Die Synodalitätssynode: eine „Büchse der Pandora“ mit unvorhersehbaren Folgen

"Je nach Sensibilität wurde die Wahl von Papst Franziskus als Alptraum, als irdischer Schock oder als echte Befreiung gesehen"


Die erste von zwei Sessionen der Synodalitätssynode steht im kommenden Oktober vor der Tür. Prof. de Mattei analysiert den schwierigen Ist-Zustand vor dem Beginn dieser Synode mit "unvorhersehbaren Folgen".
Die erste von zwei Sessionen der Synodalitätssynode steht im kommenden Oktober vor der Tür. Prof. de Mattei analysiert den schwierigen Ist-Zustand vor dem Beginn dieser Synode mit "unvorhersehbaren Folgen".

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Wir wis­sen nicht, ob die zehn Jah­re zwi­schen Anfang 2013 und Ende 2023 als die inten­siv­sten des 21. Jahr­hun­derts in die Geschich­te ein­ge­hen wer­den, aber sie waren mit Sicher­heit die unbe­re­chen­bar­sten unse­res Lebens.

Das Jahr­zehnt beginnt mit einer „Bom­be“, dem Rück­tritt von Bene­dikt XVI. am 11. Febru­ar 2013, und endet mit einer wei­te­ren „Bom­be“, oder bes­ser gesagt einer „Büch­se der Pan­do­ra“, wie sie in einem kürz­lich erschie­ne­nen Buch von Julio Lore­do und José Anto­nio Ure­ta (Asso­cia­zio­ne Tra­di­zio­ne Fami­glia Pro­prie­tà, Rom 2023) tref­fend bezeich­net wur­de: die Syn­oda­li­täts­syn­ode im kom­men­den Okto­ber. Die erste „Büch­se der Pan­do­ra“, um genau zu sein, war jedoch der Rück­tritt Bene­dikts XVI. vom Papst­amt, „ein Blitz aus hei­te­rem Him­mel“, wie Kar­di­nal Ange­lo Sod­a­no es aus­drück­te, mit dem alles begann.

Die Mög­lich­keit des Ver­zichts auf das Papst­amt ist im Kir­chen­recht vor­ge­se­hen (can. 332, § 2), wur­de aber nur ganz sel­ten in Anspruch genom­men. Zudem erschie­nen die Grün­de und Moda­li­tä­ten der Abdan­kung eigen­ar­tig. Bis zum letz­ten Tag sei­nes Lebens wie­der­hol­te Bene­dikt XVI., daß sei­ne Ent­schei­dung kei­nen ande­ren Grund hat­te als sei­nen schwa­chen psy­cho­phy­si­schen Zustand, eine „kör­per­li­che und gei­sti­ge Erschöp­fung“, wie Msgr. Georg Gäns­wein auf den Sei­ten sei­nes der „histo­ri­schen Abdan­kung“ gewid­me­ten Buches erklär­te („Nichts als die Wahr­heit. Mein Leben mit Bene­dikt XVI., Her­der, Frei­burg i. B. 2023). In einem Brief vom 28. Okto­ber 2022 an sei­nen Bio­gra­phen Peter See­wald, weni­ge Wochen vor sei­nem Tod, erklär­te Bene­dikt, das „zen­tra­le Motiv“ für sei­nen Rück­tritt war „die Schlaf­lo­sig­keit, die mich seit dem Welt­ju­gend­tag in Köln [August 2005] unun­ter­bro­chen beglei­tet“. Sei­ne unmiß­ver­ständ­li­chen Äuße­run­gen haben jedoch nicht dazu geführt, den aben­teu­er­lich­sten Spe­ku­la­tio­nen ein Ende zu set­zen, die sogar so weit gin­gen, zu behaup­ten, daß die­ser Rück­tritt in Wirk­lich­keit nie statt­ge­fun­den habe und daß Bene­dikt XVI. wei­ter­hin gegen den „Usur­pa­tor“ Fran­zis­kus regiert habe.

Papst Ratz­in­ger konn­te sich sicher nicht vor­stel­len, daß er in den zehn Jah­ren nach sei­nem Pon­ti­fi­kat das Deba­kel mit­er­le­ben muß, das durch die Wahl von Fran­zis­kus aus­ge­löst wur­de, nicht zuletzt des­halb, weil er sicher war, daß sein Nach­fol­ger Kar­di­nal Ange­lo Sco­la sein wür­de. Als der erste wei­ße Rauch aus dem Schorn­stein des Peters­doms auf­stieg, brach­te eine Erklä­rung der Ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz am 13. März 2013 um 20.24 Uhr „die Gefüh­le der gesam­ten ita­lie­ni­schen Nati­on zum Aus­druck über die Nach­richt von der Wahl von Kar­di­nal Ange­lo Sco­la zum Nach­fol­ger des Petrus“. Nach zuver­läs­si­gen Rekon­struk­tio­nen führ­te Sco­la im Kon­kla­ve 2013 im ersten Wahl­gang, bevor er von Berg­o­glio über­holt wur­de, der im fünf­ten Wahl­gang gewählt wur­de (Gerard O’Con­nel: The elec­tion of Pope Fran­cis. An Insi­de Account of the Con­cla­ve that Chan­ged Histo­ry, Orbis Books, 2021).

