
Ein Gastkommentar von Hubert Hecker
In Frankreich soll in Zukunft Abtreibung ein Grundrecht von Frauen sein. Kürzlich hat eine überwältigende Mehrheit von Abgeordneten und Senatoren dafür gestimmt, „die Freiheit der Frau, eine Schwangerschaft zu beenden“, in die französische Verfassung aufzunehmen. Das neue Verfassungsrecht auf Abtreibung sei ein „Meilenstein zum Schutz der Frauenrechte“, wie es die französische Kongresspräsidentin formulierte.
Die in diesem Fall übliche euphemistische Tarnbezeichnung für Abtreibung als „Schwangerschaftsbeendigung“ weist auf das Bestreben der Gesetzgeber hin, das Menschsein des Embryos auszublenden, zu negieren. Die entsprechende Rechtsbegründung in Frankreich lautet: Jede schwangere Frau habe das Recht und die Freiheit, über ihren Körper zu entscheiden. Demnach wäre der Embryo nur ein Körperteil der Frau wie der Blinddarm, über dessen Verbleib oder Wegoperation die Frau frei entscheiden könnte.
Selbstbestimmung über den eigenen Körper, aber nicht über den Körper eines anderen
Doch in Wirklichkeit besteht ein substantieller Unterschied zwischen den eigenen Körperorganen der Frau und dem Embryo. Dieser ist der Körper eines anderen, eigenständigen Menschen im Wachsen. Sein Herz beginnt ab der sechsten Schwangerschaftswoche zu schlagen. Zwei Wochen später bildet sich laut SPIEGEL 12/24 die Hirnstruktur des kleinen Menschen heraus. In der zehnten Woche sind schon Finger und Zehen zu erkennen; Ohren, Nase, Mund und Augen nehmen Gestalt an. Wenn Schwangere solche Embryonenberichte und ‑bilder mit Bedacht aufnehmen, wird ihr natürliches Gewissen eine moralische Sperre gegen Abtreibung ansagen.
Es ist eine selbst-evidente Wahrheit, dass „das Leben aller Menschen einmal als befruchtete Eizelle begann und daher eine befruchtete menschliche Eizelle ein Mensch im frühesten Stadium seiner Entwicklung“ ist, schreibt Stephan Rehder in der Tagespost vom 14. 3. 2024. Diese für jeden Menschen nachvollziehbare Einsicht ist zugleich auch das Ergebnis wissenschaftlicher Evidenz.
Aus dieser Tatsache ergibt sich mit zwingender Logik: Eine Schwangere darf über den Körper eines anderen, ungeborenen Menschen ebenso wenig frei entscheiden wie eine Mutter über das Leben ihres geborenen Kindes. Denn jeder Mensch hat in allen Phasen seiner Entwicklung ein unantastbares Recht auf Leben als Grundlage für alle weiteren Menschen- und Freiheitsrechte.
Staatsregierungen sind dazu eingesetzt, heißt es in der Präambel der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, die Rechte der Menschen zu versichern oder zu gewährleisten. Wenn allerdings die Rechte anderer verletzt werden, haben die Staatsgewalten ebenso die Pflicht, der Freiheit Schranken zu setzen, um die Grundrechte anderer zu schützen. Jede der grundrechtlichen Freiheiten der deutschen Verfassung ist durch eine Schrankentrias begrenzt.
Im Fall einer Schwangerschaft ist der Staat verpflichtet, das Lebensrecht und die körperliche Unversehrtheit des Ungeborenen zu gewährleisten, indem er die Entscheidungsfreiheit der Schwangeren gesetzlich einschränkt.
Das Bundesverfassungsgericht hat zum § 218 grundrechtskonform entschieden
An diese Grundrechtspositionen unter Einschluss der staatlichen Rechtsschutzpflichten hat sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Abtreibungsparagraphen am 28. 5. 1993 orientiert. Die Rechtsordnung müsse das „eigene Lebensrecht des Ungeborenen“ in allen Phasen seiner Entwicklung anerkennen und seine Entfaltung gewährleisten, heißt es im ersten der Leitsätze des Verfassungsgerichts.
