­trag­ge­ber Bät­zing ist nun auch Sell­mann ein sogar so gro­ßer Freund die­ser unse­rer viel­fäl­ti­gen Gesell­schaft, dass er im Blick auf das „zukunfts­fä­hi­ge Zusam­men­le­ben aller“ nicht nur kon­sta­tiert, unse­re Gesell­schaft habe „eine Kir­che ver­dient, die Avant­gar­de sein will – zusam­men mit den ande­ren gemein­wohl­ori­en­tier­ten Kräf­ten“ –, son­dern die­se Auf­ga­be zu nichts Gerin­ge­rem als dem arti­cu­lus stan­tis et caden­tis eccle­siae erklärt. „Für wen soll­te die Kir­che pri­mär da sein?“ fragt Sell­mann. Etwa „für die Haupt­amt­li­chen? Nein. Also dann für die Gemein­de, die Gläu­bi­gen? Auch nein.“ Viel­mehr soll­ten nach Mat­thi­as Sell­mann „Chri­stin­nen und Chri­sten“ gemein­sam da sein „für das Quar­tier, die Stadt, die Regi­on: die Gesell­schaft“. Es geht im ekkle­sia­len Kern also dar­um, „nütz­lich für eine gemein­wohl­för­der­li­che Gesell­schaft“ zu sein.

Zur Rea­li­sie­rung die­ser Nütz­lich­keit muss die Kir­che nach Auf­fas­sung Sell­manns zunächst begrei­fen, dass die Gesell­schaft „Gott und die Lebens­qua­li­tät von Reli­gi­on bis­her nicht ken­nen­ler­nen konn­te“. Da sie es nach Sell­mann bis­her nicht konn­te, kann die Unkennt­nis nie­mals, nicht ein­mal antei­lig, in der Ver­ant­wort­lich­keit der Gesell­schaft sel­ber lie­gen. Also liegt es allein an der Kir­che. Und zwar des­we­gen, weil es der Kir­che bis­lang pri­mär um die Gläu­bi­gen gegan­gen ist. Des­we­gen sind unse­re Gemein­den ja blü­hen­de geist­li­che Land­schaf­ten. Tat­säch­lich ist nach Sell­manns Auf­fas­sung die Kir­che in Deutsch­land „geist­lich reich“, wel­che Ein­schät­zung den Auf­trag­ge­ber der Stu­die gewiss erfreu­en wird. Für ihren uner­müd­li­chen geist­li­chen Ein­satz sind die deut­schen Bischö­fe auch welt­be­rühmt. Aber die Kir­che wäre geist­lich natür­lich noch sehr viel rei­cher, wenn sie mit der rich­ti­gen Theo­lo­gie, also mit der sell­mann­schen Theo­lo­gie, end­lich rea­li­sier­te, wozu sie in Wahr­heit da ist. Doch genau zur Beför­de­rung die­ser Wen­de ist das Sell­mann-Insti­tut ja eines für ange­wand­te Pasto­ral­for­schung. Sell­mann will etwas erreichen.

Grund­le­gend will Sell­mann dafür wer­ben, dass die Kir­che „das Kom­pe­tenz­pro­fil von Seel­sor­ge“ der Gesell­schaft „als kul­tu­rel­le Res­sour­ce für frei­es, selbst­be­stimm­tes, krea­ti­ves und gemein­wohl­ori­en­tier­tes Leben anbie­tet“. Und die­ses Kom­pe­tenz­pro­fil ist nach Sell­mann sehr ein­drucks­voll: „Das sind Leu­te, die wis­sen und kön­nen sehr viel über men­ta­le Gesund­heit; über gewalt­freie Kon­flikt­me­dia­ti­on; über akti­vie­ren­de Grup­pen­pro­zes­se; über inno­va­ti­ve Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur; über kul­tu­rel­len Dia­log; über inspi­rie­ren­des sto­ry-tel­ling; über com­mu­ni­ty orga­ni­zing; über för­der­li­che Ritua­le; über glo­ba­len Soli­da­ri­täts­auf­bau, und vie­les mehr.“ „Wer sol­che Kom­pe­ten­zen hat“, so Sell­mann, „ist gesell­schaft­lich eigent­lich über­aus nütz­lich und attrak­tiv“. Eigent­lich. Denn „noch sind wir in der Kir­che nicht so weit, unse­re Beru­fe kon­se­quent von die­sen Bedar­fen her neu zu ent­wickeln“. Zu die­sen Beru­fen zählt nach Sell­mann nicht zuletzt der „Prie­ster­be­ruf“. Des­we­gen darf die­ser Beruf nicht „musea­li­siert“ wer­den. „Ich möch­te“, bekennt Sell­mann, „ihn gern hin­ein­de­fi­nie­ren wol­len in das, was heu­te kon­kret an Seel­sor­ge gebraucht wird“. Und was das ist, hat Sell­mann ja licht­voll erläutert.

