Der Weihnachtsbaum auf dem Petersplatz stammt 2023 aus einem okzitanischen Tal


Der Weihnachtsbaum für den Petersplatz wurde am Dienstag aus dem Maira-Tal nach Rom gebracht
Der Weihnachtsbaum für den Petersplatz wurde am Dienstag aus dem Maira-Tal nach Rom gebracht

(Rom) Gestern wur­de auf dem Peters­platz der dies­jäh­ri­ge Weih­nachts­baum auf­ge­rich­tet. Wie schon in den ver­gan­ge­nen Jah­ren bie­tet die Her­kunft des Bau­mes die Gele­gen­heit, eine zumeist unbe­kann­te kul­tu­rel­le Sei­te auf­zu­schla­gen. Eine Sei­te, die in die Hei­mat von Sprach­min­der­hei­ten führt, die es in Ita­li­en gibt.

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2018 kam der Christ­baum für den Papst aus dem Can­siglio, einer weit­ge­hend ver­ges­se­nen ehe­ma­li­gen deut­schen Sprach­in­sel in Fri­aul. 2021 kam er aus Anda­lo, einer ehe­ma­li­gen deut­schen Sprach­in­sel im Tren­ti­no (Welsch­ti­rol). Unse­re Berich­te dazu sie­he hier:

Der Weihnachtstaum aus der Valada occitana

Der Weih­nachts­baum ist ein typisch deut­scher Brauch, der sich in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten auf die gan­ze Welt aus­ge­brei­tet hat. Sei­ne Errich­tung auf dem Peters­platz geht auf Papst Johan­nes Paul II. zurück und erfolg­te erst­mals 1982. Dadurch hält er auch in Ita­li­en immer stär­ke­ren Einzug.

Die Val Mai­ra in Pie­mont (roter Kasten)

Der dies­jäh­ri­ge Weih­nachts­baum stammt aus dem hin­te­ren Mai­ra-Tal in der Gemein­de Macra. Die­se gehört zur Diö­ze­se Saluz­zo und der ita­lie­ni­schen Pro­vinz Cuneo in der Regi­on Pie­mont. Wir sind also im Nord­we­sten Ita­li­ens an der Gren­ze zu Frankreich.

In der Nacht von Mitt­woch auf Don­ners­tag wur­de die 28 Meter hohe und 6,5 Ton­nen schwe­re Fich­te mit einem Son­der­trans­port nach Rom gebracht. In den frü­hen Mor­gen­stun­den wur­de die Staats­gren­ze zum Vati­kan­staat pas­siert und der Baum aufgerichtet.

Es ist der erste Weih­nachts­baum für den Papst, der aus Pie­mont stammt. Und dort kommt er aus einem Tal, das zum okzita­ni­schen Sprach­ge­biet gehört.

Das Mai­ra-Tal gehört zu den Okzita­ni­schen Tälern Ita­li­ens, den Vala­das Occi­ta­nas, wie die Okzit­a­nen sagen. Ihr okzita­ni­scher Namen lau­tet Mairar. Nahe ver­wandt mit dem Okzita­ni­schen ist das Kata­la­ni­sche. Hier am öst­lich­sten Rand des okzita­ni­schen Sprach­ge­biets, in den okzita­ni­schen Tälern Ita­li­ens, wird Alpen­ok­zita­nisch gesprochen.

Wäh­rend sich Ita­li­en lan­ge schwer­tat mit der Aner­ken­nung histo­ri­scher eth­ni­scher Min­der­hei­ten – wie Frank­reich heu­te noch –, hat sich die Situa­ti­on seit dem Ende des 20. Jahr­hun­derts ent­spannt. Das Sprach­ge­setz von 1999 sieht auch die Auf­wer­tung „der geschütz­ten Spra­chen und Kul­tu­ren“ vor. Damit sind die histo­ri­schen eth­ni­schen Min­der­hei­ten in Ita­li­en in ihrem histo­ri­schen Sied­lungs­ge­biet gemeint. Die ein­zel­nen Gemein­den konn­ten sich seit­her einem sprach­li­chen Min­der­hei­ten­ge­biet zuge­hö­rig erklä­ren, wovon die okzita­ni­schen Gemein­den in den pie­mon­te­si­schen Alpen sofort Gebrauch machten.

Pie­mont ist sprach­lich gese­hen die Über­gangs­zo­ne zwi­schen Ita­lie­nisch und dem vor­wie­gend in Frank­reich gespro­che­nen Okzita­nisch bzw. Fran­ko­pro­ven­za­lisch, das sei­ner­seits wie­der eine Über­gangs­spra­che zwi­schen Okzita­nisch und Fran­zö­sisch dar­stellt. Der Ein­fluß ist im Pie­mon­te­si­schen deut­lich zu hören. 