Die Vor­her­sa­gen wur­den durch das Votum ame­ri­ka­ni­scher Kar­di­nä­le umge­sto­ßen, die davon über­zeugt waren, daß es eine tief­grei­fen­de inne­re Rei­ni­gung der Kir­che brauch­te und daß kein ita­lie­ni­scher Kar­di­nal dazu in der Lage wäre. Dank ihrer ent­schei­den­den Stim­me wur­de Jor­ge Mario Berg­o­glio gewählt. Wer hät­te gedacht, daß sich gera­de im ame­ri­ka­ni­schen Epi­sko­pat zehn Jah­re spä­ter der ent­schie­den­ste Wider­stand gegen Papst Fran­zis­kus mani­fe­stie­ren würde?

Sowohl die Kon­ser­va­ti­ven als auch die Pro­gres­si­ven wünsch­ten sich inner­kirch­li­che Refor­men, und Berg­o­glio prä­sen­tier­te sich als „geist­li­cher“ Kan­di­dat, der in der Lage sei, die­se Refor­men umzu­set­zen. Wer hät­te gedacht, daß Papst Fran­zis­kus der „poli­tisch­ste“ der Päp­ste der ver­gan­ge­nen hun­dert Jah­re sein wür­de (sie­he Jean-Pierre Moreau: La con­quête du pou­voir, Con­tre­temps, Paris 2023) und daß sei­ne Refor­men sen­sa­tio­nell schei­tern würden?

Die Ernen­nung von Kar­di­nal Geor­ge Pell zum ersten Prä­fek­ten des Wirt­schafts­se­kre­ta­ri­ats am 24. Febru­ar 2014 schien eine Garan­tie für die Kon­ser­va­ti­ven zu sein, die sich jedoch bald bewußt wur­den, daß sich die Refor­men ver­zö­ger­ten und sich statt­des­sen lehr­mä­ßi­ge und pasto­ra­le Miß­ver­ständ­nis­se häuf­ten, ins­be­son­de­re nach dem apo­sto­li­schen Schrei­ben Amo­ris lae­ti­tia vom 19. März 2016. Vier hoch­ran­gi­ge Kar­di­nä­le (Wal­ter Brand­mül­ler, Ray­mond Leo Bur­ke, Car­lo Caf­farra, Joa­chim Meis­ner) leg­ten der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on am 16. Sep­tem­ber 2016 fünf Dubia vor: Es war viel­leicht abseh­bar, daß es dar­auf nie eine Ant­wort geben wür­de, was aber uner­war­tet kam, war das Able­ben von zwei der vier Kar­di­nä­le: Joa­chim Meis­ner am 5. Juli 2017 und Car­lo Caf­farra am 6. Sep­tem­ber des­sel­ben Jah­res, was das wei­te­re öffent­li­che Vor­ge­hen der bei­den ver­blie­be­nen Kar­di­nä­le unweg­sam machte.

Inzwi­schen hat­te die austra­li­sche Poli­zei am 29. Juni 2017 die Ankla­ge gegen Kar­di­nal Pell wegen „schwe­rer sexu­el­ler Ver­ge­hen“ an Min­der­jäh­ri­gen bestä­tigt. Pell wur­de von den Geschwo­re­nen im austra­li­schen Bun­des­staat Vic­to­ria für schul­dig befun­den und am 13. März 2019 zu einer sechs­jäh­ri­gen Haft­stra­fe ver­ur­teilt. Erst am 7. April 2020 wur­de er vom Höchst­ge­richt ein­stim­mig frei­ge­spro­chen und nach mehr als einem Jahr Haft wie­der frei­ge­las­sen. Der austra­li­sche Kar­di­nal, der in prak­ti­schen Din­gen aktiv­ste und fähig­ste der Kuri­en­kar­di­nä­le, kehr­te nach Rom zurück und begann, die anti­ber­go­glia­ni­schen Rei­hen für das näch­ste Kon­kla­ve zu orga­ni­sie­ren, ver­starb jedoch uner­war­tet am 10. Janu­ar 2023. Wäh­rend sei­nes Requi­ems fand nur weni­ge Schrit­te ent­fernt im Vati­kan eine hit­zi­ge Anhö­rung im Pro­zeß gegen Kar­di­nal Ange­lo Becciu statt, ein noch offe­nes Gerichts­ver­fah­ren mit vie­len Unbe­kann­ten, in das Papst Fran­zis­kus ver­wickelt ist.

