Die „utilitaristische Theologie“ von Bentham, Rahner und Jorge Mario Bergoglio

Ettore Gotti Tedeschi zu den Quellen im Denken von Papst Franziskus


Ettore Gotti Tedeschi weist auf eine mögliche Quelle im Denken von Papst Franziskus hin, die bisher unbeachtet blieb.
Ettore Gotti Tedeschi weist auf eine mögliche Quelle im Denken von Papst Franziskus hin, die bisher unbeachtet blieb.

Der Finanz­ethi­ker Etto­re Got­ti Tede­schi, ehe­ma­li­ger Prä­si­dent der Vatik­an­bank IOR, hielt am 7. Novem­ber vor einer geschlos­se­nen Gesell­schaft im ver­trau­li­chem Rah­men eine Lec­tio. Der Vati­ka­nist Mar­co Tosat­ti war dabei und erhielt die Erlaub­nis, einen Teil der Lec­tio zu tran­skri­bie­ren. Jenen Teil, in dem Got­ti Tede­schi wie­der­hol­te, was er bereits im Zusam­men­hang mit sei­ner Kri­tik am jüng­sten Apo­sto­li­schen Schrei­ben Lau­da­te Deum und der Nicht-Ant­wort auf die jüng­sten Dubia von fünf Kar­di­nä­len aus­ge­führt hat­te. Wegen sei­ner Bedeu­tung soll er auch hier wie­der­holt werden:

Die „utilitaristische Theologie“ von Bentham, Rahner und Jorge Mario Bergoglio

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Von Etto­re Got­ti Tedeschi

Die „Uti­li­ta­ri­sti­sche Theo­lo­gie“ – die­se Defi­ni­ti­on stammt von mir – wur­de in der Tat, viel­leicht unbe­wußt (?), von dem deut­schen Jesui­ten­theo­lo­gen Karl Rah­ner ver­tre­ten, dem ein­fluß­reich­sten Ver­tre­ter des Pro­gres­si­vis­mus wäh­rend und nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil. Für Rah­ner war die „neue Theo­lo­gie“, die für ihn wahr­schein­lich ein­fach nur Ver­än­de­rung, Inno­va­ti­on, Fort­schritt usw. bedeu­te­te, not­wen­dig, um [als Theo­lo­gie] im 20. Jahr­hun­dert und dar­über hin­aus aner­kannt zu werden.

Als dann von der Spit­ze der Hei­li­gen Katho­li­schen, Apo­sto­li­schen und Römi­schen Kir­che „end­lich“ erklärt wur­de, daß „Wirk­lich­kei­ten über Ideen ste­hen“. begann man in der gan­zen Welt zu begrei­fen, daß Karl Rah­ner end­lich wie­der­ent­deckt wor­den war. Rah­ner hoff­te und pro­phe­zei­te in der Tat eine prag­ma­ti­sche Kir­che, da er erkannt hat­te, daß die Theo­lo­gie „obso­let“ wer­den wür­de, Gott ein­ge­schlos­sen, wes­halb sie in eine Wirt­schafts­so­zio­lo­gie umzu­wan­deln sei.

Aber, der Ärm­ste, er hat nicht erkannt, daß er damit die Theo­lo­gie nicht nur vom Ewi­gen, son­dern auch von der ech­ten Wirk­lich­keit der Gegen­wart abkop­peln würde.

Karl Rah­ner wur­de, so den­ke ich, auch von einem posi­ti­vi­sti­schen Wirt­schafts­phi­lo­so­phen inspi­riert: J. Bentham.

  • In den ersten Jahr­zehn­ten des 19. Jahr­hun­derts begrün­de­te der bedeu­ten­de eng­li­sche Phi­lo­soph, Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler und Radi­ka­le (Lin­ker, Umwelt­schüt­zer und Tier­schüt­zer) Jere­my Bent­ham (1748–1832) die Uti­li­ta­ris­mus-Leh­re, die für die bevor­ste­hen­de Indu­stri­el­le Revo­lu­ti­on not­wen­dig war. Um das Grund­prin­zip die­ser Leh­re so weit wie mög­lich zu ver­ein­fa­chen, wür­de ich sagen, daß das „Gute das Nütz­li­che“ ist. Wahr­schein­lich hat­te Karl Rah­ner die Gele­gen­heit, die­se Leh­re zu stu­die­ren, denn Bent­hams Uti­li­ta­ris­mus schuf auch einen appe­tit­li­chen „Moral-Code“.

    Für Bent­ham muß die Moral, wenn sie zur Wis­sen­schaft wer­den soll, wie der Posi­ti­vis­mus auf „rea­len Fak­ten“ beru­hen. Ich wer­de ver­su­chen, die Grund­sät­ze des Uti­li­ta­ris­mus von Bent­ham (in mei­nen eige­nen Wor­ten inter­pre­tiert und ange­paßt) zusam­men­zu­fas­sen und so weit wie mög­lich zu ver­ein­fa­chen, wobei ich Sie bit­te, dar­über nach­zu­den­ken und zu reflek­tie­ren, wo, wann, wie und von wem sie bereits in jün­ge­rer Zeit vor­ge­schla­gen wur­den – mit ande­ren Wor­ten, aber mit dem­sel­ben Geist:
  • Mora­li­sche Ver­pflich­tun­gen dür­fen nicht abso­lut sein, son­dern müs­sen rela­tiv sein, sie müs­sen sub­jek­tiv beur­teilt wer­den, um den mensch­li­chen Fähig­kei­ten und damit dem Bei­trag aller kei­ne Gren­zen zu setzen.
  • Es ist nicht akzep­ta­bel, Hand­lun­gen als in sich schlecht ein­zu­stu­fen, da dies eine sub­jek­ti­ve mora­li­sche Bewer­tung dar­stellt, bei der der Bei­trag der Krea­ti­vi­tät verlorenginge.
  • Da sich die „Spiel­re­geln“ stän­dig ändern, müs­sen sie sich den Umstän­den anpas­sen kön­nen. Daher müs­sen sich auch die mora­li­schen Ver­pflich­tun­gen anpas­sen und wei­ter­ent­wickeln können.
  • Es dür­fen kei­ne mora­li­schen Gren­zen gesetzt wer­den, die der Ein­sicht unter­wor­fen wer­den müs­sen. Des­halb darf man auch kei­ne mora­li­schen Geset­ze auf­stel­len, die nicht umsetz­bar sind, weil sie die mensch­li­chen Kräf­te übersteigen.
  • Die Ethik muß sich dem anpas­sen, was nütz­lich ist.

Erin­nert Sie das an etwas?

Der Vor­trag von Got­ti Tede­schi dau­er­te zwei Stun­den. Er erlaub­te mir aber nur, die­sen Aus­zug zu zitie­ren (Mar­co Tosatti).

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Stilum curiae

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