Nun gibt es aber die von der Stu­die beschrie­be­nen kle­ri­ka­len Wider­stän­de gegen die­ses Pro­jekt des Hin­ein­de­fi­nie­ren­wol­lens. Die über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit der befrag­ten Prie­ster ist näm­lich der Ansicht, eine ech­te Reform der Kir­che kön­ne nur durch eine stär­ke­re Kon­zen­tra­ti­on auf die Lit­ur­gie und die katho­li­sche Leh­re erreicht wer­den. Zudem ver­tre­ten die mei­sten die­ser Prie­ster in den Fra­gen des Zugangs zum Prie­ster­amt, des Zöli­ba­tes und der Betei­li­gung von Lai­en an der Kir­chen­lei­tung die tra­di­tio­nel­le kirch­li­che Posi­ti­on. In ihrem Prie­ster­ver­ständ­nis beto­nen die Befrag­ten stark die sakra­le Dimen­si­on ihres Amtes und wol­len weder Agen­ten des sozi­al­kul­tu­rel­len Main­streams noch Mana­ger von rie­si­gen Pfar­rei­or­ga­ni­sa­tio­nen, son­dern pri­mär sakra­men­ta­le Heils­mit­t­ler, also Pasto­ren im eigent­li­chen Wort­sin­ne, sein. Im eigent­li­chen Wort­sinn heißt: Sie wol­len im Sin­ne des Johan­nes­evan­ge­li­ums „Hir­ten“ sein.

Das ist aller­dings gar nicht im Sin­ne Sell­manns, der das frag­li­che Meta­phern­feld für „über­holt“ und „für die pro­fes­sio­nel­le Beschrei­bung des Prie­ster­be­rufs auch unat­trak­tiv“ fin­det. Der Prie­ster, der in das „bestimm­te Kir­chen- und Prie­ster­bild“ Herrn Sell­manns passt und pri­mär „Quar­tier­ver­ant­wor­tung“ und die „Bün­de­lung loka­ler Gemein­wohl­in­ter­es­sen“ über­nimmt, fin­det sich in der Stu­die nicht abge­bil­det. „Daher“, so Sell­mann, „kommt mei­ne Besorg­nis“. Und hier kün­digt sich die zwei­te Dimen­si­on des anwen­dungs­ori­en­tier­ten Cha­rak­ters der sell­mann­schen Pasto­ral­for­schung an: Es muss vor dem Hin­ter­grund des Stu­di­en­ergeb­nis­ses zu einem „ener­gi­schen Umsteu­ern in der Beru­fungs­pa­sto­ral“ kommen.

Was das heißt, dürf­te eini­ger­ma­ßen klar sein: Ent­we­der wer­den die Bewer­ber für das Prie­ster­amt, die aus den aus­trock­nen­den Spie­ßer­mi­lieus kom­men, über­haupt nicht mehr zu Prie­stern geweiht und des­we­gen mit­tels iden­ti­fi­zie­ren­der Vor­un­ter­su­chun­gen schon gar nicht ins Semi­nar auf­ge­nom­men oder jeden­falls zei­tig ent­fernt, oder der Aus­bil­dungs­pro­zess ent­wickelt neue, effi­zi­en­te­re Ver­fah­ren der „for­ma­tio“, die nur Bös­wil­li­ge mit so etwas wie Gehirn­wä­sche und Anpas­sungs­zwang in Ver­bin­dung brin­gen kön­nen. Das „Insti­tut für ange­wand­te Pasto­ral­for­schung“ wird sich gewiss bereit erklä­ren, sei­ne ein­schlä­gi­gen Exper­ti­sen den Diö­ze­sen zur Ver­fü­gung zu stel­len und ener­gisch dar­an mit­zu­wir­ken, das Ent­ste­hen „kle­ri­ka­len Mona­den­tums“ künf­tig­hin zu ver­hin­dern. Wenn die Umsteue­rung ener­gisch genug nach den Grund­sät­zen des sell­mann­schen Bil­des der Din­ge ver­lau­fen wür­de, könn­te das Ergeb­nis einer Fol­ge­stu­die in zehn Jah­ren sicher weit weni­ger besorg­nis­er­re­gend ausfallen.

