
Konrad Adenauer, Robert Schuman und Alcide De Gasperi werden häufig als „Gründerväter“ der Europäischen Union genannt, die nicht mit Europa verwechselt werden sollte, wenngleich das EU-Exponenten durchaus gerne so hätten. Alle drei Genannten waren Katholiken und repräsentierten als führende Politiker in der unmittelbaren Nachkriegszeit die drei großen Staaten auf dem europäischen Festland diesseits des Eisernen Vorhangs: die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Italien. Allen drei war gemeinsam, was meist unerwähnt bleibt, daß sie Deutsche waren oder zumindest deutsch geprägt waren, was auf ihr Denken und ihre politische Kultur erheblichen Einfluß hatte. Robert Schuman war Deutschlothringer, der 1886 in Luxemburg, woher seine Mutter stammte, als Reichsdeutscher geboren wurde. Alcide De Gasperi war Welschtiroler und wurde 1881 bei Trient als österreichischer Staatsbürger geboren. Als Reichsratsabgeordneter saß er im österreichischen Parlament in Wien. Doch das mit ihrer Rolle als „Gründerväter“ bedarf einer korrigierenden Ergänzung.
Die oft wiederholte Erzählung lautet etwa wie folgt:
Die Europäische Union entstand aus dem Traum von Brüderlichkeit und Frieden dreier Freunde (Schuman, De Gasperi und Adenauer), die nicht nur die Weltanschauung, sondern auch einen tiefen katholischen Glauben teilten, weshalb die EU einen katholischen Ursprung hat. Im Laufe der Zeit ging ihr Ideal zwar verloren, aber…
Stimmt dieses Narrativ jedoch?
Italien und Deutschland waren als Besiegte aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen. Die 1946 ausgerufene Republik Italien und die 1949 entstandene Bundesrepublik Deutschland – beide Ergebnisse der Niederlage – waren in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht annähernd in der Lage, irgendein Projekt vorzuschlagen, schon gar nicht ein so politisch, vor allem geopolitisch, heikles und großes wie die europäische Einigung, die in die Europäische Union mündete.

Für Deutschland gab es zunächst ganz andere Pläne wie den von Louis Nizer: die Hinrichtung von 5.000 führenden Deutschen ohne Gerichtsverfahren, von weiteren 150.000 nach einem Scheinprozeß und der möglichen Hinrichtung von mehreren Hunderttausenden nach weiteren Prozessen sowie die Besetzung und vollständige Deindustrialisierung Deutschlands. Letzteres klingt geradezu vertraut angesichts dessen, was derzeit mit Deutschland geschieht – erneut weder im Auftrag noch im Interesse der Deutschen.
Oder, um einen anderen Plan für Nachkriegsdeutschland zu nennen, den von Theodore Kaufman, der vorsah, das deutsche Volk zu sterilisieren.
Oder den sehr berühmten und vielzitierten Vorschlag von Henry Morgenthau, ganz Deutschland in eine riesige Graslandschaft zu verwandeln, um die Bevölkerung verhungern zu lassen.
Frankreich wiederum bestand auf der territorialen Zerstückelung Deutschlands, mit dem Ziel, nicht nur das Elsaß und Deutschlothringen zu behalten, sondern auch die Saar und das Ruhrgebiet zu annektieren.
Wenn Deutschland und auch Italien in diesem Kontext einen Handlungsspielraum besaßen, dann den, die USA um Hilfe zu bitten, die im Gegenzug Souveränitätsabtretungen verlangten.
Auch um die Beziehungen zwischen den beiden Verlierern, Deutschland und Italien, war es nicht gut bestellt. Die Deutschen waren wütend über den italienischen Kriegseintritt 1940, der unerwünschte Probleme in Frankreich verursachte und den Krieg auf Nordafrika und den Balkan ausweitete, und erst recht über den italienischen Verrat 1943. Beide Ereignisse hatten ihnen das Leben schwer gemacht und sie in eine verzweifelte Lage gebracht. Auch der Verrat, den Italien im Ersten Weltkrieg begangen hatte, als es vom Verbündeten zum Feind des Deutschen Reichs und Österreich-Ungarns geworden war, war dadurch wieder in Erinnerung gerufen worden.
Die Italiener wußten das und reagierten nach dem Krieg wegen der deutschen Besetzung Italiens von 1943 bis 1945 sehr zurückhaltend. Als Besiegter mußte man auf Istrien und Dalmatien verzichten, konnte sich aber auf Kosten des ganz Besiegten die Brennergrenze sichern. Zudem erstellte man in Rom bereits beeindruckende Rechnungen für Kriegsschäden, die man nördlich der Alpen vorlegen wollte.
Italien war nach dem Krieg moralisch allerdings diskreditiert, militärisch besetzt, Teilen des Volkes drohte der Hungertod und im Land tobte ein von den Moskau-hörigen Kommunisten entfesselter Bruderkrieg, der mindestens 25.000 Tote forderte, wahrscheinlich aber viel mehr. Man sagt, „die Toten fielen wie die Ähren“.