Die okzita­ni­schen Gemein­den in Ita­li­en (Gelb­tö­ne)

Fast ganz Süd­frank­reich gehört zum okzita­ni­schen Sprach­raum. Aller­dings ist Okzita­nisch eine Spra­che ohne Staat. Das Gebiet wur­de früh­zei­tig von Frank­reich beherrscht und dort gilt seit der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on ein stren­ger Zen­tra­lis­mus, der lan­ge kei­ne Min­der­hei­ten dul­de­te und sich noch heu­te mit ihnen schwer­tut. Deren Spra­chen wur­den auf Haus- und Fami­li­en­spra­chen zurück­ge­drängt, ohne ihnen irgend­ei­ne öffent­li­che Gel­tung zukom­men zu lassen.

Die Staats­gren­ze, die sich im Lau­fe der Geschich­te zwi­schen Ita­li­en und Frank­reich her­aus­bil­de­te, folgt in den West­al­pen aus mili­tär­stra­te­gi­schen Grün­den weit­ge­hend der Was­ser­schei­de. Die­se wird von einem Gebirgs­kamm gebil­det, der mit sei­nem höch­sten Gip­fel, dem Cham­bey­ron, auf fast 3400 Meter ansteigt.

Sprach­lich gese­hen ist in die­sem Abschnitt Pie­monts jedoch der gesam­te Alpen­gür­tel okzita­nisch, also zu bei­den Sei­ten der Staats­gren­ze. Das okzita­ni­sche Sprach­ge­biet reicht soweit, wie auch die Ber­ge nach Ita­li­en hineinreichen.

Die mei­sten Täler sind Sack­tä­ler in Ost-West-Rich­tung. Das gilt auch für das Mai­ra-Tal, das sei­nen Ein­gang von der Poebe­ne her bei Drone­ro hat und sich von dort rund 40 Kilo­me­ter in west­li­cher, dann noch ein­mal fünf Kilo­me­ter in nörd­li­cher Rich­tung in die Alpen hin­ein­schiebt. Sei­nen Namen hat das Tal vom gleich­na­mi­gen Fluß Mai­ra, wur­de frü­her aber auch nach dem Ort Macra benannt, aus dem der Weih­nachts­baum auf dem Peters­platz stammt. Die Bedeu­tung der bei­den Namen ist iden­tisch und bedeu­tet mager (fran­zö­sisch maig­re), ein Adjek­tiv, an dem sich die gemein­sa­me Her­kunft der indo­ger­ma­ni­schen Spra­chen bele­gen läßt: alt­hoch­deutsch magar, latei­nisch macer, grie­chisch mekos, und scheint vor allem auf die gerin­ge Brei­te des Tales anzu­spie­len. Seit dem 19. Jahr­hun­dert hät­te man aber auch die Deu­tung „kärg­lich“ akzep­tiert, die vie­le Bewoh­ner zur Abwan­de­rung trieb.

Drone­ro, der Haupt­ort des Tales, heißt auf okzita­nisch Drao­nier und auf pie­mon­te­sisch Dro­né. Die Amts­spra­che in der Gegend war jedoch immer Italienisch.

Das hin­te­re Mai­ra-Tal, zu dem auch Macra gehört, umfaßt histo­risch zwölf Gemein­den. Sie sol­len, laut der Über­lie­fe­rung, in ihrem Ursprung auf die Sara­ze­nen-Angrif­fe zurück­ge­hen, als die Bewoh­ner Zuflucht in den Ber­gen such­ten. Aus San Dami­an, einem Nach­bar­ort von Macra, stammt die Fami­lie von Lui­gi Ein­au­di, dem ersten ita­lie­ni­schen Staats­prä­si­den­ten (1948–1955) nach Abschaf­fung der Mon­ar­chie. Im deut­schen Sprach­raum dürf­te heu­te aller­dings mehr des­sen Enkel, der 1955 in Turin gebo­re­ne Pia­nist und Kom­po­nist Ludo­vico Ein­au­di bekannt sein.

Historisches

Die Geschich­te der Val Mai­ra wird erst mit den Sach­sen­kai­sern greif­bar. Die Erst­nen­nung erfolg­te 1028 mit der Grün­dung des Bene­dik­ti­ne­rin­nen­klo­sters Sanc­ta Maria in Cara­ma­gna. Das Klo­ster wur­de 1444 von Papst Felix V. in ein Bene­dik­ti­ner­klo­ster umge­wan­delt, dann Anfang des 17. Jahr­hun­derts in ein Hie­ro­ny­mi­ten­klo­ster, das 1793, nach dem Ein­marsch fran­zö­si­scher Revo­lu­ti­ons­trup­pen, auf­ge­ho­ben wurde.