Sellmanns Illusionen

Sell­manns Posi­ti­on lebt von unaus­ge­wie­se­nen Vor­aus­set­zun­gen, zu denen die für Sell­manns Argu­men­ta­ti­on sogar zen­tral bedeut­sa­me Prä­sup­po­si­ti­on zählt, dass die heu­ti­ge Gesell­schaft am „Kom­pe­tenz­pro­fil von Seel­sor­ge“ über­haupt Inter­es­se zei­gen und das ein­schlä­gi­ge Ange­bot „attrak­tiv“ fin­den wür­de. An die­ser The­se kann man jedoch Zwei­fel haben. Ich weiß, wovon ich spre­che, denn ich bin in den von Sell­mann beschwo­re­nen kir­chen­fer­nen Milieus durch­aus unter­wegs. Mit völ­lig ungläu­bi­gen Freun­den aus der Uni­ver­si­tät habe ich über die sell­mann­schen Vor­stel­lun­gen gespro­chen, und ich kann berich­ten, dass man sich zugleich höchst­lich ver­gnüg­te und besorgt frag­te, ob mit der Urteils­kraft des Herrn Sell­mann etwas nicht stim­me. Zum einen scheint Sell­manns Ein­schät­zung der Niveau­hö­he des fak­ti­schen „Kom­pe­tenz­pro­fils von Seel­sor­ge“ an erheb­li­chem Rea­li­täts­man­gel zu lei­den. Tat­säch­lich gibt es kaum eine der von ihm genann­ten gemein­wohl­nütz­li­chen „Kom­pe­ten­zen von Seel­sor­ge“, die nicht auf wirk­lich pro­fes­sio­nel­ler Kom­pe­tenz­ebe­ne – von Psy­cho­the­ra­peu­ten bis zu lang­jäh­rig aus­ge­bil­de­ten Mana­gern, Media­to­ren und Sozi­al­ar­bei­tern – abruf­bar wäre. Der ein­zi­ge Vor­teil, mit dem das kirch­li­che Ange­bot kon­kur­renz­los punk­ten könn­te, bestün­de dar­in, dass es kosten­gün­stig ist.

Zum ande­ren, und die­ser Punkt ist weit erheb­li­cher, ver­kennt Sell­mann, dass es in wei­ten Tei­len der säku­la­ri­sier­ten Gesell­schaft kei­ner­lei Bedürf­nis mehr nach kirch­li­cher „Zeit­ge­nos­sen­schaft“ auch nur irgend­ei­nes Zuschnitts gibt. In wel­cher Welt mag Mat­thi­as Sell­mann leben, so fra­gen sich die, die angeb­lich „Gott und die Lebens­qua­li­tät von Reli­gi­on noch nicht ken­nen­ler­nen konn­ten“, wenn er nicht nur die radi­ka­len Säku­la­ri­sie­rungs­pro­zes­se der west­li­chen Gesell­schaf­ten, zuneh­mend sogar der US-ame­ri­ka­ni­schen, als Pro­zes­se pro­gres­si­ver Ableh­nung jed­we­der kirch­li­chen Asso­zia­ti­on nicht the­ma­ti­siert, son­dern auch die zuneh­men­de Geg­ner­schaft des sich im Westen mäch­tig aus­brei­ten­den radi­ka­li­sier­ten Islam als Hori­zont heu­ti­ger kirch­li­cher Exi­stenz in der Welt völ­lig aus­blen­det? Mei­ne erwähn­ten Gesprächs­part­ner wün­schen der sell­mann­schen Gemein­de­re­fe­ren­tin jeden­falls gutes Gelin­gen bei dem Pro­jekt, mit dem Kom­pe­tenz­pro­fil des inspi­rie­ren­den sto­ry-tel­ling und des Wis­sens um akti­vie­ren­de Grup­pen­pro­zes­se nicht nur im Fit­ness-Stu­dio oder in bäu­er­li­chen Betrie­ben, son­dern auch in mus­li­misch domi­nier­ten Quar­tie­ren einer unse­rer Groß­städ­te auf­zu­tau­chen, um hier eben die­se ihre Kom­pe­tenz „als kul­tu­rel­le Res­sour­ce für frei­es, selbst­be­stimm­tes, krea­ti­ves und gemein­wohl­ori­en­tier­tes Leben“ anzubieten.