Und ausgerechnet die westlichen deutschen Besatzungszonen, das besetzte Italien und das geschwächte Frankreich hätten unter diesen Bedingungen eine Europäische Union planen können? Das erscheint ziemlich unglaubwürdig.
Die „Achse“ De Gasperi-Adenauer
Vor etwa fünfzehn Jahren äußerte der früh verstorbene Claudio Bernabei, eine tragende Säule des Centro Culturale Lepanto (Kulturzentrum Lepanto) zur Verteidigung der christlichen Zivilisation, in dem langen und aufschlußreichen Aufsatz „Das nihilistische Europa von Schuman, Adenauer und De Gasperi“ Zweifel an dem eingangs wiedergegebenen Narrativ.
Unter Bezug auf die Archivforschungen von Tiziana Di Maio, Professorin für Internationale Beziehungen an der römischen Universität LUMSA, schrieb er:
„Die Beziehungen zwischen De Gasperi und Adenauer waren laut den Archiven nicht sehr kohärent: Sie beschränkten sich auf den Austausch offizieller Briefe zwischen den Staats- und Parteichefs, deren Inhalt es nicht erlaubt, jene viel gepriesene Freundschaft zu belegen, die seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute einen der Eckpfeiler der EU-freundlichen Geschichtsschreibung darstellt.“
Wie aber ist es dann gelaufen?
Die unmittelbare Nachkriegszeit war durch den sogenannten Kalten Krieg gekennzeichnet, und es bestand die dringende Notwendigkeit, im Vorfeld der US-dominierten angelsächsischen Interessen eine „demokratische“ Barriere gegen die Sowjetunion zu errichten, die bereits 1943 von den Vereinigten Staaten als neuer Feind identifiziert worden war. Zudem war es nach der von Washington und London geteilten Ansicht ebenso notwendig, Deutschland (und seine Technologie) und Rußland (und seine Ressourcen) weit voneinander fernzuhalten.
Um Rest-Deutschland fest in den Westblock einzubinden, wurde in dieser Situation Italien ausgewählt.
Aber wie? Wurde Italien gebeten, den Spieß gegenüber Deutschland ein weiteres Mal umzudrehen? Genau das, denn, wer hätte von Italien in dieser Situation auch nur ein Minimum an Konsequenz erwartet?
1946 teilte Alberto Tarchiani, Italiens Botschafter in Washington, dem italienischen Ministerpräsidenten „De Gasperi mit, daß die Position der USA feststeht“: Italien habe seine Position der „Äquidistanz“ aufzugeben und dem „Ausgestoßenen Europas“, dem besetzten Deutschland, eine „freundschaftliche Hand“ zu reichen. Im Gegenzug werde er, De Gasperi, „Hunderte Millionen“ Dollar, die Freundschaft der USA und die begehrte Einladung zur Pariser Friedenskonferenz erhalten. Die Friedenskonferenz war noch ohne die Teilnahme Italiens eröffnet worden und ohne daß Italien wußte, ob es ausgesperrt bleiben würde – Deutschland war ohnehin ausgeschlossen. De Gasperi griff zu, hatte dabei aber nicht die volle Unterstützung seiner christdemokratischen Partei, geschweige denn des ganzen Landes. Als seine interne Position schwächer wurde, drohte ihm 1953 sogar Adenauer, wohl nicht ohne Auftrag: Sollte er persönlich seine pro-europäische Position „auch nur um eine Nuance“ ändern, werde er die deutsche und vor allem die amerikanische Unterstützung verlieren. Das wollte besagen, daß Italien mit seiner starken kommunistischen Partei Tito überlassen werde, Triest verloren gehe und wer weiß, was noch alles geschehen würde.
Ein Projekt namens europäische Einigung
Somit sollte ausreichend geklärt sein, daß das Projekt einer Europäischen Union nicht von den „drei großen katholischen Staatsmännern“ stammt, sondern von jemand anderem.
Von wem?

Werfen wir einen Blick auf die Liste der ersten Empfänger des Karlspreises, der denjenigen verliehen wird, die sich für die Sache der Europäischen Union besonders eingesetzt haben. Klammer auf: Der Preis wurde 1949, pünktlich zur Errichtung der Bundesrepublik Deutschland durch die westlichen Besatzungsmächte, von dem Aachener Unternehmer Kurt Pfeiffer gestiftet, einem ehemaligen NSDAP-Mitglied, der 1944 der alliierten Militärregierung der Stadt angehörte, für die Finanzen und das Vermögen zuständig war und den Wiederaufbau leitete. Klammer zu. Sehen wir uns also diese Liste an: Der erste Preis hätte eigentlich über den Atlantik gehen müssen, doch Macht wird vor allem auch dadurch ausgeübt, daß man die im Dunkeln nicht sieht. Der erste Preisträger 1950 war vielmehr der höchst umstrittene Richard Graf Coudenhove-Kalergi. Diese Erstverleihung läßt sich zwangsläufig dahingehend interpretieren, daß die europäische Einigung auf Coudenhove-Kalergis Ideen gründet, die sich selbst mit dem heutigen rassistischen Antirassismus decken. Der Preisträger 1952 war De Gasperi, 1954 Adenauer, 1956 Churchill, 1958 Schuman und 1959 General Marshall.
