Heute vor 60 Jahren wurde das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet – und es gibt Neuentdeckungen

Die Botschaft von Kardinal Mario Grech


Die Synodalität und das Zweite Vatikanische Konzil
Die Synodalität und das Zweite Vatikanische Konzil

(Rom) Die Dis­kus­sio­nen über das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil kom­men auch Jahr­zehn­te nach sei­nem Ende nicht zur Ruhe. Mit bemer­kens­wer­ter Ver­bis­sen­heit wird an der Les­art fest­ge­hal­ten, das Kon­zil habe einen „neu­en Früh­ling“ für die Kir­che gebracht – oder zumin­dest fast. Gewich­ti­ger noch: Im Umkehr­schluß wird vor allem insi­nu­iert, daß es ohne das Kon­zil für die Kir­che „noch schlim­mer“ gekom­men wäre. Ein „Was wäre, wenn“ als Argu­men­ta­ti­ons­ba­sis? Kam es nun, nach Jahr­zehn­ten, sogar zu einer Art ver­spä­te­ter Neuentdeckung?

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Zwei Eck­da­ten ver­an­schau­li­chen das Gesche­he­ne: Seit dem Beginn des Kon­zils bra­chen die Prie­ster­wei­hen in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land im Ver­hält­nis von 100 auf 10 ein. Glei­ches geschah bei den Got­tes­dienst­be­su­chern von 1965 bis 2019. In den ver­gan­ge­nen zwei­ein­halb Jah­ren soll sich die­ser Wert – coro­na­maß­nah­men­be­dingt – sogar auf 5 redu­ziert haben. Den­noch ist alles „im grü­nen Bereich“, es lebe das Kon­zil, denn sonst wäre alles „noch schlim­mer“ gekom­men. Im Ernst?

Ein kau­sa­ler Zusam­men­hang zwi­schen die­sem bei­spiel­los kata­stro­pha­len Nie­der­gang und dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil scheint offen­sicht­lich, den­noch herrscht eine Ver­wei­ge­rungs­hal­tung, die Doku­men­te des Kon­zils und vor allem die Maß­nah­men der Nach­kon­zils­zeit auf den Prüf­stand zu stellen.

Statt­des­sen wer­den uner­war­te­te Ent­deckun­gen präsentiert.

Nach dem Kon­zil wur­den, vor allem Ende der 60er und Anfang der 70er Jah­re, eine Viel­zahl von Neue­run­gen in Kraft gesetzt wie die Lit­ur­gie­re­form, die auf einen angeb­li­chen Auf­trag des Kon­zils zurück­ge­führt wur­den, ohne daß ein sol­cher Nach­weis erbracht wurde.

Dar­an knüpf­te nun offen­bar Kar­di­nal Mario Grech an, der Gene­ral­se­kre­tär der Bischofs­syn­ode. Aus Anlaß des 60. Jah­res­ta­ges der Eröff­nung des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils am heu­ti­gen 11. Okto­ber ver­öf­fent­lich­te der Kar­di­nal eine Bot­schaft. Dar­in führt er aus, daß die „Syn­oda­li­tät“, ein von Papst Fran­zis­kus gepräg­ter Neo­lo­gis­mus, der sich in kei­nem Doku­ment des Kon­zils fin­det und auch sonst in kei­nem Zusam­men­hang mit die­sem nach­weis­bar ist, bereits auf die­ses zurück­ge­he und zu sei­nem „kost­bar­sten Erbe“ gehöre:

„Zweck der Syn­ode war und bleibt der, im Leben und der Mis­si­on der Kir­che, den Stil des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils zu ver­län­gern sowie im Volk Got­tes die leben­di­ge Aneig­nung sei­ner Leh­ren zu fördern.“

Kar­di­nal Grech schreibt in sei­ner Bot­schaft noch mehr:

„Der aktu­el­le syn­oda­le Pro­zeß, der der ‚Syn­oda­li­tät im Leben und der Mis­si­on der Kir­che‘ gewid­met ist, steht in der Tra­di­ti­on des Kon­zils. Syn­oda­li­tät ist durch­gän­gig ein Kon­zils­the­ma, auch wenn sich die­ser Begriff, der erst kürz­lich geprägt wur­de, nicht aus­drück­lich in den Doku­men­ten der öku­me­ni­schen Ver­samm­lung fin­det. Die Magna Char­ta der Syn­ode 2021–2023 ist die Leh­re des Kon­zils über die Kir­che, ins­be­son­de­re sei­ne Theo­lo­gie des Vol­kes Got­tes, eines Vol­kes mit „der Wür­de und der Frei­heit der Kin­der Got­tes, in deren Her­zen der Hei­li­ge Geist wie in einem Tem­pel wohnt (Lumen Gen­ti­um 9).“

Die „Syn­oda­li­tät“, der „syn­oda­le Pro­zeß“ und viel­leicht sogar der anstoß­ge­ben­de deut­sche „syn­oda­le Weg“ waren laut Kar­di­nal Grech also schon über 60 Jah­re da, nur hat­te es kei­ner bemerkt. Wahr­schein­lich so, wie zwei­tau­send Jah­re lang nie­mand bemerkt hat­te, daß die Kir­che „unrecht­mä­ßig“ wie­der­ver­hei­ra­te­te Geschie­de­ne von der Kom­mu­ni­on aus­schließt und – hor­ri­bi­le dic­tu – seit Jahr­tau­sen­den Homo­se­xu­el­le… Doch zurück zum kon­kre­ten Fall. 

Kar­di­nal Grech, der sei­ne Bot­schaft in meh­re­ren Spra­chen ver­öf­fent­lich­te, war Bischof von Gozo auf Mal­ta, bevor ihn Papst Fran­zis­kus am 2. Okto­ber 2019 zum Pro-Gene­ral­se­kre­tär und am 15. Sep­tem­ber 2020 zum Gene­ral­se­kre­tär der Bischofs­syn­ode ernann­te. Am 28. Novem­ber 2020 kre­ierte ihn Fran­zis­kus zum Kar­di­nal. Die Bischofs­syn­ode war von Paul VI. am 15. Sep­tem­ber mit dem Motu pro­prio Apo­sto­li­ca solli­ci­tu­do errich­tet wor­den und trat erst­mals 1967 zusammen.

Zuvor war Kar­di­nal Grech als Bischof von Gozo wegen des umstrit­te­nen nach­syn­oda­len Schrei­bens Amo­ris lae­ti­tia inter­na­tio­nal bekannt gewor­den – und offen­bar auch in San­ta Mar­ta. Die bei­den Bischö­fe von Mal­ta, Msgr. Grech und Msgr. Charles Sci­clu­na, mach­ten den Insel­staat im Mit­tel­meer zum ersten Land der Erde, in dem Amo­ris lae­ti­tia im Sin­ne von Papst Fran­zis­kus umge­setzt wur­de. Dabei wur­de eine wenig erfreu­li­che Epi­so­de bekannt, laut der Bischof Grech sei­nen Prie­stern mit der Sus­pen­die­rung droh­te, soll­ten sie die Neue­run­gen von Amo­ris lae­ti­tia nicht umset­zen (vor allem die Zulas­sung wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­ner zur Kom­mu­ni­on). Als der Vor­fall öffent­lich bekannt wur­de, demen­tier­te Msgr. Grech, mit einem so radi­ka­len Vor­ge­hen gedroht zu haben.

Drei Jah­re spä­ter wur­de er von Papst Fran­zis­kus an die Römi­sche Kurie beru­fen und befördert.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL

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2 Kommentare

  1. Als Fol­ge der „katho­li­schen Restau­ra­ti­on“ stell­te die katho­li­sche Kir­che in der ersten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts in ihrer Gesamt­heit einen kom­pak­ten und weit­ge­hend homo­ge­nen Block dar, in dem die Fun­da­men­te des Glau­bens, Bibel und Tra­di­ti­on, auch unter dem Druck wis­sen­schaft­li­cher For­schung und sich rasant ver­än­dern­der Lebens­um­stän­de nie ernst­haft gefähr­det oder auch nur in Fra­ge gestellt erschie­nen. Das emo­tio­na­le Ein­heits- und Sicher­heits­er­leb­nis wur­de vor allem gestützt durch die latei­ni­sche Mes­se (in der „triden­ti­ni­schen“ Form Pius‘ V.); an ihr nah­men welt­weit – von Japan bis nach Nord­ame­ri­ka und vom Nord­pol bis nach Süd­afri­ka – Sonn­tag für Sonn­tag Mil­lio­nen von Katho­li­ken teil. Die latei­ni­sche Mes­se, die über­all in der glei­chen Form und Spra­che gefei­ert wur­de, gab den katho­li­schen Chri­sten das Gefühl einer welt­um­span­nen­den Zusam­men­ge­hö­rig­keit und Ver­bun­den­heit und das Erleb­nis einer rela­tiv über­zeit­li­chen und über­räum­li­chen Wirklichkeit. (…)
    Bis zum Beginn der 50er Jah­re brach­te die welt­um­span­nen­de Mis­si­ons­tä­tig­keit der katho­li­schen Kir­che die­ser jähr­lich einen impo­nie­ren­den Zuwachs an Mit­glie­dern. Auch ihr poli­ti­scher Ein­fluß nahm in vie­len der dama­li­gen Kolo­nien – beson­ders in Afri­ka – rasch zu. (…)
    In die­se Situa­ti­on hin­ein berief Papst Johan­nes XXIII. 1959 das 2. Vati­ka­ni­sche Kon­zil ein, das von Okto­ber 1962 bis Dezem­ber 1965 dau­er­te. Nach dem Wil­len und auf­grund der Plä­ne der vor­be­rei­ten­den Kom­mis­si­on hät­te die gro­ße Kir­chen­ver­samm­lung eigent­lich nur eine gran­dio­se Schau katho­li­schen Glau­bens und katho­li­scher Frei­heit im Ange­sicht der Welt wer­den sol­len. Der Fort­gang des Kon­zils ver­lief anders. Es kam ein demo­kra­ti­scher Pro­zeß in Gang, dem die mei­sten der vor­be­rei­te­ten Doku­men­te zum Opfer fie­len. In jah­re­lan­gem Rin­gen in den Kom­mis­sio­nen und im Ple­num im Peters­dom wur­den Tex­te erar­bei­tet, die kei­ne Bestands­auf­nah­me des immer schon Über­lie­fer­ten und „ewig Gül­ti­gen“ dar­stell­ten; sie wur­den zu Äuße­run­gen der Wei­ter­ent­wick­lung und Neu­ori­en­tie­rung; sie waren authen­ti­sche Ver­su­che eines Gesprächs mit einer Welt, die sich in ihren Denk­an­sät­zen und Wert­sy­ste­men, in ihren poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen und gesell­schaft­li­chen Struk­tu­ren ver­än­dert hat­te und wei­ter in einer immer rasche­ren Ver­än­de­rung begrif­fen war.
    Die bri­san­ten Doku­men­te des 2. Vati­ka­ni­schen Kon­zils betra­fen die inner­kirch­li­che Demo­kra­ti­sie­rung („Volk“ Got­tes statt „Mut­ter“ Kir­che; Kol­le­gia­li­tät der Bischö­fe); den Öku­me­nis­mus (die Dia­log­be­reit­schaft mit den nicht-katho­li­schen Chri­sten und den nicht-christ­li­chen Reli­gio­nen unter Ver­zicht auf den Anspruch auf den allei­ni­gen Heils­weg); die Reli­gi­ons­frei­heit (als Respekt für anders­ar­ti­ge reli­giö­se und welt­an­schau­li­che Über­zeu­gun­gen und Ver­zicht, eige­ne Über­zeu­gun­gen mit gesetz­li­chen oder ander­wei­ti­gem Druck- oder Macht­mit­teln Anders­den­ken­den auf­zu­drän­gen); und schließ­lich die Lit­ur­gie (ins­be­son­de­re die Erneue­rung der Messe.

    (Zitiert aus: Der Fun­da­men­ta­lis­mus von Mar­ti­on Oder­matt, Sei­ten 18 bis 20)

    Das sagt ja wohl alles.

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