„Rechtlicher Schutz gebührt dem Ungeborenen auch gegenüber seiner Mutter. Ein solcher Schutz ist nur möglich, wenn der Gesetzgeber ihr einen Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verbietet und ihr damit die grundsätzliche Rechtspflicht auferlegt, das Kind auszutragen“ (3. Leitsatz).
Der erwartbare Aufschrei von Linken und Feministinnen, das sei staatlich-paternalistische Bevormundung für eine Privatentscheidung über den eigenen Körper (wie im SPIEGEL 11/2024), hat keine Rechtsgrundlage, ist sogar eine verfassungsfeindliche Ansicht.
Gegenüber der verbreiteten Fristenregelung betont das oberste Gericht: „Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden“ (4. Leitsatz). Damit ist auch dem Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frau mit Bezug auf ihre Persönlichkeitsrechte im Sinne von Grundrechtsartikel 2 I eine eindeutige Grenze gesetzt.

Für die Erfüllung seiner Schutzpflicht muss der Staat ein „Lebensschutzkonzept entwickeln, das Elemente des präventiven wie des repressiven Schutzes miteinander verbindet“ (6. Leitsatz). Im Einzelnen wird dem Gesetzgeber in den Leitsätzen 8 bis 10 auferlegt:
- durch Beratung und Hilfestellungen „positive Voraussetzungen für ein Handeln der Frau zugunsten des ungeborenen Lebens zu schaffen“.
- Der staatliche Schutzauftrag erfordere, den „rechtlichen Schutzanspruch des Ungeborenen im allgemeinen Bewusstsein zu erhalten und zu beleben“ .
- Außerdem habe der Staat Gefahren für das ungeborene Leben aus dem familiären und sozialen Umfeld der Schwangeren entgegenzuwirken.
- Neben den präventiven Lebensschutzkonzepten dürfe der Staat aber nicht auf die Schutzwirkung durch den Einsatz des Strafrechts verzichten. In diesem Sinne bleiben alle Schwangerschaftsabbrüche ohne eine ärztliche Indikationsfeststellung grundrechtswidrig.
Mit diesen Feststellungen hat das Verfassungsgericht ein in sich schlüssiges Rechtskonzept auf naturrechtlicher Basis zu Lebensrecht und Lebensschutz vorgelegt, das auch der kirchlichen Lehre entspricht – etwa in der Enzyklika „Donum vitae“ von Papst Johannes Paul II. aus dem Jahre 1995.
Ausnahmetatbestände aufgrund ärztlicher Indikationsbestimmungen
In den weiteren Ausführungen lässt das Verfassungsgericht Ausnahmetatbestände zu, die der Gesetzgeber unter den Kriterien der Unzumutbarkeit durch ein Übermaß von gegenwärtigen und erwartbaren Belastungen im Einzelnen zu bestimmen habe. Darunter wird ein „solches Maß an Aufopferung von Lebenswerten“ verstanden, das von der Frau nicht erwartet werden könne.
Der Gesetzgeber hat 1995 im neuen Paragraphen 218a zwei Ausnahmetatbestände konkretisiert:
- Eine vom Arzt vorgenommene Abtreibung wird rechtlich legitimiert, wenn nach ärztlicher Erkenntnis eine Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung ist (§ 218a 3.3). Nach kirchlicher Lehre ist eine Vergewaltigung ein schweres Verbrechen. Doch dieser kriminellen Tat sollte nicht ein weiteres Vergehen folgen, nämlich die Tötung eines ungeborenen unschuldigen Menschen. Kirchliche Krankenhäuser nehmen auch in diesen Fällen keine Abtreibungen vor. Aber bei entsprechendem Wunsch der Schwangeren wird deren Entscheidung respektiert und sie in ein anderes weltliches Krankenhaus übergeführt.