Wer hät­te außer­dem die Ent­täu­schung über Papst Fran­zis­kus selbst bei den Pro­gres­si­ven erah­nen kön­nen, die sei­ne Wahl enthu­sia­stisch begrüßt hat­ten? Der Histo­ri­ker Alber­to Mel­lo­ni nann­te im April 2013 die Ankün­di­gung der Kuri­en­re­form durch Papst Fran­zis­kus „den wich­tig­sten Schritt in der Geschich­te der Kir­che der ver­gan­ge­nen zehn Jahr­hun­der­te und in der fünf­zig­jäh­ri­gen Rezep­ti­ons­ge­schich­te des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils“ (Cor­rie­re del­la Sera, 14. April 2013). Zehn Jah­re spä­ter bezeich­ne­te der­sel­be Mel­lo­ni das Prin­zip, auf dem die Apo­sto­li­sche Kon­sti­tu­ti­on Prae­di­ca­te evan­ge­li­um vom 19. März 2022 über die Neu­or­ga­ni­sa­ti­on der Römi­schen Kurie beruht, als „eine The­se, die das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil ins Herz trifft und, daß das ein ent­schei­den­der Punkt für die Zukunft der Kir­che ist“ (La Repubbli­ca, 24. August 2022). Der Vor­wurf lau­tet, den Vor­rang der sakra­men­ta­len vor der recht­li­chen Ord­nung geleug­net zu haben, der einer der Eck­pfei­ler der neu­en Kon­zils­leh­re gewe­sen war.

„Das Ein­drin­gen von Fran­zis­kus löste einen Schock aus. Ein Zusam­men­prall der Kul­tu­ren. Je nach Sen­si­bi­li­tät wur­de er als Alp­traum, als irdi­scher Schock oder als ech­te Befrei­ung emp­fun­den“, schreibt Jean-Marie Gué­nois in sei­nem jüng­sten Buch „Pape Fran­çois. La Révo­lu­ti­on (Gal­li­mard, Paris 2023), in dem er zu ent­rät­seln ver­sucht, was ein ande­rer Vati­ka­nist, Mas­si­mo Fran­co, „L’e­nig­ma Berg­o­glio“ (Edi­zio­ni Sol­fe­ri­no, Mai­land 2020) genannt hat. Zu den weni­gen kla­ren Punk­ten gehört eine radi­ka­le Kon­ti­nui­tät, was die Pra­xis betrifft, mit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil. In die­sem Sin­ne hat Abbé Clau­de Bar­the recht, wenn er das gegen­wär­ti­ge Pon­ti­fi­kat als „eine Apo­ka­lyp­se im wört­li­chen Sin­ne“ bezeich­net, „d. h. eine Offen­ba­rung, ins­be­son­de­re eine Offen­ba­rung der gro­ßen Wen­de, die die Väter des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils nolens volens her­bei­ge­führt haben. Papst Fran­zis­kus treibt die­ses abso­lut ein­zig­ar­ti­ge Ereig­nis auf die Spit­ze oder macht sein Wesen in jedem Fall viel greif­ba­rer“ (Res­No­vae, 1. Sep­tem­ber 2023). 

Die „Büch­se der Pan­do­ra“ des Rück­tritts von Bene­dikt XVI. und der dar­auf fol­gen­den Wahl von Fran­zis­kus hat aber viel­leicht die unvor­her­seh­bar­sten Fol­gen im Bereich der tra­di­ti­ons­treu­en Katho­li­ken her­vor­ge­bracht. Die Cor­rec­tio filia­lis vom 11. August 2017, die von mehr als 200 Theo­lo­gen und Gelehr­ten aus ver­schie­de­nen Fach­be­rei­chen unter­zeich­net wur­de, schien in die­ser Welt zu lehr­mä­ßi­ger Einig­keit und Ein­heit­lich­keit zu füh­ren. Die Coro­na­vi­rus-Pan­de­mie, der rus­sisch-ukrai­ni­sche Krieg und die unbe­stän­di­ge Hal­tung von Fran­zis­kus haben jedoch dazu bei­getra­gen, sie zu desta­bi­li­sie­ren. Die tra­di­tio­nel­le Welt ist kei­ne „Aci­es ordi­na­ta“ mehr, wie es bis Janu­ar 2020 den Anschein haben konn­te, son­dern eine ver­wirr­te und zer­strit­te­ne Ansamm­lung, die sich einem bevor­ste­hen­den Ereig­nis gegen­über­sieht, das Kar­di­nal Pell als „gif­ti­gen Alb­traum“ bezeich­ne­te: die Okto­ber­syn­ode, eine neue „Büch­se der Pan­do­ra“, von der alles zu erwar­ten ist, ein­schließ­lich der Reak­tio­nen, die sie unwei­ger­lich pro­vo­zie­ren wird.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

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Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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