Ange­sichts der tat­säch­li­chen sozia­len und kul­tu­rel­len Lage der west­li­chen Gesell­schaf­ten muten Sell­manns Ein­las­sun­gen wie ein gro­tes­ker Roman­ti­zis­mus an. Sie gehö­ren zu jenen kin­di­schen Nai­vi­tä­ten, die nur gedei­hen kön­nen in rela­tiv abge­schot­te­ten Sozi­al­mi­lieus, die ten­den­ti­ell blind gewor­den sind für das, was in ande­ren, mit­un­ter quan­ti­ta­tiv erheb­lich grö­ße­ren sozia­len Zusam­men­hän­gen pas­siert. In unse­rem Fall han­delt es sich um jenes gut abge­zir­kel­te, aka­de­misch gepräg­te Sozi­al­mi­lieu, das in der uni­ver­si­tä­ren Theo­lo­gie und im kirch­li­chen Estab­lish­ment majo­ri­tär glei­cher­ma­ßen links-libe­ra­li­stisch tickt und die hohe Kunst­fer­tig­keit ent­wickelt hat, die eige­nen Illu­sio­nen für welt­ab­bil­dend zu hal­ten, weil die ande­ren Bewoh­ner der eige­nen Insel sie ja per­ma­nent bestä­ti­gen. Betrach­tet man die For­mu­lie­run­gen Sell­manns näher und fragt sich, was das denn tat­säch­lich bedeu­ten könn­te, wird man schnell fest­stel­len, dass es sich vor allem um abstrak­te Phra­sen han­delt, mit denen uns das ideo­lo­gi­sche sto­ry-tel­ling der libe­ra­len deut­schen Theo­lo­gie seit Jahr­zehn­ten bis zum Über­druss bom­bar­diert. Das ist beim Syn­oda­len Weg, der bei nie­man­dem außer den staat­lich bezahl­ten Bischö­fen, ver­be­am­te­ten Theo­lo­gen sowie den Funk­tio­när­s­ka­tho­li­ken und dem fana­ti­sier­ten BdkJ Inter­es­se fin­det, gera­de­zu mit Hän­den zu grei­fen. Es ist doch nach­ge­ra­de lach­haft zu mei­nen, wenn der Syn­oda­le Weg sei­ne Ideen unge­hin­dert in der Kir­che umge­setzt haben wür­de, könn­te das irgend jeman­den, der nicht ohne­hin schon zu die­sem mar­gi­na­len Milieu gehört, hin­ter dem Ofen her­vor­locken und „die Lebens­qua­li­tät von Reli­gi­on“ ent­decken lassen.

Die Wahr­heit ist, dass die von Sell­mann kri­ti­sier­te kirch­li­che Selbst­be­züg­lich­keit gera­de für die sell­mann­sche Posi­ti­on sel­ber gilt: man ent­wirft nach den eige­nen Vor­lie­ben eine Kir­che für jene, die die­se Vor­lie­ben auch besit­zen. Aller­dings befürch­te ich, dass Sell­mann sein sto­ry-tel­ling bereits so lan­ge und unwi­der­spro­chen betrie­ben hat, dass er sein eige­ner Glau­bens­jün­ger gewor­den ist. Viel­leicht wird er sel­ber aber noch erle­ben müs­sen, dass das von ihm gefor­der­te „ener­gi­sche Umsteu­ern in der Beru­fungs­pa­sto­ral“ ledig­lich dazu füh­ren wird, dass die Sell­manns in der Sell­mann-Kir­che unge­stört unter sich sein kön­nen – für eine rela­tiv kur­ze Wei­le, denn das kirch­li­che Sell­mann-Milieu, das in sei­ner Selbst­fi­xie­rung die ulti­ma­ti­ve Zuspit­zung des Spie­ßer­tums ist, wird inner­halb der näch­sten Jahr­zehn­te „aus­trock­nen“. Übrig blei­ben wird ein skl­ero­ti­sier­tes Gebil­de wie der heu­ti­ge Anglikanismus.

Der sich selbst aufhebende Funktionalismus

Für die soeben for­mu­lier­te Pro­gno­se gibt es nicht nur eine sozio­lo­gi­sche, son­dern auch eine kor­re­lie­ren­de phi­lo­so­phisch-theo­lo­gi­sche Plau­si­bi­li­tät. Sell­mann begreift in sei­nem „bestimm­ten Kir­chen­bild“ das Sein der Kir­che streng funk­tio­nal. Die Kir­che ist dazu da, nütz­lich zu sein. Die­se For­mu­lie­rung kann man durch­aus akzep­tie­ren. Aller­dings sind zum rich­ti­gen Ver­ständ­nis die­ses Sat­zes Vor­über­le­gun­gen und Ein­ord­nun­gen notwendig.