- Der Schwangerschaftsabbruch gilt ebenfalls als „nicht rechtswidrig“, wenn ein Arzt die Indikation feststellt, dass durch die Schwangerschaft „unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren“ besteht, die nur mit einer Abtreibung abzuwenden ist (§ 218a 3.2). Diese Paragraphen-Formulierungen sind ein Meisterwerk von juristischer Verschleierung: Einmal wird eine echte medizinische Indikation angesprochen zu tatsächlichen oder erwarteten Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt als Gefahr für das Leben der Mutter, was als ultima ratio eine Abtreibung rechtfertigen würde. Davon grundsätzlich zu unterscheiden ist die dann folgende Indikation, nämlich erwartete Beeinträchtigungen des „seelischen Gesundheitszustandes“. Die ärztliche Feststellung, dass bei dem Kind möglicherweise Trisomie 21 vorliegt – inzwischen durch einen Bluttest auf Krankenschein zu erfahren – wird von Ärzten von sich aus oder auf Wunsch als ein „Übermaß von seelischen Belastungen“ interpretiert, so dass ein behindertes Kind einer Schwangeren als ‚unzumutbar‘ angesehen wird wegen der erwartbaren „Aufopferung eigener Lebenswerte“. Mit diesem psychologisierenden Konstrukt können Ärzte eine Indikation für eine legale Abtreibung ausstellen. Die war im vorhergehenden Gesetz ehrlicherweise unter dem Titel „eugenische Indikation“ subsumiert worden. Diese peinliche Wort-Erinnerung an die Behindertenmorde im 3. Reich wurde 1995 mit einem neuen gesetzlichen Euphemismus ausgemerzt. Im Ergebnis wird die neue Regelung effektiver sein: In Island, wo man schon seit Wikingerzeiten die Aussetzung oder Abtreibung von behinderten Kindern praktiziert, gibt es kaum noch von Geburt an behinderte Menschen.
Über die Indikationenregelung zur gesetzlich legalen Abortion kommt ein Prozentsatz von drei bis vier Prozent der Abtreibungen zustande, …
… mehr als 96 Prozent der Abtreibungen über die sogenannte Beratungsregelung
Im Paragraph 218a, 1.2.3. ist festgelegt:
‚Wenn der Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt vorgenommen wird, die Schwangere eine Beratung mindestens drei Tage vor dem Eingriff durch eine Bescheinigung nachweist und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind‘, dann ist eine Abtreibung zwar immer noch grundrechtswidrig, aber der Staat sieht von einer für rechtswidriges Handeln gebotenen Strafe ab. Die entsprechende Formel lautet: rechtswidrig, aber straffrei.
Der Beratungsparagraph 218a kam dadurch zustande, dass die Perspektive gewechselt wurde – vom Lebensrecht des ungeborenen Kindes auf die Lebensschutzpflicht des Staates. Im 11. Leitsatz führte das Verfassungsgericht aus:
„Dem Gesetzgeber ist es verfassungsrechtlich nicht verwehrt, zu einem Konzept für den Schutz des ungeborenen Lebens überzugehen, das in der Frühphase der Schwangerschaft in Schwangerschaftskonflikten den Schwerpunkt auf die Beratung der schwangeren Frau legt, um sie für das Austragen des Kindes zu gewinnen.“

Der Inhalt der Beratung ist gesetzlich durch das Ziel bestimmt, die Frau durch Ratschläge und Hilfsangebote „zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen“ (§ 219,1). Was vorher als „auferlegte Rechtspflicht“ für die Schwangere definiert wurde, „das Kind auszutragen“ (Leitsatz 3, siehe oben), wird nun zu einem Ratschlag der Ermutigung herabgestuft. In dem Beratungsparagraphen 219(1) werden zwar die Beraterinnen aufgefordert, nach den oben dargelegten Grundsätzen des Verfassungsgerichts die Rechte der Ungeborenen sowie die Pflichten der Schwangeren darzulegen, „um die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen“ und ihr „mit Rat und Hilfe“ Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen“, aber diese Gesprächsrichtung wird in den Beratungsstellen vielfach nicht praktiziert und staatlicherseits auch nicht kontrolliert.
