![Viktor Orban](https://katholisches.info/tawato/uploads/2024/05/Viktor-Orban.jpg)
Derzeit geht es vor allem um Krieg, weniger um Frieden. Eine Gegenstimme im Chor ist Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. In einem Interview mit der ungarischen Website Index warnte Orbán vor noch tragischeren Entwicklungen:
„Heute gibt es in Brüssel eine Mehrheit von Kriegsbefürwortern. Die Stimmung in der EU ist kriegerisch. Die Logik des Krieges beherrscht die Politik. Ich sehe Kriegsvorbereitungen von allen und überall. Der NATO-Generalsekretär hat gesagt, er wolle eine Bündnismission in der Ukraine einrichten. Die europäischen Staats- und Regierungschefs sind bereits in diesen Krieg verwickelt, sie betrachten diesen Krieg als ihren Krieg und führen ihn auch als solchen.
Zuerst ging es nur darum, Helme zu schicken, dann ging es um Sanktionen, aber natürlich nicht um Energie. Dann ging es um die Lieferung von Waffen: erst Schußwaffen, dann Panzer, dann Flugzeuge, um Finanzhilfen in Höhe von mehreren Dutzend Milliarden und jetzt 100 Milliarden. Diese Waffen verbessern die Lage nicht, im Gegenteil, sie verschlechtert sich. Wir sind nur mehr einen Schritt davon entfernt, daß der Westen Soldaten in die Ukraine schickt. Dieser militärische Strudel kann Europa in den Abgrund reißen. Brüssel spielt mit dem Feuer und läßt Gott erzürnen.“
Auf Facebook bekräftigte Orbán zwei Tage später, am 21. April:
„Das ist nicht unser Krieg. Wir wollen ihn nicht und wir wollen nicht, daß Ungarn wieder zum Spielball der Großmächte wird.“
Diese eloquenten Worte sollte jeder EU-Bürger kennen. Orbán wird von unserem Mainstream jedoch geschnitten. Die Nachrichten über ihn werden in einer Negativauslese gefiltert. Ungarns Ministerpräsident wird als Schmuddelkind in den eigenen Reihen präsentiert. Diese Verzerrung macht die Schieflage deutlich, die mit dem zu tun hat, was Orbán kritisiert.
Seine Aussagen werden hingegen Papst Franziskus, der seit 2022 nach Kräften bemüht ist, sich der Vereinnahmung durch die Kriegstreiber zu entziehen, nicht mißfallen haben.
Franziskus empfing just am 25. April, heute vor einer Woche, den neuen ungarischen Staatspräsidenten Tamás Sulyok in Audienz, der das Amt von Katalin Novák übernahm, nachdem diese Ende Februar zurückgetreten war. Es war offenbar ein sehr herzliches Treffen, bei dem zahlreiche Fragen diskutiert wurden, die die heutige Gesellschaft bewegen. Der Papst bekräftigte, man höre, daß er sich mit den Ungarn gut verstehe, so sehr, daß er dies beim Gruppenfoto am Ende der Audienz mit einem Lächeln zum Ausdruck brachte.
![](https://katholisches.info/tawato/uploads/2024/05/Papst-Franziskus-Ungarns-Staatspraesident.jpg)
Das will etwas heißen, wenn man weiß, welche demonstrative Abneigung Franziskus gegenüber nicht-linken Politikern an den Tag legt. Jene in der Opposition sind kategorisch vom Zugang zu Santa Marta ausgeschlossen. Jene in der Regierung werden aus protokollarischen Gründen zwar empfangen, weil das die internationalen diplomatischen Gepflogenheiten so gebieten. Die Mimik für das obligate Presse- und Erinnerungsfoto macht jedoch den Unterschied. Kräftiges Lachen mit Barack Obama, finsterer Grabesblick mit Donald Trump…
Auch das anschließende Gespräch Sulyoks im Staatssekretariat, mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin und dem vatikanischen Außenminister Erzbischof Paul Gallagher, war sehr ausführlich und herzlich. Beide Seiten brachten insbesondere ihre tiefe Trauer über die anhaltenden Verluste an Menschenleben in der Ukraine zum Ausdruck und waren sich einig, daß ein sofortiger Waffenstillstand mit Blick auf Friedensverhandlungen notwendig ist. Es besteht kein Zweifel daran, daß der Heilige Stuhl und Ungarn heute in ihrer Ablehnung weiterer kriegerischer Entwicklungen in der Ukraine und auch in der Suche nach einem Waffenstillstand, der als unerläßlich gesehen wird, um weitere Tote, weitere Flüchtlinge und weitere Zerstörung zu verhindern, auf einer Linie liegen.
Am selben Donnerstag vor einer Woche, dem Markustag, traf der Papst in der großen Audienzhalle des Vatikans mit einer sehr großen Gruppe ungarischer Pilger zusammen, die von Kardinal Peter Erdö, dem Erzbischof von Esztergom-Budapest und Primas von Ungarn, angeführt wurde.
Ein Jahr nach seinem bereits – man beachte – zweiten Besuch in Ungarn betonte Franziskus, daß er dort als Pilger, Bruder und Freund unterwegs war. Drei Zitate auf Ungarisch, was von den Anwesenden sehr geschätzt wurde: Isten áld meg a magyart! Gott segne die Ungarn! Aber auch ein Herrenwort, das Paulus in der Apostelgeschichte zitiert: „Geben ist seliger als nehmen.“ Ein Wort, das den Reformierten besonders kostbar ist, die in Ungarn eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Viktor Orbán und eine Reihe seiner Minister sind Reformierte.
Schließlich verabschiedete sich Franziskus mit einem ungewöhnlichen Zusatz. Er rief die Anwesenden wie gewohnt auf, auch für ihn zu beten, ergänzte diese Bitte jedoch mit dem Zusatz: „Für mich, nicht gegen mich.“
Diese erstaunliche Formulierung gebrauchte Franziskus erstmals kurz nach seinem zehnten Thronjubiläum. Am 27. März 2023 empfing er Seminaristen der italienischen Region Kalabrien und verabschiedete sich von ihnen mit eben diesen Worten, für ihn und nicht gegen ihn zu beten. Damit machte Franziskus unmißverständlich deutlich, zu wissen, welchen Widerstand und welche tiefsitzende Ablehnung sein Pontifikat in Teilen des Klerus und der Gläubigen findet.
Seither wiederholte er diese in der Papstgeschichte wohl beispiellose Formel am 30. November 2023 gegenüber den Mitgliedern der Internationalen Theologenkommission des Heiligen Stuhls, also einem hochkarätigen Gremium, und gegenüber Mitgliedern der deutschen Gesellschaft Katholischer Publizistinnen und Publizisten am 4. Januar 2024.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Facebook/Viktor Orbán/VaticanMedia (Screenshots)