Zwecke gibt es nur dann, wenn es End­zwecke gibt. End­zwecke sind dadurch defi­niert, dass sie sel­ber kei­ne Funk­ti­on mehr an der Errei­chung von etwas ande­rem sind. End­zwecke sind also Selbst­zwecke, und sie bestim­men die ihnen unter­ge­ord­ne­ten Par­ti­ku­lar­zwecke, die erfüllt sein müs­sen, damit irgend­wann der End­zweck erreicht wer­den kann. Gäbe es kei­ne End­zwecke, gäbe es nur zweck­lo­se Vor­komm­nis­se, eine ziel­lo­se Rei­he von sinn­lo­sen Fak­ti­zi­tä­ten. Ich will die­se phi­lo­so­phi­sche Ana­ly­tik der Natur von Zwecken jetzt gar nicht wei­ter­trei­ben, son­dern sogleich ins theo­lo­gi­sche Feld wech­seln, um den Nihi­lis­mus der sell­mann­schen Posi­ti­on zu beschreiben.

Nach Sell­mann ist die Kir­che in ihrem Wesen ein Mit­tel, das der Errei­chung jenes Zweckes dient, den Sell­mann als das „zukunfts­fä­hi­ge Zusam­men­le­ben aller“ defi­niert. Die­ser Zweck ist nach Sell­mann für die Kir­che also deren End­zweck. Des­we­gen ist Sell­manns For­de­rung kon­se­quent, dass die Kir­che dort, wo sie die­se Idee ihrer selbst noch nicht adäquat rea­li­siert, an der ent­spre­chen­den Gestal­tung ihres Mit­tel-Cha­rak­ters arbei­ten müs­se. Dar­um muss es die von Sell­mann inten­dier­te Nach­rü­stung bei den unter­ge­ord­ne­ten Zweck­rei­hen geben. Vor allem muss die Aus­wahl des Per­so­nals und die kon­kre­te Aus­bil­dung der Prie­ster und ande­rer Mit­ar­bei­ter des kirch­li­chen Betrie­bes effi­zi­en­ter auf die Errei­chung des Zweckes der Sub­stan­ti­ie­rung des ein­schlä­gi­gen Mit­tel-seins der Kir­che aus­ge­rich­tet sein, das dem eigent­li­chen Zweck der För­de­rung des gesell­schaft­li­chen All­ge­mein­wohls dient.

Die zen­tra­le theo­lo­gi­sche Fra­ge, die von Sell­mann aber nicht dis­ku­tiert wird, red­li­cher­wei­se jedoch pri­mär dis­ku­tiert gehört, lau­tet, ob das gesell­schaft­li­che All­ge­mein­wohl für die Per­spek­ti­ve der Reli­gi­on, in Son­der­heit der christ­li­chen Reli­gi­on, über­haupt ein sol­cher sie radi­kal bestim­men­der End­zweck sein kann. Der blo­ße Umstand, dass die­se Auf­fas­sung die­je­ni­ge des Herrn Sell­mann und sei­ner Freun­de vom Syn­oda­len Weg ist, stellt ja noch kei­nen Aus­weis ihrer Vali­di­tät dar. Zu erör­tern ist also die Fra­ge, ob die christ­li­che Reli­gi­on von sich selbst her mög­li­cher­wei­se Zwecke besitzt, deren Errei­chen sie in der Tat die­nen soll, die aber nicht mit den Zweck­set­zun­gen der säku­la­ren Gesell­schaft iden­tisch sind, wor­aus im Übri­gen nicht zwin­gend fol­gen wür­de, dass sol­che genu­in eige­nen Zweck­set­zun­gen dem „zukunfts­fä­hi­gen Zusam­men­le­ben aller“ zuwi­der­lau­fen. Die­se Fra­ge ist sach­lich eng­stens ver­bun­den mit den Fra­gen, wor­in die von Sell­mann bemüh­te „Lebens­qua­li­tät von Reli­gi­on“ in Wahr­heit besteht und wel­che Dienst­an­ge­bo­te der Kir­che von Men­schen tat­säch­lich als so „attrak­tiv“ betrach­tet wer­den, dass sie sie für uner­setz­bar hal­ten. Die letzt­ge­nann­te Fra­ge impli­ziert nichts Gerin­ge­res als die Fra­ge nach der Natur des Men­schen und zugleich der Zukunfts­fä­hig­keit der Kirche.

