Der 9. Oktober 1958 wurde weltweit von vielen Menschen als sehr trauriger Tag empfunden, der sie tief bewegte. Um 3:52 Uhr war der Servus servorum Dei Papst Pius XII. verstorben. Am Nachmittag jenes unglücklichen Tages wurde der Leichnam im Thronsaal des Apostolischen Palastes von Castel Gandolfo zum verehrenden Abschied durch das Volk und den päpstlichen Hof ausgesetzt.
Auf den vorhandenen Bildern jener Ereignisse sind deutlich die Verwüstungen zu sehen, die Graf Riccardo Galeazzi Lisi, der Leibarzt des Papstes (der in Wirklichkeit ein Augenarzt war), angerichtet hatte. Als Papst Pacelli noch lebte, habe er dem Heiligen Vater die seiner Meinung nach wundersame Wirkung einer von ihm selbst erfundenen, „revolutionären“ Behandlung von Leichen gezeigt. Er habe dem Pontifex, dem die Vorstellung mißfiel, daß nach seinem Ableben sein Körper entblößt und an diesem herumgewerkt würde, die Gliedmaßen eines Mannes zur Ansicht gebracht, der bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Das Hautgewebe war elastisch und perfekt, so daß sein erhabener Patient erstaunt gewesen sei, so zumindest die Schilderung. Seine neue Methode sei „konservativ“ und würde keine inneren Eingriffe erfordern.
Unmittelbar nach dem eingetretenen Tod des Papstes erschien Galeazzi Lisi vor Eugène Kardinal Tisserant, dem Dekan des Heiligen Kardinalskollegiums, und drängte ihn, den ehrwürdigen Leichnam selbst einbalsamieren zu dürfen, denn dazu habe der erlauchte Verstorbene zu Lebzeiten sein Placet gegeben.
Bei der folgenden Einbalsamierung durch Galeazzi Lisi wurde der Leichnam in eine von ihm zusammengestellte, geheimnisvolle Mischung aus aromatischen Kräutern („Dinge, von denen nicht einmal die alten Ägypter wußten“) getaucht und dann mit mehreren Schichten Zellophan versiegelt. Abgesehen von dem verstörenden und unwürdigen Anblick, den das ergab: Selbst ein Kind weiß, daß ein Leichnam bei niedrigen Temperaturen gelagert werden muß, um ihn so gut wie möglich zu konservieren.
Durch das Einwickeln in Zellophan stieg die Körpertemperatur so stark an, daß der Leichnam schon auf dem Weg von Castel Gandolfo nach Rom auf der Via Appia in Höhe der Lateranbasilika aufplatzte. Ein außerplanmäßiger Halt wurde notwendig, bei dem der Leichnam des Papstes einem neuen Einbalsamierungsverfahren unterzogen wurde. Doch der Schaden war bereits angerichtet. Während der dreitägigen Ausstellung in der Vatikanbasilika geschah das Schlimmste: Das Gesicht des großen Vaters der Katholizität begann aufzubrechen und sogar seine Nasenscheidewand fiel ab. Tausende von Pilgern, die in der Schlange standen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen, wurden Zeugen dieses schrecklichen Schauspiels, und mehrere Nobelgardisten, die den Leichnam bewachten, fielen in Ohnmacht, weil der Leichnam einen so üblen Geruch verströmte.
In der Nacht vom 11. auf den 12. Oktober mußte der Petersdom geschlossen werden, um weitere Eingriffe am Leichnam vorzunehmen, indem eine Wachsmaske über das Gesicht des verehrten Papstes gelegt wurde. Diese schreckliche Geschichte, die umso unmenschlicher ist, als es sich um den erhabenen Leichnam des Stellvertreters Christi auf Erden handelte, ist als eine der schlimmsten Einbalsamierungen der jüngeren Geschichte in die Annalen eingegangen.
Galeazzi Lisi hatte sich aus persönlicher Eitelkeit nicht nur dieser Schändlichkeit schuldig gemacht. Er hatte, was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wußte, heimlich mit einer kleinen, in seiner Tasche versteckten Kamera Fotos vom verstorbenen Papst gemacht und diese gegen hohe Summen an französische Zeitungen verkauft. Bereits in den Monaten zuvor hatte er Medien für Geld Indiskretionen über den Gesundheitszustand des Papstes geliefert. Grund dafür war seine Spielleidenschaft, die ständig Geld verlangte.
Insgesamt wurden nachträglich Zweifel an der ärztlichen Behandlung von Pius XII. durch Galeazzi Lisi laut.
Wegen des Einbalsamierungspfusches und des Foto-Skandals entließ ihn das Kardinalskollegium auf der Stelle. Wegen unwürdigen und unethischen Verhaltens wurde ihm die Approbation entzogen und Galeazzi Lisi aus der italienischen Ärztekammer ausgeschlossen. Gegen ihn wurde ein lebenslanges Verbot verhängt, den Vatikan noch einmal zu betreten.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Scuola Ecclesia Mater