Pater Gianni Criveller, Priester des Päpstlichen Instituts für die Auslandsmissionen PIME und Sinologe, ist seit September Direktor der auf Asien spezialisierten kirchlichen Presseagentur AsiaNews. Zuvor war er mehrere Jahrzehnte als Missionar in China tätig. Er gilt als ausgewiesener Fachmann für China, besonders der Lage der Kirche dort. Seine Analyse wurde am 12. Februar von AsiaNews veröffentlicht. Das PIME ist mit der Päpstlichen Universität Urbaniana verbunden. Das ist bei der vorliegenden Analyse zu berücksichtigen. Gerade deshalb bietet sie einen bemerkenswerten Einblick in die aktuelle Lage der Kirche in der Volksrepublik China.
Peking und der Heilige Stuhl
Von Gianni Criveller
Ich schreibe diesen Kommentar zu einem Zeitpunkt, an dem das chinesische Neujahrsfest gefeiert wird, ein Feiertag, der von allen Chinesen im In- und Ausland empfunden wird. Es ist das Jahr des Drachens, der unter den zwölf Tieren des Horoskops das stärkste und beliebteste ist: Es ist anzunehmen, daß viele chinesische Frauen in diesem Jahr, das als das glücklichste gilt, ein Kind bekommen wollen.
Der heutige Festtag regt mich dazu an, über den katholischen Glauben in China nachzudenken. Soweit wir das beurteilen können, dürfte 2024 ein entscheidendes Jahr für den Dialog zwischen China und dem Heiligen Stuhl sein: Das Abkommen von 2018, das zweimal erneuert wurde, muß entweder endgültig ratifiziert oder aufgegeben werden.
In den letzten Tagen sind Nachrichten eingetroffen, die von Beobachtern zu Recht positiv kommentiert wurden: Drei neue Bischöfe wurden mit Zustimmung beider Parteien unter Einhaltung des Abkommens geweiht (der letzte, aus Shaowu, ist abgebildet).
Das Jahr 2023 war für den Heiligen Stuhl ein annus horribilis gewesen, mit der sensationellen Versetzung von Bischof Shen Bin nach Shanghai. Es war der zweite einseitige Akt Chinas, der den Heiligen Stuhl von jeglicher Konsultation ausschloß. Der Vatikan protestierte. Danach akzeptierte er, was geschehen war, bat aber darum, daß sich die Situation nicht wiederholen möge.
Die letzten drei vereinbarten Bischofsweihen und die Anerkennung durch den Heiligen Stuhl der Errichtung einer neuen Diözese (Weifang in der Provinz Shandong, deren Grenzen von den chinesischen Behörden neu gezogen wurden) haben den Eindruck erweckt, daß auf chinesischer Seite der Wille besteht, nicht mit Rom zu brechen und die Vereinbarung dauerhaft zu ratifizieren.
Diese gute Nachricht muß jedoch in den richtigen Kontext gestellt werden. Es stimmt zwar, daß der Papst die Bischöfe ernennt, aber sie werden nicht von ihm ausgewählt, sondern in einem autonomen Prozeß, der von den chinesischen Behörden geleitet wird und dessen Einzelheiten nicht bekannt sind, da der Text des Abkommens [von 2018] geheim bleibt.
Die in China gewählten Bischöfe sind also katholische Bischöfe, die jedoch den Behörden durchaus willkommen sind. Es sollte auch darauf hingewiesen werden, daß in China der Papst und der Heilige Stuhl oder das Abkommen in keiner Weise erwähnt werden, wenn solche Ernennungen bekanntgegeben werden. Ich befürchte, daß die päpstliche Ernennung nicht einmal während der Weiheliturgie selbst gebührend hervorgehoben wird. Seit einiger Zeit sind die Zeremonien der Bischofsweihen für außenstehende Beobachter nicht mehr zugänglich.
Das doppelte Register – einerseits Ernennungen, die die Einigung zu stärken scheinen, andererseits Schweigen über die Rolle Roms – wird noch deutlicher, wenn man den „Fünf-Jahres-Plan für die Sinisierung des Katholizismus in China (2023–2027)“ liest.