Pasto­ral­for­scher Sell­mann spricht ja nicht dar­über, wie sich Kran­ken­kas­sen zum „zukunfts­fä­hi­gen Zusam­men­le­ben aller“ ver­hal­ten, son­dern er han­delt von der Bestim­mung der Reli­gi­on, womit in die­sem Fall die katho­li­sche Kir­che gemeint ist. Was unter­schei­det die Kir­che von einer Kran­ken­kas­se? Es muss einen Unter­schied geben, sonst wür­de die Bezeich­nung „Kir­che“ ihre begriff­li­che Abgrenz­bar­keit ver­lie­ren und nichts­sa­gend wer­den. Die Kir­che ist genau des­we­gen kei­ne Kran­ken­kas­se, son­dern eine reli­giö­se Insti­tu­ti­on, weil sie von Gott han­delt, und zwar vom Ver­hält­nis von Gott und Mensch. Als christ­li­che Reli­gi­on ist sie offen­sicht­lich auch dadurch defi­niert, dass sie sich bei ihrer Bestim­mung des Ver­hält­nis­ses von Gott und Mensch auf Jesus Chri­stus bezieht. Also lau­tet die ent­schei­den­de Fra­ge, wie die genann­ten Ter­mi­ni je für sich und in ihrem wech­sel­sei­ti­gen Ver­hält­nis bestimmt werden.

Tat­säch­lich fin­det sich bei Sell­mann dazu ein Hin­weis. Sell­mann spricht näm­lich von der Auf­ga­be der Kir­che, „Gott zu zei­gen“. Und zwar soll sie „Gott zei­gen“ als „kon­kre­te Res­sour­ce für ein zukunfts­fä­hi­ges Zusam­men­le­ben aller“. Das heißt: Die ekkle­sio­lo­gi­sche End­zweck­leh­re wird von Sell­mann in der eigent­lich theo­lo­gi­schen Rede nicht ver­las­sen, son­dern umge­kehrt wird die Rede von Gott die­ser End­zweck­leh­re ein­ge­glie­dert. Das also ist der sell­mann­sche Gott: eine Funk­ti­on am Funk­tio­nie­ren der mensch­li­chen Gesell­schaf­ten. Für den spe­zi­fi­schen Begriff der Kir­che bedeu­tet das, dass die Kir­che im Unter­schied zu den Res­sour­cen einer Kran­ken­kas­se für das sozia­le Funk­tio­nie­ren Gott als „kul­tu­rel­le Res­sour­ce“ ein­speist. Mit den Kran­ken­kas­sen gemein­sam hat sie aller­dings den auch sie defi­nie­ren­den Auf­trag, sich sel­ber als ein Mit­tel zu eben die­sem Zweck des zukunfts­fä­hi­gen Zusam­men­le­bens aller zu begrei­fen. Theo­lo­gie und Sozio­lo­gie sind iden­tisch geworden.

Das hat jedoch zur not­wen­di­gen Kon­se­quenz, dass die Got­tes­re­de prin­zi­pi­ell ersetz­bar gewor­den ist. Etwas funk­tio­nal zu bestim­men, heißt ja, es als etwas zu bestim­men, für das es grund­sätz­lich auch Äqui­va­len­te geben könn­te. Und genau das ist gegen­wär­tig der Fall: Säku­la­re Gesell­schaf­ten refe­rie­ren zur Absi­che­rung ihrer Zukunfts­fä­hig­keit gera­de nicht mehr auf die Theo­lo­gie, son­dern auf ande­re Grö­ßen; sie haben Gott also funk­tio­nal ersetzt. Einer der Grün­de für die­se Erset­zung war im Übri­gen, dass die Got­tes­re­de sich für eben den Zusam­men­halt der Gesell­schaft als dys­funk­tio­nal erwie­sen hat­te. Nun wür­de Sell­mann sagen, dass sich die christ­li­che Reli­gi­on von die­sem sozi­al dys­funk­tio­na­len Gott ver­ab­schie­det habe oder sich ver­ab­schie­den müs­se, um zu errei­chen, dass Gott eine kul­tu­rel­le Res­sour­ce für den sozia­len Zusam­men­hang sei. Aber hier dreht sich die Sache im Kreis. Denn wozu soll man die­se kul­tu­rel­le Res­sour­ce bemü­hen, wenn es auch ohne sie geht und Gott auf­grund sei­ner funk­tio­na­len Seins­be­stim­mung gar kei­ne Selbst­an­sprü­che mehr erhebt oder spe­zi­fi­sche Lei­stun­gen jen­seits einer Funk­ti­on für das Funk­tio­nie­ren der Gesell­schaft erbringt, die ihn begriff­lich und prak­tisch uner­setz­bar machen?