Ein todbringendes Verfahren …
Wenn man gleichwohl die inhaltlich vorgeschriebene Beratung der Schwangeren noch als ein Bemühen zum Lebensschutz ansehen kann, so wird dieser Ansatz mit der Zielbestimmung einer „verantwortlichen und gewissenhaften Entscheidung“ (§219,1) der Schwangeren konterkariert: Wie kann im Wissen um das erkennbare Menschsein des Embryos (siehe oben) die Entscheidung über die Tötung eines unschuldigen Menschleins gewissenhaft sein? Vor wem will eine Schwangere die Entscheidung verantworten, ihr ungeborenes Kind mit „eigenem Recht auf Leben“ den Messern des Abtreibers auszuliefern?
Spätestens mit der Ausstellung der Beratungsbescheinigung wird klar: Der Gesetzgeber legt die Entscheidung über Leben oder Tod eines ungeborenen Menschen in die ungebundene Entscheidungsfreiheit der Schwangeren. Die Ausstellung des Beratungsscheins dient definitiv nicht dem Lebensschutz, sondern ist ein todbringendes Dokument gegen das menschliche Leben. Die Freiheit der Schwangeren wird über das Lebensrecht eines anderen Menschen gestellt – ein schwerer Verfassungsrechtsbruch (siehe oben).
Aus diesem lebensfeindlichen Verfahren mit der Tötungsscheinausstellung mussten sich die katholische Kirche bzw. kirchlich-katholische Beraterinnen zwingend zurückziehen. Sonst hätten sie sich der Mitwirkung schuldig gemacht, das Leben von ungeborenen unschuldigen Kindern der willkürlichen Entscheidungsmacht eines anderen auszuliefern. Deshalb stellen katholische Beratungsstellen seit 2001 keine Beratungsnachweise für Abtreibungen mehr aus. Gleichwohl steht die Kirche an 508 Standorten jährlich mehr als 110.000 Frauen in Schwangerschaftskonfliktsituationen mit Rat und Tat zur Seite.
… an dem Kirche und Katholiken nicht teilnehmen können
Führende ZdK-Mitglieder sind 1999 mit der Gründung des Vereins ‚Donum Vitae‘ aus diesem kirchlich-moralischen Konsens ausgeschert und beteiligen sich bis heute an dem staatlichen Verfahren mit der Scheinvergabe. Die aktuelle ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp ist Mitbegründerin jenes außerkirchlichen Vereins. Indem sie sich der staatlichen Überordnung des Selbstbestimmungsrechts der Schwangeren anschließt, ergibt sich die Folgerung, dass sie das Lebensrecht der Ungeborenen zur Disposition stellen muss. Anderslautende Beteuerungen ihrerseits erweisen sich als Augenwischerei. Ihre Forderung nach Angeboten flächendeckender Abtreibungsstellen zeigt die Tendenz ihrer Bemühungen. Dass sie mit den links-grünen Kräften die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibung begrüßte, war ein weiterer Schritt auf der abschüssigen Bahn zur Aushöhlung des Lebensschutzes.
Menschenwürde und Lebensrecht sollen angetastet und abgestuft werden
Grüne und Linke in der Regierungskoalition verfolgen die erklärte Absicht, Abtreibungen zumindest in der ersten Schwangerschaftsphase aus dem strafgesetzlichen Rahmen zu entfernen, also eine neue Fristenregelung einzuführen. Dazu wurde eine Regierungskommission von 18 mehrheitlich „Expertinnen“ eingesetzt. Mit dem Auftrag „zur reproduktiven Selbstbestimmung“ war die voreingenommene Perspektive auf die Rechte der Schwangeren vorgezeichnet und gleichzeitig das Lebensrecht der Ungeborenen „terminologisch ausgeblendet“ (FAZ 18.4.2024).
