(Rom) Gestern wurde auf dem Petersplatz der diesjährige Weihnachtsbaum aufgerichtet. Wie schon in den vergangenen Jahren bietet die Herkunft des Baumes die Gelegenheit, eine zumeist unbekannte kulturelle Seite aufzuschlagen. Eine Seite, die in die Heimat von Sprachminderheiten führt, die es in Italien gibt.
2018 kam der Christbaum für den Papst aus dem Cansiglio, einer weitgehend vergessenen ehemaligen deutschen Sprachinsel in Friaul. 2021 kam er aus Andalo, einer ehemaligen deutschen Sprachinsel im Trentino (Welschtirol). Unsere Berichte dazu siehe hier:
- Weihnachtsbaum auf dem Petersplatz aufgerichtet – 113 Jahre alte Fichte aus Andalo im Trentino
- Auf dem Petersplatz steht wieder der Weihnachtsbaum – Wer schenkte ihn dem Papst? – Eine autonome Region und eine vergessene, deutsche Sprachinsel
Der Weihnachtstaum aus der Valada occitana
Der Weihnachtsbaum ist ein typisch deutscher Brauch, der sich in den vergangenen Jahrzehnten auf die ganze Welt ausgebreitet hat. Seine Errichtung auf dem Petersplatz geht auf Papst Johannes Paul II. zurück und erfolgte erstmals 1982. Dadurch hält er auch in Italien immer stärkeren Einzug.
Der diesjährige Weihnachtsbaum stammt aus dem hinteren Maira-Tal in der Gemeinde Macra. Diese gehört zur Diözese Saluzzo und der italienischen Provinz Cuneo in der Region Piemont. Wir sind also im Nordwesten Italiens an der Grenze zu Frankreich.
In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wurde die 28 Meter hohe und 6,5 Tonnen schwere Fichte mit einem Sondertransport nach Rom gebracht. In den frühen Morgenstunden wurde die Staatsgrenze zum Vatikanstaat passiert und der Baum aufgerichtet.
Es ist der erste Weihnachtsbaum für den Papst, der aus Piemont stammt. Und dort kommt er aus einem Tal, das zum okzitanischen Sprachgebiet gehört.
Das Maira-Tal gehört zu den Okzitanischen Tälern Italiens, den Valadas Occitanas, wie die Okzitanen sagen. Ihr okzitanischer Namen lautet Mairar. Nahe verwandt mit dem Okzitanischen ist das Katalanische. Hier am östlichsten Rand des okzitanischen Sprachgebiets, in den okzitanischen Tälern Italiens, wird Alpenokzitanisch gesprochen.
Während sich Italien lange schwertat mit der Anerkennung historischer ethnischer Minderheiten – wie Frankreich heute noch –, hat sich die Situation seit dem Ende des 20. Jahrhunderts entspannt. Das Sprachgesetz von 1999 sieht auch die Aufwertung „der geschützten Sprachen und Kulturen“ vor. Damit sind die historischen ethnischen Minderheiten in Italien in ihrem historischen Siedlungsgebiet gemeint. Die einzelnen Gemeinden konnten sich seither einem sprachlichen Minderheitengebiet zugehörig erklären, wovon die okzitanischen Gemeinden in den piemontesischen Alpen sofort Gebrauch machten.
Piemont ist sprachlich gesehen die Übergangszone zwischen Italienisch und dem vorwiegend in Frankreich gesprochenen Okzitanisch bzw. Frankoprovenzalisch, das seinerseits wieder eine Übergangssprache zwischen Okzitanisch und Französisch darstellt. Der Einfluß ist im Piemontesischen deutlich zu hören.
Fast ganz Südfrankreich gehört zum okzitanischen Sprachraum. Allerdings ist Okzitanisch eine Sprache ohne Staat. Das Gebiet wurde frühzeitig von Frankreich beherrscht und dort gilt seit der Französischen Revolution ein strenger Zentralismus, der lange keine Minderheiten duldete und sich noch heute mit ihnen schwertut. Deren Sprachen wurden auf Haus- und Familiensprachen zurückgedrängt, ohne ihnen irgendeine öffentliche Geltung zukommen zu lassen.
Die Staatsgrenze, die sich im Laufe der Geschichte zwischen Italien und Frankreich herausbildete, folgt in den Westalpen aus militärstrategischen Gründen weitgehend der Wasserscheide. Diese wird von einem Gebirgskamm gebildet, der mit seinem höchsten Gipfel, dem Chambeyron, auf fast 3400 Meter ansteigt.
Sprachlich gesehen ist in diesem Abschnitt Piemonts jedoch der gesamte Alpengürtel okzitanisch, also zu beiden Seiten der Staatsgrenze. Das okzitanische Sprachgebiet reicht soweit, wie auch die Berge nach Italien hineinreichen.