Die Fra­ge ist also, was die Uner­setz­bar­keit Got­tes und damit auch der Kir­che begrün­den könn­te. Dar­auf kann es nur eine Ant­wort geben: Gott muss als abso­lu­ter Selbst­zweck und gera­de in sei­ner Selbst­zweck­lich­keit als der End­zweck des mensch­li­chen Lebens ver­stan­den wer­den. Damit ist der eigen­tüm­li­che, aber alles ent­schei­den­de Sach­ver­halt for­mu­liert, dass nur dann, wenn das Gott­sein Got­tes nicht funk­tio­nal bestimmt wird, Gott für den Men­schen prin­zi­pi­ell uner­setz­bar ist und als der Nicht­funk­tio­na­li­sier­ba­re zugleich die bedeu­tend­ste aller Funk­tio­nen besitzt. In der from­men Spra­che des hei­li­gen Igna­ti­us von Loyo­la, der hier nur die Aus­sa­gen des Kate­chis­mus wie­der­holt, klingt das so: „Der Mensch ist geschaf­fen dazu hin, Gott Unse­ren Herrn zu loben, Ihn zu ver­eh­ren und Ihm zu die­nen, und so sei­ne See­le zu ret­ten.“ Die­ser Satz trans­por­tiert den abso­lut zen­tra­len theo­lo­gi­schen Gedan­ken: Got­tes Sein ist um sei­ner selbst wil­len da, und Got­tes grund­le­gen­de Tätig­keit besteht dar­in, sich selbst als das Sein, das er ist, zu fei­ern. Gott ver­herr­licht sich selbst. Und das ist des­we­gen kein Wider­spruch zu sei­ner ech­ten Lie­be zu uns, weil er sich ja als die Lie­be ver­herr­licht, die er ist, und auf­grund der er für uns in den Tod geht. In Gott fal­len Selbst­be­züg­lich­keit und Selbst­lo­sig­keit voll­kom­men in eins. Und weil Gott Gott ist, kann des Men­schen höch­ste Tätig­keit allein dar­in bestehen, die Gott­heit Got­tes und deren Selbst­lie­be zu lie­ben, also Gott um Got­tes sel­ber wil­len zu lie­ben und alles „zur grö­ße­ren Ehre Got­tes“ zu tun. Und eben dar­in besteht die Ret­tung und das höch­ste Glück des Men­schen. Es ist die Erfül­lung sei­nes Wesens. In der Tat braucht der Mensch Gott. Aber er braucht ihn gera­de als den, der sel­ber nicht mehr durch das mensch­li­che Gebraucht­wer­den defi­niert ist.

Wer Gott als „kul­tu­rel­le Res­sour­ce“ bestimmt, hat von Anfang an ver­lo­ren. Jede funk­tio­na­li­sti­sche, mit­hin anthro­po­zen­tri­sche Theo­lo­gie krankt ansatz­be­dingt dar­an, dass sie ihren Gegen­stand und damit auch sich sel­ber zum Ver­schwin­den bringt. Iro­ni­scher­wei­se erweist sich die funk­tio­na­li­sti­sche Theo­lo­gie, unter ande­rem die des Mat­thi­as Sell­mann, unter funk­tio­na­len Rück­sich­ten gera­de als dys­funk­tio­nal. Dem­ge­gen­über muss eine Kir­che, die sich als sie sel­ber zur Gel­tung brin­gen will, dar­auf insi­stie­ren, die Mis­si­on zu besit­zen, den Men­schen zur zweck­frei­en Anbe­tung Got­tes zu bekeh­ren. Wür­den alle Men­schen durch die Mis­si­on der Kir­che ihre eige­ne Natur ent­decken, die dadurch defi­niert ist, auf Got­tes Ver­herr­li­chung als ihren End­zweck hin­ge­ord­net zu sein, wür­de sich, dafür möch­te ich eine Garan­tie abge­ben, das „zukunfts­fä­hi­ge Zusam­men­le­ben aller“ schon ein­stel­len, und zwar wür­de es sich von allein einstellen.

