(Budapest) Bei seinem Besuch in Budapest kam es am Samstag zu einem Treffen zwischen Papst Franziskus und dem Vertreter des russisch-orthodoxen Patriarchats Hilarion, das im offiziellen Programm der Papstreise nicht enthalten war. Einige sehen darin sogar einen wesentlichen Grund, weshalb Franziskus innerhalb weniger Monate ein zweites Mal Ungarn aufsuchte. Auf dem Rückflug nach Rom sprach der Papst von einer Friedensinitiative des Vatikans, über die er sprechen werde, wenn die Zeit gekommen sein wird.
In der Tat erstaunte es, als der Heilige Stuhl im vergangenen Februar bekanntgab, Franziskus werde vom 28. bis 30. April Budapest besuchen. Das Kirchenoberhaupt war erst im September 2021 in Budapest gewesen. Zwei Besuche innerhalb so kurzer Zeit stellen eine Ausnahme in Franziskus’ Reisetätigkeit dar.
Offiziell hieß es, 2021 habe der Papst am Eucharistischen Weltkongreß teilgenommen und nicht Ungarn besucht, doch so wirklich greift das nicht. Zudem gehört Ungarn zu den derzeit in der europäischen Machtzentrale Brüssel wenig gelittenen Nationen. Ungarn unterstützt wie kein anderes europäisches Land die kirchliche Position zu den „nicht verhandelbaren Werten“. Allerdings ist Papst Franziskus umgekehrt dafür bekannt, jene Kräfte, die dies tun, gerade nicht zu unterstützen.
Der mediale Umgang mit Franziskus zeigte sich auch in der Berichterstattung über den Papstbesuch. Da Franziskus seit seiner Wahl das Wohlwollen der Mainstream-Medien genießt, werden seine Aussagen und Gesten, die nicht dem offiziellen Narrativ entsprechen, einfach ignoriert. Das traf auch beim Ungarn-Besuch zu, als Franziskus Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán nicht kritisierte oder gar verurteilte und auch in Richtung Moskau weiterhin große Zurückhaltung walten ließ.
In diesen Kontext gehört die erwähnte außerplanmäßige Begegnung zwischen Franziskus und Hilarion, dem russisch-orthodoxen Eparchen für die Diözese Budapest und Ungarn. Hilarion war 13 Jahre lang Metropolit von Wolokolamsk und Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats. Also solcher gestaltete er maßgeblich die internationalen Beziehungen der russisch-orthodoxen Kirche und gilt als Architekt der historischen Begegnung zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kyrill I. auf Kuba.
Im Juni 2022 war Hilarion überraschend von seinen Ämtern entbunden und als Eparch nach Budapest versetzt worden. Hilarion, der bereits als möglicher Nachfolger von Patriarch Kyrill I. genannt worden war, verlor seinen Sitz im Heiligen Synod der russisch-orthodoxen Kirche. Die Versetzung nach Budapest wurde vor allem im Westen als Degradierung und als ein Richtungsstreit im russisch-ukrainischen Krieg gesehen.
Hilarion selbst äußerte sich nicht zu dieser Versetzung, trat durch den Papstbesuch nun aber erneut in das Rampenlicht. Es gibt Stimmen in Rom, die in der „privaten“ Begegnung sogar einen der Hauptgründe für die Ungarnreise des Papstes sehen. Eparch Hilarion sei von Franziskus als Gesprächspartner auserkoren worden, weil eine Reise nach Moskau bisher nicht zustande kam. Franziskus betonte in der Vergangenheit mehrfach im Zusammenhang mit Aufforderungen, Kiew zu besuchen, daß er dies erst dann tun werde, wenn er zuvor in Moskau gewesen sei.