Die meisten Täler sind Sacktäler in Ost-West-Richtung. Das gilt auch für das Maira-Tal, das seinen Eingang von der Poebene her bei Dronero hat und sich von dort rund 40 Kilometer in westlicher, dann noch einmal fünf Kilometer in nördlicher Richtung in die Alpen hineinschiebt. Seinen Namen hat das Tal vom gleichnamigen Fluß Maira, wurde früher aber auch nach dem Ort Macra benannt, aus dem der Weihnachtsbaum auf dem Petersplatz stammt. Die Bedeutung der beiden Namen ist identisch und bedeutet mager (französisch maigre), ein Adjektiv, an dem sich die gemeinsame Herkunft der indogermanischen Sprachen belegen läßt: althochdeutsch magar, lateinisch macer, griechisch mekos, und scheint vor allem auf die geringe Breite des Tales anzuspielen. Seit dem 19. Jahrhundert hätte man aber auch die Deutung „kärglich“ akzeptiert, die viele Bewohner zur Abwanderung trieb.
Dronero, der Hauptort des Tales, heißt auf okzitanisch Draonier und auf piemontesisch Droné. Die Amtssprache in der Gegend war jedoch immer Italienisch.
Das hintere Maira-Tal, zu dem auch Macra gehört, umfaßt historisch zwölf Gemeinden. Sie sollen, laut der Überlieferung, in ihrem Ursprung auf die Sarazenen-Angriffe zurückgehen, als die Bewohner Zuflucht in den Bergen suchten. Aus San Damian, einem Nachbarort von Macra, stammt die Familie von Luigi Einaudi, dem ersten italienischen Staatspräsidenten (1948–1955) nach Abschaffung der Monarchie. Im deutschen Sprachraum dürfte heute allerdings mehr dessen Enkel, der 1955 in Turin geborene Pianist und Komponist Ludovico Einaudi bekannt sein.
Historisches
Die Geschichte der Val Maira wird erst mit den Sachsenkaisern greifbar. Die Erstnennung erfolgte 1028 mit der Gründung des Benediktinerinnenklosters Sancta Maria in Caramagna. Das Kloster wurde 1444 von Papst Felix V. in ein Benediktinerkloster umgewandelt, dann Anfang des 17. Jahrhunderts in ein Hieronymitenkloster, das 1793, nach dem Einmarsch französischer Revolutionstruppen, aufgehoben wurde.
Klosterstifter waren Markgraf Udalrich Manfred II. von Turin und dessen Frau Berta, deren Namen ihre Herkunft verraten. Sein Vater Udalrich Manfred I. und dessen Frau Prangard hatten die Grundlage für die Markgrafschaft Saluzzo gelegt, die 1175 von Kaiser Friedrich I. als Teil von Reichsitalien anerkannt wurde. Markgrafen wurde eine Nebenlinie der salischen Aleramiden.
In dieser Markgrafschaft mit der Hauptstadt Saluzzo (okzitanisch Saluças, piemontesisch Salusse) wurde unter Markgraf Ludwig II. 1479/80 zwei Täler nördlich des Maira-Tals der Buco di Viso gegraben, der älteste Verkehrstunnel der Alpen, der immerhin 74 Meter lang ist.
Als 1548 der letzte Markgraf von Saluzzo, dieser kleinen, aber wohlhabenden und kulturell lebendigen Herrschaft, ohne legitime Kinder starb, baten die Gemeinden wegen der Wirren der damaligen Kriege um den Anschluß der Markgrafschaft an Frankreich. Damit ging die Eigenständigkeit des Gebiets verloren.
Schon 1587 konnte es vom Herzogtum Piemont gewonnen werden und wurde wieder Teil des Heiligen Römischen Reichs. Mit Piemont blieb es bis 1720 (seit 1648 nur mehr indirekt) Teil des Reiches. 1720 entstand nämlich das Königreich Sardinien-Piemont, das 1861 ein Teil des neugeschaffenen Königreichs Italien wurde.
1948 wurde Piemont als Region (Verwaltungseinheit) innerhalb Italiens wiedererrichtet. Seit 1970 verfügt sie über einen eigenen Landtag, eine eigene Regierung und auch über Entscheidungsbefugnisse.
Im gesamten Maira-Tal, so auch in Macra, wird noch heute Okzitanisch gesprochen. Im äußeren Tal auch Piemontesisch. Italienisch wird natürlich überall verstanden.
Schneefall auf dem Petersplatz
Am kommenden 9. Dezember, um 17 Uhr, werden der Weihnachtsbaum und die Weihnachtskrippe auf dem Petersplatz in einer kurzen Zeremonie von Kardinal Fernando Vérgez Alzaga, dem Regierungschef des Vatikanstaates, feierlich beleuchtet. Der Baum wird bis dahin mit einer Folie geschmückt, auf der sich 7000 Edelweiße befinden, die von einem Gärtner aus dem Maira-Tal zur Verfügung gestellt wurden. Dadurch soll der Eindruck von Schneeflocken vermittelt werden, als würde es schneien.
In den Weihnachtstagen besucht traditionell auch der Papst kurz den Weihnachtsbaum und die dort errichtete Krippe.
Vor 800 Jahren hatte der heilige Franz von Assisi nach seiner Rückkehr aus dem Nahen Osten die Idee zu einer Krippe. Der kleine Ort Greccio in der Val Reatina war Anstoß für ihn. Im selben Jahr wurde von Papst Honorius III. die Regula Bullata des Franziskanerordens anerkannt. Um an beide Ereignisse zu erinnern, wird die diesjährige Krippe auf dem Petersplatz aus der Valle Reatina in der Diözese Rieti stammen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Region Piemont/Wikicommons (Screenshot)