Es wür­de sich über­haupt nur auf die­sem Wege ein­stel­len. Ob die­ses Zusam­men­le­ben dann aller­dings jenen inhalt­li­chen Zuschnitt hät­te, der Mat­thi­as Sell­mann und den Syn­oda­len des Syn­oda­len Weges gefal­len wür­de, ist eine ande­re Fra­ge. Gleich­wohl wäre es sogar das allein „zukunfts­fä­hi­ge Zusam­men­le­ben aller“. Bedeut­sam ist an die­ser Stel­le jedoch vor allem die Erkennt­nis, dass sich gera­de dann, wenn das zukunfts­fä­hi­ge Zusam­men­le­ben sel­ber das zen­tra­le theo­lo­gi­sche Prin­zip gewor­den ist, dem Gott als Res­sour­ce zu die­nen hat, das gewünsch­te Resul­tat nie­mals erge­ben wird. Die onto­lo­gi­schen Ver­hält­nis­se müs­sen kor­rekt bestimmt wer­den. Des­we­gen sind Men­schen, wenn sie sich reli­gi­ös anspre­chen las­sen, auch nur an jener Got­tes­re­de inter­es­siert, die Gott als den zeigt, der Gott an sich selbst in Wahr­heit ist. Der Mensch möch­te der selbst­zweck­li­chen Gott­heit die­nen, und wenn ihm die­ser Gott nicht gezeigt wird, sucht der Mensch sich ande­re, unbe­kömm­li­che Göt­ter, denen er opfern kann. Die schein­bar men­schen­freund­li­chen Göt­ter des Syn­oda­len Weges sind sol­che unbe­kömm­li­chen Göt­ter, vor denen die katho­li­sche Theo­lo­gie die Men­schen war­nen sollte.

Was mag das wah­re Motiv sein, aus dem die „bestimm­te Theo­lo­gie“ Sell­manns Gott zum Ver­schwin­den bringt und sich damit sel­ber und die Kir­che in eine sozio­lo­gi­sche Funk­ti­on hin­ein auf­hebt? War­um postu­liert Sell­mann das „zukunfts­fä­hi­ge Zusam­men­le­ben aller“ als den eigent­li­chen Zweck der Reli­gi­on? War­um gleicht sich Sell­mann dem funk­tio­na­li­sti­schen Para­dig­ma völ­lig an, das zum Leit­pa­ra­dig­ma der neu­zeit­li­chen Zivi­li­sa­ti­on über­haupt gewor­den ist? War­um zieht Sell­mann gegen die zu Fel­de, die – wie die inkri­mi­nier­ten Prie­ster – genau die umge­kehr­te, also die nicht in das funk­tio­na­li­sti­sche Den­ken kon­ver­tier­ba­re theo­zen­tri­sche Onto­lo­gie zur Gel­tung bringen?

Ich ver­mu­te, dass es sich hier so ver­hält wie bei Nietz­sche. Der gött­li­che Gott ist als End­zweck des mensch­li­chen Daseins schon längst gestor­ben, der Glau­be an ihn ist lan­ge tot. Er ist ersetzt wor­den durch den Men­schen, durch das „zukunfts­fä­hi­ge Zusam­men­le­ben aller“, und dass die Rede von Gott nur noch um die­ses neu­en imma­nen­ti­sti­schen End­zweckes wil­len bemüht wird, indi­ziert unfehl­bar den Nihi­lis­mus. Aber der Nihi­lis­mus ist nach Nietz­sche des­we­gen „der unheim­lich­ste aller Gäste“, weil er von hin­ter­wärts ange­schli­chen kommt und sich her­vor­ra­gend zu ver­schlei­ern ver­steht, und zwar gera­de durch das ener­gi­sche Enga­ge­ment für den Got­tes­er­satz. Die Kun­de vom toten Gott muss noch längst nicht, so belehrt uns Nietz­sches „tol­ler Mensch“, zu den Ohren derer vor­ge­drun­gen sein, die nicht mehr an Gott glauben.

Man kann sich lan­ge etwas vor­ma­chen. Die Grö­ße Nietz­sches besteht aber dar­in, sich irgend­wann nichts mehr vor­ge­macht zu haben und ehr­lich gewor­den zu sein. Aller­dings sei ihm dies erst zu einem spä­ten Zeit­punkt gelun­gen, bekennt Nietz­sche. Aber da war Nietz­sche doch zwan­zig Jah­re jün­ger, als Sell­mann heu­te ist.

Bild: MiL


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