Dieser „Plan“, der sehr detailliert ist und aus vier Teilen und 33 Paragraphen besteht, wurde am 14. Dezember 2023 von dem offiziellen Gremium genehmigt, das den (vom Heiligen Stuhl nicht anerkannten) Katholischen Bischofsrat und die Patriotische Vereinigung der chinesischen Katholiken vereint: Beide arbeiten unter der Aufsicht der Vereinigten Front, eines Büros der Kommunistischen Partei, das das religiöse Leben des Landes regelt. Das Dokument wurde am ersten Weihnachtstag auf der Website der chinesischen katholischen Kirche veröffentlicht. Ein ähnliches Dokument für die protestantischen Kirchen wurde bereits am 19. Dezember veröffentlicht.
Der katholische „Plan“, der 5000 Zeichen umfaßt (was etwa 3000 europäischen Wörtern entspricht), erwähnt weder den Papst und den Heiligen Stuhl noch das zwischen dem Vatikan und China erzielte Abkommen. Stattdessen wird der chinesische Staatschef Xi Jinping viermal erwähnt. Fünfmal wird bekräftigt, daß der Katholizismus „chinesische Merkmale“ annehmen muß. Das Wort „Sinisierung“ dominiert: Es kommt nicht weniger als 53 Mal vor.
Der „Plan“ ist das Arbeitsprogramm, um den Prozeß der Sinisierung tiefgreifender, ideologischer und effektiver zu gestalten:
„Es ist notwendig, die Forschung zu intensivieren, um der Sinisierung des Katholizismus ein theologisches Fundament zu geben, das System des sinisierten theologischen Denkens ständig zu verbessern, eine solide theoretische Grundlage für die Sinisierung des Katholizismus zu schaffen, damit er sich ständig mit chinesischen Merkmalen manifestiert“.
Diejenigen, die sich seit Jahren mit der Religionspolitik der chinesischen Regierung befassen, finden in diesem Ansatz keine große Neuheit: Was uns jedoch beeindruckt, ist die Festigkeit und Eindringlichkeit der Sprache. Als ob es keinen Dialog und keine Annäherung an den Heiligen Stuhl gäbe; als ob die Anerkennung aller chinesischen Bischöfe durch den Papst nichts zählen würde; als ob es kein Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und China gäbe, das der Welt den Eindruck vermittelt, daß der römische Katholizismus in China Gastfreundschaft und Bürgerrecht gefunden hat.
Als Theologe bin ich beeindruckt von dem Vorhaben, der Sinisierung eine theologische Grundlage zu geben. Für oberflächliche Beobachter ist es zu einfach, sie zu rechtfertigen und als eine Etappe im legitimen kirchlichen Prozeß der Inkulturation zu betrachten. Dies ist nicht der Fall: Es gibt hier keine Gläubigen, die aus freien Stücken einen tugendhaften Dialog zwischen dem katholischen Glauben und ihrer eigenen kulturellen Zugehörigkeit suchen. Es handelt sich vielmehr um die von einem autoritären Regime aufgezwungene Anpassung der Glaubenspraxis an die von den politischen Behörden festgelegte Religionspolitik.
Vor hundert Jahren, vom 15. Mai bis 12. Juni 1924, fand das Konzil von Shanghai statt, das erste Treffen aller Bischöfe Chinas (leider gab es damals noch keine Chinesen unter ihnen). Das Konzil (interessant die Übernahme dieses Begriffs) wurde von dem päpstlichen Delegierten Celso Costantini einberufen. Dieser war im Anschluß an die Enzyklika Maximum Illud von Benedikt XV. aus dem Jahr 1919 nach China entsandt worden, in der die Missionen aufgefordert wurden, den Weg der Inkulturation zu beschreiten. Mehrere Missionare, darunter der Generalobere der PIME, Paolo Manna (heute seliggesprochen), hatten den ausländischen Charakter der katholischen Kirche in China angeprangert. Im Jahr 1926 wurden schließlich die ersten sechs chinesischen Bischöfe geweiht, und einige Jahre später gründete Costantini in Peking eine Schule, um eine chinesische christliche Kunst zu schaffen. So begann, mit großer Verzögerung, der Prozeß der Sinisierung. Im Jahr des hundertjährigen Bestehens des Konzils von Shanghai ist es unsere Pflicht, über diese Ereignisse und die Herausforderungen für die Zukunft des Glaubens in China historisch und theologisch nachzudenken.
Für uns ist es inakzeptabel, daß die Kontrolle der politischen Behörden über die katholischen Gläubigen – eine Kontrolle, die man gerne als Sinisierung hinstellen möchte – auf zweideutige Weise im Namen der Inkulturation des Evangeliums gerechtfertigt wird.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: AsiaNews