Im Jahr 1953 wurde Jean Monnet geehrt. Wer war das?
Ein Technokrat, der im Verborgenen bei allen wichtigen europäischen Ereignissen des Jahrhunderts zugegen war. Als Treuhänder der wichtigsten amerikanischen Banken und Verantwortlicher für die Verteilung der Mittel aus dem Marshallplan stellte er allen Staaten eine Bedingung für den Erhalt der US-Hilfe: den Verzicht auf Souveränität. Genau so funktioniert die Europäische Union von ihren Anfängen bis heute. Die Maxime der sogenannten Monnet-Methode bilden, wenig demokratisch, „im Konsens getroffene Eliten-Entscheidungen“.
Haben wir also den wahren Vater der EU gefunden?

Monnet handelte natürlich nicht allein aus eigenem Antrieb, sondern im Dienst seiner angelsächsischen, konkret US-amerikanischen Auftraggeber. Es zeigt sich jedenfalls, daß die EU nicht aus dem Traum dreier katholischer Freunde entstanden ist, sondern aus einer ziemlich harten Mischung aus Erpressung, Verrat und Finanzierungen mit dem Ziel, einen viel umfassenderen geopolitischen Plan zu verwirklichen. Tiziana Di Maio kommt zu einem vergleichbaren Schluß:
„Die Geschichtsschreibung hat die drei Staatsmänner als die Gründerväter des vereinten Europas identifiziert und die Analogien ihrer biographischen, politischen und religiösen Wege zum Pfeiler des europäischen Aufbaus gemacht, indem ihr Handeln zugunsten des europäischen Integrationsprozesses in die Romantik und Mythologie einer Geschichte von Freundschaft und Gefühlsverwandtschaft gehüllt wurde, in deren Schatten die Suche nach den praktischen Beweggründen, der Realpolitik, von der sich De Gasperi und Adenauer nach der Niederlage leiten lassen mußten, im Nichts verläuft. Italien und Deutschland gingen aus dem Krieg in einer ähnlichen Situation hervor: beide besiegt, beide, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, als ‚unzuverlässig‘ eingestuft. De Gasperi und Adenauer waren sich darüber im Klaren, daß die westliche Option, für die der souveräne Nationalstaat auf dem Weg zur europäischen Integration aufgegeben werden mußte, das einzige Mittel darstellte, um in dem neuen Szenario der internationalen Beziehungen ein Höchstmaß an Autonomie zu erreichen.“
Bleibt noch eine Frage: Warum diese ganze Pantomime?

Bernabei erklärt dies in seinem Artikel, indem er eine andere obskure Figur zitiert, den Philosophen Alexandre Kojève (eigentlich Alexander Koschewnikow), den Mitarbeiter Monnets, der mehr als durch seine intellektuelle Arbeit als Hegel-Wiederentdecker in Frankreich als „großer Funktionär in wirtschaftlichen und internationalen Gremien“ in Erinnerung geblieben ist. Kojève schrieb 1947 in seinem Essay mit dem Titel „Das lateinische Reich“, daß das pro-europäische Projekt:
„nicht ohne die Unterstützung der katholischen Kirche auskommen kann und darf, die eine immense, wenn auch schwer zu berechnende und noch schwerer zu konditionierende Macht darstellt. […] Es muß jedoch klar sein, daß der Erfolg der imperialen Aktion nicht nur eine radikale politische Reform der lateinischen Regierungen voraussetzt, sondern auch eine tiefgreifende Veränderung der katholischen Kirche“.
Mit dem katholischen Psychologen Roberto Marchesini läßt sich also resümieren: „Und siehe da, der Kreis schließt sich“.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/MiL
Trotzdem ist das „Projekt Europa“ ohne die katholischen Wurzeln Europas nicht denkbar und durchführbar. Auch heute nicht. Als bloßes kaltes Machtkartell kann Europa nicht bestehen. Denn es gilt: entweder ein katholisches Europa anknüpfend an Karl den Großen und die vielen deutschen Kaiser oder gar keines- oder ein islamisches.
Heute will man von den Brüsseler Technokraten und Anti-Christen den Islam so stark werden lassen, daß er die Kirche zumindest neutralisiert. Man glaubt durch diese Politik weiterhin an den Schalthebeln der Macht bleiben zu können- auf immer. Gott sei Dank geht diese Rechnung so oder so nicht auf.