Val Mai­ra in der ersten Hälf­te des 20. Jahrhunderts

Klo­ster­stif­ter waren Mark­graf Udal­rich Man­fred II. von Turin und des­sen Frau Ber­ta, deren Namen ihre Her­kunft ver­ra­ten. Sein Vater Udal­rich Man­fred I. und des­sen Frau Pran­gard hat­ten die Grund­la­ge für die Mark­graf­schaft Saluz­zo gelegt, die 1175 von Kai­ser Fried­rich I. als Teil von Reichs­ita­li­en aner­kannt wur­de. Mark­gra­fen wur­de eine Neben­li­nie der sali­schen Aleramiden.

In die­ser Mark­graf­schaft mit der Haupt­stadt Saluz­zo (okzita­nisch Salu­ças, pie­mon­te­sisch Salus­se) wur­de unter Mark­graf Lud­wig II. 1479/​80 zwei Täler nörd­lich des Mai­ra-Tals der Buco di Viso gegra­ben, der älte­ste Ver­kehrs­tun­nel der Alpen, der immer­hin 74 Meter lang ist.

Als 1548 der letz­te Mark­graf von Saluz­zo, die­ser klei­nen, aber wohl­ha­ben­den und kul­tu­rell leben­di­gen Herr­schaft, ohne legi­ti­me Kin­der starb, baten die Gemein­den wegen der Wir­ren der dama­li­gen Krie­ge um den Anschluß der Mark­graf­schaft an Frank­reich. Damit ging die Eigen­stän­dig­keit des Gebiets verloren.

Schon 1587 konn­te es vom Her­zog­tum Pie­mont gewon­nen wer­den und wur­de wie­der Teil des Hei­li­gen Römi­schen Reichs. Mit Pie­mont blieb es bis 1720 (seit 1648 nur mehr indi­rekt) Teil des Rei­ches. 1720 ent­stand näm­lich das König­reich Sar­di­ni­en-Pie­mont, das 1861 ein Teil des neu­ge­schaf­fe­nen König­reichs Ita­li­en wurde.

Saluz­zo, Haupt­ort und kul­tu­rel­les Zen­trum der ein­sti­gen Mark­graf­schaft, mit Blick auf die Alpen

1948 wur­de Pie­mont als Regi­on (Ver­wal­tungs­ein­heit) inner­halb Ita­li­ens wie­der­errich­tet. Seit 1970 ver­fügt sie über einen eige­nen Land­tag, eine eige­ne Regie­rung und auch über Entscheidungsbefugnisse.

Im gesam­ten Mai­ra-Tal, so auch in Macra, wird noch heu­te Okzita­nisch gespro­chen. Im äuße­ren Tal auch Pie­mon­te­sisch. Ita­lie­nisch wird natür­lich über­all verstanden.

Schneefall auf dem Petersplatz

Am kom­men­den 9. Dezem­ber, um 17 Uhr, wer­den der Weih­nachts­baum und die Weih­nachts­krip­pe auf dem Peters­platz in einer kur­zen Zere­mo­nie von Kar­di­nal Fer­nan­do Vérgez Alz­a­ga, dem Regie­rungs­chef des Vati­kan­staa­tes, fei­er­lich beleuch­tet. Der Baum wird bis dahin mit einer Folie geschmückt, auf der sich 7000 Edel­wei­ße befin­den, die von einem Gärt­ner aus dem Mai­ra-Tal zur Ver­fü­gung gestellt wur­den. Dadurch soll der Ein­druck von Schnee­flocken ver­mit­telt wer­den, als wür­de es schneien.

In den Weih­nachts­ta­gen besucht tra­di­tio­nell auch der Papst kurz den Weih­nachts­baum und die dort errich­te­te Krippe.

Vor 800 Jah­ren hat­te der hei­li­ge Franz von Assi­si nach sei­ner Rück­kehr aus dem Nahen Osten die Idee zu einer Krip­pe. Der klei­ne Ort Greccio in der Val Rea­ti­na war Anstoß für ihn. Im sel­ben Jahr wur­de von Papst Hono­ri­us III. die Regu­la Bulla­ta des Fran­zis­ka­ner­or­dens aner­kannt. Um an bei­de Ereig­nis­se zu erin­nern, wird die dies­jäh­ri­ge Krip­pe auf dem Peters­platz aus der Val­le Rea­ti­na in der Diö­ze­se Rie­ti stammen.

Blick aus dem Mai­ra-Tal auf den Monviso

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Regi­on Piemont/​Wikicommons (Screen­shot)

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