Entsprechend dieser Vorgabe hat die Kommission in ihrem kürzlich veröffentlichten Bericht das gewünschte Ergebnis geliefert. Die Autorinnen plädieren dafür, dass dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren „Vorrang zukommt gegenüber dem Lebensrecht“ und der Menschenwürde des ungeborenen Kindes (S. 253 des Berichts). Denn Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft würden so tiefgreifende Veränderungen für die Persönlichkeitsentfaltung, Lebensplanung und Identität der Frau bedeuten, dass die Gewissens- und Entscheidungsfreiheit über das Austragen des Embryos ihr höchstpersönlich selbst überlassen werden müsse – frei von staatlichem (Beratungs-) Zwang. „In der Frühphase der Schwangerschaft hat das Lebensrecht des Ungeborenen eher geringes Gewicht; gleichzeitig genießt das (subjektive) Verlangen der Frau nach einer Beendigung der Schwangerschaft starken grundrechtlichen Schutz“, heißt das Resümee auf S. 25 des Kommissionsberichts.
Die weitere Begründung für diese asymmetrische Rechtezuschreibung lautet: „Wegen der existenziellen Abhängigkeit des Ungeborenen vom Körper der Schwangeren spricht viel dafür, dass das Lebensrecht pränatal mit geringerem Schutz zum Tragen kommt als für den geborenen Menschen.“ Das ist allerdings eine entlarvende Argumentation, wenn „ein Höchstmaß an Abhängigkeit und Vulnerabilität als Grund für geringere Schutzwürdigkeit“ angeführt wird, wie die FAZ kommentierte.
Offensichtlich sind diese interessengeleiteten Argumentationskonstrukte zugunsten der stärkeren Position der Frau und zulasten des schwachen und schutzbedürftigen Embryos willkürlich und mit den Werten unserer Verfassung unvereinbar. Das wird in den folgenden drei Begründungskomplexen aufgezeigt:
- Die Kommissionsautorinnen legen eine Abstufung des Lebensrechts von Ungeborenen zugrunde, das von dem sehr niedrigen Niveau der ersten Lebenswochen bis zur Geburt graduell auf Vollwertigkeit anwachsen soll. Dieser Ansatz widerspricht begriffs- und rechtslogisch dem Grundgesetz. Allein die Bezeichnung der Menschenwürde als „unantastbar“ in Art. 1 Abs. 1 GG lässt das Gradualitätsargument durchfallen. Die Grundrechte gelten oder gelten nicht, ein bisschen Grundrechtsschutz gibt es ebenso wenig wie ein bisschen Schwangerschaft. Ein Stück weit Menschenwürde zu gewähren oder das unteilbare Lebensrecht des Ungeborenen bruchstückhaft zuzuschreiben hieße beide Grundrechte abzuschaffen.
- Die Folgewirkungen dieser Grundrechtsverbiegung wären fatal. Wenn Lebensrecht und Menschenwürde in der ersten Lebensphase des Ungeborenen relativiert werden können, ist die Tür geöffnet für die Antastung des Lebensrechts auch bei Geborenen. Die Autorinnen fordern etwa in der Spätphase der Schwangerschaft bis zur Geburt das indizierte Recht auf Abtreibung von einem behinderten Kind. Nach der Rechtslogik gäbe es dann für die Kindereuthanasie keine Grenze mehr, wie es in einigen westlichen Ländern schon geschieht. Auch erwachsene Schwerbehinderte sowie kranke und greise Menschen in der letzten Lebensphase könnten sich ihres Lebens nicht mehr sicher fühlen, wenn die sakrosankte Menschenwürde auf relative Lebenswertigkeit reduziert würde.
- Weiterhin sprechen die vier SKIP-Argumente gegen eine Abstufung der Grundrechte auf Leben und Menschenwürde:
- Erstens: Weil die Ungeborenen wie Geborenen gleichermaßen der Spezies ‚Mensch‘ angehören, genießen beide zwingend den gleichen grundrechtlichen Schutz ohne jegliche Einschränkungen.
- Da sich – zweitens – der ungeborene Mensch in Kontinuität entwickelt ohne qualitative Zäsuren, gibt es keinen sachlichen Grund für eine Abstufung des Würdeschutzes etwa vor der zwölften Schwangerschaftswoche.
- Drittens handelt es sich bei dem Ungeborenen um ein individuelles, in seiner genetischen Identität in Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit festgelegtes Leben, wie das Bundesverfassungsgericht mehrfach festgestellt hat.
- Schließlich ist auf das angelegte Potential des Ungeborenen hinzuweisen, der sich zum geborenen Menschen und später zur Person entwickelt.
Die Kommissionsautoren setzen sich mit den aufgezeigten drei Argumentationskomplexen nicht inhaltlich auseinander, sondern tun sie pauschal als überholte Rechtsmeinungen ab. Wissenschaftliches Vorgehen dagegen würde erfordern, die eigenen Hypothesen dem Feuer der Gegenpositionen auszusetzen (Falsifizierungsvorbehalt), um als gesicherte Positionen gelten zu können.
Falls der Kommissionsvorschlag durch die Ampelkoalition doch als Gesetz durchkäme, würde das Bundesverfassungsgericht die neue straffreie Fristenregelung wie schon 1975 kassieren. Damals erklärte das oberste deutsche Normengericht: „Das sich im Mutterleib entwickelnde Leben steht als selbstständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung.“ 1993 bestätigte das Verfassungsgericht diesen Entscheid. Im vierten Leitsatz heißt es: „Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden.“
Die 628 Seiten lange ausschweifende Darstellung des Kommissionsberichts zu libertären internationalen Rechtsmeinungen muss schon heute als Makulatur angesehen werden.
Bild: Katholisches.info/Planning-familial.org/fairaendern.at (Screenshots)
Dazu schrieb ich vor drei Tagen eine Stellungnahme. Insbesondere da ich las, dass 60% der deutschen Katholiken sich bei einer Umfrage für die Abtreibung in den ersten 12 Wochen aussprachen. Eine Riesenschande! Siehe:
https://beischneider.net/2024/04/19/der-stille-schrei-des-kindes-die-heiligkeit-des-lebens-oder-doch-nicht/
Eine Schande ist, daß katholische Priester in ihren Predigten kaum das Abtreibungsverbrechen thematisiert haben. Was sollen die Schafe dann noch verstehen?
Als Selbstverständlichkeit gilt heutigen Tages auch unter Katholiken, daß die Demokratie die beste aller Staatsformen sei. Dabei wird aber das Problem einer Verhältnisbestimmug der Demokratie zu den Menschen- und Bürgerrechten ausgeklammert. Diese Entscheidung des Französischen Parlamentes stellt uns unübersehbar vor Augen: Ganz demokratisch wird entschieden, daß das Menschenrecht auf Leben für die Kinder im Mutterleibe außer Kraft gesetzt wird und das stattdessen die Mutter das Recht zugeschrieben bekommt, darüber zu entscheiden,ob das Kind leben darf oder getötet werden soll. Bei der Todesstrafe wird von den Befürwortern gesagt, daß ein Mensch ob der Schwere seines Verbrechens sein Recht auf das Leben verwirkt hat, in Frankreich dürfen Mütter jetzt es als ihr Grundrecht ansehen, völlig unschuldige Kinder zu töten. Das evoziert die Frage: Wie sind die Menschenrechte der Kinder im Mutterleibe und überhaupt die aller vor der Demokratie zu schützen, wenn ganzen Menschengruppen ihre Grundrechte ganz demokratisch aberkannt werden könnn?
Natürlich hört es bei den Ungeborenen nicht auf.
Es wird weitergehen bis zur Geburt, bis direkt nach der Geburt.
Dann kommen Behinderte dran.
Und wer meint, dass es spätestens dann aufhört, der ist dumm.
Man erinnere sich nur an den Karfreitag „Ans Kreuz mit ihm – lasst Barnabas frei“ !!
In der Passion wurde uns schon alles aufgezeigt.
Ein Baby zu gebären, ist das Werk von Gott. Aber Abtreibung ist das Werk des Teufels.