(Rom) Es war Italiens rechte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die auf X (vormals Twitter) die Nachricht bekanntgab: Papst Franziskus wird am bevorstehenden G7-Gipfel über Künstliche Intelligenz teilnehmen. Die Präsenz von Franziskus wird die erste eines Papstes an diesem Zusammenschluß der westlichen Macht sein.
Der Wettlauf zwischen G7 und BRICS
Die Gruppe der Sieben (G7) ist ein informeller Zusammenschluß der sieben wichtigsten Staaten der sogenannten westlichen Welt, womit die US-Hemisphäre gemeint ist, wie sie aus dem Zweiten Weltkrieg hervorging. Aus diesem Grund befinden sich auch die Bundesrepublik Deutschland, Italien und Japan in diesem Kreis, also Länder, die in der Geschichte vor 1945 nicht zum Westen gezählt wurden. Durch die Einbindung der EU sind indirekt auch die 24 EU-Mitgliedsstaaten vertreten, die nicht zur G7 gehören.
Die Gruppe wurde 1975 gebildet und kurzzeitig von 1998 bis 2014 um Rußland zur G8 erweitert. Das war zu einem Zeitpunkt, als das demokratisch regierte Washington unter Bill Clinton davon ausging, Rußland füge sich in das US-Imperium ein, was sich mit der Wahl von Wladimir Putin zum russischen Präsidenten zunehmend als Illusion erwies. Putin war zwar zunächst an einer NATO-Mitgliedschaft interessiert, allerdings auf Augenhöhe. Das wurde von der US-Regierung abgelehnt, was zu einer Neuausrichtung der russischen Außenpolitik führte. Als in Washington wiederum die Demokraten regierten, nunmehr Obama mit seinem Vize Biden, schwenkten die USA auf einen Konfrontationskurs um. Der Zankapfel war schon damals die Ukraine, um die nun gekämpft wird. So wurde die G8 vor zehn Jahren wieder zur G7 zurückgebaut.
Mit BRICS, einem ebensolchen informellen Zusammenschluß, ist der G7 ein direkter Konkurrent erwachsen, der in den vergangenen zwei Jahren auf russische und chinesische Initiative hin an Bedeutung gewonnen hat. Die BRICS-Staaten zählen neun Mitglieder, keines aus der westlichen Hemisphäre. Auf wirtschaftlicher Ebene nähern sich die beiden Gruppen an. Beim nominellen BIP führen die G7-Staaten mit 43 Prozent (BRICS 27,5 Prozent), doch bei der Kaufkraftparität liegen die BRICS-Staaten mit 34,6 Prozent in Führung (G7: 30,3 Prozent), ebenso bei Bevölkerung mit 45 Prozent (G7: 9,7 Prozent) und Fläche mit 29 Prozent (G7: 14,6 Prozent).
Papst Franziskus, Globalismus und Westbindung
Bekanntlich redet Papst Franziskus nicht mit Politikern der politischen Rechten, solange sie nicht regieren. Giorgia Meloni ist seit Oktober 2022 Italiens Ministerpräsidentin, und an Verbindungskanälen zwischen den italienischen Regierungspalästen und dem Vatikan mangelt es traditionell nicht. Dennoch erstaunt dieser Schulterschluß, da Franziskus gerne seine Präferenz für eine multipolare Welt betont. Giorgia Meloni fädelte die Einbindung des Papstes ein, die sie als Zierde ihrer Gastgeberschaft des G7-Gipfels präsentierte und der Öffentlichkeit auch so vermittelt wird. Die Bedeutung geht aber wesentlich tiefer.
Papst Franziskus war es, der offizielle Vatikanvertreter zum Weltwirtschaftsforum nach Davos entsandte und Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin zum Bilderbergertreffen schickte, alles Veranstaltungen und Zirkel, von denen sich die Vorgängerpäpste fernhielten. Ebenso hielt Franziskus im Glaspalast der UNO in New York 2015 die Festrede vor der Verabschiedung der Agenda 2030. Siehe auch: Papst Franziskus liefert die Kirche der UNO aus. Entscheidend sind dabei nicht Etiketten und Institutionen, sondern die dahinterstehende und von diesen Einrichtungen vertretene Haltung.
Nun sind die Ebenen von WEF und Bilderbergern als private Zusammenkünfte und die UNO und die G7 gänzlich verschieden, doch aufs engste miteinander verzahnt. Das hat mit den Entscheidungsfindungsprozessen zu tun, bei denen die institutionelle Ebene gegenüber privaten Zirkeln, anders als gemeinhin vermittelt, entschieden eine untergeordnete Rolle spielt.
Die Teilnahme am G7-Gipfel stellt eine weitere Etappe in der einseitigen Westbindung dar, die erstaunlicherwesie ausgerechnet der Anti-Gringo-Papst vollzieht, wo doch seine Vorgänger, die sich vor solchen Schritten hüteten, als weit „westlicher“ eingestuft und wahrgenommen wurden als der Pontifex aus Argentinien. Doch das gehört zu den Geheimnissen und Paradoxa dieses Pontifikats.
Die RenAIssance Foundation von Papst Franziskus
Der G7-Gipfel wird vom 13. bis 15. Juni im italienischen Apulien stattfinden.
Zum Thema Künstliche Intelligenz errichtete Franziskus vor drei Jahren zusammen mit Brad Smith, dem Vize-Präsidenten von Microsoft, und John Kelly III., Vizepräsident von IBM, die RenAIssance Foundation.
Ziel sei es, so Meloni, ein ethisches Regelwerk für die Künstliche Intelligenz „im Einsatz für den Menschen“ zu schaffen. Dabei könne, so Italiens Regierungschefin, „der Beitrag des Papstes entscheidend sein“.
Diese ethische Frage stellt sich grundsätzlich und dringend, da die technischen Möglichkeiten gerade einen gigantischen Schritt machen. Es geht aber auch um einen globalen ökonomischen und politischen Wettlauf zwischen Gleichgewicht und Hegemonie. Die Interessen, um die es geht, sind enorm. Ein Beleg dafür ist, daß Tech-Konzerne nicht nur die größte Marktkapitalisierung haben, sondern über Daten und Informationen verfügen, die jeden totalitären Diktator des 20. Jahrhunderts erblassen lassen, und die Staaten selbst zunehmend auf Tech-Konzerne angewiesen sind, ob auf ihre Satelliten wie im Ukraine-Krieg oder zur praktischen Umsetzung der politisch vorangetriebenen Digitalisierung.
In den vergangenen Jahrzehnten besaß als Zentralbehörde nur das Innenministerium die personenbezogenen Daten aller Bürger, die sich auch physisch im Besitz dieses Ministeriums befanden, während etwa die jeweiligen Einwohnerdaten einer Gemeinde nur im Besitz der betreffenden Kommunalverwaltung waren, in der ein Bürger lebt. Die Sammlung war sowohl physisch als auch die Zugriffsmöglichkeit begrenzt. Dritte hatten überhaupt keinen Zugriff. Und selbst diese Erfassung, betrachtet auf die Menschheitsgeschichte, ist ein ganz junges Phänomen, das erst vor 150 Jahren langsam einsetzte. Das Melderegister existierte ursprünglich nur in den einzelnen Gemeinden. Eine zentrale Erfassung gab es überhaupt nicht. Erst 1938 führte der Nationalsozialismus im Deutschen Reich (mit Österreich) eine zentrale Erfassung ein. In der Bundesrepublik Deutschland wurde schließlich erst 2006 die gesetzliche Regelung des Melderegisters von einer Ländersache zur ausschließlichen Bundessache erklärt. Die Entwicklung der Datenerfassung ist die einer fortschreitenden Zentralisierung.
Die Erfassung erfolgte aber bisher durch die Behörde selbst. Durch die Digitalisierung geben die Staaten die Datenbank und deren Verwaltung, technisch gesehen, aus der staatlichen Obhut in die Hand privater Tech-Konzerne, von denen nur wenige weltweit imstande sind, die gewünschten zentralisierten Aufgaben zu erfüllen, die dieselben Tech-Konzerne zuvor der Politik dringend nahegelegt haben.
Im Italien von Giorgia Meloni hatte diese Digitalisierung zur Folge, daß ein Bürger vor zehn Jahren einen Reisepaß innerhalb eines Monats erhielt (in den Staaten des deutschen Sprachraums war das damals schon ohne Digitalisierung innerhalb weniger Tage möglich), seit der Digitalisierung aber ein Jahr Wartezeit in Kauf nehmen muß. Die Digitalisierung brachte den Bürgern eine massive Verschlechterung, nützte also wem? Nur dem Staat und einem internationalen Tech-Konzern, der dadurch zum ungebetenen Mitwisser und faktischen Herrn aller Daten wurde.
Damit befinden sich die sensiblen Daten der Bürger physisch nicht mehr in der Hand des Staates, sondern in der Hand von Tech-Konzernen, in deren Abhängigkeit sich die Staaten begeben. Solche Beispiele betreffen bereits alle Lebensbereiche und werden von der Politik, angeblich aus Nützlichkeitserwägungen, massiv vorangetrieben (Stichwort: Digitale ID).
Was werden die G7-Staaten mit Unterstützung von Papst Franziskus also „reglementieren“? Die Erfahrung der jüngsten Vergangenheit zeigt, daß Bedenken angebracht sind – und daß Franziskus kein Garant und Schutzdamm ist.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: X/Giorgia Meloni (Screenshot)