Medien spekulierten im Anschluß an das rund 20 Minuten dauernde Gespräch, daß es dabei um den Krieg und Friedensinitiativen gegangen sei. Dem war nach allem, was bisher zu hören war, tatsächlich so, obwohl Hilarion nachträglich bemüht war, die Sache zu „entpolitisieren“. Diese Abwiegelung scheint mehr inner-orthodoxen Befindlichkeiten geschuldet zu sein, um sich nicht weiterer Kritik auszusetzen, ein „Westler“ zu sein.
Franziskus ging es darum, Hilarion als Brückenbauer und Vermittler zum Moskauer Patriarchen und in den Kreml zu nützen. Über die Inhalte wird Schweigen bewahrt. Nur soviel ist bekannt: Franziskus soll ziemlich konkrete Schritte vorgelegt haben, die zu einer Friedenskonferenz führen sollen.
Die Friedensbemühungen, deren Grundkonzept von der Gemeinschaft von Sant’Egidio entworfen worden sein soll, wurden vom vatikanischen Staatssekretariat geprüft und abgesegnet nicht zuletzt unter dem Eindruck, daß die Volksrepublik China, die sich als erste bedeutende Macht mit einem Friedensplan vorgewagt hatte, in ihren Bemühungen durch ungeschickte Aussagen ihres Botschafters in Frankreich einen Rückschlag erlebte. Der Stich ins Wespennest war eine zweifelhafte Formulierung, mit der Chinas Botschafter Lu Shaye den Eindruck erweckte, alle seit 1991 auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion neu gezogenen Grenzen stünden zur Diskussion. Im westlichen Establishment wurde dieser Tritt ins Fettnäpfchen von vielen als willkommene Gelegenheit genützt, um sich sogleich empört des chinesischen Friedensplans zu entledigen.
Damit ist vorerst erneut Papst Franziskus der einzige internationale Akteur, der seit Ausbruch der Kampfhandlungen sehr vorsichtig, aber konsequent auf Friedensverhandlungen drängt, ohne selbst eine Lösung oder gar einen Friedensplan zu skizzieren.
Die Begegnung mit Hilarion am Samstag der Vorwoche verlief sehr „herzlich“, wie der Vatikan betonte. Franziskus küßte das Brustkreuz des Eparchen. Der Papst bewegt sich auf dünnem Eis, weil er in der Ukraine-Frage nicht dem westlichen Kriegsnarrativ folgt und ihn nur das Wohlwollen des Mainstream in anderen Bereichen schützt.
Hilarion wiederum wurde im Vorfeld seiner Versetzung nach Budapest als „Westler“ kritisiert, was derzeit in Rußland der vielleicht schwerwiegendste Vorwurf ist, der jemandem gemacht werden kann. Er ist gezwungen, vorsichtig zu handeln, um seinen internen Kritikern keine Angriffsflächen zu bieten. Sowohl Franziskus als auch Hilarion scheinen aber bereit zu sein, jeder auf seine Weise, im Ukrainekonflikt vermittelnd zu wirken. Hilarion werden noch immer gute Kontakte zum Kreml nachgesagt.
Auf dem Rückflug nach Rom sprach Franziskus eine vatikanische Friedensinitiative an, die demnächst bekanntgegeben werde. Erst dann werde er darüber sprechen. Die Reaktion aus Kiew kam sofort und direkt aus dem Mund des ukrainischen Staatspräsidenten Selenskyj. Kiew wisse nichts von einer „Friedensinititiave“, die ohne Wissen und Zustimmung der ukrainischen Staatsführung erfolge.
Auch der Kremlsprecher erklärte auf Nachfrage, nichts von einer Initiative zu wissen. Die Sache scheint demnach noch recht geheim zu sein. Während Kiew gegenüber Rom ziemlich harsch auftritt, man denke an die Polemik zur Via Crucis am Kolosseum, gibt es aus Moskau keine Einwände gegen die Vermittlung des Vatikans beim Gefangenenaustausch. Auf dieser Ebene konnten bisher die konkretesten Ergebnisse erzielt werden.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshots)