Ein Grundrecht auf Abtreibung gibt es nicht

Am Recht auf Leben der Ungeborenen findet die Freiheit der Schwangeren ihre Grenze


Es gibt ein Grundrecht auf Leben (positiv), aber Abtreibung (negativ) ist kein Grundrecht
Es gibt ein Grundrecht auf Leben (positiv), aber Abtreibung (negativ) ist kein Grundrecht

Ein Gast­kom­men­tar von Hubert Hecker

Anzei­ge

In Frank­reich soll in Zukunft Abtrei­bung ein Grund­recht von Frau­en sein. Kürz­lich hat eine über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit von Abge­ord­ne­ten und Sena­to­ren dafür gestimmt, „die Frei­heit der Frau, eine Schwan­ger­schaft zu been­den“, in die fran­zö­si­sche Ver­fas­sung auf­zu­neh­men. Das neue Ver­fas­sungs­recht auf Abtrei­bung sei ein „Mei­len­stein zum Schutz der Frau­en­rech­te“, wie es die fran­zö­si­sche Kon­gress­prä­si­den­tin formulierte.

Die in die­sem Fall übli­che euphe­mi­sti­sche Tarn­be­zeich­nung für Abtrei­bung als „Schwan­ger­schafts­be­en­di­gung“ weist auf das Bestre­ben der Gesetz­ge­ber hin, das Mensch­sein des Embry­os aus­zu­blen­den, zu negie­ren. Die ent­spre­chen­de Rechts­be­grün­dung in Frank­reich lau­tet: Jede schwan­ge­re Frau habe das Recht und die Frei­heit, über ihren Kör­per zu ent­schei­den. Dem­nach wäre der Embryo nur ein Kör­per­teil der Frau wie der Blind­darm, über des­sen Ver­bleib oder Weg­ope­ra­ti­on die Frau frei ent­schei­den könnte.

Selbstbestimmung über den eigenen Körper, aber nicht über den Körper eines anderen

Doch in Wirk­lich­keit besteht ein sub­stan­ti­el­ler Unter­schied zwi­schen den eige­nen Kör­per­or­ga­nen der Frau und dem Embryo. Die­ser ist der Kör­per eines ande­ren, eigen­stän­di­gen Men­schen im Wach­sen. Sein Herz beginnt ab der sech­sten Schwan­ger­schafts­wo­che zu schla­gen. Zwei Wochen spä­ter bil­det sich laut SPIEGEL 12/​24 die Hirn­struk­tur des klei­nen Men­schen her­aus. In der zehn­ten Woche sind schon Fin­ger und Zehen zu erken­nen; Ohren, Nase, Mund und Augen neh­men Gestalt an. Wenn Schwan­ge­re sol­che Embryo­nen­be­rich­te und ‑bil­der mit Bedacht auf­neh­men, wird ihr natür­li­ches Gewis­sen eine mora­li­sche Sper­re gegen Abtrei­bung ansagen.

Es ist eine selbst-evi­den­te Wahr­heit, dass „das Leben aller Men­schen ein­mal als befruch­te­te Eizel­le begann und daher eine befruch­te­te mensch­li­che Eizel­le ein Mensch im frü­he­sten Sta­di­um sei­ner Ent­wick­lung“ ist, schreibt Ste­phan Reh­der in der Tages­post vom 14. 3. 2024. Die­se für jeden Men­schen nach­voll­zieh­ba­re Ein­sicht ist zugleich auch das Ergeb­nis wis­sen­schaft­li­cher Evidenz.

Aus die­ser Tat­sa­che ergibt sich mit zwin­gen­der Logik: Eine Schwan­ge­re darf über den Kör­per eines ande­ren, unge­bo­re­nen Men­schen eben­so wenig frei ent­schei­den wie eine Mut­ter über das Leben ihres gebo­re­nen Kin­des. Denn jeder Mensch hat in allen Pha­sen sei­ner Ent­wick­lung ein unan­tast­ba­res Recht auf Leben als Grund­la­ge für alle wei­te­ren Men­schen- und Freiheitsrechte.

Staats­re­gie­run­gen sind dazu ein­ge­setzt, heißt es in der Prä­am­bel der ame­ri­ka­ni­schen Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung, die Rech­te der Men­schen zu ver­si­chern oder zu gewähr­lei­sten. Wenn aller­dings die Rech­te ande­rer ver­letzt wer­den, haben die Staats­ge­wal­ten eben­so die Pflicht, der Frei­heit Schran­ken zu set­zen, um die Grund­rech­te ande­rer zu schüt­zen. Jede der grund­recht­li­chen Frei­hei­ten der deut­schen Ver­fas­sung ist durch eine Schran­ken­tri­as begrenzt.

Im Fall einer Schwan­ger­schaft ist der Staat ver­pflich­tet, das Lebens­recht und die kör­per­li­che Unver­sehrt­heit des Unge­bo­re­nen zu gewähr­lei­sten, indem er die Ent­schei­dungs­frei­heit der Schwan­ge­ren gesetz­lich einschränkt.

Das Bundesverfassungsgericht hat zum § 218 grundrechtskonform entschieden

An die­se Grund­rechts­po­si­tio­nen unter Ein­schluss der staat­li­chen Rechts­schutz­pflich­ten hat sich das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in sei­ner Ent­schei­dung zum Abtrei­bungs­pa­ra­gra­phen am 28. 5. 1993 ori­en­tiert. Die Rechts­ord­nung müs­se das „eige­ne Lebens­recht des Unge­bo­re­nen“ in allen Pha­sen sei­ner Ent­wick­lung aner­ken­nen und sei­ne Ent­fal­tung gewähr­lei­sten, heißt es im ersten der Leit­sät­ze des Verfassungsgerichts.

„Recht­li­cher Schutz gebührt dem Unge­bo­re­nen auch gegen­über sei­ner Mut­ter. Ein sol­cher Schutz ist nur mög­lich, wenn der Gesetz­ge­ber ihr einen Schwan­ger­schafts­ab­bruch grund­sätz­lich ver­bie­tet und ihr damit die grund­sätz­li­che Rechts­pflicht auf­er­legt, das Kind aus­zu­tra­gen“ (3. Leitsatz). 

Der erwart­ba­re Auf­schrei von Lin­ken und Femi­ni­stin­nen, das sei staat­lich-pater­na­li­sti­sche Bevor­mun­dung für eine Pri­vatent­schei­dung über den eige­nen Kör­per (wie im SPIEGEL 11/​2024), hat kei­ne Rechts­grund­la­ge, ist sogar eine ver­fas­sungs­feind­li­che Ansicht.

Gegen­über der ver­brei­te­ten Fri­sten­re­ge­lung betont das ober­ste Gericht: „Das Lebens­recht des Unge­bo­re­nen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenz­te Zeit, der frei­en, recht­lich nicht gebun­de­nen Ent­schei­dung eines Drit­ten, und sei es selbst der Mut­ter, über­ant­wor­tet wer­den“ (4. Leit­satz). Damit ist auch dem Selbst­be­stim­mungs­recht der schwan­ge­ren Frau mit Bezug auf ihre Per­sön­lich­keits­rech­te im Sin­ne von Grund­rechts­ar­ti­kel 2 I eine ein­deu­ti­ge Gren­ze gesetzt.

Le Plan­ning Fami­li­al, Dach­ver­band der fran­zö­si­schen Abtrei­bungs­lob­by und seit 1960 Mit­glied von Plan­ned Paren­thood (IPPF), star­te­te 2019 die Kam­pa­gne „Abtrei­ben ist ein Grund­recht“, die dem jüng­sten Par­la­ments­be­schluss zugrundeliegt

Für die Erfül­lung sei­ner Schutz­pflicht muss der Staat ein „Lebens­schutz­kon­zept ent­wickeln, das Ele­men­te des prä­ven­ti­ven wie des repres­si­ven Schut­zes mit­ein­an­der ver­bin­det“ (6. Leit­satz). Im Ein­zel­nen wird dem Gesetz­ge­ber in den Leit­sät­zen 8 bis 10 auferlegt:

  • durch Bera­tung und Hil­fe­stel­lun­gen „posi­ti­ve Vor­aus­set­zun­gen für ein Han­deln der Frau zugun­sten des unge­bo­re­nen Lebens zu schaffen“.
  • Der staat­li­che Schutz­auf­trag erfor­de­re, den „recht­li­chen Schutz­an­spruch des Unge­bo­re­nen im all­ge­mei­nen Bewusst­sein zu erhal­ten und zu beleben“ .
  • Außer­dem habe der Staat Gefah­ren für das unge­bo­re­ne Leben aus dem fami­liä­ren und sozia­len Umfeld der Schwan­ge­ren entgegenzuwirken.
  • Neben den prä­ven­ti­ven Lebens­schutz­kon­zep­ten dür­fe der Staat aber nicht auf die Schutz­wir­kung durch den Ein­satz des Straf­rechts ver­zich­ten. In die­sem Sin­ne blei­ben alle Schwan­ger­schafts­ab­brü­che ohne eine ärzt­li­che Indi­ka­ti­ons­fest­stel­lung grundrechtswidrig.

Mit die­sen Fest­stel­lun­gen hat das Ver­fas­sungs­ge­richt ein in sich schlüs­si­ges Rechts­kon­zept auf natur­recht­li­cher Basis zu Lebens­recht und Lebens­schutz vor­ge­legt, das auch der kirch­li­chen Leh­re ent­spricht – etwa in der Enzy­kli­ka „Donum vitae“ von Papst Johan­nes Paul II. aus dem Jah­re 1995.

Ausnahmetatbestände aufgrund ärztlicher Indikationsbestimmungen

In den wei­te­ren Aus­füh­run­gen lässt das Ver­fas­sungs­ge­richt Aus­nah­me­tat­be­stän­de zu, die der Gesetz­ge­ber unter den Kri­te­ri­en der Unzu­mut­bar­keit durch ein Über­maß von gegen­wär­ti­gen und erwart­ba­ren Bela­stun­gen im Ein­zel­nen zu bestim­men habe. Dar­un­ter wird ein „sol­ches Maß an Auf­op­fe­rung von Lebens­wer­ten“ ver­stan­den, das von der Frau nicht erwar­tet wer­den könne.

Der Gesetz­ge­ber hat 1995 im neu­en Para­gra­phen 218a zwei Aus­nah­me­tat­be­stän­de konkretisiert:

  • Eine vom Arzt vor­ge­nom­me­ne Abtrei­bung wird recht­lich legi­ti­miert, wenn nach ärzt­li­cher Erkennt­nis eine Schwan­ger­schaft die Fol­ge einer Ver­ge­wal­ti­gung ist (§ 218a 3.3). Nach kirch­li­cher Leh­re ist eine Ver­ge­wal­ti­gung ein schwe­res Ver­bre­chen. Doch die­ser kri­mi­nel­len Tat soll­te nicht ein wei­te­res Ver­ge­hen fol­gen, näm­lich die Tötung eines unge­bo­re­nen unschul­di­gen Men­schen. Kirch­li­che Kran­ken­häu­ser neh­men auch in die­sen Fäl­len kei­ne Abtrei­bun­gen vor. Aber bei ent­spre­chen­dem Wunsch der Schwan­ge­ren wird deren Ent­schei­dung respek­tiert und sie in ein ande­res welt­li­ches Kran­ken­haus übergeführt.
  • Der Schwan­ger­schafts­ab­bruch gilt eben­falls als „nicht rechts­wid­rig“, wenn ein Arzt die Indi­ka­ti­on fest­stellt, dass durch die Schwan­ger­schaft „unter Berück­sich­ti­gung der gegen­wär­ti­gen und zukünf­ti­gen Lebens­ver­hält­nis­se eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwer­wie­gen­den Beein­träch­ti­gung des kör­per­li­chen oder see­li­schen Gesund­heits­zu­stan­des der Schwan­ge­ren“ besteht, die nur mit einer Abtrei­bung abzu­wen­den ist (§ 218a 3.2). Die­se Para­gra­phen-For­mu­lie­run­gen sind ein Mei­ster­werk von juri­sti­scher Ver­schleie­rung: Ein­mal wird eine ech­te medi­zi­ni­sche Indi­ka­ti­on ange­spro­chen zu tat­säch­li­chen oder erwar­te­ten Kom­pli­ka­tio­nen bei Schwan­ger­schaft und Geburt als Gefahr für das Leben der Mut­ter, was als ulti­ma ratio eine Abtrei­bung recht­fer­ti­gen wür­de. Davon grund­sätz­lich zu unter­schei­den ist die dann fol­gen­de Indi­ka­ti­on, näm­lich erwar­te­te Beein­träch­ti­gun­gen des „see­li­schen Gesund­heits­zu­stan­des“. Die ärzt­li­che Fest­stel­lung, dass bei dem Kind mög­li­cher­wei­se Tri­so­mie 21 vor­liegt – inzwi­schen durch einen Blut­test auf Kran­ken­schein zu erfah­ren – wird von Ärz­ten von sich aus oder auf Wunsch als ein „Über­maß von see­li­schen Bela­stun­gen“ inter­pre­tiert, so dass ein behin­der­tes Kind einer Schwan­ge­ren als ‚unzu­mut­bar‘ ange­se­hen wird wegen der erwart­ba­ren „Auf­op­fe­rung eige­ner Lebens­wer­te“. Mit die­sem psy­cho­lo­gi­sie­ren­den Kon­strukt kön­nen Ärz­te eine Indi­ka­ti­on für eine lega­le Abtrei­bung aus­stel­len. Die war im vor­her­ge­hen­den Gesetz ehr­li­cher­wei­se unter dem Titel „euge­ni­sche Indi­ka­ti­on“ sub­su­miert wor­den. Die­se pein­li­che Wort-Erin­ne­rung an die Behin­der­ten­mor­de im 3. Reich wur­de 1995 mit einem neu­en gesetz­li­chen Euphe­mis­mus aus­ge­merzt. Im Ergeb­nis wird die neue Rege­lung effek­ti­ver sein: In Island, wo man schon seit Wikin­ger­zei­ten die Aus­set­zung oder Abtrei­bung von behin­der­ten Kin­dern prak­ti­ziert, gibt es kaum noch von Geburt an behin­der­te Menschen.

Über die Indi­ka­tio­nen­re­ge­lung zur gesetz­lich lega­len Abor­ti­on kommt ein Pro­zent­satz von drei bis vier Pro­zent der Abtrei­bun­gen zustande, …

… mehr als 96 Prozent der Abtreibungen über die sogenannte Beratungsregelung

Im Para­graph 218a, 1.2.3. ist fest­ge­legt:
Wenn der Schwan­ger­schafts­ab­bruch durch einen Arzt vor­ge­nom­men wird, die Schwan­ge­re eine Bera­tung min­de­stens drei Tage vor dem Ein­griff durch eine Beschei­ni­gung nach­weist und seit der Emp­fäng­nis nicht mehr als zwölf Wochen ver­gan­gen sind‘, dann ist eine Abtrei­bung zwar immer noch grund­rechts­wid­rig, aber der Staat sieht von einer für rechts­wid­ri­ges Han­deln gebo­te­nen Stra­fe ab. Die ent­spre­chen­de For­mel lau­tet: rechts­wid­rig, aber straffrei.

Der Bera­tungs­pa­ra­graph 218a kam dadurch zustan­de, dass die Per­spek­ti­ve gewech­selt wur­de – vom Lebens­recht des unge­bo­re­nen Kin­des auf die Lebens­schutz­pflicht des Staa­tes. Im 11. Leit­satz führ­te das Ver­fas­sungs­ge­richt aus:

„Dem Gesetz­ge­ber ist es ver­fas­sungs­recht­lich nicht ver­wehrt, zu einem Kon­zept für den Schutz des unge­bo­re­nen Lebens über­zu­ge­hen, das in der Früh­pha­se der Schwan­ger­schaft in Schwan­ger­schafts­kon­flik­ten den Schwer­punkt auf die Bera­tung der schwan­ge­ren Frau legt, um sie für das Aus­tra­gen des Kin­des zu gewinnen.“

Die öster­rei­chi­sche Initia­ti­ve #fai­rän­dern hin­ge­gen weist in einer Kam­pa­gne auf das Recht einer jeden Frau auf Leben hin. Das glei­che Recht hat aber auch ihr unge­bo­re­nes Kind

Der Inhalt der Bera­tung ist gesetz­lich durch das Ziel bestimmt, die Frau durch Rat­schlä­ge und Hilfs­an­ge­bo­te „zur Fort­set­zung der Schwan­ger­schaft zu ermu­ti­gen und ihr Per­spek­ti­ven für ein Leben mit dem Kind zu eröff­nen“ (§ 219,1). Was vor­her als „auf­er­leg­te Rechts­pflicht“ für die Schwan­ge­re defi­niert wur­de, „das Kind aus­zu­tra­gen“ (Leit­satz 3, sie­he oben), wird nun zu einem Rat­schlag der Ermu­ti­gung her­ab­ge­stuft. In dem Bera­tungs­pa­ra­gra­phen 219(1) wer­den zwar die Bera­te­rin­nen auf­ge­for­dert, nach den oben dar­ge­leg­ten Grund­sät­zen des Ver­fas­sungs­ge­richts die Rech­te der Unge­bo­re­nen sowie die Pflich­ten der Schwan­ge­ren dar­zu­le­gen, „um die Frau zur Fort­set­zung der Schwan­ger­schaft zu ermu­ti­gen“ und ihr „mit Rat und Hil­fe“ Per­spek­ti­ven für ein Leben mit dem Kind zu eröff­nen“, aber die­se Gesprächs­rich­tung wird in den Bera­tungs­stel­len viel­fach nicht prak­ti­ziert und staat­li­cher­seits auch nicht kontrolliert.

Ein todbringendes Verfahren …

Wenn man gleich­wohl die inhalt­lich vor­ge­schrie­be­ne Bera­tung der Schwan­ge­ren noch als ein Bemü­hen zum Lebens­schutz anse­hen kann, so wird die­ser Ansatz mit der Ziel­be­stim­mung einer „ver­ant­wort­li­chen und gewis­sen­haf­ten Ent­schei­dung“ (§219,1) der Schwan­ge­ren kon­ter­ka­riert: Wie kann im Wis­sen um das erkenn­ba­re Mensch­sein des Embry­os (sie­he oben) die Ent­schei­dung über die Tötung eines unschul­di­gen Mensch­leins gewis­sen­haft sein? Vor wem will eine Schwan­ge­re die Ent­schei­dung ver­ant­wor­ten, ihr unge­bo­re­nes Kind mit „eige­nem Recht auf Leben“ den Mes­sern des Abtrei­bers auszuliefern?

Spä­te­stens mit der Aus­stel­lung der Bera­tungs­be­schei­ni­gung wird klar: Der Gesetz­ge­ber legt die Ent­schei­dung über Leben oder Tod eines unge­bo­re­nen Men­schen in die unge­bun­de­ne Ent­schei­dungs­frei­heit der Schwan­ge­ren. Die Aus­stel­lung des Bera­tungs­scheins dient defi­ni­tiv nicht dem Lebens­schutz, son­dern ist ein tod­brin­gen­des Doku­ment gegen das mensch­li­che Leben. Die Frei­heit der Schwan­ge­ren wird über das Lebens­recht eines ande­ren Men­schen gestellt – ein schwe­rer Ver­fas­sungs­rechts­bruch (sie­he oben).

Aus die­sem lebens­feind­li­chen Ver­fah­ren mit der Tötungs­schein­aus­stel­lung muss­ten sich die katho­li­sche Kir­che bzw. kirch­lich-katho­li­sche Bera­te­rin­nen zwin­gend zurück­zie­hen. Sonst hät­ten sie sich der Mit­wir­kung schul­dig gemacht, das Leben von unge­bo­re­nen unschul­di­gen Kin­dern der will­kür­li­chen Ent­schei­dungs­macht eines ande­ren aus­zu­lie­fern. Des­halb stel­len katho­li­sche Bera­tungs­stel­len seit 2001 kei­ne Bera­tungs­nach­wei­se für Abtrei­bun­gen mehr aus. Gleich­wohl steht die Kir­che an 508 Stand­or­ten jähr­lich mehr als 110.000 Frau­en in Schwan­ger­schafts­kon­flikt­si­tua­tio­nen mit Rat und Tat zur Seite.

… an dem Kirche und Katholiken nicht teilnehmen können

Füh­ren­de ZdK-Mit­glie­der sind 1999 mit der Grün­dung des Ver­eins ‚Donum Vitae‘ aus die­sem kirch­lich-mora­li­schen Kon­sens aus­ge­schert und betei­li­gen sich bis heu­te an dem staat­li­chen Ver­fah­ren mit der Schein­ver­ga­be. Die aktu­el­le ZdK-Prä­si­den­tin Irme Stet­ter-Karp ist Mit­be­grün­de­rin jenes außer­kirch­li­chen Ver­eins. Indem sie sich der staat­li­chen Über­ord­nung des Selbst­be­stim­mungs­rechts der Schwan­ge­ren anschließt, ergibt sich die Fol­ge­rung, dass sie das Lebens­recht der Unge­bo­re­nen zur Dis­po­si­ti­on stel­len muss. Anders­lau­ten­de Beteue­run­gen ihrer­seits erwei­sen sich als Augen­wi­sche­rei. Ihre For­de­rung nach Ange­bo­ten flä­chen­decken­der Abtrei­bungs­stel­len zeigt die Ten­denz ihrer Bemü­hun­gen. Dass sie mit den links-grü­nen Kräf­ten die Abschaf­fung des Wer­be­ver­bots für Abtrei­bung begrüß­te, war ein wei­te­rer Schritt auf der abschüs­si­gen Bahn zur Aus­höh­lung des Lebensschutzes.

Menschenwürde und Lebensrecht sollen angetastet und abgestuft werden

Grü­ne und Lin­ke in der Regie­rungs­ko­ali­ti­on ver­fol­gen die erklär­te Absicht, Abtrei­bun­gen zumin­dest in der ersten Schwan­ger­schafts­pha­se aus dem straf­ge­setz­li­chen Rah­men zu ent­fer­nen, also eine neue Fri­sten­re­ge­lung ein­zu­füh­ren. Dazu wur­de eine Regie­rungs­kom­mis­si­on von 18 mehr­heit­lich „Exper­tin­nen“ ein­ge­setzt. Mit dem Auf­trag „zur repro­duk­ti­ven Selbst­be­stim­mung“ war die vor­ein­ge­nom­me­ne Per­spek­ti­ve auf die Rech­te der Schwan­ge­ren vor­ge­zeich­net und gleich­zei­tig das Lebens­recht der Unge­bo­re­nen „ter­mi­no­lo­gisch aus­ge­blen­det“ (FAZ 18.4.2024).

Ent­spre­chend die­ser Vor­ga­be hat die Kom­mis­si­on in ihrem kürz­lich ver­öf­fent­lich­ten Bericht das gewünsch­te Ergeb­nis gelie­fert. Die Autorin­nen plä­die­ren dafür, dass dem Selbst­be­stim­mungs­recht der Schwan­ge­ren „Vor­rang zukommt gegen­über dem Lebens­recht“ und der Men­schen­wür­de des unge­bo­re­nen Kin­des (S. 253 des Berichts). Denn Schwan­ger­schaft, Geburt und Mut­ter­schaft wür­den so tief­grei­fen­de Ver­än­de­run­gen für die Per­sön­lich­keits­ent­fal­tung, Lebens­pla­nung und Iden­ti­tät der Frau bedeu­ten, dass die Gewis­sens- und Ent­schei­dungs­frei­heit über das Aus­tra­gen des Embry­os ihr höchst­per­sön­lich selbst über­las­sen wer­den müs­se – frei von staat­li­chem (Bera­tungs-) Zwang. „In der Früh­pha­se der Schwan­ger­schaft hat das Lebens­recht des Unge­bo­re­nen eher gerin­ges Gewicht; gleich­zei­tig genießt das (sub­jek­ti­ve) Ver­lan­gen der Frau nach einer Been­di­gung der Schwan­ger­schaft star­ken grund­recht­li­chen Schutz“, heißt das Resü­mee auf S. 25 des Kommissionsberichts.

Die wei­te­re Begrün­dung für die­se asym­me­tri­sche Rech­te­zu­schrei­bung lau­tet: „Wegen der exi­sten­zi­el­len Abhän­gig­keit des Unge­bo­re­nen vom Kör­per der Schwan­ge­ren spricht viel dafür, dass das Lebens­recht prä­na­tal mit gerin­ge­rem Schutz zum Tra­gen kommt als für den gebo­re­nen Men­schen.“ Das ist aller­dings eine ent­lar­ven­de Argu­men­ta­ti­on, wenn „ein Höchst­maß an Abhän­gig­keit und Vul­nerabi­li­tät als Grund für gerin­ge­re Schutz­wür­dig­keit“ ange­führt wird, wie die FAZ kommentierte.

Offen­sicht­lich sind die­se inter­es­sen­ge­lei­te­ten Argu­men­ta­ti­ons­kon­struk­te zugun­sten der stär­ke­ren Posi­ti­on der Frau und zula­sten des schwa­chen und schutz­be­dürf­ti­gen Embry­os will­kür­lich und mit den Wer­ten unse­rer Ver­fas­sung unver­ein­bar. Das wird in den fol­gen­den drei Begrün­dungs­kom­ple­xen aufgezeigt:

  • Die Kom­mis­si­ons­au­torin­nen legen eine Abstu­fung des Lebens­rechts von Unge­bo­re­nen zugrun­de, das von dem sehr nied­ri­gen Niveau der ersten Lebens­wo­chen bis zur Geburt gra­du­ell auf Voll­wer­tig­keit anwach­sen soll. Die­ser Ansatz wider­spricht begriffs- und rechts­lo­gisch dem Grund­ge­setz. Allein die Bezeich­nung der Men­schen­wür­de als „unan­tast­bar“ in Art. 1 Abs. 1 GG lässt das Gra­dua­li­täts­ar­gu­ment durch­fal­len. Die Grund­rech­te gel­ten oder gel­ten nicht, ein biss­chen Grund­rechts­schutz gibt es eben­so wenig wie ein biss­chen Schwan­ger­schaft. Ein Stück weit Men­schen­wür­de zu gewäh­ren oder das unteil­ba­re Lebens­recht des Unge­bo­re­nen bruch­stück­haft zuzu­schrei­ben hie­ße bei­de Grund­rech­te abzuschaffen.
  • Die Fol­ge­wir­kun­gen die­ser Grund­rechts­ver­bie­gung wären fatal. Wenn Lebens­recht und Men­schen­wür­de in der ersten Lebens­pha­se des Unge­bo­re­nen rela­ti­viert wer­den kön­nen, ist die Tür geöff­net für die Anta­stung des Lebens­rechts auch bei Gebo­re­nen. Die Autorin­nen for­dern etwa in der Spät­pha­se der Schwan­ger­schaft bis zur Geburt das indi­zier­te Recht auf Abtrei­bung von einem behin­der­ten Kind. Nach der Rechts­lo­gik gäbe es dann für die Kin­der­eu­tha­na­sie kei­ne Gren­ze mehr, wie es in eini­gen west­li­chen Län­dern schon geschieht. Auch erwach­se­ne Schwer­be­hin­der­te sowie kran­ke und grei­se Men­schen in der letz­ten Lebens­pha­se könn­ten sich ihres Lebens nicht mehr sicher füh­len, wenn die sakro­sank­te Men­schen­wür­de auf rela­ti­ve Lebens­wer­tig­keit redu­ziert würde.
  • Wei­ter­hin spre­chen die vier SKIP-Argu­men­te gegen eine Abstu­fung der Grund­rech­te auf Leben und Men­schen­wür­de:
    - Erstens: Weil die Unge­bo­re­nen wie Gebo­re­nen glei­cher­ma­ßen der Spezi­es ‚Mensch‘ ange­hö­ren, genie­ßen bei­de zwin­gend den glei­chen grund­recht­li­chen Schutz ohne jeg­li­che Ein­schrän­kun­gen.
    - Da sich – zwei­tens – der unge­bo­re­ne Mensch in Konti­nui­tät ent­wickelt ohne qua­li­ta­ti­ve Zäsu­ren, gibt es kei­nen sach­li­chen Grund für eine Abstu­fung des Wür­de­schut­zes etwa vor der zwölf­ten Schwan­ger­schafts­wo­che.
    - Drit­tens han­delt es sich bei dem Unge­bo­re­nen um ein indi­vi­du­el­les, in sei­ner gene­ti­schen Iden­ti­tät in Ein­ma­lig­keit und Unver­wech­sel­bar­keit fest­ge­leg­tes Leben, wie das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt mehr­fach fest­ge­stellt hat.
    - Schließ­lich ist auf das ange­leg­te Poten­ti­al des Unge­bo­re­nen hin­zu­wei­sen, der sich zum gebo­re­nen Men­schen und spä­ter zur Per­son entwickelt.

Die Kom­mis­si­ons­au­to­ren set­zen sich mit den auf­ge­zeig­ten drei Argu­men­ta­ti­ons­kom­ple­xen nicht inhalt­lich aus­ein­an­der, son­dern tun sie pau­schal als über­hol­te Rechts­mei­nun­gen ab. Wis­sen­schaft­li­ches Vor­ge­hen dage­gen wür­de erfor­dern, die eige­nen Hypo­the­sen dem Feu­er der Gegen­po­si­tio­nen aus­zu­set­zen (Fal­si­fi­zie­rungs­vor­be­halt), um als gesi­cher­te Posi­tio­nen gel­ten zu können.

Falls der Kom­mis­si­ons­vor­schlag durch die Ampel­ko­ali­ti­on doch als Gesetz durch­kä­me, wür­de das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt die neue straf­freie Fri­sten­re­ge­lung wie schon 1975 kas­sie­ren. Damals erklär­te das ober­ste deut­sche Nor­men­ge­richt: „Das sich im Mut­ter­leib ent­wickeln­de Leben steht als selbst­stän­di­ges Rechts­gut unter dem Schutz der Ver­fas­sung.“ 1993 bestä­tig­te das Ver­fas­sungs­ge­richt die­sen Ent­scheid. Im vier­ten Leit­satz heißt es: „Das Lebens­recht des Unge­bo­re­nen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenz­te Zeit, der frei­en, recht­lich nicht gebun­de­nen Ent­schei­dung eines Drit­ten, und sei es selbst der Mut­ter, über­ant­wor­tet werden.“

Die 628 Sei­ten lan­ge aus­schwei­fen­de Dar­stel­lung des Kom­mis­si­ons­be­richts zu liber­tä­ren inter­na­tio­na­len Rechts­mei­nun­gen muss schon heu­te als Maku­la­tur ange­se­hen werden.

Bild: Katho​li​sches​.info/Plan​ning​-fami​li​al​.org/​fai​raen​dern​.at (Screen­shots)

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!