
(Krakau) Meinungen und Vorwürfe, Papst Johannes Paul II. habe zu langsam auf den sexuellen Mißbrauch von Minderjährigen durch einige Kleriker reagiert, „sind voreingenommen und widersprechen den historischen Fakten“. Mit dieser Aussage in einer öffentlichen Erklärung wies Stanislaw Kardinal Dziwisz, der emeritierte Erzbischof von Krakau, entsprechende Behauptungen zurück. Kardinal Dziwisz stand fast 40 Jahre lang als persönlicher Sekretär an der Seite von Karol Wojtyla.
Gestern wurde die Erklärung „Johannes Paul II. über den sexuellen Mißbrauch in der Kirche“ von Kardinal Dziwisz auf der Internetseite der Polnischen Bischofskonferenz in polnischer und englischer Sprache veröffentlicht.
Es stimme nicht, so der Kardinal, daß Johannes Paul II. „das Verbrechen des sexuellen Mißbrauchs Minderjähriger in der Kirche tolerieren wollte“. Die Wahrheit sei, daß der Papst vielmehr „schockiert“ war und „dagegen angekämpft“ habe.
Dziwisz war 1963 von Karol Wojtyla zum Priester geweiht worden. Ab 1966 wurde er sein Sekretär als Erzbischof von Krakau. Als Kardinal Wojtyla 1978 im Konklave zum Papst gewählt wurde, ging Dziwisz als sein persönlicher Sekretär mit nach Rom. Benedikt XVI. ernannte ihn nach dem Tod des polnischen Papstes zum Erzbischof von Krakau und kreierte ihn zum Kardinal.
Dziwisz erinnert in der Erklärung unter anderem an die von Johannes Paul II. für die Vereinigten Staaten von Amerika (1994) und für die Kirche in Irland (1996) erteilten Indulte, mit denen eine als „Nulltoleranz“ bekannte Politik gebilligt wurde. Der einstige persönliche Sekretär dieses Papstes verweist auch auf das Dokument Sacramentorum sanctitatis tutela zum Schutz der Sakramente, das im Mai 2001 auf Initiative Johannes Pauls II. veröffentlicht wurde. Darin wurden neue Normen „über die schwerwiegenderen Verbrechen“ (de delictis gravioribus) verkündet, mit denen die Abwehr und Bekämpfung solcher Verbrechen auf eine neue Ebene gestellt wurden
Johannes Paul II. habe beobachtet, wie die Ortskirchen reagierten, in deren Verantwortung auftretende Fälle lagen. Das galt vor allem für die USA, wo das Problem erstmals massiv auftrat. „Wenn es notwendig war, half er ihnen, oft aus eigener Initiative“, oder „auf Bitten der lokalen Episkopate“. So habe er in den 80er Jahren auf die Krise der Kirche in den USA reagiert.
„Der Papst beobachtete zuerst die Aktivitäten des Episkopats der Vereinigten Staaten, und als er zu dem Schluß kam, daß neue Instrumente erforderlich sind, um diese Verbrechen zu bekämpfen, gab er den Kirchenoberen neue Befugnisse. Für die Bischöfe war dies ein eindeutiger Hinweis darauf, in welche Richtung sie kämpfen sollten.“
Als klargeworden sei, daß die örtlichen Episkopate und religiösen Vorgesetzten das Problem immer noch nicht bewältigen konnten und sich die Krise auf andere Länder ausbreitete, habe Johannes Paul II. erkannt, daß das Problem „nicht nur die angelsächsische Welt betrifft, sondern einen globalen Charakter hat“.
Bekannt ist, daß es 2002 in den Vereinigten Staaten zu einer neuen Welle von Enthüllungen kam, verursacht durch Veröffentlichungen, die als „Spotlight“ bekannt sind. Kaum bekannt sei hingegen, so der Kardinal, daß Johannes Paul II. bereits ein Jahr vor diesen Ereignissen im Mai 2001 das Dokument Sacramentorum sanctitatis tutela (zum Schutz der Heiligkeit der Sakramente) veröffentlichen ließ. „Wir kennen die bahnbrechende Bedeutung dieses Gesetzes“, so der emeritierte Erzbischof von Krakau. Damit reagierte der Papst auf die offensichtlichen Schwierigkeiten der zuständigen Episkopate, in angemessener Form auf das Problem zu reagieren.
„Alle sexuellen Verbrechen, die von Klerikern gegen Minderjährige begangen werden, wurden damit der Gerichtsbarkeit des Apostolischen Stuhls vorbehalten.“
„Er verpflichtete auch jeden Bischof und jeden Ordensoberen, alle diese Verbrechen an die Glaubenskongregation zu melden, wenn ihre Wahrscheinlichkeit in einer ersten Vorerhebung bestätigt wurde.“
Das weitere Verfahren wurde unter der Kontrolle der Apostolischen Gerichtsbarkeit fortgesetzt.
Der Kardinal gibt zu verstehen, daß das Hauptproblem des sexuellen Mißbrauchs Minderjähriger in der Kirche bereits vor dem Pontifikat von Johannes Paul II. seinen Höhepunkt erreicht hatte. Dagegen begann der polnische Papst vorzugehen, sobald er sich des Problems bewußt wurde. Der seither nachweisbare Rückgang der Verbrechen belege die Wirksamkeit der Maßnahmen, wenngleich das Problem nicht ganz ausgemerzt werden konnte.
„Diese Analyse dient als Anhaltspunkt für alle, die sich dem Kampf gegen das Verbrechen des sexuellen Mißbrauches von Minderjährigen durch Geistliche verschrieben haben. Es hilft bei der Diagnose der Krise und zeigt den Ausweg auf.“
Am Ende seiner Erklärung nimmt Kardinal Dziwisz auch zum Fall Marcial Maciel Degollado, den Gründer der Legionäre Christi, Stellung.
„Man sagt, Johannes Paul II. habe seine kriminellen Aktivitäten vertuscht. Die Fakten sagen aber anderes. Ich möchte nur daran erinnern, daß die Kongregation für die Glaubenslehre bereits im Dezember 2004, während des Pontifikats von Johannes Paul II., mit den Ermittlungen zu den Vorwürfen gegen Maciel Degollado begonnen hatte. Msgr. Charles Scicluna, damals Promotor iustitiae und heute Erzbischof, wurde mit einem anderen Juristen nach Mexiko und in die USA geschickt, um die erforderlichen Aktivitäten in dieser Angelegenheit durchzuführen. Die Entscheidung, diese Untersuchungen einzuleiten, konnte nur mit Kenntnis und Zustimmung von Johannes Paul II. erfolgen. Die Untersuchungen wurden auch in der Zeit der Sedisvakanz nach dem Tod von Johannes Paul II. nicht unterbrochen und konnten daher durch ein Urteil zu Beginn des Pontifikats von Benedikt XVI. abgeschlossen werden.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: episkopat.pl (Screenshot)